: ist das viel oder wenig?
Es geht mir hier nicht um eine Bewertung der von der Firma .
Immerhin haben die Frosch-Produkte einen guten ökologischen Ruf, und die restliche Bewertung überlasse ich
Kommt hinzu, dass die Flasche , auf der ich die Passage gefunden habe, hinten den kleinen Aufdruck trägt, was wohl entweder das Produktions- oder das Mindesthaltbarkeitsdatum ist. Die Flasche kommt also nach mehr als 30jährigem Dornröschenschlaf in unserem Reinigungsmittelregal erst jetzt groß raus, denn immerhin ist sie
(oder genauer: der Aufdruck )
der Anlass für meine folgenden, ewig gültigen Weisheiten.
Jede Zeit hat wohl ihre Mode-Chemikalien:
heute sind das z.B. Aluminium (ganz schlecht) und Hyaluron (Allheilmittel),
früher waren das z.B. Ozon oder Waschmittel .
Ich kann mich allerdings nicht erinnern, dass Laien wie mir damals schon die eigentliche Ursache für die Schaumteppiche auf Flüssen bekannt war, nämlich Tenside.
Nun muss man gar nicht wissen, was Tenside eigentlich sind, denn suggeriert ja wohl:
, dass sie "irgendwie" umweltschädlich sind und deshalb
am besten vollständig (zu 100 %) biologisch abbaubar sein sollten;
, dass dem Hersteller des Glasreinigers jedoch damals (leider) die biologische Abbaubarkeit noch nicht vollständig, aber immerhin schon zu 98 % gelungen war
(inzwischen scheinen die Tenside in dem Frosch-Glasreiniger allerdings vollständig biologisch abbaubar zu sein: vgl. oben im "Focus"-Zitat:
"[...] kommt der Testsieger Frosch Spiritus Glasreiniger ohne [...] die Umwelt belastende[...] Stoffe [also auch ohne nicht-abbaubare Tenside] aus."),
womit vielleicht auch ein damaliger Vorsprung gegenüber anderen Herstellern angezeigt werden sollte, deren Produkte noch mehr als 2 % nicht biologisch abbaubare Tenside enthielten.
Nun hört sich
"98 % abbaubare Tenside" nach viel an
also "2 % nicht abbaubare Tenside" nach wenig.
Aber war es nicht genau umgekehrt, d.h. waren
2 % nicht abbaubare Tenside (viel zu) viel,
also 98 % abbaubare Tenside (zu) wenig?
Rechnen wir aber doch mal aus, wieviel nicht abbaubare Tenside in der 500ml-Flasche waren. Dabei hilft uns eine weitere Information auf der Rückseite der Flasche, nämlich . Ich verstehe das so, dass die Tenside und der (wozu eigentlich?) Kosmetikfarbstoff zusammen 0,01 % des Flascheninhalts ausmachten,
also 0,01 • • 500 ml = 0,05 ml;
wenn wir nun mangels weiterer Informationen annehmen, dass die Hälfte davon Tenside waren, so waren das 0,025 ml Tenside,
von denen 2 % , als 0,0005 ml bzw. fünf Tausendstel ml nicht abbaubare Tenside waren.
Das hört sich nach verschwindend wenig an, ändert sich aber schon ein wenig, wenn wir mal probeweise unterstellen, dass der Hersteller 10 000 Flaschen Glasreiniger am Tag produziert hat, die zusammen also 10 000 • 0,0005 ml = 5 ml nicht abbaubare Tenside enthielten.
Und doch scheint solch eine Tageproduktion von 5 ml nicht abbaubare Tenside immer noch sehr wenig zu sein.
Das Problem ist,
dass
(ob also z.B. eine bestimmte Menge einer Chemikalie [nicht] gefährlich ist; nebenbei: Qualitäten kommen im üblichen Mathematikunterricht auch bei Anwendungsaufgaben fast nie vor). |
Über die Gefahren von Tensiden für die Umwelt
(in welchen Mengen?)
ist nun aber leider wenig zu erfahren:
Deshalb hier mal ein allerdings besonders drastisches Beispiel für die potentielle Gefahr auch nur geringster Mengen::
"80 Millionstel Gramm" hört sich genauso wie "560 Plutonium-Partikel"
(also mickrige 560 Plutonium-Atome )
nach sehr wenig an - und sind wegen der enormen radioaktiven Strahlung dennoch tödlich!
Hohe Prozentzahlen tauchen neuerdings auch in Kosmetikreklamen auf: es werden nicht mehr nur spindeldürre Plastik-Mannequins mit glattgespachtelter oder Photoshop-Haut gezeigt, sondern vermehrt
(z.B. von der Firma „Dove“: ; und - allerdings nicht als Werbung für Kosmetika - von Hornbach: )
auch „Durchschnittsmenschen“ wie du und ich, also die potentiellen Käuferinnen, denen dann gerne auch noch „authentische“ Bewertungen zugeschrieben werden wie z.B.
„Von 98% der Käuferinnen als hilfreich bewertet“:
Das impliziert "von 2% nicht“, was eine wahrhaft schlaue indirekte Einschränkung ist,
da kein Allheilmittel versprochen wird, was nach Ehrlichkeit klingt,
und Kundinnen, bei denen das Zeug nicht wirkt, von Anfang an den zwar vorhandenen, aber doch seltenen Ausnahmen zugerechnet werden („du bist nicht mal normal“), sich also nicht beschweren dürfen.
Dennoch hört sich „98%“ (also fast 100%) überwältigend gut an.
(Üblicherweise wird allerdings nicht erwähnt, wer die Umfrage durchgeführt hat, und schon gar nicht, dass sie vermutlich frei erfunden wurde.)
Bei meiner Suche nach solchen Kosmetik-Reklamen im Internet bin ich allerdings nicht fündig geworden, aber zufällig auf ein anderes 98%-Beispiel gestoßen
(das eigentlich zu entsetzlich ist, um es hier
[und das auch noch in Parallele zu einem schnöden Glasreiniger]
für schnöde Mathematik zu verwursten):
Hier muss man erstmal trennen zwischen
(… wobei beide Punkte vielleicht dennoch zusammenhängen: ermorden Männer auch deshalb Frauen, weil die Männer sich der Straffreiheit fast sicher sein können? Und zeigt die geringe Strafverfolgung, wie egal männlichen Machthabern [Polizei, Staatsanwaltschaften] ein Frauenleben ist?)
Mich interessiert hier wegen der
(wie beim Gasreiniger)
98% nur der zweite Punkt, also
.
Natürlich ist die hohe Frauenmordrate in Lateinamerika entsetzlich, aber entsetzlich ist es eben auch, dass 98% der Frauenmorde dort straflos bleiben, also nur 2 % bestraft werden.
Und "98%" bedeutet hier eindeutig "fast alle": da versagt die Staatsmacht total - oder will gar nicht sanktionieren, denkt also genauso wie die Straftäter.
Die Frage, ob 98% viel oder wenig ist, stellt sich auch in der Wahrscheinlichkeitsrechnung: eine Wahrscheinlichkeit von 98%
(in 98 von 100 Fällen tritt das gesuchte Ereignis tatsächlich ein),
Ob nun aber 2% viel oder wenig sind, entscheidet sich aber nicht innermathematisch
(also z.B. daran, ob richtig gerechnet wurde),
sondern allein anhand der außermathematischen Anwendung.
Angenommen mal, ein neues Medikament erweist sich bei einer klinischen Vorstudie anhand weniger Patienten
Sind 2% dann noch wenig - und 98% viel?
Man könnte auch sagen: 98% sínd schon ziemlich viel, aber da ist auch noch viel Luft nach oben (bis 100%.)
(Um Wahrscheinlichkeits-Anwendungsprobleme zu lösen, werden in der Oberstufe sogenannte Hypothesentests mit Konfidenzniveaus und Konfidenzintervallen durchgenommen:
Weil es aber bei Anwendungen kein eindeutiges "viel" oder "wenig" gibt, sind die Konfidenzniveaus 90%, 95% und 99% letztlich willkürlich, zumal sie ja auch auf dem letztlich willkürlichen Dezimalsystem beruhen: 90 = 100 - 10; 95 = 100 - • 10; 99 = 100 - 1.)
Der Superlativ von "98%" ist "99,9%", also (fast) "todsicher":
Das erinnert an die kollektive Bazillenphobie in den USA seit den 50er Jahren:
Vgl. auch .