Pflichtkurs Basteln

 

Auf einer Lehrerfortbildung wurde uns mal vom offensichtlich gänzlich humorlosen Kursleiter ausdrücklich untersagt, von "Basteln" zu reden: das höre sich unmathematisch-unseriös an und - so ergänze ich mal - regelrecht nach Spaß.

Deshalb rede ich hier erst recht von "Basteln".

Es gibt verschiedene Lerntypen, aber ich unterstelle mal, dass die allermeisten Menschen am besten visuell (anSCHAUlich!) und haptisch (beGREIFENd!) lernen.

Für entscheidend wichtig halte ich das - zumindest beim Einstieg - in der Mathematik, aber leider findet es genau da so selten statt.

(Wohlgemerkt: Mathematik kann, ja darf nicht immer anSCHAUlich und beGREIFbar sein

[vgl. ],

aber zumindest der Einstieg sollte es viel mehr sein.)

Wie gerade neueste Forschungen

(vgl. etwa )

zeigen, hat keineswegs nur das mathematische Teilgebiet Geometrie, sondern sehr wohl auch die Algebra (Rechnen) zumindest für Anfänger sehr viel mit Anschaulichkeit, Begreifen und räumlichen Vorstellungen zu tun.

Meine These ist zudem,

dass ein "Pflichtkurs Basteln" keineswegs "nur" die räumlichen Vorstellungen

(und ganz nebenbei die handwerklichen Fähigkeiten),

sondern auch "strukturelles" und systematisches Denken fördern würde.


Das Basteln sollte - erstens - viel mehr mitten im üblichen Matheunterricht und direkt an ihn angebunden auftauchen: wenn beispielsweise die "Körperlehre" Thema ist, ist es geradezu ein Widerspruch, immerhin doch dreidimensionale Kegel, Zylinder ... auf Papier oder an der Tafel (also zweidimensional) zu zeigen

(da wird eine - durchaus wichtige! - Abstraktionsfähigkeit vorausgesetzt, zu der überhaupt erst hinzuführen wäre).

Es reicht aber auch nicht, fertige dreidimensionale Körper (etwa aus dem Lehrmittelhandel) auszustellen, sondern die verschiedenen Körper sollten unbedingt auch mal bastelnd erfahren (erbaut) werden, denn eine meiner Zentralthesen ist:

man versteht vieles erst, wenn man es

  • nicht bloß in fertiger Form vorgesetzt bekommt,

  • sondern es sukzessive selbst erarbeitet.

Gerade die handwerklichen und konstruktiven Probleme dabei sind oftmals erkenntnisfördernd.

Ein Beispiel: wie genial simpel der Sinus (zu veranschaulichen) ist, ist mir ja auch erst beim Bau eines Sinus-Modells aufgegangen:

Dabei ist auf diesem Foto geradezu sträflicherweise das eigentliche Konstruktionsprinzip weggeschnitten, nämlich unter einer Platte (rechts außerhalb des Bildes) ein gleichartiger Kreis wie links (hier auf dem Bild). Diese rechte, das Darunterliegende verbergende Platte sollte aber unbedingt zu öffnen sein, damit man erkennen kann, wie der Sinus-Effekt überhaupt zustande kommt:

Oder ein anderes Beispiel: bei der Scherung

wird der typische Schülerfehler durch das Konstruktionsprinzip eines Scherungsmodells automatisch deutlich:

Bzw. der typische Fehler ist beim vorliegenden "Scheibenwischer"-Konstruktionsprinzip gleich mit eingebaut und unvermeidbar.


Ebenso denkbar und wichtig wie eine Anbindung von Bastelphasen an den laufenden Matheunterricht scheinen mir aber - zweitens - Bastelphasen "als Selbstzweck", also solche, die nicht direkt an den laufenden mathematischen Inhalt gebunden sind.

Und dafür müssten eben im Matheunterricht Platz und Zeit geschaffen werden, was auch heißt: müsste der Stoff- und Zensurendruck zumindest zeitweise ausgesetzt werden

(und müssten die "Kernlehrpläne" sozusagen entkernt oder - genauer - auf das wirklich Wichtige zurechtgestutzt werden; vgl. ).


Am leichtesten zu behandeln und am preiswertesten zu erhalten sind zweifelsohne die Materialien Papier & Pappe, und deshalb schlage ich vor allem "Papp-Bastelphasen" vor.

Denkbar wären da

  1. einfach Faltarbeiten ; vgl. etwa

(und schon dabei wird klar, dass solches noch ganz bewusst "unmathematisches" Basteln dennoch durchaus "mathematik-propädeutisch" sein kann:

  1. Nachbauten von Verpackungen, also z.B.

(Auch hier wird wieder Mathematisches deutlich:

vgl. ansonsten auch

  1. eigene Konstruktionen, also z.B. Architekturmodelle (sei´s nach Vorbild, sei´s nach eigenen Konstruktionsplänen) oder Verpackungen.

Hier wären sogar richtige Wettbewerbe denkbar, also z.B.

  1. zunehmend auch im eigentlichen Sinne "mathematische Basteleien";

  2. "Geometrie zum Anfassen; Flechten der platonischen Körper";

  3. eine nette von vielen möglichen Ergänzungen: "Wir basteln ein Schwarzes Loch".


Denkbar wären für mich aber auch - drittens - ganze Kurse

(z.B. Differenzierungskurse in der Mittelstufe),

die gar nichts anderes tun, als ausschließlich Veranschaulichungsmodelle für die Mathematik zu basteln, und zwar

  1. für den derzeit im Matheunterricht anliegenden Stoff,

  2. für früheren Stoff (für untere Klassen bzw. zur Wiederholung für einen selbst)

  3. auch schon für späteren, noch nicht durchgenommenen Stoff (für obere Klassen bzw. als Vorausschau für einen selbst).


Bei all dem bin ich mir durchaus der Probleme einer konkreten Umsetzung bewusst: dass einige Schülerinnen

  1. solche Exkurse - und zwar insbesondere in höheren Klassen - als "Kinderkrams" ansähen und somit nicht ernst nähmen (eben "nur Basteln"),

  2. sich für handwerklich (und sowieso mathematisch) unbegabt halten und nicht merken, welche Nachholmöglichkeit ihnen geboten wird.

Umgekehrt aber scheint mir:

Basteln könnte für viele nicht mathematisch interessierte (oder in der Schule "schlechte") SchülerInnen einen ganz neuen Zugang bieten.

Allemal hat solches Basteln aber den Vorteil, dass man endlich mal eigene Ergebnisse wirklich sehen und anfassen kann.

Und Stolz ebenso wie Verpflichtung könnten dadurch entstehen, dass man für andere Klassen oder für eine allen Jahrgängen zur Verfügung stehende Mathematik-Ausstellung oder -Materialsammlung arbeiten würde.