die anschauliche Mathematik des blinden Sehers

 

"In the velvet darkness
Of the blackest night
Burning bright
There's a guiding star
No matter what or who you are

There's a light, light
In the darkness of everybody's life"

Weil ich keinerlei Ahnung von der "inneren Bilderwelt" realer blinder Menschen habe, bleiben meine Ausführungen dazu natürlich immer nur Vermutungen.

Immerhin soviel aber doch voweg: man wird da wohl unterscheiden müssen zwischen

(dafür aber ein Ersatzsystem?),

(vgl. analog Beethoven, der nach seinem Taubwerden wohl nur deshalb seine Symphonien innerlich hören konnte, weil er vorher "real" bzw. äußerlich hören konnte).


Im alten Griechenland glaubte man, dass Blinde

(z.B. Homer, Theiresias und Ödipus)

einen ganz besonderen, wenn nicht gar exklusiven Zugang zur "eigentlichen" Wirklichkeit hätten, während - etwa nach Platon - die (optische) Wahrnehmung der "Normalen", also Nicht-Blinden, nur eine Trugwelt zeigen würde

(eine grandios demütige Entdeckung, die Grundlage jeder Wissenschaft geworden ist).

Aus dem Zugang der Blinden zur "eigentlichen" Wirklichkeit ergab sich dann auch die Fähigkeit des "Sehens", d.h. des Blicks in die Zukunft,  und damit die Überwindung der Illusion Zeit. Und damit dann ergab sich wiederum das Paradox des "blinden Sehers" bzw. des "sehenden Blinden".

Aber das ist nur scheinbar paradox, denn die Erblindeten sehen ja durchaus, nur eben keine äußeren, sondern innere Bilder. Und weil sie nicht mehr dem Diktat äußerer, also oftmals fremder optischer Eindrücke unterliegen, sondern ihre innere Bilderwelt

(die sich natürlich auch aus optischen Erinnerungen aus einer Zeiit speist, als sie noch nicht erblindet waren)

selbst enwickeln, sind ihre inneren Bilder vieleicht viel kreativer

(es ist wie bei einem Buch bzw. Hörspiel: da der "normale" Leser bzw. Zuhörer beim Lesen eines Buchs bzw. Anhören eines Hörspiels auch äußerlich blind ist, muss er sich die inneren Bilder ebenfalls selbst erschaffen).

Und vielleicht ist Erblindeten das Optische sogar viel wichtiger, weil eben nicht mehr selbstverständlich.


 "Euler ist der Gott der Mathematik [...]"
(Henri Poincaré, 1854 – 1912)

Im Folgenden soll es "nur" um den blinden mathematischen Seher


Leonhard Euler
(1707  -  1783)

gehen.

Wenn ich behaupte, dass uns solch ein altes Gemälde den porträtierten Menschen eher unzugänglich macht, so stellt sich die Frage, warum das eigentlich so ist:

  1. liegt es vielleicht an der bräunlichen Patina des Bildhintergrunds;
  2. habe ich keine Ahnung, warum Euler auf diesem Bild so merkwürdig orientalische (???) Klamotten trägt:

man muss sich diese

(wie auch auf anderen Bildern der damaligen Zeit die Perücken)

nur wegdenken/-schneiden, und schon hat man einen erstaunlich lebendigen Menschen vor sich:

  

  1. bleibt dennoch etwas Irritierendes, nämlich dass das linke Auge ganz normal, das rechte hingegen "verkniffen" wirkt

(eine Äußerlichkeit, die wir allzu leicht auch charakterlich deuten).

Grund für dieses Aussehen des rechten Auges ist, dass Euler 1738 nach einer gefährlichen Krankheit dieses Auge verloren hat.

Und später passiert noch viel Schlimmeres: 

(aus dem Film   )

Dieser Filmausschnitt ist natürlich nur ein erstes Indiz - und sowieso ist mir die Deutung durch den russischen Wissenschaftler zu "tiefenpsychologisch".

Vielmehr wäre es jetzt von größtem Interesse herauszufinden, ob und (wenn ja) wie sich Eulers innere mathematische Bilderwelt erst durch die Halb- und dann durch die vollständige Erblindung entfaltet hat.

Dazu fehlen mir aber jegliche Unterlagen - wenn es sie denn überhaupt gibt. Ein Nachteil der Mathematik ist ja, dass üblicherweise am Ende (zur Veröffentlichung) alle subjektiven Faktoren gelöscht werden.


Mir soll hier aber das starke Indiz reichen, dass Euler durch seine sukzessive Erblindung eine besonders kreative innere mathematische Bilderwelt entwickelt hat.

Dieses (Nur-)Indiz nehme ich nun aber probeweise als ersten Beleg für meine These, dass wahrhaft große Mathematiker

(und auch Naturwissenschaftler)

(was nur die Kleingeister unter den Sachwaltern der Mathematik leugnen bzw. erst gar nicht verstehen).

Wenn aber sogar die Großen der Mathematik innere Bilder brauchen, um wieviel mehr brauchen dann mathematische Durchschnitsmenschen wie du und ich (also auch SchülerInnen) solche inneren mathematischen Bilder!


Noch'n Beispiel:

(aus dem Film  )

Dabei erscheint es mir wichtig, dass Euler

wobei sie erst sukzessive entsteht.

Und in der gelungenen Animation

abstrakte Mathematik mit (fast) allen Sinnen!


In einer Zeit, in der es noch keine Taschenrechner gab, galt Euler zudem als genialer Kopfrechner. Vieles daran war sicherlich routinehafte Mechanik, aber ich wette, dass er ein so genialer Rechner war, weil er sich sogar das Rechnen

(wie jene genialen autistischen Rechenkünstler, die manchmal im Fernsehen ausgestellt werden; vgl. etwa )

optisch oder gar synästhetisch (als Gemisch verschiedener Sinneseindrücke) vorstellte.


Ich bin von Geburt an auf einem Auge fast blind

(habe also insbesondere Schwierigkeiten mit dem dreidimensionalen, also sozusagen "materiellen" Denken).

Gleichzeitig suche ich aber permanent nach mathematischen Veranschaulichungen und "be-greifbaren" Modellen.

Vielleicht ist aber das, was sich so paradox anhört, in Wirklickeit sehr logisch:

Mit größtem Erstaunen nehme ich erst jetzt beim Schreiben wahr, dass ich vielleicht gar nicht so sehr, wie bislang angenommen, ein visueller, sondern viel eher ein haptischer Lerntyp bin

(nebenbei: auch viele große Mathematiker und Naturwisenschaftler

[mit denen mich gleichzusetzen ich niemals wagen würde]

 haben den ersten Einstieg in ihre Profession über den Modellbau gefunden; vgl.   ):

"Es gibt viel zu tun.
Packen wir's an!"

"Es gibt nichts Gutes,
außer man tut es."

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