eine Aufgabe "witzig" machen



 ... und so ist eben auch die folgende Aufgabe nur geklaut:

Eine unbekannte Funktion hat die Gleichung
Sie verläuft durch den Punkt P(1;3)
und hat dort die Steigung 2.

Wie lautet die Funktionsgleichung ?

1. Die allgemeine Gleichung der gesuchten Funktion ist schon gegeben. Ihre Ableitung lautet :
Eine zweite Ableitung wird nicht benötigt, da keine Aussagen über die Krümmung gemacht wurden.
2.
Die bekannten Merkmale sollte man wie folgt notieren :
3.
Durch Einsetzen in f(x) und f'(x) erhält man das Gleichungssystem
welches nun z.B. mit dem Einsetzungsverfahren zu lösen ist.
4.
Mein Lösungsvorschlag sieht so aus :
5. Somit lautet die gesuchte Funktionsgleichung :
Der Anschaulichkeit wegen hier noch das Bild :
Wie verlangt verläuft f(x) durch den Punkt (1;3), die richtige Steigung kann an der Tangente t(x) abgelesen werden.

(im Gegensatz zu Guttenberg nenne ich aber freimütig meine Quelle: )

Was soll solch eine Aufgabe?:

(eben z.B. )

und soll deren mehr oder minder markante Eigenschaften herausfinden

(z.B. "Sie verläuft durch den Punkt P(1;3) und hat dort die Steigung 2").

Üblicherweise ist es also das Ziel von Kurvendiskussionen, zu arg abstrakten algebraischen Funktionsgleichungen geometrisch-anschauliche Vorstellungen, also die Funktionsgraphen, zu finden: 

  Funktionsgleichung

 markante Eigenschaften / Funktionsgraph

  Algebra Geometrie

zu gewissen geometrisch-anschaulichen Vorgaben

(z.B. "Sie verläuft durch den Punkt P(1;3) und hat dort die Steigung 2")

wird umständlich die ursprüngliche algebraische Funktionsgleichung

(z.B.  )

rekonstruiert bzw. überhaupt erst ermittelt:

  Funktionsgleichung

 markante Eigenschaften / Funktionsgraph

  Algebra Geometrie

Mathematiker halten beide (rein innermathematischen) "Richtungen", also und , für wichtig, wobei wohl eher in Anwendungsaufgaben vorkommt, wo oftmals zu gewissen Daten überhaupt erst (halbwegs) passende Funktionen (Funktionsgleichungen) gesucht werden.


"Witzig" ist an all dem

(wie an der  gesamten Mathematik!)

natürlich gar nichts

(man kann mit Mathematik jedoch immerhin witzig - und selbstironisch -   umgehen).

Und somit mache ich es auch dem Autor der o.g. Aufgabe nicht zum Vorwurf, dass die Aufgabe nicht witzig ist: er wollte doch wohl nur an einem einfachen (?) Beispiel vorführen, wie die "umgekehrte Kurvendiskussion" rechnerisch funktioniert.

Wenn eine Sache allerdings "nicht witzig" ist, folgt scheinbar automatisch, dass sie "witz-los" ist.

Nun ist aber erstaunlicherweise

Vielmehr bedeutet

  1. (nicht) "witzig", dass (k)eine - nennen wir's mal so - humorvolle Geschichte vorliegt

(z.B.

Zwei Ballonfahrer fahren nebeneinander im Nebel. Ruft der eine zum anderen rüber: "Wo sind wir?" Der andere denkt zwei Stunden nach und antwortet dann: "Im Ballon!"

Welchen Beruf hat der zweite?

Mathematiker!, denn die Antwort

  1. hat ewig auf sich warten lassen,
  2. ist absolut exakt und
  3. völlig unnütz!) ,
  1. "witzlos" hingegen , dass "an der Sache kein Witz ist"

(vgl. "der Witz an der Sache ist ...").

Hier ist mit "Witz" allerdings

  1. nicht mehr eine humorvolle Geschichte, sondern

  1. ein Geistesblitz

gemeint

(vgl. "er ist  gewitzt"', d.h. "er ist [so definiert arg schlapp der Duden:] schlau").

"Witz: Das Substantiv [...] bedeutete ursprünglich Wissen, woraus sich die Bedeutung »Verstand, Klugheit, Schlauheit« entwickelte. Im 17. Jh. kam im Dt. die Verwendung im Sinne von »Esprit, Gabe des geistreichen Formulierens« unter dem Einfluß von frz. esprit »Geist, Witz« und engl. wit »Geist, Witz« auf. Die Bedeutung »Spott, Scherz; scherzhafte Äußerung« erscheint seit dem 18. Jh."

Erstaunlicherweise ist also die Bedeutung b. älter als die Bedeutung a. - und vielleicht ist das eben doch gar nicht so erstaunlich: Schlauheit ist eben die Voraussetzung für gute Witze, bzw. das beste Kriterium für Intelligenz ist noch immer Humor (inkl. Selbstironie).


Die o.g. Aufgabe kann zwar gar nicht "witzig" sein, aber deshalb muss sie noch lange nicht so "witz-los" sein, wie sie daher kommt.

Was  also könnte der (zu ergänzende) "Witz" an der o.g. Aufgabe sein? Bzw. "Witz, komm' raus, du bist umzingelt".


Als ich die o.g. Aufgabe mit einer Klasse durchnahm und dazu erstmal vorlas, stutzte eine Schülerin bereits nach dem ersten Teilsatz

"Eine unbekannte Funktion hat die Gleichung [...]"

merklich und wies dann auf den Widerspruch hin, dass

"Eine unbekannte Funktion hat die Gleichung [...]" ist also anscheinend - gelinde gesagt  - ungünstig formuliert. Fragt sich nur, was eine bessere Alternative wäre.

Nun könnte man natürlich einfach das Adjektiv "unbekannte" weglassen, womit man

erhalten würde. Aber diese gekürzte Formulierung ist keineswegs besser, da ja

(mit unendlich vielen Familienmitglieder; vgl. engl. "function family")

ist, in der die gesuchte Funktion f nur eines der unendlich vielen Familienmitglieder ist.

Korrekt wäre da hingegen der Satzanfang "Gesucht ist diejenige Funktion f aus der Funktionenschar , die [...]"

(... wobei es allerdings wohl besser fab hieße).

Der Satzanfang "Eine unbekannte Funktion hat die Gleichung [...]" ist aber überhaupt nur so verwirrend und (scheinbar!) widersprüchlich, weil man fest damit rechnet, dass eine exakte Funktionsgleichung

(nämlich z.B. f: y = - 2x4 + 5x2 )

folgt

(was allerdings vollends witzlos wäre, da dann ja bereits alles gleich am Anfang verraten wäre und nichts mehr zu tun bliebe).

Nun wird aber die soeben erzeugte Erwartung, dass die exakte Funktionsgleichung folgen wird, mit umgehend enttäuscht, da mit ja eine Funktionenschar aus unendlich vielen Einzelfunktionen folgt. Immerhin wird aber die "Familie", aus der f stammt, schon erheblich eingeschränkt:

  1. von allen (unendlich vielen!) möglichen Funktionen und Funktionsarten

bleiben

  1. wegen ax4 + bx2 nur die (ihrerseits immer noch unendlich vielen) ganzrationalen Funktionen übrig:

  1. bleiben davon wegen des höchsten Exponenten 4 nur die ganzrationalen Funktionen vierten Grades übrig, was allerdings auch immer noch unendlich viele sind:

  1. bleiben davon, da nur die geraden Exponenten 4 und 2 und somit nur sogenante "biquadratische" Funktionen auftauchen, nur die (immer noch unendlich vielen) zur y-Achse symmetrischen übrig:

  1. bleiben davon, weil in  das sogenannte "absolute Glied" null ist, nur diejenigen Funktionen übrig, die durch den Ursprung gehen - was (gähn!) immer noch unendlich viele sind:

Da aber trotz vierfacher Einschränkung (b. - e.) noch immer unendlich viele Funktionen möglich sind, ist die Funktionsdefinition mit der Funktionenschargleichung noch gar nicht abgeschlossen, sondern folgen in der Aufgabe noch zwei weitere (mehr oder minder sinnige) Einschränkungen:

  1. "Sie [die gesuchte Funktion] verläuft durch den Punkt P (1;3) ", d.h. von den (immer noch) unendlich vielen Funktionen aus e. bleiben nur diejenigen mit dieser "Punkt-Eigenschaft" übrig, was allerdings (man erwartet es inzwischen gar nicht mehr anders) auch immer noch unendlich viele Funktionen sind:

  1. "[die gesuchte Funktion] hat dort [= im Punkt P (1;3)] die Steigung 2"; zumindest ich sehe da nicht auf Anhieb, wie viele Funktionen jetzt noch übrig bleiben: wieder unendlich viele, mehrere, eine - oder vielleicht auch gar keine?

(Nur die Logik der Aufgabe besagt, dass am Ende eine einzige, nämlich die gesuchte Funktion herauskommt: "Witz, komm' raus, du bist [durch die Einschränkungen b. - g.] umzingelt!")

Insbesondere bleibt trotz sechsfachen, immer feineren Siebens

unklar, welche konkrete Funktion (nämlich  ) sll die zunehmenden Einschränkungen erfüllt.

Die gesuchte Funktion bleibt also vorerst - wie anfangs gesagt - unbekannt.

Bei der Entscheidung,

  1. wie viele Funktionen am Ende übrig bleiben bzw.

  2. welche konkrete (einzige) Funktion das ist,

hilft aber nur noch das algebraische Rechnen, das der Autor der Aufgabe vorgeführt hat. Erst dieses Rechnen ist abstrakt - und natürlich ist es wichtig, da die Entscheidungen 1. und 2. anderweitig ja gar nicht getroffen werden können.

Dennoch ist das Rechnen doch nur ein witzloser Wurmfortsatz der von mir oben angestellten Einschränkungs-Geschichte.

"Witzig" ist vielmehr

  1. , dass wir in den Schritten a. - f.

1 - ∞2 =∞3,
wobei allerdings gleichzeitig ∞3 sehr viel weniger  als ∞1 ist, also
1 > ∞3.

  1. im Schritt g. (wie allerdings erst die Rechnung zeigt) nach all den (wenn auch paradoxerweise immer kleiner werdenden) ewigen Unendlichkeiten urplötzlich doch (dann endlich!) nur noch eine einzige Funktion, nämlich , übrig bleibt.

Es ist, als wenn wenn

(ganz nebenbei gesagt und dennoch bemerkenswert: solch "unsachliche" und doch, wie mir scheint, enorm wichtige Vergleiche tauchen niemals in "richtiger" Mathematik auf, sondern sind meine eigentliche Spezialität).

Oder es ist wie der "Wahrscheinlichkeitskollaps" in der Wahrscheinlichkeitsrechnung, bei dem


Nun wollen wir (?) aber nicht pauschal den Rechnungen Unrecht tun, die durchaus auch "witzig" sein können, wenn sie überraschende Wendungen nehmen, nämlich

(was oftmals aus der mathematischen Logik folgt, also ohne Zutun eines Menschen, und dann fast die Mathematik selbst intelligent oder das Ergebnis als Gottesgabe/Musenkuss erscheinen lässt)

oder 

(neue Rechenverfahren oder eine neuartige Kombination bislang unverbundener mathematischer Sachverhalte).

Nun ist aber die Rechnung zu unserer hier behandelten Aufgabe derart konventionell, dass sie einem kaum mehr "witzig" erscheinen kann.

Wer ist hier "einem"?: oftmals wohl die MathelehrerInnen, die solche Aufgaben derart häufig durchgenommen haben, dass sie gar nicht (mehr)

  • deren Gags erkennen können

(und daher eigentlich durchaus Interessantes nur noch langweilig vermitteln; vgl. den Deutschlehrer, der zum hundersten Mal den "Faust" durchnimmt und dem dabei nicht die mindeste persönliche Begeisterung [mehr] anzumerken ist, sondern der mangels eigener [nie vorhandener?] Begeisterung nur die Konvention totreitet, dass der "Faust" der Olymp der gesamten deutschen Literatur sei),

  • die Schwierigkeiten verstehen (antizipieren) können, die viele SchülerInnen damit haben.

Eine Methode, den "Witz" einer Rechnung hervorzukitzeln, besteht darin, das Ergebnis nicht einfach fatalistisch zu aktzeptieren, als würde es fertig vom Himmel fallen, sondern zu untersuchen, wie es zustande kommt.

Auf die hier behandelt Aufgabe bezogen heißt das:

  1. wie ergibt sich f(x) = -2x4 + 5x2

  2. aus den Vorgaben

    1. die Funktion geht durch den Punkt P ( 1 ; 3 ),

    2. sie hat in P ( 1 ; 3 ) die Steigung 2 ?

Oder kürzer:

  1. wie ergeben sich die Zahlen -2 und 5

  2. aus den vorgegebenen Zahlen

  3. 1 und 3 ,

  4. 2  ?

(Der Verständlichkeit zuliebe sei hier nicht auch noch untersucht, wie die Exponenten 4 und 2 in  f(x) = -2x4 + 5x2 in die Zahlen -2 und 5 eingehen.)

Dabei sei schon vorweg bedacht:

  1.   ergeben sich -2 und 5 nicht durch beliebige Kombination der Zahlen 1 , 3 und 2 , sondern die Zahlen 1 , 3 und 2

Unter den vermutlich vielen denkbaren oder auch tatsächlich möglichen Kombinationen von 1 , 3 und 2, die zu den Ergebnissen -2 und 5 führen, sind also die beiden einzig richtigen Kombinationen von 1 , 3 und 2 zu finden, die zu -2 und 5 führen.

  1. All das ist überhaupt nur "witzig", wenn die beiden einzig richtigen Kombinationen überschaubar bleiben, wenn man den Ergebnissen -2 und 5 also "ansehen" kann, wie sie zustande gekommen sind.

  2. Wir dürfen uns durch einfache Rechnungen nicht dazu verführen lassen, tatsächlich auszurechnen. Z.B. könnte -2 durch 1 - 3 zustande gekommen sein. Dem nackten Ergebnis  -2 sieht man aber nicht mehr an, dass es  durch 1 - 3  zustande gekommen ist, sondern -2 könnte genauso gut durch 2 • ( 2 • 1 - 3 ) zustande gekommen sein.

  3. Beim Rechnen fallen all die geometrischen Überlegungen, die wir oben angestellt hatten, völlig weg und werden durch rein algebraische Überlegungen ersetzt.

So ist es beim Rechnen beispielsweise

Um aber die zwei Unbekannten a und b zu bestimmen, brauchen wir zusätzlich zur Ausgangsgleichung f(x) = ax4 + bx2 noch zwei Zusatzgleichungen:

(und mit der ersten Gleichung kann man dann auch die jeweils andere Unbekannte [b oder a] errechnen),

so dass gar keine Unbekannte mehr übrig bleibt.

Insgesamt gilt also:

  f(x) = ax4 + cx3 + bx2 + dx + e fünf Unbekannte  a, c, b, d, e 5
  f(x) = ax4           + bx2 zwei Unbekannte a,    b 2
  1. Zusatzgleichung Beziehung zwischen a und b, aber noch immer beide unbekannt 2
  2. Zusatzgleichung nur noch eine Unbekannte (a oder b) 1
  nochmals 1. Zusatzgleichung mit der o.g. Beziehung wird nun auch die andere Unbekannte (b oder a) ausgerechnet, also keine Unbekannte mehr 0

Wenn wir aber noch zwei Zusatzgleichungen brauchen, muss die Aufgabe zusätzlich zu f(x) = ax4 + bx2  noch zwei Zusatzinformationen enthalten - und in der Tat:

  1. erste   Zusatzinformation: die gesuchte Funktion geht durch den Punkt P ( 1 ; 3 ),

  2. zweite Zusatzinformation: die gesuchte Funktion hat in P ( 1 ; 3 ) die Steigung 2 .

Blöd an beiden Zusatzinformationen ist allerdings, dass sie geometrisch formuliert sind, also noch nicht in Form der benötigten algebraischen Gleichungen vorliegen. Um Letzteres zu erreichen, müssen wir uns erinnern:

  1. vgl. :

Geometrie   Algebra
 

Der Punkt P ( 1 ; 3 ) liegt auf dem Graphen der Funkion

      f(x) = ax4 + bx2

die beiden Koordinaten 1 und 3 erfüllen die Funktonsgleichung
           
        f(x) = a   x4 + b    x2 ,

d.h.

         3 = a14 + b12

   ⇔   3 = a + b1

  ⇔    3 = a        + b
  1. Beim Signalwort "Steigung" muss man sich unweigerlich an die erste Ableitung f ' erinnern:

       f    (x) =    a    x4       +    b    x2

                                            f  ' (x) = 4 a   x4 - 1 + 2 b    x2 - 1
                                
f  ' (x) = 4 a   x   3    + 2 b    x  1
                             
   f  ' (x) = 4 a   x   3    + 2 b    x

Für die Ableitung gilt nun aber eine Abwandlung von  :
Geometrie   Algebra
 

Der Funktionsgraph von f(x) = ax4 + bx2 hat im Punkt P ( 1 ; 3 ) die Steigung 2

1 und 2 erfüllen die  Funktonsgleichung der Ableitung, also von

          f  ' (x) = 4a   x3 + 2b   x  .

d.h.

           2    = 4a  13 + 2b • 1          

     ⇔  2    = 4a         + 2b
          
(der y-Wert 3  des Punktes  ( 1 ; 3 ) spielt hier - nebenbei gesagt - keine Rolle mehr)

Mit a. und b. haben wir es nun aber endlich geschafft, die beiden geometrischen Zusatzinformationen

  1. die Funktion geht durch den Punkt P ( 1 ; 3 ),

  2. sie hat in P ( 1 ; 3 ) die Steigung 2

der Aufgabe in die benötigten beiden algebraischen Zusatzgleichungen

  1.                 3 =   a         +   b  ,

  2.                 2 = 4a         + 2b

zu übersetzen.

Und damit haben wir das Gleichungssystem

 

 3 =   a         +   b    I.

 2 = 4a         + 2b    II.

Wenn es denn überhaupt Lösungen für a und b gibt, so müssten sie nun sehr einfach (?) zu berechnen sein.


Uff, das ist geschafft! - und jetzt nehmen wir uns Zeit zum Innehalten:

Der "Witz" der Mathematik besteht vielleicht darin, dass es auch in ihr

- eine Dramatik bzw. Spannungs- oder Fieberkurven
- Crescendi und Decrescendi,
- Beschleunigung und Abbremsen,
- Spannung und Entspannung,
- Langeweile und Routine,
- Verzweiflung und unbändige Freude

gibt: Rechnungen bzw. Beweise entwickeln sich nicht langweilig stetig und linear, also z.B.
so oder gar so  ,
 
sondern mit abrupten Sprüngen und wilden Ausschlägen:
Nur ist es leider üblich, all das in mathematischen Texten zu löschen, und entsprechend plätschert wohl auch der meiste Matheunterricht ewig gleichmäßig dahin.

Wegen all dem bin ich - zumindest im Hinblick auf Schulen - noch immer ein großer Anhänger des guten alten mathematischen Aufsatzes, in dem immerhin - wie in jedem guten Text - nach Sinneinheiten (Erreichen von Zwischenzielen) Absätze gemacht werden sollten.

Insbesondere wird mir zu wenig im Matheunterricht gefeiert, wenn man wichtige Zwischenziele erreicht und endlich wieder halbwegs festen Boden unter den Füßen hat

       (vgl.   ).

Ohne solches Feiern des Erreichens von Zwischenzielen kommen einem nämlich die Zwischenziele selbst abhanden und erscheint einem die ganze Mathematik wie ein strukturloser Nebel, in dem man ziellos herumstochert.

Im selben Augenblick, in dem wir das Gleichungssystem haben, verlassen wir die Oberstufenmathematik (Analysis) und befinden wir uns wieder im sicheren (?) Hafen der Mittelstufenmathematik (Algebra).

Man muss hier nämlich im Hinblick auf Schülerleistungen deutlich differenzieren:
- die einen haben Schwierigkeiten mit dem Neuen (der Analysis): ihnen fehlen das "Grundgesetz" und insbesondere seine Abwandlung für die erste Ableitung,
- bei den anderen rächen sich in alle Ewigkeit uralte Versäumnisse (hier das algebraische Lösen von Gleichungssystemen).

Ist das gleich "schlimm", d.h. ist "falsch" = "falsch"?
  (Man neigt als Lehrer beim Korrigieren dazu, gar nicht mehr mitzubekommen, woran's denn eigentlich hapert, und deswegen können SchülerInnen auch kaum mal ihre individuellen Probleme ["meine Lieblingsfehler"] angehen.)
(Erst) in dem Augenblick, in dem wir die Analysis verlassen und beim algebraischen Lösen eines Gleichungssystems sind, erreichen wir (das kann man ja auch mal positiv sehen:) den sicheren Hafen der reinen Mathematik: dem Gleichungssystem
 

 3 =   a         +   b    I.

 2 = 4a         + 2b    II.


ist nicht mehr im mindesten anzusehen, aus welchem Kontext (Suche nach einer bestimmten Funktion) es stammt.


Nun lösen wir rein algebraisch das Gleichungssystem: 

 

 3      =        a         +   b    | - b

 2      = 4     a         + 2b    | : 2

 3 - b =        a

 1      = 2     a         +    b    

 3 - b =        a

 1      = 2 (3 - b)     +    b    

Hier ist nun wieder kurz Grund zum Feiern: die zweite Zeile des Gleichungssystems, also 1 = 2 (3 - b) + b , enthält nun endlich (!) nur noch die einzige Unbekannte  b, womit wir b ausrechnen können (wenn es überhaupt eine Lösung gibt):

 3 - b =        a

 1      = 2 • 3 - 2 • b +    b    

 3 - b =        a

 1      = 2 • 3 -       b           | + b

 3 - b =        a

 1 + b = 2 • 3                     | -1

 3 - b =        a

      b = 2 • 3  - 1

Da ist es natürlich sehr verführerisch, die einfache Gleichung b = 2 • 3  - 1 auszurechnen

(mit dem Ergebnis b = 5 ).

Wir tun das aber vorerst nicht, um weiterhin die Bewegungen der in der Aufgabe vorgegebenen Zahlen 1, 2 und 3 durch die Rechnungen zu beobachten.

Dazu setzen wir das nicht weiter ausgerechnete Ergebnis 2 • 3  - 1 für b in die obere Gleichung ein und erhalten

 3 - (2 • 3  - 1) =  a

 b = 2 • 3  - 1

 3 -  2 • 3 + 1 =  a

 b = 2 • 3  - 1

         -  3 + 1 =  a

 b = 2 • 3  - 1

Auch hier rechnen wir  -  3 + 1 noch nicht aus

(womit sich a = -2 ergäbe),

sondern betrachten vorerst das leicht umsortierte Ergebnis:

 

 a =    -  3 + 1

 b = 2 • 3  - 1

Damit haben wir zwei einfache Gleichungen, um a und b direkt aus den Anfangswerten 1, 2 und 3 zu berechnen

(... wobei im Spezialfall der Vorgaben 1 und 2 diese in unseren beiden Schlussgleichungen gar nicht mehr vorkommen, sondern nur noch die Vorgabe 3;

das bedeutet aber nicht, dass, wenn die 3 beispielsweise durch eine 4 ersetzt würde, die beiden Schlussgleichungen  

 

 a =    -  4 + 1

 b = 2 • 4  - 1

lauten würden!).

Nun sind die beiden Gleichungen in 

 

 a =    -  3 + 1

 b = 2 • 3  - 1

zwar sehr simpel, aber der Versuch, ein Verständnis dafür zu entwickeln, wie sich die Werte a = -2 und b = 5 aus den Anfangswerten 1, 2 und 3  ergeben

(statt nur zu akzeptieren, dass sie herauskommen),

scheint mir dennoch misslungen

(vgl. oben das Kriterium "All das ist überhaupt nur »witzig«, wenn die beiden einzig richtigen Kombinationen überschaubar bleiben, wenn man den Ergebnissen -2 und 5 also »ansehen« kann, wie sie zustande gekommen sind."):

für ein Verständnis des Zustandekommens von a = -2 und b = 5 sind - wie so oft in der Mathematik - die doch eigentlich noch relativ einfachen Umformungen des Gleichungssystems alle zusammen nun doch allzu verwickelt.

(Aber schauen wir genauer hin, warum die Ergebnisse nicht anschaulich werden:

  1. wird bei

 

 3      =        a         +   b    | - b

 2      = 4     a         + 2b    | : 2

[geometrisch gesehen] der Schnittpunkt zweier Geraden berechnet: dieser ist aber weitgehend unabhängig von der einen Gerade, da diese ja überall von der anderen geschnitten werden kann;

  1. ist die Ableitung nun mal prinzipiell abstrakt: es wird nicht anschauchlich, warum der Exponent vor die Variable wandert und der neue Exponent gegenüber dem alten um 1 verringert wird:

ein Musterbeispiel dafür, dass Matematisches sehr einfach und gleichzeitig doch völlig abstrakt sein kann; bzw. genauer: nur das Rechenrezept ist einfach, seine Herleitung aber durchaus kompliziert, nur dass man zum Rechnen [Ableiten] diese Herleitung gar nicht mehr braucht und also die Kompliziertheit vergisst. Ohne Herleitung bleibt aber gleichzeitig nur völlig Abstraktes.

Wenn SchülerInnen also oftmals so scharf auf klare Rechenrezepte sind, so handeln sie sich damit gleichzeitig Einfachheit und Abstaktheit ein, also eine nur noch automatisch ablaufende, tote Mathematik.)

Die Rechnung bleibt also "witzlos".

"Aberwitz: Das heute nur noch selten gebrauchte Wort für »Wahnwitz, Unverstand« (mhd. aberwitze) enthält als ersten Bestandteil das unter aber behandelte Wort im Sinne von verkehrt (vgl. Aberglaube). Abl.: aberwitzig »verrückt, wahnwitzig« (15. Jh.)."

Bzw. der geradezu paradoxe (Aber-)Witz der Mathematik besteht oftmals gerade darin, dass Rechnungen

(und Rechenfertigkeiten!)

trotz völliger Unanschaulichkeit einen Automatismus entwickeln und verlässlich zu

(dann oftmals sogar erstaunlich simplen)

Ergebnissen

(im vorliegenden Fall nämlich a = -2 und b = 5 )

führen!

(Kleiner Einschub: der Versuch zu verstehen, wie Ergebnisse zustande kommen, d.h. welcher Weg von den Vorgaben zu den Ergebnissen führt, ist im vorliegenden ungünstigen Fall wohl misslungen, in anderen Fällen aber durchaus lohnenswert.)

Es ist, als wenn man einen Tunnel durch einen Berg bohrt: beim Bohren sieht man nichts oder höchstens noch gerade im Laternenschein die Hand vor den eigenen Augen, aber am Ende erreicht man doch wieder das Sonnenlicht

(interessant [überwältigend] ist auch der Augenblick, in dem man zum ersten Mal "das Licht am Ende des Tunnels" sieht).


Wenn wir

 

 a =    -  3 + 1

 b = 2 • 3  - 1

nun endlich doch zu Ende rechnen, erhalten wir zwei simple Ergebnisse, die man wieder staunend und nach all den Überlegungen und Rechnungen erleichtert feiern sollte:

a = -2 und b = 5.

Es ist, als wenn nach langen Überlegungen urplötzlich die Falle zuschnappt bzw. - positiver gesagt - die "Erlösung" folgt.


Beim Übergang zum Gleichungssystem war uns der Kontext "Funktionenbestimmung" abhanden gekommen, zu dem wir nun noch kurz zurückkehren müssen:

die anfangs unbekannte Funktion f(x) =  ax4bx2 ist inzwischen durchaus bekannt, nämlich f(x) =  -2x45x2.


Wir waren auf zwei Arten an die Aufgabe herangegangen:

  1. geometrisch,
  2. algebraisch.

Dabei liefern uns

  1. die geometrischen Überlegungen grundlegende Vorstellungen,

  2. die algebraischen Überlegungen konkrete und exakte Werte.

Leider wird aber im Schulmathematik der erste, geometrische Schritt oftmals vergessen:

"Da wurde mir jahrelang beigebracht, mir nichts unter Mathematik vorzustellen, und nun soll ich plötzlich doch wieder eine Anschauung damit verbinden."
(eine Schülerin)

"One of the saddest developments in school mathematics has been the downgrading of the visual for the formal."
(Ian Stewart)