ein Buch, das in jeden
Mathe-Unterricht gehört
und das ich jedem, der Verantwortung für
Mathe-Unterricht hat
(Lehrern, Kultusbürokraten, Schulpolitikern),
ans
Herz legen
oder gegebenenfalls um die Ohren hauen möchte:
Das, was meistens im "Mathematik"-Unterricht vermittelt wird, ist gar keine Mathematik, sondern höchstens Rechnen
Nur sind viele Lehrer völlig betriebsblind, weil
(sondern nur mit der zunehmend verblödeten "Jugend von heute")
(womit ich mehr meine als die derzeit angesagte [Pseudo-]Anwendungsmathematik),
Wie so oft, so ist auch hier der deutsche Titel arg dick aufgetragen
(vgl.
→
).
Aber der englische Originaltitel
ist doch arg blass
und hat leider gar nichts vom Missionarischen des deutschen Buchtitels - und des
Titels meines Essays hier.
Motto:
Für alle, die jemals geglaubt haben,
schlecht in Mathe zu sein:
Sie
sind nicht an Mathe gescheitert,
sondern Mathe ist an Ihnen gescheitert.
Einleitung
Ich möchte beschreiben, wie Mathe sich anfühlt. Sie fühlt
sich nämlich ganz anders an, als viele es sich vorstellen. Ich werde die
kreative Seite der Mathematik beschreiben, die phantasievolle, die forschende,
die auf Erkenntniszuwachs aus ist; die Erfahrung, dass wir auch in Mathe
träumen, unserer Spürnase folgen, auf unser Bauchgefühl hören und die Freude
haben, plötzlich zu verstehen, so als hätte sich mit einem Mal der Nebel
gelichtet und die Sonne wäre zu sehen. Dies ist kein Mathe-Lehrbuch und auch
kein Buch über die Geschichte der Mathematik. Es ist ein Buch über
Mathe-Gefühle.
Menschen lieben Mathe aber aus zwei ganz verschiedenen
Gründen. Einige lieben sie, weil sie glauben, es gebe in ihr nur entweder
richtige oder falsche Antworten. Es fällt ihnen leicht, die richtigen Antworten
zu finden, und das gibt ihnen das Gefühl, schlau zu sein. Andere mögen Mathe aus
mehr oder weniger demselben Grund nicht, aber andersherum: Sie glauben
ebenfalls, es gebe in Mathe nur richtige oder falsche Antworten, aber es fällt
ihnen schwer, die richtigen Antworten zu finden, und das gibt ihnen das Gefühl,
dumm zu sein. Oder sehr wahrscheinlich werden sie von Leuten, die die richtigen
Antworten leichter finden, dazu gebracht, sich dumm zu fühlen. Und sie mögen die
Vorstellung, dass es eindeutig richtige oder falsche Antworten gibt, auch gar
nicht. Sie sehen die feinen Nuancen des Lebens und glauben nicht, dass etwas,
was nur Schwarz und Weiß kennt, das erfassen kann, was sie am Leben am
interessantesten finden. Diese Vorstellung von einer rigiden Welt mit eindeutig
richtigen oder falschen Antworten ist jedoch nur sehr begrenzt richtig. In der
abstrakten Mathematik gibt es in Wahrheit keine Antworten, die eindeutig richtig
oder falsch sind, vor allem nicht auf der Ebene der Forschung. Aber nur wenige
Menschen kommen so weit, dass sie erfahren, wie Mathe wirklich ist. Und
ungewöhnlicherweise lieben Mathematiker Mathe oft aus denselben Gründen, aus
denen Mathephobiker sie hassen: Es geht ihnen um Feinheiten und Nuancen, um
auszudrücken und zu erkunden, was das Interessanteste ist am Leben. Letzten
Endes geht es in Mathe nicht um eindeutig richtige oder falsche Antworten,
sondern um Welten von zunehmender Differenziertheit, in denen verschiedene Dinge
wahr sind.
das Bedürfnis, mehr zu verstehen, statt Mathe als
selbstverständlich zu betrachten, rechtfertigen. Das ist wichtig, geht es doch
in Mathe gerade darum, Dinge nicht als selbstverständlich zu betrachten. Ich
habe nicht die Absicht zu missionieren, um jeden von Mathe zu überzeugen. Manche
Menschen werden abgeschreckt von Dingen, die andere begeistern; deshalb ist es
nicht möglich, alle Menschen für Mathe zu interessieren.
Ich finde es nur
schade, dass so viele Leute glauben, Mathe nicht zu mögen, obwohl sie nur mit
einer sehr limitierten, phantasielosen, autoritären Version davon bekannt
gemacht wurden, einer Version, die keinen persönlichen Beitrag und keine Neugier
zulässt. Das Gefühl, einen persönlichen Beitrag leisten zu können, ist mir sehr
wichtig.
Wer gern persönliche, kreative Beiträge leistet, für den ist
Routinemathematik nach vorgegebenen Algorithmen uninteressant, und was
uninteressant ist, ist oft zu mühsam.
Der Versuch, alle dazu zu bringen,
dass sie den Anforderungen mathematischer Berufe genügen, wäre so, als wollte
man Kinder im Kochunterricht zu professionellen Köchen machen. Es ist besser (in
beiden Fällen, vermute ich), stattdessen mit den Möglichkeiten bekannt zu
machen, Freude und Neugier zu fördern und darauf zu vertrauen, dass, wer die
fortgeschrittenen Fähigkeiten braucht und erwerben möchte, dies später tun kann.
Wenn ich so etwas sage, regen sich normalerweise einige Leute auf und entgegnen:
«Aber es gibt doch mathematische Grundkenntnisse, die für das tägliche Leben
wichtig sind!» Ich nehme auch an, dass es die gibt, aber ich glaube nicht, dass
es wirklich so viele sind. Die meisten Szenarien, in denen sie angeblich wichtig
sind, erscheinen mir sehr konstruiert. Wie dem auch sei, wir unterrichten viele
Dinge, die überhaupt nicht wichtig sind, und bei Mathe müssen wir das gegen den
Schaden abwägen, den wir anrichten, wenn wir dieses Fach so vielen Menschen
durch einen phantasielosen und beschränkten Ansatz verleiden. Mathe scheint
allzu oft auf rigide festgelegten Regeln zu basieren und macht deshalb Angst.
Aber in Wahrheit entsteht Mathe aus Neugier. Sie entspringt der instinktiven
menschlichen Neugier und der Tatsache, dass Menschen sich mit Antworten nicht
zufriedengeben und mehr verstehen wollen. Mathe entsteht aus Fragen.
Es
mag den Anschein haben, dass es in Mathe um das Beantworten von Fragen gehe,
aber einer der wichtigsten Aspekte von Mathe ist das Stellen von Fragen. Ich
werde zeigen, dass diese Fragen manchmal unscharf, naiv, einfältig oder konfus
erscheinen mögen, dass sie aber die Fundamente der Mathematik betreffen können.
Diese Fragen entspringen Eigenschaften, die wir mit Mathe oft nicht in
Verbindung bringen: Kreativität, Phantasie, Bereitschaft zur Regelverletzung,
Freude am Spiel. Wir sollten diese Art von Fragen begrüßen, statt sie zu
unterdrücken.
In der Schulmathematik legen wir zu viel Wert auf das
Beantworten von Fragen; das Stellen von Fragen sollte uns wichtiger sein, als es
ist.
Um solche Fragen geht es in diesem Buch, denn sie betreffen die
Grundlagen der Mathematik. Das ist nicht die Art von Mathe, bei der wir Zahlen
addieren und multiplizieren, die Winkel in einem Dreieck oder den Flächeninhalt
einer unregelmäßigen geometrischen Form berechnen oder eine bedeutungslose
Gleichung nur darum zu lösen versuchen, weil wir bei einem Test eine gute Note
bekommen wollen. Ich meine die Art von Mathe, die Forscher auf dem Gebiet der
abstrakten Mathematik treiben.
Die Art von Mathe, für die es anscheinend
keine unmittelbare Verwendung im täglichen Leben gibt; die nicht sofort ein
Problem löst oder den Bau einer neuen Maschine ermöglicht. Die Art von Mathe,
die mehr oder minder nur in unseren Köpfen existiert.
Mathe ist nicht das
«echte Leben», sie ist aber trotzdem real. Sie besteht aus echten Vorstellungen,
echten Gedanken, und sie führt zu echtem Verstehen. Ich liebe die Klarheit, die
sie mir verschafft, und bedaure, dass es manchmal so scheinen kann, als würde
sie, statt Licht in Unklarheiten zu bringen, alles in ein rigides Schwarz-Weiß
verwandeln. Aber ich fühle mit jedem, der diesen Eindruck hat, denn so kommt
Mathe allzu oft rüber. In der Schulmathematik habe ich das auch so erlebt.
Als ich fünf war, mochte ich Mathe ganz gern, soweit ich sie damals kannte.
In der Grundschule ging es dann aber stetig bergab, und in den ersten Jahren auf
der weiterführenden Schule kam ich an einen Punkt, an dem ich den
Matheunterricht definitiv hasste, weil ich ihn langweilig und pedantisch fand.
Schuld daran waren nicht meine Lehrer, sondern der Lehrplan und das
Prüfungssystem.
Ich möchte zeigen, dass die Gründe, die Menschen von
Mathe abschrecken, nichts mit dem zu tun haben, was Mathe wirklich ist.
Ich möchte Sie davon überzeugen, dass Sie, wenn Sie glauben, schlecht in Mathe
zu sein, oder in der Schule als schlecht in Mathe abgestempelt wurden,
vielleicht nur nach einem tieferen Verständnis gesucht haben und dass Ihnen
niemand dazu verholfen hat.
Ich möchte zeigen, dass die Gründe, die
Menschen von Mathe abschrecken, nichts mit dem zu tun haben, was Mathe wirklich
ist.
Ich möchte Sie davon überzeugen, dass Sie, wenn Sie glauben,
schlecht in Mathe zu sein, oder in der Schule als schlecht in Mathe abgestempelt
wurden, vielleicht nur nach einem tieferen Verständnis gesucht haben und dass
Ihnen niemand dazu verholfen hat.
ein wenig (oder manchmal auch mehr als
nur ein wenig) intellektuelle Unbequemlichkeit zu akzeptieren gehört dazu, wenn
man in Mathe Fortschritte machen will.
Es ist sogar, wie ich noch
erklären werde, nützlich für mein tägliches Leben – nützlich in einem viel
umfassenderen Sinne, als wenn ich etwa mit anderen eine Restaurantrechnung teile
oder meine Steuererklärung mache: Es hilft mir, allgemein klarer zu denken.
Es ist wie in dem alten Sprichwort, wonach man einem Menschen das Fischen
beibringen soll, statt ihm einen Fisch zu geben: Wenn ich Ihnen tiefe Wahrheiten
der Mathematik darstelle, gebe ich Ihnen nur diese Wahrheiten. Wenn ich Ihnen
aber zeige, wie Sie Zugang zur Wahrheit der Mathematik bekommen, dann können Sie
im Prinzip jede einzelne mathematische Wahrheit erkennen.
Es mag den
Anschein haben, dass es in Mathe darum gehe, die richtigen Antworten zu finden,
aber in Wahrheit geht es um das Forschen und Entdecken, um die Reise zur
mathematischen Wahrheit und darum, zu erkennen, wann wir diese gefunden haben.
Die Reise beginnt mit Neugier, und Neugier äußert sich in Fragen.
Inhaltsverzeichnis:
1: Wie Mathe entsteht
Grenzen in Frage stellen
Die Ursprünge der Mathematik
Abstraktion
Sind
abstrakte Begriffe real?
Wie Mathe sich entwickelt
Erweiterung des Begriffs der Multiplikation
Weiter die Wendeltreppe hinauf
Beziehungen
herstellen
Wann 1 + 1 nicht 2 ist
Pakete
Mathematische Pakete
Bausteine Wann 1 + 1 gleich 2 ist
2: Wie Mathe funktioniert
Woher wissen wir, dass Mathe richtig ist?
Negativ
Die Null
Negative Zahlen
Wenn
Mathematiker unsicher werden
Die Bedeutung der
Fragen der Studierenden
Binäre Logik versus
Differenzierungen
Begründungen, nicht richtige
Antworten
Warum kann man nicht durch null
dividieren?
Dividieren als Kehrwertbildung
Wo wir durch null dividieren können und wo nicht
3: Warum wir Mathe machen
Nutzlose Mathematik
Nach Grundbausteinen suchen
Primzahlen als
Grundbausteine
Wozu dient der Matheunterricht?
Warum sollte man das Addieren in Spalten lernen?
Verallgemeinern In Pfützen springen und Berge
besteigen
Erste Prinzipien
Charakterisierung von Zahlen nach ihrem Verhalten
Unverhofft nützliche Mathematik
Die Nützlichkeit der platonischen Körper
Unendlichkeit
4: Was gute Mathematik ausmacht
Mathematische Werte
Was sind eigentlich wiederkehrende Dezimalziffern?
Die Anfänge der Infinitesimalrechnung
Ein Licht
auf etwas werfen
Abstrakte Puzzles
Verallgemeinern und vergleichbar machen
Komplexe Zahlen
Komplexität herstellen
Fortschritt und
Kolonialismus
Ramanujan und Hardy
5: Buchstaben
Beziehungen
Der
zweidimensionale Raum
Wie eine Gleichung ein Bild
beschreibt
Wenn Geraden nicht gerade aussehen
Fazit: Warum Buchstaben?
6: Formeln
Auswendiglernen versus Verinnerlichen
Kreisförmige versus quadratische Gitter
Sinus und Cosinus
Beziehungen
und Formeln
Kreise und Quadrate
Der Begriff des Flächeninhalts
Was
ist π?
Wenn Kreise nicht kreisförmig aussehen
Eselsbrücken
7: Bilder
«Alle Gleichungen sind Lügen»
Das Tiefsinnige am Zählen mit Rechenklötzen
Die Bedeutung von Bildern
Das Zeichnen von Graphen
Merkmale übersetzen
Florence Nightingale, Mathematikerin
Kommutativität mit Differenzierungen
Mathematische
Zöpfe
Zöpfe in der Kategorientheorie
Zöpfe in höheren Dimensionen
Bildliche Darstellung abstrakter Strukturen
Mein Leben in Diagrammen
Mein Genuss beim Eisessen
Schlaf
Menschen In
welchem Maße mir Menschen am Herzen liegen
Liebeskummer
8: Geschichten
Wie viele Ecken hat ein Stern?
Wie viele Seiten hat ein Kreis?
Wie viele Löcher hat ein Strohhalm?
Nachwort: Ist Mathe real?