das Zeitalter der Entdeckungen
"Die glückhafte Tat des Columbus erweckt in Europa zuerst maßloses Erstaunen. Dann aber bricht ein Rausch von Abenteuer- und Entdeckerlust aus, wie ihn unsere alte Welt nie gekannt: aus:
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"Unser Zeitalter blickt hinter sich. Es errichtet den Vätern Grabdenkmäler. Es schreibt Biographien, Geschichte und Kritik. Die vorangegangenen Generationen schauten Gott und die Natur von Angesicht zu Angesicht, wir durch ihre Augen. Warum sollten nicht auch wir uns eines ursprünglichen Verhältnisses zum Universum erfreuen dürfen? Warum sollten nicht auch wir eine Dichtkunst und Philosophie der Einsicht statt der Überlieferung haben und eine Religion der Offenbarung statt der Geschichte? Wir leben für kurze Zeit im Schoße der Natur, deren Lebensfluten uns umströmen und durchwallen und die durch ihre Kräfte uns einlädt, ihr gemäß zu handeln; warum sollten wir da in den trockenen Knochen der Vergangenheit herumwühlen oder die jetzt lebende Generation mit den Masken ihrer verstaubten Gewänder verkleiden? Auch heute scheint die Sonne. Mehr Baumwolle und Flachs wächst heute auf den Feldern. Wir wissen von neuen Ländern, neuen Menschen, neuen Gedanken. Laßt uns unsere eigenen Werke, Gesetze und unsere eigene Art der Verehrung fordern."
(Vielleicht muss man es ja doch ergänzen: Emerson war nun wahrhaft der letzte, der die Geschichte ignorierte; aber er wollte ihr die Gegenwart [und damit das Leben!] gleichberechtigt entgegensetzen: "Auch heute scheint die Sonne.") |
Das Problem ist nicht neu, sondern im Grunde seit der Historisierung des Denkens vorhanden, und spätestens Nietzsche (nach Emerson) hat es am Historismus kritisiert: dass man sich von den Lasten der Vergangenheit erdrückt fühlt: man lebt (?) mit der Erbsünde ihrer Verbrechen, fühlt sich aber auch ganz klein gegenüber ihren Großtaten. Nichts, was man tut und denkt, ist neu, sondern man kommt sich vor wie eine Schallplatte, die einen Riss hat und deshalb den immer gleichen Melodiefetzen spielt.
Schon kein Geringerer als Leonardo da Vinci hat sich so gering gefühlt und deshalb gesagt, ihm blieben anscheinend nur noch die Brosamen der Geschichte übrig (welch ein Irrtum; aber auch: welche Demut!).
Schon gar nicht neu ist die sogenannte Postmoderne, die nur noch (ironisch) zitiert. Wie wohl mal Umberto Eco gesagt hat: ein Mann könne heute nicht mal mehr zu einer Frau sagen: "Ich liebe dich." Er (und sie wohl auch) komme sich dabei vor wie ein drittklassiger Abklatsch eines Hollywoodfilms. Wenn überhaupt, so könne er nur sagen: "Wie schon XY sagte: ich liebe dich."
Das ist sicherlich übertrieben - und trifft doch den Kern: wie irgendwer anders mal sagte: wie man eine Frau küsst und einen Menschen umbringt, lernen wir in Hollywoodfilmen - und so küssen wir dann auch tatsächlich (bzw. morden): man(n) werfe die (kleinere!) Frau quer vor sich in seine Arme, schaue ihr ganz tief in die Augen (das macht sie schwach), und dann küsse man sie (von wegen der hinderlichen Nasen) diagonal.
Und jeder Teenager weiß aus Hollywoodfilmen, dass dann, wenn es "richtige" Erotik sein will, diktatorisch der "Zungenkuss" (das Rühren im anderen Mund) zu folgen hat.
Das Überwältigtsein durch die Vergangenheit zeigt sich allüberall:
"früher mag noch ein einzelnes (Universal-)Genie große Entdeckungen und Erfindungen gemacht haben; heute hingegen werden Entdeckungen in großen Forschungslabors von einer Heerschar anonymer Wissenschaftler zusammengebraut, und am Ende drückt nur der Professor seinen Namen drauf und bekommt dafür den Nobelpreis";
"auf der diesjährigen Buchmesse ließ die neue »Blechtrommel« [natürlich] mal wieder auf sich warten"
(wofür es eine ganz simple Erklärung gibt: es fehlt die Distanz, aus der heraus ein Meisterwerk überhaupt erst erkennbar bzw. "allgemein anerkannt" ist: dann lobhudeln später sogar diejenigen, die anfangs massiv dagegen waren);
"heute gibt es nichts mehr zu »toppen«, sondern alles war schon - und zwar einschüchternd grandios - da: von der perfekt produzierten Musik über den Petersdom in Rom hin zu Terroranschlägen und Pornos sowie Horrorfilmen";
Es ist eben gar nicht so eindeutig abgemacht, was der seinerzeitige Bundespräsident Richard von Weizsäcker gesagt hat: "Wer aber vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart." Genauso gut könnte man sagen: "Wer andauernd wie das Kaninchen vor der Schlange auf die Vergangenheit stiert, wird blind für ähnliche [aber eben auch leicht variierte] Entwicklungen in der Gegenwart; ja mehr noch: er fühlt sich durch die Vergangenheit in Geiselhaft genommen und reproduziert sie deshalb irgendwann störrisch."
(Eben genau so, wie der vermeintliche Jude in Max Frischs "Andorra" irgendwann auch tatsächlich Jude sein will. Bzw. "Einmal Nazi, immer Nazi? O.k., könnt ihr haben!")
Da sei an den alten Juden in Harry Mulischs "Die Entdeckung des Himmels" erinnert, der - welch eine Ketzerei, die einem Deutschen niemals verziehen würde - heilfroh ist, dass - personifiziert in einem Jungen - "die Jugend von heute" Hitler nicht mehr kennt.
Mir scheint tatsächlich, dass das "Zeitalter der Entdeckungen" (also so ca. 1492 - 1800?) da - und zwar in Schulen - einen Ausweg bieten kann:
usw. usf.
oder jugendgemäßere Ausgaben in die Schule!:
Solche Bücher wecken überhaupt erst die Neugierde auf eine noch grenzenlose Welt - und das Vertrauen, dass es ganze Welten zu entdecken gibt |
(und allemal haben solche Bücher - auch in der fiktiven Form etwa von und - den Vorteil, das natürliche Interesse Jugendlicher an Abenteuern & Entdeckungen & Heldentaten [also an omnipotenten Machtphantasien?] zu befriedigen).
Man zeige mir einen einzigen Film, der das schafft! Bzw. pars pro toto "Star Wars" ist eben doch "nur" Phantasie bzw. - was schlimmer ist - "fantasy", während die o.g. Entdeckungen tatsächlich stattgefunden haben.
Natürlich darf man bei der reinen Abenteuerromantik nicht stehen bleiben, sondern es muss ein differenziertes, komplexes Bild von Geschichte entstehen:
es muss auch klar werden, mit welchen Mühen (und Katastrophen) die Entdeckungen erlangt bzw. "bezahlt" wurden:
"Am 20. September 1519 segelte Magalhães [auch Magellan genannt] von Sanlúcar de Barrameda (Spanien) aus mit fünf Schiffen und über 240 Mann Besatzung los und gelangte im November nach Südamerika. Im Februar 1520 erforschte er die Flussmündung des Río de la Plata (heute Argentinien bzw. Uruguay), und am 31. März 1520 erreichte seine Expedition den Hafen San Julián, wo sie fast sechs Monate verbrachte. Anschließend segelte Magalhães durch die zwischen der Südspitze Südamerikas und Feuerland verlaufende Meeresstraße – die ihm zu Ehren später als Magellanstraße bezeichnet wurde – in Richtung Pazifischer Ozean. Nach 38 Tagen und einer Strecke von 530 Kilometern gelangten seine nunmehr drei Schiffe am 28. November 1520 in das westlich gelegene Meer, das Magalhães aufgrund der dort herrschenden Windstille Pazifischer Ozean (von lateinisch pax: Friede) nannte. Er erreichte am 6. März 1521 die Marianen (damals Ladronen) und entdeckte zehn Tage später die Philippinen, auf deren Insel Cebu er am 7. April landete. Dort schloss er ein Bündnis mit dem Inselherrscher und vereinbarte, ihm bei einem Angriff auf die Bevölkerung der Nachbarinsel Mactan zu helfen. Am 16. März gelangte Magalhães auf die besagte Insel, wo er am 27. April bei einem Kampf mit den Inselbewohnern getötet wurde.
Nach seinem Tod verbrannte eines seiner Schiffe, doch die beiden anderen erreichten am 6. November 1521 schließlich die Molukken. Nur die Victoria, die von dem spanischen Seefahrer Juan Sebastián Elcano befehligt wurde, beendete die geplante Weltumsegelung; ihre Mannschaft umrundete Afrika auf dem Weg über das Kap der Guten Hoffnung und landete am 6. September 1522 [mit 18 Überlebenden von ursprünglich 240!] in Sevilla."
(Microsoft Encarta Professional 2002)Dabei muss es ja nicht so katastrophal ausgehen. Aber es muss klar werden, dass auch den großen Entdeckern und Erfindern nicht alles zugeflogen ist, sondern sie - wie auch wir heute - ihre lieben Schwierigkeiten hatten.
Und natürlich sind der "Fortschritt" und die "Heldentaten" differenziert zu betrachten:
Bert Brecht: Fragen eines lesenden Arbeiters
Wer baute das siebentorige Theben?
In den Büchern stehen die Namen von Königen.
Haben die Könige die Felsbrocken herbeigeschleppt?
Und das mehrmals zerstörte Babylon -
Wer baute es so viele Male auf? In welchen Häusern
Des goldstrahlenden Lima wohnten die Bauleute?
Wohin gingen an dem Abend, wo die Chinesische Mauer fertig war
die Maurer? Das große Rom
Ist voll von Triumphbögen. Wer errichtete sie? Über wen
triumphierten die Cäsaren? Hatte das vielbesungene Byzanz
nur Paläste für seine Bewohner? Selbst in dem sagenhaften Atlantis
brüllten in der Nacht, wo das Meer es verschlang
die Ersaufenden nach ihren Sklaven.Der junge Alexander eroberte Indien. Er allein? Cäsar schlug die Gallier. Hatte er nicht wenigstens einen Koch bei sich? Philipp von Spanien weinte, als seine Flotte Untergegangen war. Weinte sonst niemand? Friedrich der Zweite siegte im Siebenjährigen Krieg. Wer Siegte außer ihm?Jede Seite ein Sieg.
Wer kochte den Siegesschmaus?
Alle zehn Jahre ein großer Mann.
Wer bezahlte die Spesen?So viele Berichte.
So viele Fragen.
Insbesondere ist aber in doppeltem Sinne Dankbarkeit zu vermitteln: dafür, dass wir
in vielfachem Sinne von dem Fortschritt (z.B. dem Grundgesetz) profitieren dürfen, der keineswegs selbstverständlich war,
eben nicht mehr - wie unsere Vorfahren teilweise unter Einsatz ihres Lebens - dafür kämpfen (wohl aber aktiv bewahren) müssen.
Und all das nicht nur bei der Entdeckung neuer Länder und Kontinente, sondern auch in den einzelnen Wissenschaften (es gibt auch Kontinente des Wissens!)
und also u.a. auch in der Mathematik:
ja selbstverständlich brauchen wir Mathematikgeschichte in der Schule! |
(Nebenbei: es gibt zwar zig Bücher zur Mathematikgeschichte, aber ich vermisse noch immer eins zur "Kulturgeschichte der Mathematik", d.h. dem Platz der Mathematik in der Kulturgeschichte.)
Mehr noch:
es ist viel deutlicher als in den gängigen, auf diesem Auge systematisch blinden Geschichtsbüchern zu zeigen, dass Mathematik & Naturwissenschaften
zentrale Bestandteile des "Zeitalters der Entdeckungen" waren. |
Wo, wenn nicht hier,
wer, wenn nicht wir,
wann, wenn nicht jetzt?
Vor allem aber ist zu zeigen, dass "das Zeitalter der Entdeckungen" keineswegs vorbei ist, sondern anhält: |
für den Einzelnen, der immerhin frohgemut "Avantgarde seiner selbst" (vgl. ) sein und nachentdecken kann (vgl. );
dass in den Wissenschaften - ganz im Gegensatz zu den Unkenrufen in - unendlich viel zu entdecken bleibt
(es sei denn, wir kämen irgendwann zwar nicht an die Grenzen des "Welt", aber an die Grenzen des aus Menschensicht Erkenn- und Erklärbaren),
ja dass der Eindruck schlichtweg trügt (trügen soll?), es sei bereits alles (alle "Kontinente") entdeckt.
Beispielsweise ist der größte "Kontinent", nämlich das Meer, noch weitgehend unerforscht.
Oder nach der Entschlüsselung des Genoms wissen wir fast noch gar nichts außer eben (bzw. immerhin) der reinen Sequenz.
Dasselbe gilt beispielsweise in der Physik: selbstverständlich sind da ganz ungeheure, abgrundtief staunenswerte Fortschritte erzielt worden. Z.B. ist sowohl die Relativitäts- als auch die Quantentheorie ausnahmslos in allen Experimenten bestätigt worden. Und doch: beide gleichzeitig können nicht stimmen, ja sie widersprechen einander regelrecht.
In der "Decade of the brain" wurden atemberaubende Fortschritte in der Gehirnforschung gemacht. Und dennoch verstehen wir bisher noch nicht mal das Gehirn einer Stubenfliege, die somit ein wunderschöner, unentdeckter "Kosmos" bzw. "Kontinent" bleibt.
"Vor dem Urknall. Blick in Gottes letzten Schlupfwinkel"
(ich hab´s ja immer schon geahnt, dass wir vielleicht in einem pulsierenden Universum leben)"Schwarze Löcher. Supercomputer zeigen erstmals Gravitationswellen"
Das Weltall legt mit der erst seit 1995 stattgefundenen Entdeckung von Planeten in anderen Sonnensystemen überhaupt erst so richtig los (vgl. "Jagd auf Planeten")!
(, 8.6.06)Eine Ente oder "science fiction becomes science"?:
(, 8.12.06)Die Position Horgans, dass alles schon entdeckt sei, beruht für mich auf reiner Denkfaulheit und fehlender Neugierde - bzw. spießbürgerlich-lahmarschiger Zufriedenheit mit dem status quo.
Bemerkenswert daran ist allerdings, dass diese Position heute oftmals optimistisch daher kommt, als stünden wir (die wir alle Vergangenheit haushoch überragen) nun vor dem endgültigen Durchbruch
(sei´s in der Physik bei der "Theory of everything"
[obwohl es doch "nur" eine Vereinheitlichung aller (bislang bekannten) Kräfte wäre],
in der Genetik beim Genom oder in der Neurowissenschaft mit einem letztlich billig mechanistischen Verständnis des Gehirns).
Aber hinter solchem Grinseoptimismus lugt für mich immer klar ersichtlich die Verzweiflung hervor: "wenn wir [nach Aufgabe des sozialen Projekts] die dringend nötigen Verbesserungen mit Computern [d.h. der Abschaffung des Menschen] nicht schaffen, dann schaffen wir es überhaupt nicht mehr."
Da kann man nur sagen: "Jungs, seid euch nicht so sicher, bzw. how can you be so sure?"
(Allerdings beweist der Umstand, dass neue Entdeckungen in der Naturwissenschaft fast ausschließlich von sehr jungen Leuten gemacht werden: Jugend muss und darf so naiv sicher sein.)
"Ich weiß nicht, was die Welt von mir hält; aber mir selbst erscheine ich nur wie ein Knabe, der am Meeresstrand spielte und sich damit vergnügte, da und dort einen glatteren Kiesel oder eine hübschere Muschel als gewöhnlich zu finden, während der große Ozean der Wahrheit noch zur Gänze unentdeckt vor mir lag."
(Isaac Newton)
Dazu aber müssen im Unterricht sehr viel mehr als bisher (oder überhaupt erst)
nicht nur die in der Tat ja phantastischen Ergebnisse,
sondern auch die (bisherigen bzw. derzeitigen!) deutlich werden:
Es muss ausdrücklich Unterrichtsgegenstand werden, was noch nicht wissenschaftlich erklärbar ist
- bzw. (was dasselbe ist) womit die Wissenschaften sich derzeit befassen. |