die falsche Angst vor Bildern

 

"Du sollst Dir kein Bildnis noch irgend ein Gleichnis machen, weder des, das oben im Himmel, noch des, das unten auf Erden, oder des, das im Wasser unter der Erde ist. Bete sie nicht an und diene ihnen nicht. Denn ich, der HERR, dein Gott, bin ein eifriger Gott." (2.Mose 20:4,5)

"Unter Ikonoklasmus (zu altgr. εικών, "Bild", "Abbild" und κλαστειν, "zerbrechen") versteht man

  1. [...]

  2. in einer erweiterten Bedeutung die Bilderfeindlichkeit oder Bilderfurcht (Ikonophobie) einer Kultur oder Institution an sich [...]"

(zitiert nach )

Nicht behandelt sei hier, was durchaus auch "legitim" ist: dass Bilder einfach nur zweckfrei "Dekoration" sind.


Einerseits: Bilder sind unentbehrlich, weil sonst keinerlei Veranschaulichung möglich ist.

Andererseits: Bilder sind potentiell sehr gefährlich, denn "Es sind die Bilder, die Recht behalten" (Georges Simenon).


Im Zeitalter von "Multimedia" und Internet

(wo viele Homepages mit netten [animierten] Bildern und sonstigem graphischem Schnickschnack [flash] verziert, aber inhaltsleer sind)

scheint es müßig, wenn nicht sogar gefährlich, eine Lanze für den Einsatz von Bildern zu brechen.

Mir geht es hier aber vor allem um Bücher:

es gibt Bücher mit zu wenigen Illustrationen und welche mit zu vielen:


Ich weiß ja: der Druck von Bildern ist (insbesondere, wenn sie farbig sind) teuer (und war sogar lange Zeit technisch kaum machbar), und deshalb untersag(t)en viele Verlage ihren Autoren ("allzu viele") Bilder.

Aber das Problem liegt tiefer: es gibt eine ursprünglich vielleicht wohlbegründete, inzwischen aber fatale, uralte Aversion der (insbesondere "geisteswissenschaftlichen") "Intellektuellen" gegen "populäre", ja fast schon "populistische" Anschaulichkeit, wie sie sich im oben schon anzitierten Wikipedia-Artikel andeutet:

"[...] so ist beispielsweise die Aufklärung per se ein Entbilderungsunternehmen."

Bzw. diese Tradition traut dem Wort alles zu ("Im Anfang war das Wort") - und dem Bild nicht über den Weg.

Ein wichtiger Meilenstein gegen solche Bildlosigkeit war nebenbei :

ein Buch, über dessen Inhalt sich trefflich streiten ließe, das aber doch fast als erstes "wissenschaftlichen" Anspruch mit vielen Bildern zusammen brachte.


Das Fehlen von Bildern fällt mir insbesondere immer wieder bei einem meiner Lieblingsgenres, nämlich kulturhistorischen Darstellungen früherer Reisen, auf

(wohlgemerkt also nicht in

Immer, wenn da Orte und Landschaften genannt werden, möchte ich doch eine Karte sehen, um erstere "einordnen", mich (!) also orientieren zu können. Und eben solche Karten werden mir da andauernd verweigert. Manchmal kommt mir das so vor, als könne der Autor, der ewig lang Karten gewälzt hat oder vielleicht sogar selbst vor Ort war, sich im Nachhinein gar nicht mehr vorstellen, dass der Leser solche Kenntnisse noch nicht hat

(... womit sich ein Grundproblem vieler nur scheinbar "populär(?)wissenschaftlicher" Bücher andeutet; vgl. ).


Oder drei konkrete Beispiele aus einem Buch, das ich ansonsten für derart gelungen halte, dass ich es prompt zu meinem 12/2005 gekürt habe:

  1. Im 5. Kapitel mit dem Titel "Triangulation" heißt es auf S. 70ff:

"Gemmas neunzehnseitiges Libellus de locorum war in der zweiten Ausgabe seines Cosmographicus liber Petri Apiani enthalten, das 1533 in Antwerpen gedruckt wurde, etwa zu der Zeit, als Mercator dorthin kam. In diesem Traktat legte Gemma dar, wie man mittels einer einzigen Grundmessung ein Gebiet von beliebiger Größe vermessen könne. Dazu war lediglich ein simples Behelfsinstrument erforderlich: eine flache Holzscheibe mit einem Kreis mit Gradeinteilung und einem drehbaren Zeiger in der Mitte. Hielt man dieses »Planimetrum« waagrecht und richtete es mit einem Kompass so aus, dass seine Nord-Süd-Achse auf den magnetischen Nordpol zeigte, konnte der Vermesser den Zeiger auf einen bestimmten Geländepunkt ausrichten. Die Peilung ließ sich an der Skalenscheibe ablesen. Ermittelte man so die Werte zweier Geländepunkte, so ließ sich damit auch die Position eines dritten Punktes bestimmen. Gemma schlug vor, der Vermesser solle zuallererst eine geeignete Höhe erklimmen, etwa den höchsten Turm in der Stadt, dann ringsum eine Reihe von Peilungen vornehmen und diese in einen auf Papier gezeichneten Kreis eintragen.
In Libellus de locorum war weiter beschrieben, wie man diesen Vorgang von einem zweiten Turm aus wiederholt und dabei mit den sich überschneidenden Sichtlinien jeden Geländepunkt bestimmen kann. Schließlich wies Gemma darauf hin, dass sich mit einem dritten Durchgang von Peilungen eventuelle Probleme beheben ließen, die dann entstanden, wenn zwei Sichtlinien in einer Linie zusammenliefen. Küstenlinien und Flüsse, fügte er hinzu, ließen sich auf dieselbe Weise kartographieren.
Um eine Karte nach einem bekannten Maßstab zu zeichnen, so Gemma weiter, müsse der Vermesser eine Basislinie erstellen, indem er die tatsächliche Distanz zwischen zwei der zentralen Punkte maß. Er nannte Mecheln und Antwerpen als Beispiel und erläuterte, wie man die relative Position der beiden Städte in einem verkleinerten Maßstab auf eine Karte übertrug. Entfernungen zwischen anderen Orten auf der Karte ließen sich mit Hilfe ähnlicher Dreiecke berechnen. Eine abgemessene Basislinie zwischen Löwen und Antwerpen hätte genügt, um mit der ersten mathematischen Vermessung der Region zu beginnen.
Mit Gemmas Methode konnten Vermesser eine Region vollständig und präzise kartographieren, indem sie markante Punkte anpeilten. Und auf den weiten Flächen der Niederlande hatte die Kirche mit ihren Türmen die besten Voraussetzungen geschaffen. Die zweidimensionale Geographie dieser Flussebenen bot unbehinderte Sichtlinien, und die langen geraden Straßen eigneten sich ideal für das Abmessen von Basislinien.
Indem Gemma das Land mit imaginären Dreiecken überzog, gab er den Geographen auch ein verblüffendes neues Instrument an die Hand, um die Oberfläche zu vereinfachen, die sie graphisch darstellen wollten. Bei der Vermessung entstand durch die Triangulation eine mimetische (die Natur nachahmende) Karte, die in einem Maßstab von
1:1 gleichsam über die Landschaft gelegt wurde. Landkarten als Nachbildungen der Realität zu verstehen war eine der Wahrnehmungsveränderungen, die es den Kosmographen ermöglichte, sich von den imaginären Welten des Mittelalters loszulösen."

Schon allein der Kapiteltitel, insbesondere aber auch durch die von mir rot bzw. blau markierten Sätze wird klar, wie überaus bedeutsam diese Methode der "Triangulation" für alle weitere Erdvermessung war und bis heute ist.

(Vgl. etwa oder )

Dafür aber wird sie - eben nur in Worten - grausig schlecht erklärt:

  1. Ich hätte mir doch eine Abbildung (Skizze) von Gemmas "Planimetrum" gewünscht, die knapp - und das natürlich in Worten! - erklärt würde.

(Nebenbei: ein "Planimetrum" ist nirgends im Internet zu finden - und nicht mit einem "Planimeter", also einem mechanischen Flächenmessgerät, zu verwechseln.)

  1. Vordergründig einfache Sätze wie

"Ermittelte man so die Werte zweier Geländepunkte, so ließ sich damit auch die Position eines dritten Punktes bestimmen." und  "In Libellus de locorum war weiter beschrieben, wie man diesen Vorgang von einem zweiten Turm aus wiederholt und dabei mit den sich überschneidenden Sichtlinien [???] jeden Geländepunkt bestimmen kann."

bleiben ohne Skizzen und daran anknüpfende knappe Texte völlig unverständlich.

Dabei wäre das mithilfe zweier Dreiecke so simpel erklärbar - auch wenn man die benötigte Mathematik (Trigonometrie) nur erwähnen und nicht erklären will.

Gar nicht hilfreich, weil schon viel zu kompliziert (und nicht in Worten erklärt!) ist aber die einzige Abbildung, nämlich eine originale Triangulationsskizze Gemmas, die in diesem Zusammenhang geliefert wird:

Nun könnte man natürlich einwenden, dass

  1. Cranes Thema Mercator und nicht Gemma ist,

  2. das Buch mit gut 400 Seiten schon dick genug ist und geradezu ausufern würde, wenn Crane auch noch alle Seitenthemen auswalzen würde.

Aber

  1. ist die Triangulation eben kein Seitenthema, sondern fundamental für alle späteren geometrischen Leistungen nicht nur Mercators,

  2. scheint mir, was hier passiert, geradezu symptomatisch: Cranes Buch ist brillant bei der Darstellung der Biographie Mercators und den kulturhistorischen Hintergründen, "versagt" aber, sobald es um den Kern der wissenschaftlichen Leistungen geht.

Warum eigentlich?: Weil "man" sich nicht traut, dem Leser mit Wissenschaft (oder gar einigen mathematischen Formeln) zu kommen?!

Genau das ist ja der häufige Denkfehler: wissenschaftliche Details sind ja nur "schlecht", wenn man sie nicht erklärt.

Mir kommt der Mangel an wissenschaftlichen Erklärungen so vor wie ein voyeuristischer Blick ausschließlich auf "Goethes Liebesleben" (mit welcher Frau hat er - und wie?). Warum denn ist das so mächtig interessant - und überhaupt dokumentiert? Doch wohl wegen seiner literarischen Leistungen! - und worin bestehen die denn nun eigentlich?

(... wobei Goethes literarische und Liebes[nicht]leistungen ja in einem komplexen wechselseitigen Verhältnis stehen und vielleicht sogar ansatzweise einander erklären helfen mögen.)

  1. In den Kapiteln 6 und 7 (also ellenlang) erläutert Crane einen berühmten Globus, an dem neben Gemma auch schon der noch junge Mercator mitgewirkt hat.

Da stellt sich mir doch gleich ganz allgemein die Frage, warum dieser Globus nie im Buch abgebildet ist: ich möchte ihn einfach mal sehen, zumal er laut Crane ja auch ein "kalligraphisches" Meisterwerk ist.

Insbesondere problematisch wird´s aber, wenn Crane dann Details dieses Globus (in Worten!) beschreibt, also z.B. auf S. 88f:

"Galt Afrika als weitgehend erforscht, so eröffneten die Längenkreise östlich und westlich davon zunehmend Raum für Spekulationen. Die Erkundung Asiens war noch längst nicht abgeschlossen. Seit die Portugiesen den arabischen Händlern an die Küste Indiens gefolgt waren, hatte sich bestätigt, dass es sich bei dieser Halbinsel im westlichen Teil Asiens um ein Dreieck handelte, das zum äquator hin spitz zulief. Das asiatische Festland östlich davon wurde jedes Jahr neu gezeichnet, wobei nur wenige Berichte von so großem Einfluss waren wie De Moluccis Insulis; dieses Werk hatte eindeutig belegt, dass sich dieses .Land nicht, wie bei Ptolemäus, von Südostasien bis halb zum Pol erstrecken konnte. Wie Monachus und Fine hackte Gemma den Stamm ab und ließ nur einen Stumpf übrig."

Durchaus gut vorstellen kann ich mir da noch die Beschreibung Indiens, da es in seiner tatsächlichen (heute bekannten) Dreiecksform beschrieben wird.

Ohne Detailabbildung völlig unklar bleibt mir aber die Darstellung des "asiatischen Festlands" auf diesem Globus, also

"[...] hackte Gemma den Stamm ab und ließ nur einen Stumpf übrig."???

Wohlgemerkt: zwar könnte der Text erheblich kürzer sein, wenn man den Globus sehen könnte. Aber ein entsprechender Ausschnitt des Globus, also eine Abbildung, würde den Text keineswegs überflüssig machen, denn nur Text (und eben nicht die Abbildung) kann auf

aufmerksam machen.

  1. Ebenso symptomatisch wie fast schon zum Schmunzeln ist das Eigentor, dass Crane an anderer Stelle schießt:

Mehrfach im Buch - und insbesondere im 10. Kapitel, nämlich "Das Handbuch der Kursivschrift" - erwähnt Crane eine spezielle Leistung Mercators, nämlich die (Weiter-)Entwicklung einer lateinischen Kursivschrift, also einer ohne Absetzen der Feder schreibbaren Schrift, die wohl in etwa unserer heutigen Schreibschrift ähnelt. Über diese Schrift hat Mercator sogar - wie bereits Cranes Kapiteltitel sagt - ein eigenes "Handbuch", nämlich "Literarum latinarum, quas italicas, cursoriasque vocat, sribendaru ratio", geschrieben.

Merkwürdig ist dabei schon, dass diese von Crane vielfach besprochene Kursivschrift

(außer klitzeklein auf dem Bild )

kein einziges Mal deutlich gezeigt wird. Und dann schreibt Crane auf S. 139:

"Im dritten Kapitel illustrierte der Autor [= Mercator] mit Hilfe einer geometrischen Zeichnung, wie man ein quadratisches Feld in zwölf gleiche Streifen teilte - den Längenkreisen einer Karte nicht unähnlich. In dieses Feld zeichnete Mercator die drei elementaren Striche des Buchstaben Y, zwei von ihnen mit 3,75 Grad Abweichung von der Vertikalen und eine Diagonale aus der Hypotenuse eines umgekehrten, stumpfwinkligen Dreiecks. Das Prinzip - eine Schrift aus parallel stehenden Strichen zu gestalten, die etwas unter 5 Grad geneigt sind - war ganz einfach und wurde in seiner graphischen Darstellung klar veranschaulicht."

Verstehen Sie das? Wissen Sie jetzt, wie Mercators Y aussieht?

Da entbehrt es doch nicht der Ironie, dass die Veranschaulichung

Da hätte Crane über Mercators Y doch am besten gar nichts geschrieben.

  1. Nurmehr ein Witz ist aber die (bildlose) Darstellung einer der absoluten Meisterleistungen Mercators, nämlich der "Mercator-Projektion":

"Zu der eigentlichen Entdeckung kam es wahrscheinlich, als Mercator wieder einmal einen Satz von Keilstücken für seinen nach wie vor populären Erdglobus herstellte. [...] Während die Abbildungen der Erdteile auf seinem Arbeitstisch flach vor ihm ausgebreitet lagen, bevor sie auf die Kugel geklebt wurden, müssen die Längenkreise auf den Keilstücken als durchgehende parallele Linien erschienen sein. Die Breitenkreise und Loxodromen, die aufgrund der Abschnitte der Keile unterbrochen waren, erschienen dagegen als diskontinuierliche Kurven.
Dies war vielleicht der - nur einmal im Leben eintretende - Augenblick der Erkenntnis, als zwei vertraute Muster plötzlich zu einer einzigen, allgemein gültigen Wahrheit verschmolzen: Wenn auch die Breitenkreise begradigt und weiter auseinander gezogen wurden, mussten auch die Loxodromen sich begradigen. Knifflig war nur die Frage, wie weit die Breitenkreise auseinander gezogen werden mussten. Darauf lieferten die Keile, die auf dem Tisch ausgebreitet lagen, bereits die Antwort. Da sich jeder Keil zum Pol hin stufenweise verjüngte, folgte, dass auch die Breitenkreise in progressiven Abständen eingeteilt werden mussten. Einige Versuche mit der Schere dürften den empirischen Beweis erbracht haben. Das Ergebnis, frohlockte Mercator, stimmte »so vollkommen mit dem Quadrieren des Kreises« überein, »dass nichts ... zu fehlen schien, außer einem formalen Beweis«."
(S. 240)

Oder haben Sie verstanden, wie Mercator da aus folgende Art der Kartendarstellung entwickelt hat?:

 

Warum - zum Teufel - benutzt Crane nicht sozusagen selbst eine Schere (bzw. "schält" die Erde) und macht vor, wie man von der linken zur mittleren Grafik kommt?!