Fermats letzter Satz - auch schon in einer fünften Klasse!

Vorbemerkungen

Es gibt (mindestens) drei Grundübel des Standard-Mathematikunterrichts:

  1. wird nur eine (bestens abgesicherte) Uralt-Mathematik betrieben, bei der niemals klar wird, dass Mathematik auch heute noch im Fluss ist.

  2. Mangels Mathematikgeschichte wird nie klar, dass Mathematik von hoffenden, scheiternden und manchmal eben auch erfolgreichen Menschen "wie du und ich" (und dann eben ab und zu auch Genies) betrieben wurde und wird. Dadurch erscheint die Mathematik als geradezu unmenschlich bzw. so, als sei sie wie ein Betonklotz vom Himmel gefallen.

  3. Es werden fast ausschließlich lösbare Probleme durchgenommen, und zwar

Alle drei Grundübel kann man exemplarisch mit der unten vorgestellten Unterrichtseinheit angehen.


 

Ausgerechnet "Fermats letzter Satz", also wohl eins der schwierigsten Probleme der Mathematik?

Das Grundproblem von "Fermats letztem Satz" ist ja (wie z.B. auch die Goldbachsche Vermutung) jedem Kind verständlich zu machen, aber Andrew Wiles' Beweis ist doch derart teuflisch schwierig, dass auch LehrerInnen (geschweige denn SchülerInnen) keine Chance haben, ihn zu verstehen.
 

Ein Vorbild für eine "populärwissenschaftliche" Annäherung an diesen Satz hat Simon Singh mit seinem Bestseller geliefert: Man kann anhand der Geschichte von "Fermats letztem Satz" unendlich viel über Mathematik (mathematische Denkweisen!) lernen, auch wenn man keine Chance hat, den Beweis des Satzes zu verstehen.


 

Beim Wortbestandteil "-einheit" von "Unterrichtseinheit" wird oftmals übersehen, dass eine Einheit meistens etwas Kleines, Überschaubares und leicht Handhabbares ist: Man traut sich erst, eine "Unterrichtseinheit" zu veröffentlichen, wenn sie mindestens zehn Unterrichtsstunden lang und sowieso perfekt ausgefeilt ist

(woraus schnell folgt, dass die meisten LehrerInnen nie dazu kommen, jemals ihre - durchaus vorhandenen! - guten Ideen zu veröffentlichen; und nebenbei: eine "Idee" ist auch etwas Kleines, ja fast Augenblickhaftes).

Ohne dass neue Ansätze zu Gimmicks und Strohfeuern verkommen dürfen, werbe ich mit der hier vorgeschlagenen, sehr kurzen "Unterrichtseinheit" doch exemplarisch dafür, auch "kleinere" Ideen zu veröffentlichen.

Einen Vorteil haben sie allemal: sie sind leichter in den gängigen Unterricht einbaubar, denn oftmals kommt ja der Einwand, dass "große" Unterrichtseinheiten im allgemeinen Stoff- und Klausurdruck kaum machbar sind, weil zu viel Zeit rauben (?).

Überhaupt erwarte ich mir mehr von vielen neuen Unterrichtsmomenten hier und da als von Großreformen (noch einem Stationenlernen).


Die folgende Unterrichtseinheit - und das ist ja fast ihr "Gag" - ist in allen Jahrgangsstufen einsetzbar

(ich habe es mit Erfolg ausprobiert!),

also

(was im üblichen Mathematikunterricht leider kaum üblich ist)

einiges vorwegnehmen - und die SchülerInnen sind dann mächtig stolz!

(Wenn die leidige Frage "warum machen wir das eigentlich alles?" kommt, wird ja meist auf zweierlei Art begründet:

  1. ..., weil unsere technische Zivilisation durch und durch mathematisch geprägt ist: ein Argument, das kaum zieht, weil die technischen Anwendungen oft teuflisch schwierig sind, vor allem aber, da die Mathematik ja gerade deshalb so erfolgreich ist, weil die Mathematik in den Geräten verborgen ist und der Laie sie daher im Alltag nicht braucht;

  2. ..., "weil wir das in späteren Schuljahren brauchen", was meist eine völlig leere Ankündigung [Androhung?] ist.)

Weil die Erarbeitung von "Fermats letztem Satz" insbesondere  in einer fünften Klasse so utopisch erscheint, steht unten bewusst solch eine Unterrichtseinheit in einer fünften Klasse im Vordergrund.


In gewissem Sinne hat es etwas Unredliches, ausgerechnet eine Unterrichtseinheit über "Fermats letzten Satz" als exemplarisch zu "verkaufen", sind doch sowohl die Geschichte dieses Satzes wie auch Simon Singhs spannendes Buch darüber fast einmalig in der Mathematik.

Dennoch zeigt sich anhand von "Fermats letztem Satz" die Möglichkeit und Notwendigkeit, die historischen Freuden und Leiden der Mathematik vermehrt in den Unterricht einzubeziehen.

die Unterrichtseinheit ... in einer fünften Klasse

"Angriff ist die beste Verteidigung": man fange ausdrücklich damit an, dass die im Folgenden aufgeworfene Problematik für eine fünfte Klasse "eigentlich" in vielfachem Sinne viel zu schwierig ist, aber: "Fünftklässler sind gar nicht so dumm, wie man oftmals meint". Solch ein Einstieg macht die SchülerInnen neugierig und bei den späteren (Teil-)Ergebnissen auch wirklich stolz!

Zudem kündige man gleich anfangs zweierlei an:

  1. , dass im Folgenden ein wahres Highlight der Mathematikgeschichte folgt,

(die SchülerInnen können an neuester Mathematik und exemplarisch am derzeitigen Beweisboom teilnehmen),

  1. , dass die SchülerInnen dabei auch die Freuden und Leiden von MathematikerInnen und einen beinahe weinenden Mathematiker sehen können.

(Viel zu wenig Schulstunden haben einen Spannungsbogen auf ein angekündigtes oder erahnbares Ende bzw. einen solchen Lernfortschritt hin; der übliche Weg ist vielmehr "We´re on the road to nowhere" - wobei eine vorher ungeahnte Überraschung am Ende allerdings auch nicht schaden kann.)

Überhaupt sollte man die beiden Helden der vorliegenden Geschichte nennen und zeigen: Pierre de Fermat und Andrew Wiles.

Da die meisten SchülerInnen einer fünften Klasse

kennen

(wobei es ja gar nicht schaden kann, wenn die/der eine oder andere da durchaus schon Vorkenntnisse hat: schließlich soll am Ende der Stunde weniger der Stolz jedes Einzelnen sondern ein Kollektivstolz stehen),

sind anfangs diesbezüglich einige Vorarbeiten nötig:

1. Aufgabe:

Gesucht ist eine Zahl a

(und das ist - passend zu "Fermats letztem Satz" - für eineN 5-KlässlerIn glücklicherweise immer eine natürliche Zahl!),

so dass a + 3 = 7.

Man übe das an einigen weiteren Beispielen, und schon bald haben die SchülerInnen damit keinerlei Schwierigkeiten mehr.

2. Aufgabe:

Gesucht sind zwei Zahlen a und b, so dass a + b = 7.

Da kommen von den SchülerInneN vermutlich zuerst die Vorschläge a = 4 und b = 3, dann aber auch andere Möglichkeiten, also z.B. a = 1 und b = 6. Sie lernen also schon implizit

Auch hier lasse man einige andere Beispiele folgen, also z.B. a + b = 29.

3. Aufgabe:

Gesucht sind drei Zahlen a, b und c, so dass a + b = c.

Auch hier nennen die SchülerInnen dann vermutlich zuerst a = 4, b = 3 und c= 7, aber es folgen schon bald auch viele andere Zahlkombinationen.

Insbesondere kann die Lehrkraft provozieren:

  a   +   b  = c

  17 +   25 = ?     (also ist c = 42)

149 + 284 = ?      (also ist c = 433),

so dass die SchülerInnen schnell feststellen werden, dass es zu jeder beliebigen Wahl von a und b auch ein entsprechendes c und somit unendlich viele Lösungen gibt.

Als erster Eintrag an einem Tafelteil wird notiert

(und zwar gerne umgangssprachlich und damit wenig genau):

a + b = c  immer lösbar

(Anders gesagt: es gibt immer zwei Strecken a und b natürlicher Länge, die zusammen genauso lang sind wie eine Strecke c [ebenfalls natürlicher Länge].)

Nun folgt der Übergang zum "Pythagoras", also 

a2 + b2 = c2.

Eventuell wissen einige 5-KlässlerInnen es schon (auch aus dem Vorunterricht?), sonst wird kurz von der Lehrkraft ergänzt:

   a2   +    b2  =    c2

a · a  + b · b  = c · c

4. Aufgabe:

Gesucht sind drei Zahlen a, b und c, so dass a2 + b2 = c2.

(Immerhin scheint es den SchülerInnen - auch schon in den vorherigen Aufgaben - selbstverständlich, dass a, b und c verschiedene Zahlen sind, und auf die triviale Idee, a = 0 oder b = 0 zu setzen [so dass b = c bzw. a = c] kommen sie erfahrungsgemäß auch nicht [vielleicht, weil es auch ihnen zu trivial ["geschummelt"] erscheint].)

Eventuell (man lasse den SchülerInnen Zeit - aber auch nicht demotivierend lange) kommen die SchülerInnen (einige wenige reichen!) ja sogar selbst drauf: a = 3, b = 4, c = 5, also 32 + 42 = 52 .

Lösungen für a2 + b2 = c2 zu finden, ist aber bekanntermaßen gar nicht so einfach

(die pythagoräischen Trippel sind selten und [außer Vielfachen] "unregelmäßig" verteilt).

Eventuell muss die Lehrkraft nach einer gewissen Zeit also eingreifen und eine Systematik vorschlagen

(auch das ist - wie wir noch sehen werden - ein wichtiges Lernziel dieser Unterrichtseinheit),

also z.B.

a = 1, b = 2, c = 3

a = 2, b = 3, c = 4

Hier wird jeweils gemeinsam überprüft:

12 + 22  ungleich  32

22 + 32  ungleich  42.

(Natürlich denkt die Lehrkraft mit der vorgeschlagenen Systematik vom Ziel a = 3, b = 4 und c = 5 aus, gibt also - wenig "selbstreguliert"? - mit der Richtung auch das naheliegende Ziel vor. Und doch nimmt die Lehrkraft hier nicht alles vorweg, weil - wie schon gesagt - die SchülerInnen ja sowieso verschiedene Zahlen suchen und mit kleinen beginnen werden. Dass schon die nächste Zahlenkombination nach dieser Systematik, also a = 3, b = 4 und c = 5, eine Lösung ist, mag man zwiespältig finden: einerseits erfolgt sie fast zu früh [allzu verlässlich wie jene dreiteiligen Witze], andererseits aber auch nicht frustrierend, also für die SchülerInnen unerreichbar spät.) 

Wichtig scheint mir: wenn man erst mal diesen systematischen Weg (diesen spanischen Stiefel?) eingeschlagen hat, sollte man auch darauf bestehen, dass er fortgesetzt wird.

Im nächsten Schritt folgt also - jetzt systematisch erarbeitet - 

32 + 42 = 52 ,

also eine erste Lösung.

Hier reicht es, dass die SchülerInnen erfahren haben:

Hier könnte die Lehrkraft noch dazu auffordern, Vielfache von a = 3, b = 4 und c = 5 auszuprobieren, also z.B.

62 + 82 = 102

(... wobei unerwähnt bleiben kann, dass das - in der geometrischen Deutung des "Pythagoras" - einer Vergrößerung des Dreiecks entspricht).

Durch diese Vervielfachungen werden die SchülerInnen schnell begreifen, dass für a2 + b2 = c2 zwar keineswegs so einfach wie noch in der dritten Aufgabe Lösungen zu finden sind - und dennoch unendlich viele

(was in einer fünften Klasse ja gar nicht problematisiert werden muss - und die SchülerInnen vermutlich auch kaum von sich aus irritiert).

Aber auch ohne Vervielfachung lässt sich als zweiter Eintrag auf der Extratafelteil festhalten:

a2 + b2 = c2

manchmal lösbar

(Anders gesagt: es gibt manchmal zwei Quadrate a2 und b2 mit natürlichen Seitenlängen, deren Flächen  zusammen genauso groß sind wie ein Quadrat c2 ebenfalls mit natürlichen Seitenlängen.

Hier wäre nun in einer fünften Klasse auch die geometrische Bedeutung des berühmten "Satzes von Pythagoras" ergänzbar.)

Und nun erweitert die Lehrkraft die bestehende Tabelle um eine Leerzeile

a  + b  = c   immer lösbar
a2 + b2 = c2 manchmal lösbar
? ?

(Nebenbei:

Anhand der letzten Tabelle drängt sich doch die Frage auf, wie sie an den beiden mit Fragezeichen markierten Stellen weiter geht - und genau das (die systematische Verallgemeinerung) ist ja typisch mathematisch.

Eine Antwort ist wohl eher beim rechten Fragezeichen zu vermuten:

und genau das war ja Fermats Vermutung!

Schwieriger ist die Füllung des linken Fragezeichens, und zwar insbesondere, wenn (in einer fünften Klasse) bislang nur die Schreibweise a  + b  = c , aber nichta1 + b1 = c1 bekannt ist.

Hier könnte die Lehrkraft deutlich betonen

und damit natürlich die Fortsetzung suggerieren:

Es ergibt sich also somit die vollständige Tabelle

a  + b  = c   immer lösbar
a2 + b2 = c2 manchmal lösbar
a3 + b3 = c3 nie lösbar

(Anders gesagt: es gibt niemals zwei Würfel a3 und b3 mit natürlichen Seitenlängen, deren Volumen  zusammen genauso groß sind wie ein Würfel c3 ebenfalls mit natürlichen Seitenlängen.)

Wohlgemerkt: Die SchülerInnen haben damit die Vermutung "a3 + b3 = c3 ist nie lösbar" mehr oder minder selbst gefunden und man hat sie nicht an die aussichtslose Aufgabe gesetzt, auch Lösungen für a3 + b3 = c3 zu suchen.

Hier nun endlich kann die Lehrkraft mit der anfangs angekündigten Geschichte beginnen und zu allererst ergänzen, wovon Fermat so überzeugt war:

a  + b  = c   immer lösbar
a2 + b2 = c2 manchmal lösbar
a3 + b3 = c3 nie lösbar
a4 + b4 = c4 nie lösbar
a5 + b5 = c5 nie lösbar
... ...
an + bn = cn nie lösbar für n > 2

Nach der von uns systematisch rekonstruierten Logik ist es also geradezu ernüchternd einfach, zur berühmten Vermutung Fermats zu kommen.

Aber das Aufregende lag wohl eher darin, dass Fermat


("Cuius rei demonstrationem mirabilem sane detexi hand marginis exiguitas con caperet."
"Ich habe hierfür einen wahrhaft wunderbaren Beweis, doch ist dieser Rand hier zu schmal, um ihn zu fassen.")

Und nun endlich ist es höchste Zeit für einen Lehrervortrag, der, spannend aufgezogen und wie ein Mentor "an die Hand nehmend", ab und zu ja durchaus seinen Wert hat.

Im Lehrervortrag sollte zu allererst deutlich betont werden, dass der Beweis von "Fermats letztem Satz" derart schwierig ist, dass nicht einmal die Lehrkraft ihn versteht (dass sie also genauso "dumm" ist wie die SchülerInnen).

Ansonsten ist der Lehrervortrag eine freie Nacherzählung des Buchs unter besonderer Berücksichtigung der menschlichen Dramatik

(vgl. auch ).

Zuguterletzt kann man dann in Ausschnitten auch noch den gleichnamigen Film (ebenfalls von Simon Singh) zeigen - oder zumindest den Ausschnitt ganz am Anfang, als Andrew Wiles im Nachhinein die Dramatik seines (erst misslungenen) Beweises erzählt und dabei fast zu weinen anfängt:

In höheren Klassen kann man den Film auch ganz zeigen, wobei man dann aber ab und zu unterbrechen muss, um

(ein Projekt mit dem Arbeitstitel "Anhand des Singh-Films lernen, was Mathematik eigentlich ist" wäre allemal lohnenswert).

Nachbemerkungen

Es ist doppelt erstaunlich:

  1. schauen SchülerInnen höherer Klassen den (einen mathematischen!) Film nach entsprechender Vorarbeit und bei permanenter Kommentierung äußerst gespannt an,

  2. ist die gezeigte Unterrichtseinheit eine der wenigen, bei der ich mal am Ende Beifall bekommen habe:


 Ist mir die Unterrichtseinheit völlig missraten

(musste sie es bei

als ein Schüler einer fünften Klasse sich nachher nicht davon abbringen ließ, doch nach Lösungen für a3 + b3 = c3 zu suchen?

Ich kam mir hinterher sogar geradezu schäbig vor, als ich mit (auch nur scheinbar) überlegenem Wissen versuchte, ihm die Aussichtslosigkeit seines Tuns klar zu machen.

Immerhin ergab sich da aber der Anlass, gemeinsam ansatzweise zu überlegen, was einen mathematischen Beweis ausmacht:


Noch ein Schmankerl zum Schluss: inzwischen gibt´s auch eine Musical-Fassung des Problems:


(zum Inhalt siehe auch )