Gen-Schrott? - Denkste! (oder über Arroganz)

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Ich gestehe frischweg, dass es mir immer eine "Nacht der langen Messer" und persönliche Genugtuung ist, wenn Modewissenschaftler

(oder genauer: die sekundären, unphilosophischen Adepten unter ihnen)

eins vor ihr großes Maul kriegen.

Also z.B. die Neurofuzzis, solange sie meinen, nun bald der Weisheit letzten Schluss gefunden zu haben:

"Nach herkömmlicher Vorstellung ist es Götzendienst, wenn man eine geistige Wirklichkeit durch ein materielles und sinnlich faßbares Bild ersetzt. In seinem scharfsinnigen Büchlein (Saving the Appearances) stellt Owen Barfield einen Zusammenhang zwischen dem. biblischen Verbot der Götzenanbetung und jener Ehrfurcht gegenüber Modellen her, die in der modernen wissenschaftlichen Praxis so verbreitet ist. Sicherlich haben wissenschaftliche Modelle ihre Berechtigung. Nur, wann wird ein Modell zum Götzen, das heißt, wann wird es für etwas anderes als ein Modell gehalten? Wann wird es »Wirklichkeit«? Das Planetensystem als Modell für das Atom ist nur hilfreich, solange es nicht wörtlich genommen wird. Die Quantenphysik entdeckte schon vor langer Zeit die Gefahren des Götzendienstes. Neurophysiologen müssen das noch lernen. Für viele von ihnen ist das Gehirn zum Götzen geworden, zur Quintessenz des Menschen."
(Arthur Zajonc)

"Es bedarf größerer theoretischer Anstrengungen, die zahlreichen empirischen Befunde der bildgebenden Hirnforschung in eine umfassende und zeitgemäße Theorie des Geistes einzubinden. Außerdem müssen die Geisteswissenschaften bei Begriffsbildung und Interpretation von neurowissenschaftlichen Befunden miteinbezogen werden. Gerade die Neurowissenschaft als empirisch-naturwissenschaftlich geprägte Disziplin sollte immer wieder an ihre eigenen Einschränkungen erinnern. Sonst tritt an die Stelle von solider Interpretation der Ergebnisse komplexer neurowissenschaftlicher Experimente eine Hirndeutung, die aus bunten Scannerbildern wie aus den Klecksen eines Rorschachtests liest.
Solchen Auswüchsen muss die forschende Neurowissenschaft entgegentreten – will sie nicht in 50 Jahren ähnlich verspottet werden wie heute die Phrenologie des 19. Jahrhunderts."
(zitiert nach  Bild )

Inzwischen werden die Neurobiologen allerdings doch leiser:

  1. sah sich die Crème de la Crème ja doch genötigt, in einem Bild "Manifest" (!) die derzeitigen und prinzipiellen Grenzen ihrer Wissenschaft herauszustellen,

  2. haben anscheinend sogar den Papst der deutschen Neurobiologie, also Wolf Singer, der sonst andauernd die Willensfreiheit für erledigt hielt, laute Zweifel angewandelt:

"Ich bin davon überzeugt, dass wir heute weniger wissen, wie das Gehirn funktioniert, als wir vor 20, 30 Jahren zu wissen glaubten."
(zitiert nach  Bild )

  1. Und sein Kompagnon Gerhard Roth hat ergänzt:

"[...] man sieht, dass im Seelenbegriff der letzten 2500 Jahre alle Erklärungsnöte vorkommen, die wir heute noch mit dem Psychischen haben."
(zitiert nach  Bild )

  1. Und endlich wird jemand ein bisschen  "erkenntnistheoretisch beleckt":

"Gibt es also tatsächlich keinen freien Willen? Entscheidet das Gehirn quasi an unserem Bewusstsein vorbei? So einfach macht es sich Haynes nicht. Der Slogan »Freiheit oder Gehirn« ist ihm viel zu plump. Denn erstens sei das Gehirn ja Teil unserer Person; und zweitens müssten die Hirnprozesse konsistent sein mit all unseren Überzeugungen und Werten. »Wenn es manchmal heißt: ›Mein Gehirn hat so und so entschieden, ich kann nichts dafür‹, dann ist das Quatsch«, ärgert sich John-Dylan Haynes."
(zitiert nach Bild )

  1. "Viele Wissenschaftler sind [inzwischen wieder?] davon überzeugt, dass gesellschaftliche Einflüsse sowie Erziehung eine so große Rolle für das Denken spielen, dass der biologische Faktor fast bedeutungslos ist."
    (zitiert nach Bild )

  2. Bild

Oder eben - und das ist hier mein Anlass - Billig-Genetiker (vgl. auch Bild ).

(Wohlgemerkt: es liegt mir fern, die enormen Erkenntnisfortschritte auf diesem Gebiet in Frage zu stellen; und zwar schon allein deshalb, weil ich als Laie allemal zu wenig Ahnung habe und daher die Arbeit von Fachwissenschaftlern erstmal enorm respektiere.)

Ich wusste es ja schon immer, dass an einigen lauthals herausgekrähten Weisheiten der Genetik bald Zweifel aufkommen würden:

  1. dass mit der Entschlüsselung des Genoms auch sehr bald seine Funktionsweise (komplett!) verstanden sein werde;

  2. die "genetische Einbahnstraße", dass also kein Verhalten der Lebewesen in die Gene zurückwirken könne;

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(ich werde den Darwinismus [allerdings nicht in der dummdreisten Variante etwa eines Richard Dawkins] allemal gegen den [noch dümmeren] Kreationismus verteidigen

[und doch schließt - rein logisch gesehen - auch der Darwinismus Gott nicht aus],

aber ich lache mich dennoch kaputt, wenn irgendwann Larmarque wieder so geschützt wird, wie Darwin selbst ihn geschätzt hat); 

und inzwischen pfeifen es ja sogar die Spatzen (der Spiegel) von den Dächern:

  1. dass Erbinformationen überhaupt nur in den Genen gespeichert würden;

  2. dass Gene linear funktionierten (vgl. etwa "springende Gene"),

  3. dass es - schon allein die Bezeichnung ist die Spitze der Arroganz bzw. Dummheit! - "Gen-Schrott" bzw. DNS-Schrott gebe:

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(Süddeutsche Zeitung, 20.12.06)

  1. Bild
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Was mich bei vielen Billig-Wissenschaftlern so in Rage versetzt, ist nicht die

(durchaus begeistert vorgetragene [denn man kann sich ja nicht immer totdifferenzieren] und wohlbegründete)

Theorie/Vermutung/Hypothese, dass ..., sondern die dreiste Behauptung, dass ...

(Eine Menge Naturwissenschaftler braucht dringend Nachhilfe in Erkenntnistheorie.)

Die dreiste Behauptung ist das Vorrecht der jungen, vor Respektlosigkeit und Kreativität explodierenden Wissenschaftler, aber wenn jemand noch jenseits der 30 etwas als Gewissheit behauptet, blockiert er nur den (auch seinen eigenen!) wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt.

(Angeblich bringen Naturwissenschaftler nach ihrem 30. Geburtstag eh nichts Bedeutsames mehr hervor - und werden dann im Alter Wissenschaftsphilosophen bzw. -organisatoren. Aber könnte das daran liegen, dass sie ihre eigenen Theorien für allzu gesichert ansehen?)

Und überhaupt: wenn mir irgendjemand nach den Entdeckungen der Quantentheorie(!) noch unterjubeln will, irgendwas sei garantiert streng deterministisch ...

(wobei ich gleich hinzufüge, dass die [unverstandene] Quantentheorie allzu häufig Freifahrschein für allerlei Schwachsinn ist).

Die Natur wird nur um so staunenswerter, je mehr wir über sie erfahren!


Das Problem in Physik, Neurobiologie und Genetik ist wirklich, dass da allüberall nach wie vor

(und zwar bis in die höchsten Professorenämter)

die ewig gestrigen Mechanisten und wissenschaftstheoretisch-philosophisch Unbeleckten

(vgl. Bild )

die Lufthoheit über das Meinungsgebiet haben und (gar nicht mal so) neue Erkenntnisse überhaupt nicht publik werden:

"Sie [= die Vertreter der sogenannten synthetischen Evolutionstheorie] dominieren [...] noch immer einen Großteil der - überwiegend angelsächsischen - populärwissenschaftlichen Literatur über die biologische Evolution. Das beste Beispiel hierfür ist wohl das »egoistische Gen«, ein Begriff, mit dem Richard Dawkins [der ja auch mein Lieblingsschwachkopf ist!] seine globale Leserschaft seit 30 Jahren sowohl verführt wie täuscht."
(Wolfgang Wieser in seinem hervorragenden Buch Bild  )

Am fatalsten sind da aber wohl die Schulen, in denen beispielsweise die Physik immer noch fast vollends vor-relativitäts- und vor-quantentheoretisch, also rein mechanistisch ist

(weil die Relativitäts- und die Quantentheorie angeblich zu schwer ist und man ja sowieso bei Adam anfangen muss und dann nicht bis zu Eva kommt),

womit eine erhebliche Zahl von SchülerInneN abgeschreckt wird.

Und das eben, weil viele LehrerInnen

Vgl. auch Bild .


Zwei Dinge passen für mich prächtig zusammen:

  1. die Freude an neuesten Forschungsergebnissen und überhaupt ein lustvoller Forscherdrang,

  2. eine Skepsis, wie sie wohl überhaupt nur haben kann, wer ein historisches Bewusstsein hat:

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"»Geist und Bewußtsein sind nicht vom Himmel gefallen, sondern haben sich in der Evolution der Nervensysteme allmählich herausgebildet« - dies manifestierten Hirnforscher im Jahr 2004.
Auch diese Erkenntnis ist nicht vom Himmel gefallen, sondern das Ergebnis einer 200jährigen Geschichte. Dabei waren die Theorien der Hirnforscher, mit denen sie versuchten, Sprache, Denken, Einbildungskraft, Moral und Gefühle im Gehirn zu lokalisieren, zu keinem Zeitpunkt unabhängig von den kulturellen, sozialen und politischen Umständen, unter denen sie ihre Forschungen betrieben.
Die Cerebralisierung des Menschen ist ein unvollendetes und möglicherweise unvollendbares Projekt der Moderne. Neben faszinierenden Einsichten birgt es stets auch die Gefahr in sich, »Gehirn« mit Symbolen, Deutungen und Werten zu überfrachten und dadurch überzogene Erwartungen zu wecken, die nicht zu erfüllen sind oder zu heiklen biopolitischen Forderungen führen. Anthropologische Ansprüche an die Hirnforschung bewegen sich eher an der Grenze zwischen Science und Fiction. Vor dem Hintergrund dieser Debatten plädiert Michael Hagner für einen gelassenen und (selbst-)kritischen Umgang mit ihren Ergebnissen."
(Klappentext)