Hochsicherheitsgefängnis Schulmathematik

Unter der Volksbildungsministerin Margot Honecker war auch der gesamte Unterricht aller Jahre

(in sämtlichen Fächern, also nicht nur, wie bei "uns", in Mathematik)

komplett (nämlich tatsächlich jede Stunde) vorstrukturiert bzw. eingegrenzt.

(Viele, die derzeit nach pädgogischer Zentralisierung und Objektivierung schreien, ahnen wohl kaum, in welch gefährliche Nähe und Tradition sie sich da stellen. Ihnen sollte doch immerhin auffallen, dass neuerdings die von ihnen ach so gehasste PDS pädagogisch [bis hin zu Kinderhorten] die "gute alte DDR" wiederentdeckt.)


Ein Lehrer hat mal eine wunderschön verzweigte Unterrichtseinheit zu einem mathematischen Thema verfasst, die unter anderem auch einen "Lehrgang" enthielt. Andere LehrerInnen, die diese Unterrichtseinheit übernahmen, haben dann überhaupt nur noch diesen "Lehrgang" unterrichtet.

Da haben wir´s nun mal wirklich in Reinkultur: das (unter dem Stoff- und Klausurdruck allemal verständliche) Schmalspurdenken.

(Dabei habe ich rein gar nichts gegen einen gemütlichen "Wald-Lehrgang", bei dem der Kundigere den Unkundigen an der Hand nimmt und ihm einiges erklärt. Aber darüber darf doch nicht das Wandern und Staunen abhanden kommen.)


Insbesondere KollegInnEn anderer (u.a. geisteswissenschaftlicher) Fächer fassen sich ja nur noch entgeistert an den Kopf, wenn sie dann doch mal genauer erfahren, was im Schulfach Mathematik los ist:

(wenn überhaupt, so nur methodische: "der Satz des Pythagoras [der ja wirklich wichtig ist!] kommt so sicher wie das Amen in der Kirche; ich kann ihn höchstens mal anders unterrichten");

(Wenn man nach einem ersten Durchlauf sein Konzept für alle Jahrgänge fertig hat, kann man alle Ewigkeiten darauf rum unterrichten; und wahrhaft der Tod aller Kreativität ist der Unterricht an [egal welchen] Schulbüchern entlang.)

Mit "in jedem Schuljahr exakt dasselbe" meinte ich erst nur, dass z.B. in allen 9. Klassen seit Anbeginn der typische 9.-Klasse-Stoff unterrichtet wird (reelle Zahlen, Satz des Pythagoras ...) und entsprechend in den anderen Klassenstufen der jeweilige, ewig gleiche Jahrgangsstoff. Erst im Nachhinein habe ich bemerkt, dass "in jedem Schuljahr exakt dasselbe" aber auch bedeutet: z.B. in der 5. Klasse dasselbe wie in der 13. Klasse!: die Stoffe werden zwar immer schwieriger, aber letztlich wird immer dasselbe damit getan: "Löse die Aufgabe - und rechne, rechne, rechne." Manchmal wundert es mich wirklich, weshalb SchülerInnen das jahrelang so brav mitmachen, bzw. es wundert mich überhaupt nicht mehr, dass sie völlig resigniert "Dienst nach Vorschrift" fahren ("wenn´s sein muss, rechnen wir den letzten Mist").


Kein Zweifel, für solche vorgefertigte Komplettstrukturierung gibt es durchaus gute Gründe:


Ich höre schon den Widerspruch: etwa in den Rahmenrichtlinien für das Fach Mathematik in NRW werde doch ausdrücklich zwischen "Obligatorik" und "Freiraum" unterschieden.

Nur ist das weitgehend

die "Obligatorik" ist derart vollgepfropft

(und wird - ein typisches Schulproblem - immer weiter vollgepfropft: man nimmt sich immer mehr [oftmals ja durchaus Sinnvolles] vor, ohne aber zu bedenken, wie man dafür Platz und Zeit schafft, also anderswo streicht),

dass für den Freiraum kaum mehr Zeit bleibt:

Immerhin die richtige Perspektive zeigt sich in den neuen baden-württembergischen Richtlinien:

"Um den unterrichtlichen Freiraum der Kolleginnen und Kollegen zu erweitern, wurden die Inhalte teilweise »kompakter« und bewusst unschärfer formuliert, außerdem ermöglichen Wahlmodule die Betonung individueller Schwerpunkte."

(und dann folgt - welch Widerspruch in sich! - doch ein Zentralabitur; also auch alles wieder nur Vorwand: die Lehrkraft darf die vorgefertigten Werkstücke nur bunt anmalen bzw. mit Verzierungen versehen!

A propos "unschärfer": meiner Erfahrung nach halten Dezernenten sowas letztlich doch nur für schönen Nippes ["großes Lob für Ihre Kreativität"], aber "leider, leider" nicht prüfungsgeeignet: da brechen sie in panische Angst aus - wie sie ja sowieso alles tun, um im Zweifels-, also Widerspruchsfall nicht selbst belangt werden zu können.)


Wenn also das Schulfach Mathematik so schon vom Ansatz her falsch konstruiert ist, bleibt nur noch

Um konstruktiv zu werden, statt nur zu sagen, was ich nicht will:

ich würde überhaupt nur noch die grundlegenden "Ideen" (also das, was Mathematik im eigentlichen Sinne ausmacht) vorschreiben, also z.B.

 

  • "Aufbau der Mathematik",

  • "Zahlbereiche",

  • "Wechselspiel Geometrie/Algebra",

  • "Beweisbarkeit und Beweisverfahren",

  • "Limes",

  • "Ableitung und Integration",

  • "Wahrscheinlichkeit",

  • "Mathematik im interdisziplinären Wechselspiel mit anderen Schulfächern",

  • "Mathematisierung »realer« Probleme und Aussagekraft mathematischer Lösungen im Hinblick auf Anwendungen",

  • "Geschichte der Mathematik",

  • "Mathematik im gesellschaftlich-kulturellen Umfeld" ...

(wobei zumindest die letzten 2 ½ Punkte im üblichen Schulunterricht bislang überhaupt nicht vorkommen)

Ansonsten reichen pro Schuljahr einige wenige technische Verfahren

(z.B. in der 9. Klasse als einzige Vorschriften: Rechnen mit irrationalen Zahlen und "der Satz des Pythagoras").

All das ergäbe (für alle Jahrgänge zusammen und alle Schulen Deutschland!) eine Din-A-4-Seite

(und damit wären hunderte hochbezahlter Kultusbürokraten arbeitslos).