oder  

 

"Weil die Algebra damals [im alten Griechenland] noch nicht sehr weit entwickelt war, entsprangen die meisten klassischen Probleme aus dieser Zeit der Geometrie. Fast immer handelte es sich dabei um Konstruktionsaufgaben. Die Lösungsbedingung war dabei, dass als Hilfsmittel nur ein Stift, ein Zirkel und ein Lineal verwendet werden durften. Zu den wichtigsten dieser alten Probleme zählen die folgenden:

  1. die Konstruktion eines Quadrates, das eine gleich große Fläche hat wie ein vorgegebener Kreis (»Quadratur des Kreises«)
  2. die Unterteilung eines vorgegebenen Winkels in drei gleich große Teilwinkel
  3. die Konstruktion der Kantenlänge eines Würfels, der genau das doppelte Volumen besitzt wie ein vorgegebener Würfel
  4. die Konstruktion eines regelmäßigen Siebenecks, Neunecks, Elfecks usw.

[...]
Jarhundertlang bemühten sich die bedeutendsten Mathematiker vergeblich, diese klassischen Probleme zu lösen. Erst im 19. Jahrhundert gelang es, mathematisch exakte Nachweise zu liefern, dass sie allein mit Lineal und Zirkel nicht lösbar sind. Diese Beweise sind teilweise sehr kompliziert und lassen sich in der Regel nur schwer nachvollziehen. Der Schlüssel zu ihnen liegt in der zurückführung der geometrischen Aufgaben auf die algebraische Fragestellung, ob sich eine dem jeweiligen Problem adäquate Gleichung allein durch das Ziehen von Quadratwurzeln lösen lässt. Nur dann nämlich wäre eine Konstruktion mit Zirkel und Lineal möglich.
[Beispielsweise] Das Problem, einen Würfel zu verdoppeln, führt zu der Gleichung x3 = 2, wobei x das Verhältnis der Kantenlänge des gesuchten Würfels zu der des gegebenen Würfels ist. Das ist eine Gleichung dritten Grades, von der sich leicht zeigen lässt, dass sie sich durch das Ziehen von Quadratwurzeln nicht allgemein lösen lässt. [...]"
(zitiert nach Bild  , S. 303f; farbliche Hervorhebungen von mir, H.St.)

vgl. auch

Vorweg, damit von Anfang an jeder falsche Eindruck abgewürgt wird:

  1. halte ich "meine" SchülerInnen nicht für doof,
  2. sind sie schon gar nicht dümmer als andere SchülerInnen, sondern scheinen sie mir durchaus repräsentativ zu sein,
  3. gebe ich aber auch nicht pauschal "dem" Standardunterricht die Schuld, sondern vielmehr sind eine Menge Details der Mathematik auch "im besten aller Unterrichte" wahrhaft nicht so einfach, wie es auf "Expertensicht" scheinen mag.

Des weiteren sei schon vorweg eingestanden, dass ich im Folgenden

  1. und vor allem zeige, wie wenig anschaulich die Mathematik oftmals für SchülerInnen ist, womit dieser Aufsatz also eigentlich gerade nicht in die Rubrik Bild gehört;
  2. selbst sehr kompliziert, also unanschaulich argumentiere

(aber ich schreibe ja auch nicht für SchülerInnen, sondern für LehrerInnen, und zwar, um ihnen gerade zu zeigen, wie schwierig das nur scheinbar Einfache ist),

  1. mich (fast ein wenig feige) um alle konkreten "Rezepte" zur Überwindung der massenhaften aufgezählten Schwierigkeiten drücke.

So paradox es wohl klingt: ich zeige im Folgenden durchaus frohgemut schmunzelnd, was eineN LehrerIn manchmal regelrecht in Verzweiflung und Resignation treiben kann.


Was war passiert, dass ich prompt wieder die nahen sah?

Zur Vorbereitung auf die zentrale Prüfung für den mittleren Schulabschluss hatte ich in "meiner" 10. Klasse u.a. eine Liste aus dem Buch Bild durchgenommen, mittels derer die SchülerInnen ihre individuellen Stärken und Schwächen in verschiedenen Teilgebieten der Mathematik herausfinden konnten

(und ich die Probleme, bei denen allgemein Nachholbedarf bestand).

Die abgeprüften Teilgebiete waren dabei

(... wobei diese Liste erstmal noch weitgehend innermathematisch bleibt, während in der Zentralprüfung wie auch in  Bild durchaus auch "Anwendungsaufgaben" [ein ganz anderes Problem] vorkommen.)

Nun hatte ich bei so einigen - aus meiner Sicht - schwierigeren Themenbereichen

(z.B. "Prozent- und Zinsrechnung", "Geometrie im Raum" oder "Wahrscheinlichkeitsrechnung")

mit Problemen gerechnet, nicht aber damit, dass die größten Probleme bei sowas

(wieder: aus meiner Sicht)

Simplem wie

Bild

auftraten.

Nun, im Nachhinein wundert´s mich fast schon gar nicht mehr

(genau das aber passiert - unvermeidbar? - allzu oft: im Nachhinein

[wenn also "das Kind schon in den Brunnen gefallen ist"]

sieht man als LehrerIn sehr gut, wofür man vorher mit [Betriebs-]Blindheit geschlagen war, nämlich dass und warum SchülerInnen eine scheinbar ach so einfache Aufgabe nicht verstehen und lösen konnten; und oftmals sieht ein Dritter [einE andereR LehrerIn] es sogar noch viel besser als man selbst):

  1. ist vermutlich für SchülerInnen schlichtweg der hochtrabende Begriff "Lineare Gleichungssysteme" nicht (mehr) bekannt, und in Folge davon können sie dann auch nicht die Teilaufgaben b) bis e) lösen

(ich vermute sogar, dass auch die Anspielung "linear/Lineal/Gerade" von vielen SchülerInnen nicht verstanden wird, denn "linear" klingt eben auch nach [evtl. "krummer"] Linie);

  1. wird in der Aufgabe (vermutlich durchaus absichtlich) ganz erhebliche Flexibilität erwartet:

(oder genauer: man kann die letzte Aufgabe auch langwierig algebraisch lösen

[bzw. die Nichtlösbarkeit nachweisen],

aber viel einfacher ist es

[und genau solch verkürztes Lösen ist (nicht nur in Zentralprüfungen) so wichtig!],

wenn man geometrisch argumentiert).

  1. und vor allem aber ist die Beziehung Algebra/Geometrie nicht oder höchstens indirekt "mitformuliert": dass also lineare (!) Gleichungen (Algebra!) Geraden (Geometrie!) "meinen".

Bzw. die Kombination aus der ersten und den restlichen Teilaufgaben suggeriert nur unausgesprochen diesen Zusammenhang.

Damit haben wir aber auch schon das

(von den Autoren der Aufgaben offensichtlich angezielte)

Grundproblem, das sich dann auch bei der Besprechung der Aufgaben im Unterricht überdeutlich zeigte:

Die SchülerInnen müssen

(können bislang aber leider oftmals nicht)

permanent gleichzeitig algebraisch und geometrisch denken, bzw. sie müssen beim (algebraischen) Rechnen eine (geometrische) Anschauung haben:

Bild
 

Ich wette, viele Schülerprobleme würden verschwinden, wenn die SchülerInnen in der (in der Schule zentral wichtigen) Funktionenlehre


Als sich im Unterricht zu den o.g. Gleichungssystemaufgaben massive (unten genauer gezeigte) Probleme ergaben, brach ungeplant aus mir heraus, was man SchülerInnen wohl nicht so deutlich ins Gesicht sagen sollte, weil es sie abgrundtief frustrieren muss, wenn nicht sogar (immer ungerecht) kollektiv beleidigt:

"Wenn SchülerInnen nichtmal das können, haben wir sie tatsächlich mal beim Wickel, die PISA-Katastrophe!"

Aber ich habe dann doch sofort ergänzt:

"Aber hier sehen wir nicht das Versagen »der« SchülerInnen, sondern das »der« Schule bzw. »des« [auch meines!] Mathematikunterrichts."

(Nebenbei: "die" SchülerInnen waren dabei natürlich mit - arg pauschal - allen vor allem doch auch alle gerade vor mir sitzenden.)


Als ich mal im Referendariat zu SchülerInnen

"Zeichnet an die Parabel                                            y = x2 im Ursprung eine Tangente!"

sagte, wurde ich nachher von meinem heißgeliebten Fachleiter mit dem schönen Namen Fiesemann barsch gemaßregelt. Das müsse heißen ("und wie oft soll ich´s Ihnen noch sagen?!"):

"Zeichnet an die Parabel zu der Funktionsgleichung y = x2 im Ursprung eine Tangente!"

Er bestand also schlichtweg auf einer klare(re)n Trennung zwischen Geometrie und Algebra.

Bislang hatte ich nur zwei Argumente gegen solche (kleinkariert-übertriebene?) sprachliche Sauberkeit, nämlich dass

(oftmals reicht sogar "zeichne da [Zeigefinger auf den Ursprung einer an die Tafel gezeichneten Parabel] dran eine Tangente").

Inhaltlich hatte ich dem Fachleiter aber nichts entgegenzusetzen - und bin mir bis heute nicht ganz sicher, was besser ist:

(Anfangs ist zweifelsohne Letzteres wichtig: man lasse die SchülerInnen erstmal reden, statt ihnen gleich zwecks überkorrekter Fachsprache übers Maul zu fahren [und damit alle Verbindungen zu ihren Vorerfahrungen zu kappen?]. Und dennoch: setzt sich dann nicht gleich Falsch-Undifferenziertes fest?)

Denn

Geradengleichungen SIND Geraden,

Algebra IST (hier) Geometrie


 

"[Es ist] närrisch, [...] darüber zu streiten, ob Algebra oder Geometrie das korrekte Verfahren zum Problemlösen in der Wissenschaft ist. Es hängt doch davon ab, welches Problem man in den Griff zu bekommen versucht."
(John Maynard Smith)

Die

Bild
"Hochzeit" von Algebra und Geometrie

ist aber keineswegs nur ein nettes Bonbon für Anfänger, auf das man im Nachhinein schmunzelnd oder gar verächtlich herabschauen dürfte, sondern (auch) ein zentrales Projekt der gesamten Mathematikgeschichte:

"Jedes geometrische Problem ließ sich zumindest algebraisch ausdrücken, wenn schon nicht sofort lösen, und aus jeder Verbesserung oder Entdeckung in der Algebra konnte sich eine Anwendung oder Interpretation in der Geometrie ergeben. Die Kenntnisse über Raum und Zeit [...] wurden dadurch innig miteinander verflochten und unauflöslich miteinander verbunden. Von da an war es fast unmöglich, eine der beiden zu verbessern, ohne auch die andere zu verbessern. Das Problem, Tangenten an Kurven zu legen, führte zur Entdeckung der Differentiale, das der Längen- und Flächenberechnung zur Umkehrung der Differentiale, zu den Integralen, die Untersuchung der Flächenkrümmung zum Verfahren der partiellen Differentiale, das isoperimetrische Problem zur Variationsrechnung. Und umgekehrt fanden alle diese großen Fortschritte in der Algebra sofort ihre Anwendung auf die Geometrie und führten zur Entdeckung neuer Beziehungen zwischen Punkten oder Linien oder Flächen."

Bild
William Rowan Hamilton
(1805-1865)

Auch in der simplen Schulmathematik (als Spiegel der Mathematikgeschichte) wird diese "Dauer-Hochzeit" schön deutlich:

 
w w w
 
 
s s s
 
 
s w s
 

(Nebenbei: es ist fast typisch, dass dieses langfristige Vorhaben in Schulen üblicherweise kaum je explizit benannt wird, was ja auch hieße: stolz auf das jeweils Erreichte zu sein, aber auch zu wissen, was noch ungelöst ist und später einer Lösung harrt: also ein Ziel vor Augen zu haben. Schuljahrsübergreifende Perspektiven kommen in Schulen kaum je vor, und zwar schon gar nicht in die Zukunft [man stapft blind in sie hinein], und wenn in die Vergangenheit, dann meist mit dem Unterton "auch das habt ihr leider schon wieder vergessen".)


Je mehr ich mich mit

Bild

beschäftige, desto weniger wundert es mich, dass "meine" SchülerInnen genau damit

(und nicht mit den anderen o.g. Teilgebieten)

so massive Probleme hatten, desto fataler erscheint es mir allerdings auch. Denn schließlich wird gerade in diesen Aufgaben zu "Linearen Gleichungssystemen" für Großteile der Schulmathematik GRUNDLEGENDES abgeprüft

(wobei die Geraden nur der Aufhänger sind; das "Grundlegende" gilt genauso für kompliziertere Funktionenarten, aber wie sollen SchülerInnen es bei solch komplizierteren Funktionenarten beherrschen, wenn sie es nicht mal bei Geraden können?!):

  1. - wie schon gezeigt - ein permanenter Wechsel Geometrie/Algebra,
  2. Überblickswissen (ohne Rechnen), wie viele Lösungen eine (lineare) Gleichung bzw. ein Gleichungssystem überhaupt haben kann;
  3. das Wissen, dass alle Gleichungen zu allererst in die Form "y =  " gebracht werden müssen,
  4. das Wissen, wann ein x und ein y Lösungen eines Gleichungssystems sind; oder noch simpler (schwieriger): was überhaupt eine "Lösung" ist,
  5. das Problem der (insbesondere sich rechnerisch ergebenden) Unlösbarkeit.

Die Autoren der Aufgabe haben also in vielfacher Hinsicht (u.a. - wie gezeigt - durch permanenten Wechsel) dafür gesorgt, dass in ihrer Aufgabe alle nur erdenklichen Schwierigkeiten und gängigen Fehlermöglichkeiten vorkommen

(man könnte auch sagen: sie haben allüberall Fußangeln gelegt, wobei ich unterstelle, dass sie das getan haben, um potentielle Fehler aufzuzeigen und somit für die Zukunft zu vermeiden; und doch muss das fast als böswillig "rüberkommen").

Die fünf so kurz und knapp daherkommenden Teilaufgaben sind also ein Destillat der halben Schulmathematik.

Und genau das ist das Problem: einE MathematiklehrerInnen sieht sofort (wie die Autoren), wo all die kleinen "Gemeinheiten" untergebracht sind und die "Schwenks" vorliegen. Aber gerade wegen der Kürze ist es vielen SchülerInnen wohl kaum möglich, ebenfalls so schnell "Haken zu schlagen".

"Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein" bzw. "Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem Auge bemerkst du nicht? Du Heuchler!": ich selbst habe ja allzu oft

(und zwar leider regelmäßig erst im Nachhinein, also bei der Korrektur von Klassenarbeiten)

bemerkt, dass meine Aufgaben allzu knapp und stringent, manchmal aber auch zu "mathematisch indirekt" formuliert waren und SchülerInnen deshalb kaum eine Chance hatten, sie überhaupt zu verstehen, geschweige denn zu lösen

(Oder genauer: SchülerInnen versuchen unter Druck, alles zu lösen, und zwar auch dann, wenn sie es nicht verstanden bzw. gar nicht gemerkt haben, dass sie es nicht verstanden haben.)

Diese "Stringenz" erscheint mir inzwischen oftmals als Rohrkrepierer: eigentlich ist sie dazu gedacht, SchülerInnen Schwierigkeiten zu ersparen, in Wirklichkeit erzeugt sie aber oftmals überhaupt erst diese Schwierigkeiten.

(Schon allein die Formulierungen vieler Matheaufgaben in der Schule wären allermal einer Doktorarbeit würdig!)


Schauen wir uns nun bei einem genaueren Durchgang durch die Teilaufgaben und ihren sukzessiven Lösungen an, was daran so - wie eben behauptet - GRUNDLEGEND ist, wo aber auch die enormen Schwierigkeiten "meiner" SchülerInnen lagen:

a)    "Haben zwei Geraden unterschiedliche Steigung, so schneiden sich diese."

Es gibt eine fatale Suggestivität solch knapper Behauptungen.

(Vgl. etwa die altbekannte Anekdote

„Auf einem Schiff befinden sich 26 Schafe und 10 Ziegen. Wie alt ist der Kapitän?“

und dass die meisten SchülerInnen angeblich prompt versucht haben, diese Nonsens-Aufgabe zu lösen. Das Beispiel wird allerdings in der Regel nicht benutzt, um die Dummheit "der Jugend von heute", sondern vielmehr, um die Schwachsinnigkeit vieler typischer [deutscher!] Matheaufgaben aufzuzeigen; oder genauer: um zu zeigen, wie schwachsinnig viele innermathematisch durchaus sinnvolle Aufgaben auf SchülerInnen wirken, so dass sie irgendwann denken: "Wenn der Mathelehrer das will, löse ich ihm [und einer guten Note] zuliebe jeden Scheiß."

Nun scheint mir die Kapitäns-Aufgabe aber weniger bezeichnend für den "deutschen" Mathematikunterricht als ganz allgemein für die Funktionsweise der "menschliche Psyche"

[und so gesehen besagt die Anekdote vielleicht reichlich wenig über "die" deutsche Schulmathematik]:

man hält Behauptungen, die so dreist vorgetragen werden, erstmal automatisch für wahr bzw. sinnvoll.

[Der Autor der Kapitäns-Aufgabe hat sie ja offensichtlich gerade mit diesem Ziel erschaffen und wusste garantiert schon vorher, dass die SchülerInnen darauf reinfallen würde. D.h. seine Aufgabe war eine "selbsterfüllende Prophezeiung."]

Ein schönes Beispiel ist da Literatur: vielen Leuten gelingt es nicht, sie wörtlich zu nehmen, d.h. auch ihre Brutalität herauszuhören, sondern sie hören allüberall nur "Verblümtheit".

Dabei funktioniert Literatur - wenn überhaupt - umgekehrt: man glaubt auf Anhieb erstmal alles, was man hört [und ist z.B. entsetzt über den Buchtitel "Ein brennendes Pferd"], und denkt erst in einem zweiten Schritt [und erleichtert]: "Das ist doch wohl nicht wörtlich gemeint."

Genau auf solchem Auf-Anhieb-erstmal-Glauben beruht überhaupt jegliche Fiktion [z.B. auch spannender Filme], denn sonst würden wir ja immer nur sagen: "Ist doch alles nur Fiktion."

Nach solchem (für mich typischen) ellenlangem Exkurs aber zurück zur Aufgabe a): Jeder - also auch MathelehrerInnen - hält ihre Behauptung, so behaupte ich nun meinerseits, erstmal für wahr - und überlegt (wenn überhaupt) dann erst, ob die Behauptung auch wirklich stimmt.

"wenn überhaupt": mir scheint, dass viele SchülerInnen diesen zweiten Schritt aufgrund der einschüchternden Suggestivität der Aufgabe eben nicht mehr gehen können

- und bei dieser ersten, noch sehr einfachen Aufgabe/Aussage a) auch nicht zu gehen brauchen: sie ist tatsächlich wahr.

Aber es wäre dennoch fatal, wenn SchülerInnen jeder Aufgabe zustimmen würden, nur weil sie so suggestiv daherkommt. Das heißt aber, dass sie eben doch auch die Aufgabe a) "problematisieren" müssen, z.B.:

"Wie liegen denn zwei Geraden zueinander, die keine unterschiedliche, also dieselbe Steigung haben?"

Anders gesagt: hier wird indirekt umfassendes Wissen über alle Lagemöglichkeiten zweier Geraden zueinander erwartet, zumal die Aufgabe a) genauso gut ja auch lauten könnte:

"Haben zwei Geraden dieselbe Steigung, so haben sie keine gemeinsamen Punkte."

... was, wie wir anhand identischer Geraden sehen werden, falsch ist.

"Genauso gut"?: es mag ja "psychologisch" sinnvoll sein, erstmal mit einer wahren Aussage anzufangen, aber so geht das genannte Buch Bild ja eben nicht vor, sondern selbst die Antwortmöglichkeiten in den verschiedenen Teilgebieten sind geradezu mathematisch systematisch variiert

(z.B.

  • zu "Zahlen und Größen"
    • wahr
    • falsch
    • falsch
    • falsch
    • falsch,
  • zu unserer Aufgabe "Lineare Gleichungssysteme"
    • wahr
    • wahr
    • wahr
    • wahr
    • falsch,
  • zu "Wahrscheinlichkeitsrechnung"
    • falsch
    • wahr
    • wahr
    • wahr
    • wahr).

Und spätestens die Aufgabe b) schreit dann ja regelrecht nach Überlegungen, wie zwei Geraden zueinander liegen können und wie viele Schnittpunkte sie dann jeweils haben (s.u.).

Schauen wir uns also die Alternativbehauptung

"Haben zwei Geraden dieselbe Steigung, so haben sie keine gemeinsamen Punkte."

genauer an: sie ist in ihrer Suggestivität erheblich gefährlicher, denn zwei Geraden mit derselben Steigung

(es war ja wohlweislich - und gleichzeitig für SchülerInnen vermutlich schwer irritierend - nicht mehr von "Schnitt-", sondern von "gemeinsamen" Punkten die Rede),

womit die Behauptung falsch wäre.

Hier stapeln sich für SchülerInnen aber vermutlich bereits die Schwierigkeiten:

  1. ist die Alternativbehauptung - umgangssprachlich gesagt - halb wahr, also - mathematisch gesagt - ganz falsch;

(es war bei einer anderen Aufgabe aus dem o.g. Buch enorm schwierig, den SchülerInnen zu vermitteln, dass die Lösungsmenge L = {8} [ganz] falsch ist, wenn in Wirklichkeit die beiden Lösungen x = 8 und x = - 8 vorliegen);

  1. werden SchülerInnen vermutlich

(auch wenn das mal im Unterricht "dran" war)

gar nicht an die Möglichkeit denken, dass zwei Geraden identisch sein können. Und zwar werden sie aus allerbestem Grund nicht daran denken, denn wenn zwei Geraden identisch sind, sind es ja eben gar nicht (mehr) zwei Geraden, sondern ist es eine einzige.

Hier zeigen sich erhebliche Grundsatzprobleme: MathematikerInnen sprechen - wie so oft - von zwei Dingen, wenn nicht auf Anhieb absehbar ist, dass sie letztlich doch identisch sind.

(Oder manchmal suchen sie auch umgekehrt nach der [einer!] Lösung einer Gleichung und stellen erst später fest, dass es doch mehrere Lösungen oder auch gar keine gibt. Wichtig dabei ist allerdings, dass sie -nach einschlägig-schlechten Vorerfahrungen - immer wachsam sind [sein sollten], weil sie wissen, dass sich hinter einer Variablen mehrere Lösungen oder eben gar keine verbergen können.)

Und das führt regelrecht zu sprachlichen Schwulitäten und infolgedessen auch/ausgerechnet in der Mathematik zur Unlogik: es gibt keine Möglichkeit, gleichzeitig im Singular und Plural zu sprechen, ja auch noch das eventuelle Nichtvorhandensein mitzuformulieren, bzw. wenn überhaupt, so müsste es verschwurbelt heißen:

"Ich suche die (nicht vorhandenen) Lösung(en)."

b)     "Lineare Gleichungssysteme besitzen nie genau zwei Lösungen."

Schon oben war darauf hingewiesen worden, dass

(dass da ein Zusammenhang vorliegt, mag man [als LehrerIn] für [allzu] selbstverständlich halten, wird hier aber nicht explizit gesagt, sondern nur durch die gemeinsame Behandlung in einer Aufgabe nahegelegt);

Was heißt eigentlich "nie genau zwei Lösungen"?

(Irritierend für SchülerInnen scheint mir auch "genau zwei Lösungen", denn gibt es auch "ungefähr zwei Lösungen"?)

Doch wohl - aber eben das ist gar nicht so einfach zu erschließen - "alles andere als zwei Lösungen, also z.B. gar keine, eine, [nicht zwei], drei, vier ... unendlich viele"

(wobei ja oben schon gezeigt wurde, wie schwierig es ist, überhaupt auf identische Geraden und damit unendlich viele Lösungen zu kommen).

Natürlich kann man die Behauptung auch rein algebraisch überprüfen: wenn man zwei lineare Gleichungen "gleichsetzt"

(ein Problem, auf das noch zurückzukommen sein wird),

ergeben sich als Möglichkeiten

(das könnte man in einem ersten Schritt auch an Gleichungen mit konkreten Werten durchspielen):

(und dann - gleich das nächste Problem - kann man auch das zugehörige y berechnen [s.u.]; und ein weiteres, unten ebenfalls zu behandelndes Problem ist dann, was x und y eigentlich geometrisch bedeuten),

es gibt also eine Lösung;

(Gerade die zweite und die dritte Möglichkeit sind aber keineswegs so einfach, wie man meinen mag:

  • verständlicher ist noch: wenn in "3 = 4" gar kein x mehr vorkommt, so bedeutet das, dass die Anfangsaussage für gar kein x gilt, also immer falsch ist;
  • viel vertrackter ist hingegen: wenn in "3 = 3" gar kein x mehr vorkommt, so bedeutet das, dass die Anfangsaussage für alle x gilt, also immer richtig ist.

[Genauso gehirnausrenkend sind für SchülerInnen oftmals die Lücken in Gleichungen wie y = 3x [wo ist da der y-Achsenabschnitt?] und y = 4 [wo ist da die Steigung?], und zumindest letztere wird meist gar nicht als ebenfalls lineare Gleichung erkannt.

Und es sagt sich auch allzu leicht, dass man solche "Betriebsunfälle" leicht verhindern könne, wenn man im Vorunterricht mehr Ausnahmen statt fast immer nur die Regel durchnähme: wie soll denn dann die Regel erkennbar werden?]

Überhaupt ist das Vorgehen hier gerade deshalb so schwer einzusehen, weil es so umwerfend einfach ist: MathematikerInnen führen oftmals komplexe, ihnen unverständliche Sachverhalte auf Banalitäten [nämlich z.B. 3 = 3 und 3 ≠ 4] zurück.

Und allemal irritierend ist es auch, dass sich im Fall 3 = 4 eben nicht ein ≠, sondern fälschlich ein = ergibt.

Interessant wäre es auch, wie man die verschiedenen Möglichkeiten möglichst schnell an den Gleichungen ablesen kann, was aber wieder am einfachsten ist, wenn man auch geometrisches Verständnis einbringt:

  • wenn die Steigungen der beiden Geraden ungleich sind (bei beliebigen, also evtl. unterschiedlichen y-Achsenabschnitten), schneiden sie sich in genau einem Punkt, kommt also algebraisch ein konkreter x-Wert heraus

[nebenbei: wenn die Steigungen unterschiedlich, die y-Achsenabschnitte aber gleich sind, schneiden sich die beiden Geraden "der Einfachheit halber" auf der y-Achse, weiß ich also insbesondere auch schon: der x-Wert des Schnittpunkts ist 0 und sein y-Wert ist der y-Achsenabschnitt, den ich aus beiden Gleichungen direkt ablesen kann];

  • wenn die Steigungen unterschiedlich sind, gibt es zwei Möglichkeiten:
    • die y-Achsenabschnitte sind unterschiedlich, d.h. die beiden Geraden sind parallel, es gibt keine algebraische Lösung und es ergibt sich a = b;
    • auch die y-Achsenabschnitte sind gleich, d.h. die beiden Geraden sind identisch, es gibt unendlich viele algebraische Lösungen und es ergibt sich a = a.)

Insgesamt gibt es also

Die arg umständliche Formulierung

"Lineare Gleichungssysteme besitzen nie genau zwei Lösungen."

ist also wahr!

Nun ist aber solch eine algebraische Argumentation höchst abstrakt und wohl auch wahrhaft (von der Aufgabenstellung her) nicht naheliegend

(mal ganz abgesehen von den vielfältigen bereits angedeuteten, unten aber teilweise noch genauer zu erörternden Problemen).

Kommt hinzu, dass die zentralen Prüfungen ja alle nach dem Motto Bild funktionieren, man also bei der enormen (unsinnigen!) Aufgabenfülle kaum Zeit für solch langwierige Lösungen hat.

Die SchülerInnen werden also nicht drumherum kommen, sich die Arbeit zu vereinfachen (und das Problem zu veranschaulichen!), indem sie zu (nicht mitgenannten!) geometrischen Überlegungen übergehen: wie viele Schnittpunkte können zwei Geraden haben?:

  1. , wenn sie parallel sind, keinen,
  2. , wenn sie sich schneiden, einen,
  3. , wenn sie identisch sind, unendlich viele.

Also gibt es

(selbst wenn die SchülerInnen aus guten Gründen [wie oben gezeigt] nicht an die Identität denken)

auf keinen Fall zwei Schnittpunkte. Auch somit ist also die Behauptung wahr.

(Nebenbei, wo ich hier schon so radikal-minutiös jeden Pups problematisiere: ist es eigentlich so selbstverständlich, dass SchülerInnen erkennen, dass zwei Geraden unter keinen Umständen zwei Schnittpunkte haben können?

Merken sie, dass beispielsweise die Gerade g2 "rückläufig - - -" sein müsste, damit zusätzlich zum ersten Schnittpunkt S1 auch noch ein zweiter Schnittpunkt S2 zustande käme, und dass damit g2 eben keine "ewig stur geradeaus gehende" Gerade mehr wäre?:

Bild

Ich höre schon die Antwort sturer MathelehrerInnen: so dumm könne man doch gar nicht sein, sowas nicht zu sehen.

Ich bin mir aber gar nicht so sicher, dass SchülerInnen das automatisch sehen, und halte sie auch keineswegs prompt für dumm, wenn sie es nicht sehen.

Sondern hier haben wir in abgewandelter Form wieder mal das Problem Bild, dass also mathematische Gegenstände (hier Geraden) für viele SchülerInnen nichts mit alltäglichen zu tun haben:

ich kann doch nur dringend empfehlen, bei solchen Aufgaben wie eben der hier vorliegenden "Lineare Gleichungssysteme" mit [geraden!] Stiften, die ja jedeR SchülerIn dabei hat, zu hantieren und alle Einzelaufgaben daran zu überprüfen. SchülerInnen rechnen mir viel zu viel, statt (anfangs) etwas zu tun.

Und solches Hantieren mit konkreten Gegenständen sollte auch schon vorher im Unterricht Standard gewesen sein, denn sonst tut´s [traut es sich ja] keineR in einer Klassenarbeit.

Ich glaube, dass auch die Aufgabensteller keineswegs so brutal-abstrakt gedacht haben, wie es auf Anhieb scheinen mag, sondern dass sie glatt im Gegenteil immer anschauliches Vorgehen mit "eingerechnet" haben.)

c)     "Das Gleichungssystem I 2x + y = 3; II x = y + 3 kann grafisch gelöst werden."

Man mag mich für pingelig halten, aber ich finde hier schon allein die Formulierung ungünstig, und zwar

  1. schon allein (und sei´s allein wegen des Semikolons mitten im Satz) grammatisch: günstiger wäre wohl

"Das Gleichungssystem aus den beiden Gleichungen 2x + y = 3 und x = y + 3 ...";

  1. ist die Schreibweise für solche SchülerInnen kaum verständlich, die im Vorunterricht (mit guten Gründen) folgende Untereinander-Schreibweise eines Gleichungssystems kennengelernt haben:

Bild

Ich unterstelle nämlich mal, dass sich SchülerInnen (wieder sehr anschaulich) eher das Aussehen eines Gleichungssystems als eben den Begriff "Gleichungssystem" merken;

  1. ist ja sogar mir selbst unklar, was eigentlich "kann grafisch gelöst werden" bedeutet.

Zu allererst habe ich mich immerhin gefragt: kann das Gleichungssystem denn algebraisch gelöst werden - oder wieder geometrisch argumentiert:

  • sind die Geraden parallel, gibt es also keine Lösung?
  • schneiden sie sich, gibt es also eine Lösung?
  • sind sie identisch, gibt es also unendlich viele Lösungen (was ja auch "lösbar" bedeutet)?

Und heißt dann "grafisch gelöst", dass beim Zeichnen eine oder unendlich viele Lösungen entstehen, dass also entweder ein Schnittpunkt entsteht oder die Geraden "aufeinander" zu zeichnen sind? Mehr noch: ist das Zeichnen zweier paralleler Geraden auch eine "Lösung"?

Noch fataler: die Behauptung

 "Das Gleichungssystem I 2x + y = 3; II x = y + 3 kann grafisch gelöst werden."

fängt algebraisch an und endet geometrisch, und zudem ist von Geraden wieder mal gar nicht die Rede.

Außerdem ist die nette kleine Zusatzschwierigkeit mit eingeschwurbelt worden, dass die beiden Gleichungen nicht in der üblichen Geradenform y = mx + b (also mit links nur einem y) vorliegen und somit vielleicht auch gar nicht als Geradengleichungen erkannt werden.

D.h. die SchülerInnen müssen aufgrund von abweichenden Beispielen aus dem Vorunterricht wissen, dass sie erst beide Gleichungen in die Form "y = " bringen müssen, und erst dann können sie die Geradenform erkennen

(oder eben doch schon aus dem Kontext der Gesamtaufgabe?).

Wo ich aber schon beim exzessiven Problematisieren bin: selbst dieses "in die Form »y =  « bringen" ist gar nicht so einfach, wie es auf Anhieb erscheinen mag. Bei der zweiten Gleichung ergibt sich noch relativ schnell

        x      = y + 3 | - 3

Bild    x - 3 = y

Aber sogar das mag auf SchülerInnen irritierend wirken, weil da das y rechts und nicht, "wie es sich gehört", links steht. Kommt hinzu, dass in der Form y = x - 3 für viele SchülerInnen zwar der y-Achsenabschnitt klar ist [-3], aber nicht die Steigung, weil vor dem x ja "nichts" steht, also nicht die 1 erkannt wird.

(Und selbst die Eigenschaften "Steigung" bzw. "y-Achsenabschnitt" hatten einige SchülerInnen vergessen, während andere sie genau falschrum ablasen.)

Schwieriger ist aber allemal die Umformung der ersten Gleichung:

        2x  + y = 3        | - 2x

Bild             y = 3 - 2x

Hier nämlich stehen nun - im Vergleich mit der Standardform y = mx + b - die beiden Summanden rechts in der "falschen" Reihenfolge

(jede Wette, dass das bei einigen SchülerInnen zum falschen Ablesen von Steigung und y-Achsenabschnitt und - falls sie überhaupt ans Vertauschen denken - dann falsch vertauscht wird: y = 2x - 3 statt y = -2x +3).

Richtig ergibt sich also

y =    x  - 3

y = -2x + 3

Nun kann man umständlich "gleichsetzen" oder aber kürzer (aber eben nicht so naheliegend?) mit den zugehörigen Geraden argumentieren:

"Die beiden Geraden haben unterschiedliche Steigungen [nämlich im ersten Fall 1, im zweiten Fall -2], d.h. sie schneiden sich, und zwar in einem Punkt."

(Nebenbei: zur Arbeitsökonomie gehört es auch, dass es völlig egal ist, welche Zahlen [also - 3 und + 3] hinten stehen; bzw. man könnte sogar sagen: deren Ähnlichkeit war ein unbrauchbarer [gezielt ablenkender?] Tipp.)

Nochmals: heißt "kann grafisch gelöst werden" nun, dass man die beiden zugehörigen Geraden zeichnet

(genauer: zeichnen kann, es aber auch aus Zeitgründen nicht wirklich tut, denn schließlich ist nur nach einer Beurteilung der Behauptung, nicht aber nach einer Zeichnung gefragt

[und genau das, also das korrekt-zeitsparende Verständnis einer Aufgabenstellung vor jeder sonstigen Tätigkeit und insbesondere umständlichen Rechnung, müssen SchülerInnen eben auch lernen])

und dabei dann zeichnerisch der (oder keiner oder unendlich viele) Schnittpunkt(e) entsteht bzw. entstehen? Dann ist die Behauptung wahr!

Es müsste klar geworden sein, dass man dazu anfangs algebraisch umformen muss, selbst wenn man danach geometrisch argumentiert.

Obwohl man zur Feststellung der Lösungsmöglichkeiten bei dieser Aufgabe b) nicht "gleichsetzen" muss und es zwecks Zeitersparnis auch nicht tun sollte, hielt ich im Unterricht den Zeitpunkt dennoch für angebracht, dieses "Gleichsetzen" (also die vollständig algebraische Lösung) doch nochmals zu wiederholen.

Auch das führte zu erheblichen Problemen:

  1. war vielen SchülerInneN nicht klar (und das ist auch gar nicht so einfach!), dass zwei identische Variable auch (egal, was hinter ihnen steckt) Dasselbe bedeuten, dass also

y =    x  - 3

y = -2x + 3

auch bedeutet

y =    x  - 3

y = -2x + 3

und aus x - 3 = y = y = -2x + 3 dann folgt:

              x - 3       =       -2x + 3 .

(Nebenbei: was viele SchülerInnen auch nicht können, ist, bei solch einem Ergebnis darüber aufzujauchzen, dass endlich [!] nur noch eine Variable vorhanden ist und deshalb eine vermutliche Lösung naheliegt.)

Als nächstes müssen SchülerInnen wissen, dass es immer Ziel ist, auf einer Seite nur noch (ein!) x und auf der anderen Seite "den Rest" stehen zu haben, also die Form " x =    "

[nicht zu verwechseln mit - eben noch - "y = ")

zu erreichen bzw. herzustellen.

Die Rechnung ergab schnell und bei allen SchülerInneN korrekt

            x - 3 = - 2x + 3 | + 2x

Bild      3x - 3 =           3 | + 3

Bild      3x      =           6 | : 3

Bild        x      =           2,

aber wie typisch konnten die SchülerInnen vor lauter Rechnen nichts mit diesem Ergebnis "anfangen", d.h. nicht auf die Frage antworten, was dieses algebraische Ergebnis denn nun geometrisch, d.h. im Hinblick auf die beiden Geraden, bedeutet: sie sahen

  • weder, dass die beiden Geraden sich, weil genau ein Ergebnis vorliegt, offensichtlich (???) in einem Punkt schneiden und deshalb schneidende (statt parallele oder identische) Geraden sind,
  • noch, dass 2 der x-Wert des Schnittpunktes ist.

... womit sich schon wieder ein neues und nun wirklich fundamentales Problem andeutet, nämlich Unkenntnis, wie sich das x und das y einer Gleichung im Koordinatensystem manifestieren

(dass also ein geometrischer Punkt aus zwei Koordinaten besteht).

Nun ist es zum Nachweis, wie viele Lösungen es gibt, unnötig, auch noch den zu x = 2 zugehörigen y-Wert zu berechnen, aber auf Nachfrage wussten einige SchülerInnen auch nicht, wie das geschieht

(nämlich durch simples [???] Einsetzen von x = 2 in eine [egal welche!] der beiden Geradengleichungen

... womit wiederum ein neues Problem aufscheint: die SchülerInnen wissen oftmals nicht, was sie wo einsetzen sollen: wenn x = 2 ist, ist ihnen zwar noch klar, dass die 2 für jedes x eingesetzt werden muss, aber wenn beispielsweise nach Schnittpunkten mit der x- und der y-Achse gefragt wird, wissen sie nicht, in welchem Fall sie für x und in welchem sie für y Null einsetzen müssen.

Und das ist eben auch nicht so trivial, wie man meinen mag, denn irritierenderweise gilt:

  • um einen Schnittpunkt mit der y-Achse herauszubekommen, muss man x = 0 setzen;
  • um einen Schnittpunkt mit der x-Achse herauszubekommen, muss man y = 0 setzen,

also genau "verkehrt herum".

Oder noch vertrackter:

  • um einen Schnittpunkt mit der y-Achse herauszubekommen, ist erstmal x fest [nämlich 0], aber y beliebig anzusetzen;
  • um einen Schnittpunkt mit der x-Achse herauszubekommen, ist erstmal y fest [nämlich 0], aber x beliebig anzusetzen.

Dabei ist das auf den ersten Blick Paradoxe "hintenrum" - aber das muss man erstmal verstanden haben bzw. darauf muss man erstmal kommen - auf den zweiten Blick durchaus logisch:

  • wenn ich den Schnittpunkt mit der y-Achse suche, kenne ich ja bereits seinen x-Wert [0], ist aber sein y-Wert noch unbekannt, also variabel anzusetzen;
  • wenn ich den Schnittpunkt mit der x-Achse suche, kenne ich ja bereits seinen y-Wert [0], ist aber sein x-Wert noch unbekannt, also variabel anzusetzen;

Woran es dabei hapert, ist eine kurze anschauliche Selbstvergewisserung:

  • alle Punkte auf der x-Achse haben den y-Wert Null [liegen nicht drüber oder drunter],
  • alle Punkte auf der y-Achse haben den x-Wert Null [liegen nicht links oder rechts].)

Man kann Bild und damit den Inbegriff der Hochzeit von Algebra und Geometrie im Unterricht gar nicht ernst genug nehmen und muss es immer wieder aufs Neue veranschaulichen. Vgl.  Bild

d)     "Das Gleichungssystem I x + y = 19; II y = x + 1 hat die Lösung x = 9; y = 10."

(Ich vermute, dass schon allein der Singular "Lösung" einige SchülerInnen irritieren wird, wo doch gleichzeitig von x = 9 und y = 10 gesprochen wird.)

So einige SchülerInnen merkten gar nicht, wie simpel das ist

(und fundamental wichtig ist es allemal!):

dass es nämlich reicht, x = 9 und y = 10 in beide Gleichungen einzusetzen und dann zu überprüfen, ob in beiden (!) Fällen jeweils eine Gleichung (!) entsteht bzw. ob es eine Gleichung bleibt

(womit sich evtl. wieder das bereits o.g. Problem ergibt, dass fälschlich ein = statt eines erscheint).

... was tatsächlich stimmt, so dass die Behauptung wahr ist.

e)     "Die Lösungsmenge des Gleichungssystems I y = 2x + 5; 2y = 2x - 4 ist leer."

So einige SchülerInnen wussten gar nicht, wie an das Problem drangehen: man muss "nur" noch die zweite Gleichung in die Form "y = " bringen und erhält dann y = x - 2. Die beiden (Wechsel in die Geometrie!) zugehörigen Geraden haben also unterschiedliche Steigungen (einmal 2, das andere mal 1), d.h. sie haben einen Schnittpunkt, und damit ist die Behauptung, dass die Lösungsmenge leer ist, falsch.


Ein Gefühl hat mich in der Schulstunde zu

Bild

wieder mal gründlich erwischt:

wir (LehrerInnen) hecheln aufgrund der übervollen Lehrpläne, aber auch aus Gewohnheit immer weiter fachlich voran - und merken doch andauernd, dass bei vielen SchülerInnen nicht mal die Grundlagen gesichert sind, also fast alles auf tönernen Füßen steht.

Im besten Fall "wiederholen" wir dann "mal kurz" (und aussichtslos) einige Grundlagen und geben uns ja sowieso Mühe (?), diese Grundlagen in einer Art "Spiralcurriculum" immer wieder aufzunehmen.

Stattdessen sollten wir manchmal komplett aus dem rasanten fachlichen "Fortschritt" ausbrechen und viel mehr "Nostalgie" einbauen, also beispielsweise

  1. bei (anhand) jeder neuen, nicht-linearen Funktionenklasse Wiederholungseinheiten zu den o.g. alten Zusammenhängen und auch zu linearen Funktionen

(es geht nicht an, dass die SchülerInnen z.B.  - wie in einer 10. Klasse üblich -  zwar [kurzfristig] Exponentialfunktionen beherrschen, aber o.g. Zusammenhänge und lineare Funktionen längst vergessen haben);

und überhaupt ohne alle Rechnungen rein geometrische Betrachtungen, welche Eigenschaften die verschiedenen Funktionenklassen denn haben

(da kann man dann z.B. durchaus auch schon in einer 6. Klasse "höhere" Funktionenklassen durchnehmen);

  1. in einer 10. Klasse nochmals eine Unterrichtseinheit zur Bruchrechnung

(eigentlich 5./6.-Klasse-Stoff),

was ja durchaus auch so aussehen könnte, dass man diese Unterrichtseinheit "erweitert" anlegt: von der simplen (???) Bruchrechnung über die Nicht-Brüche

(irrationalen Zahlen; Stoff der 9. Klasse; vgl. Bild )

bis hin zu  Bild .

PS:

Ab sofort ist es mathematikPOLIZEIlich STREngSTENS VERBOTEN, irgendwelche Funktionsgleichungen durchzurechnen, ohne auch immer (!)

  • die zugehörigen Funktionsgraphen zu betrachten
  • und Gleichungen einerseits und Graphen andererseits zwecks gegenseitiger Erhellung in Beziehung zu setzen.

Zuwiderhandlungen werden mit promptem Schulverweis (für LehrerInnen!) geahndet.

Das Umgekehrte

(also rein geometrische Betrachtungen von Funktionsgraphen ohne genauere algebraische Berechnungen anhand der Funktionsgleichungen)

ist allerdings durchaus weiterhin erlaubt

(ja wird sogar verschärft empfohlen!),

wenn auch

  • zwar bei Geraden deren genaue Lage noch der direkt an den Gleichungen ablesbar ist,
  • bei komplexeren Funktionsgleichungen aber nur das grundsätzliche Aussehen der Graphen direkt an den Gleichungen ablesbar ist, genauere Aussagen zu Form und Lage der Graphen hingegen erst algebraisch ermittelt werden müssen, weil sie nur algebraisch ermittelt werden können.

(Nebenbei: es empfiehlt sich auch dringend, was im typischen Matheunterricht aus mathematischem Purismus

[bzw. weil man allzu sehr an (verzweifelt lösbaren) Gleichungen klebt]

kaum je geschieht: Graphen von ["nicht-mathematischen"] Funktionen [also z.B. Bergwanderungen oder Konjunkturverläufen] durchzunehmen, deren Funktionsgleichungen [prinzipiell] gar nicht bekannt sind. Da kann man schön anschaulich und "mit Leben gefüllt" herausarbeiten, was sehr wohl auch innermathematisch [in der Oberstufe in der Analysis] enorm wichtig ist, nämlich

  • Schnittpunkte mit den Achsen,
  • absolute und relative Minima und Maxima,
  • Rechts- und Linkskurven,
  • Wendepunkte,
  • steigend/fallend,
  • sowie die "Bedeutungen" all dieser Eigenschaften,

aber man muss [kann] all das nicht berechnen.)
 

PPS: Von wegen Bild siehe auch BildBildBild .
PPPS: