Potenzieren  
 

homöopathisches

   

 

 

Po|tenz [lat.] die; -, -en: 1. Fähigkeit, Leistungsvermögen. 2. (Med.) a) Fähigkeit des Mannes zum Geschlechtsverkehr; b) Zeugungsfähigkeit. 3. Grad der Verdünnung einer Arznei in der Homöopathie (Med.). 4. Produkt mehrerer gleicher Faktoren, dargestellt durch die Basis [...] u. den Exponenten [...].
(Duden Fremdwörter)

zu 4.:

eine Potenz ist beispielsweise , wobei 2 die Basis und 4 der Exponent ist.

Und ist eine Kurzschreibweise für 2 2 2 2 , also für das Produkt der vier gleichen Faktoren 2 .

Die Potenz ist also eine Abkürzung für 2 2 2 2 , und es sei daran erinnert, dass die Multiplikation ihrerseits schon eine Abkürzung der Addition ist

(z.B. ist 7 5 eine Abkürzung für 7 + 7 + 7 + 7 + 7).

D.h. die Potenz ist eine doppelte Abkürzungder Addition.

Potenzen können insbesondere sehr große Zahlen verkürzt darstellen. Z.B. ist 1012 eine praktische, aber eben auch verschleiernde Kurzschreibweise für 1000000000000, und letztere Zahl ist sowieso unvorstellbar groß

(von wegen meines Lieblingsthemas vgl. auch ).

Daraus folgt notgedrungen, dass man sich in der Größenordnung der "gemeinten" Zahlen schnell vertut.

Aber man kann hier auch erahnen, warum die Mathematiker Potenzen überhaupt eben "Potenzen" genannt haben: diese Potenzen haben - als Abkürzungen anderer Rechenarten - einE enormeS " Fähigkeit, Leistungsvermögen".


Ich habe von der Homöopathie reichlich wenig Ahnung, erlaube mir aber doch, da ein ungläubiger Thomas bzw.

(wie Darwin es in seiner unvergleichlichen und ganz undarwinistischen zurückhaltung über Religion gesagt hat)

farbenblind zu sein: ich mags nicht recht glauben, aber auch nicht prinzipiell ausschließen, dass sie "funktioniert".

Weil ich (deshalb) noch nie bei einem Homöopathen war, kann ich nur darauf vertrauen, was so einige FreundInnEn erzählen, die schon öfters beim Homöopathen waren und von der Homöopathie überzeugt sind. Und da höre ich vor allem heraus, dass Homöopathen

  1. sich (anders als die meisten Schulmediziner heute) sehr viel Zeit für die Patienten nehmen, also noch wirklich zuhören

(vgl. ),

  1. nicht Standardrezepte gegen eine Krankheit ausstellen, sondern individuell auf die Gesamtpersönlichkeit (was immer das sei) der Patienten einzugehen versuchen

(und somit wohl auch ein ganz anderes, weniger mechanistisches Verständnis von "Krankheit" haben).

Es würde mich also gar nicht mal groß wundern, wenn Homöopathen

(wie viele sonstige Alternativ"mediziner" auch)

durch 1. und 2., also allein durch - gar nicht abwertend gemeint: - "Gesprächsplacebos", sehr wohl Heilungserfolge hätten

(und genau diese "Gesprächsplacebos" werden die Schulmediziner [wieder] dringend von den Alternativ"medizinern" lernen müssen, weil ihnen [den Schulmedizinern] sonst immer mehr Patienten weglaufen!).


Erstaunt war ich aber doch, dass (ausgerechnet!) Homöopathen Potenzrechnung betreiben (tun!):

"Potenzieren (auch Dynamisieren) bezeichnet eine in der Homöopathie angewandte Methode zur Herstellung von homöopathischen Arzneimitteln. Dabei werden homöopathische Grundsubstanzen wie Pflanzen, Tiere, Pilze oder Mineralien schrittweise mit einer Trägersubstanz verdünnt und anschließend verschüttelt oder verrieben. Homöopathen glauben, dass durch das Verschütteln oder Verreiben die Wirkung der Ausgangssubstanz verstärkt (potenziert) wird. Die Produkte werden daher Potenzen oder Dynamisationen genannt.
[...]
Ausgangsprodukt ist eine Urtinktur (Symbol: Ø), die zunächst im Verhältnis 1:10 (D-Potenzen), 1:100 (C-Potenzen) oder 1:50.000 (Q-/LM-Potenzen) verdünnt und anschließend mit einer festgelegten Zahl von Schlägen geschüttelt wird. Diese Kombination aus Verdünnung und Schütteln wird jeweils pro Potenzierungsschritt durchgeführt. Man unterscheidet dabei zwischen Mehrglas- und Einglasmethode. Bei der Mehrglasmethode (nach Hahnemann) wird für jeden Potenzierungsschritt ein ungebrauchtes (neues) Glas verwendet. Bei der Einglasmethode (Korsakoff-Methode) wird jeder Potenzierungsschritt im selben Glas ausgeführt."
(zitiert nach )

Das "Potenzieren" erfolgt dabei in mehreren gleichartigen Potenzierungsschritten hintereinander, so dass z.B. nach 12 Schritten der D-Potenzierung die Urtinktur auf ein  1012tel bzw. ein Billionenstel verdünnt ist.

Nun werden aber teilweise noch erheblich mehr als nur 12 Potenzierungsschritte, nämlich z.B. auch 30 (oder sogar 78) Potenzierungsschritte vorgenommen, und da wird man ahnen, dass insbesondere bei den Q-/LM-Potenzen eine gigantische Verdünnung zustande kommt

(soweit man bei Klitzekleinem überhaupt von "gigantisch" sprechen kann):

Dabei ist 9 10140 = 9 0000000000 0000000000 0000000000 0000000000 0000000000 0000000000 0000000000 0000000000 0000000000 0000000000 0000000000 0000000000 0000000000 0000000000.

Und das ist eine Zahl, die erheblich größer ist als die vermutlich größte Zahl im Weltall, nämlich die Anzahl der Photonen (Lichtteilchen) im Weltall, die "nur" 1088 beträgt.

Kommt hinzu, dass ja der Kehrwert dieser Zahl berechnet (bzw. hergestellt) wird, womit . Es findet also aus mathematisch-schulmedizinischer Sicht

(und viele Schulmediziner denken wohl genauso mechanistisch wie Mathematiker)

gar keine "echte" Potenzierung (Erhöhung des Anteils der Urtinktur, Filterung ...) statt, sondern das glatte Gegenteil, nämlich eine grenzenlose Verdünnung bzw. - wortwörtlich - Verwässerung. Und genau das ist eines der Standardargumente gegen die Homöopathie:

"Es ist heute unbestritten, dass größere Verdünnungen als etwa 1:1024 – was einer Potenzierung von D24 oder C12 entspricht – statistisch gesehen kaum ein einziges Molekül der Ausgangssubstanz enthalten. Das entspricht ungefähr dem Auflösen einer Kopfschmerztablette im Atlantik. [...]. Da die Herstellung der homöopathischen Arzneien üblicherweise nicht in einem keim- und staubgefilterten Reinraum durchgeführt wird, muss angenommen werden, dass im Verdünnungsprozess, etwa beim Öffnen des Mischgefäßes und der Zugabe von Verdünnungslösung, die Konzentration der Wirksubstanz zwar abnimmt, aus der Luft aber Verunreinigungen hinzukommen. Dies bewirkt, dass schließlich in den hochpotenzierten Präparaten außer der Trägersubstanz (Wasser, Ethanol oder Milchzucker) nur die Verunreinigung der Trägersubstanzen (alle drei enthalten metallische Verunreinigungen) und die Verunreinigungen aus der Umgebung enthalten sind. Auch die besten Filtrierverfahren lassen manchmal mehr Reststoffe im Wasser zurück, als sich homöopathische Wirkstoffe darin befinden. Somit kann eine Stoff-Wirkungsrelation nicht vernünftig untersucht werden."
(zitiert nach )

Laut dem ersten Zitat glauben nun Homöopathen aber anscheinend, dass das glatte Gegenteil passiert:

"Homöopathen glauben, dass durch das Verschütteln oder Verreiben [sowie das sukzessive Verdünnen] die Wirkung der Ausgangssubstanz verstärkt (potenziert) wird."

Ich übersetze mir das so: durch das mehrfache Verdünnen (und dann Verschütteln ...) wird die "Ursubstanz" nur immer reiner, also sozusagen alle Schlacke weggewaschen.

Und in der Tat haben einige Homöopathen ja durchaus Erklärungen dafür, wie das geschehen mag:

"Seitens der Homöopathen gibt es Spekulationen, dass eine Wirkung durch Information ermöglicht wird, die nicht molekular gespeichert und übertragen wird (der Franzose Jacques Benveniste hat auf diesem Gebiet geforscht). Wirkstoffe sollen beispielsweise „Abdrücke“ in Wasserclustern hinterlassen, die dann an andere Wassercluster weitergegeben werden."
(wieder zitiert nach , wobei ich die direkt folgende Ergänzung "Für diese Theorien gibt es jedoch keine Grundlage" ein wenig unfair finde: "keine Grundlage" kann ja auch heißen: "bislang oder überhaupt mit den klassischen wissenschaftlichen Mitteln nicht nachweisbar."
"Information" aber ist einerseits ein höchst interessanter Ansatz

[vgl. etwa

- und gleichzeitig doch gefährlich schnell eine Worthülse, mit der man alles und jedes verkaufen kann.)

Und überhaupt ist ja das in der Homöopathie am häufigsten benutzte Trägermedium, nämlich Wasser, auch für die "klassische" Wissenschaft ein ganz erstaunliches Element mit vielen bis heute noch nicht wissenschaftlich geklärten Eigenschaften:

Philip Ball: H20; Biographie des Wassers; Piper


So oder so gibt also die Homöopathie sehr viel für den Matheunterricht zur Potenzrechnung her. Und wieso eigentlich soll ich , der da wenig oder nur mathematische Ahnung hat, das den SchülerInneN verklickern? Das kann doch ein einzuladender Homöopath erheblich besser!

(Allerdings müsste das ein ansonsten fest im "normalen" Leben verwurzelter und auch gegenüber der Homöopathie nicht völlig unironischer Homöopath sein - und nicht so ein vollends esoterisch durchgeknallter, wie ich ihn letztens kennengelernt habe, der mich noch gar nicht kannte, aber gleich los-duzte: "Du, ich kenne dich aus einem früheren Leben.")

Ich würde ihn allemal mit Respekt behandeln, ihm zuhören, aber auch nicht völlig (vor der Klasse) "mit Meinung sparen".

Ein Problem solch eines Unterrichts könnte aber sein, dass in der Klasse ein "Glaubenskrieg" zwischen Befürwortern und Gegnern der Homöopathie ausbrechen könnte und letztere nicht mal bereit wären, dem "mathematischen" Teil des Homöopathen-Vortrags zuzuhören.

Aber solch einem "Glaubenskrieg" darf man nicht immer (auch nicht im Matheunterricht!) aus dem Weg gehen, sondern es ist doch ein wichtiges "übergeordnetes" Erziehungsziel, dass die SchülerInnen lernen:

  1. einen offenen und fairen Umgang mit "gegnerischen" Meinungen,

  2. ein kritisches Herangehen an "gegnerische" und eigene Meinungen

(d.h. auch die "Homöopathie-Gläubigen" werden Gegenargumente einbeziehen lernen müssen).