der neue NationalheiligeBild Alexander von Humboldt

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Bild Panthéon in Paris

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Bild Walhalla in Donaustauf(!)

Nun kann man sich ja sehr darüber streiten, ob es überhaupt gut ist, National"heilige" zu haben: zeugt es nicht eher von mangelndem Selbstbewusstsein, wenn man sich (?) über solche Leitsterne definiert (definieren muss) und auf die Leistungen anderer Menschen und zudem noch die mausetoter Vorfahren "stolz" ist?

Und ist es überhaupt "gesund", ein(ige) (wenige) Vorbild(er) zu haben?  Kann und darf man die Geschichte eines "Volkes" derart auf anderthalb Gestalten reduzieren?:

"Goetheundschiller (n), mystischer Ursprung alles Deutschen, der Garten Eden des deutschen Geistes, einzig anerkannte Grundlage deutscher Größe, Garant und Rechtfertigung der Stellung der Deutschen in der Welt."
(Eric T. Hansen in: )

Hat eben jener Eric T. Hansen nicht sogar ein wenig recht, wenn er (im selben Buch) sagt?:

"Bei den Nobelpreisen für Literatur bis 2005 sind die Deutschen zwar gut vertreten - mit sieben Preisen schneiden sie eindeutig besser ab als in den Bereichen Politik (vier Friedenspreise) und Wirtschaft (zwei Preise). Doch ihre sieben Literaturtroph«en wirken mickrig, vergleicht man sie einmal mit ihrer Präsenz auf den wissenschaftlichen Gebieten, wo sie stets Platz drei belegen: 14 Medizinpreise, 14 Chemiepreise und 18 Physikpreise. In der Kultur sind sie gut, in der Wissenschaft jedoch sind sie ausgezeichnet. Warum ist es ihnen dann so wichtig, sich das Land der Dichter und Denker zu nennen? Was wäre eigentlich so schlimm an »das Land der Kernspalter und Autobauer«?"

Daran interessieren mich zwar weder das grobe Quantifizieren noch ausgerechnet "Kernspalter und Autobauer":

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(, 10.12.07)

Richtig ist aber natürlich, dass Deutschland keineswegs nur "Goetheundschiller" bzw. Literatur ist, sondern auch (Natur-)Wissenschaft.

Wie aussichtslos es ist, sich auf ein(ige) (wenige) Vorbild(er) festzulegen, wird sehr schön an dem analogen Versuch deutlich, "den" Deutschen auf ein(ig)e (wenige) Figur(en) festzulegen:

"Jedenfalls war [...] Thomas Mann von der poetischen Leistung [Eichendorffs in Bild ], dass diese »Reinheit nicht albern wirkt«, offenbar so beeindruckt, dass er den Taugenichts kurzerhand für den wahrhaft »deutschen Menschen« erklärte. Das geht dann doch entschieden zu weit, meint der Germanist und Eichendorff-Herausgeber Hartwig Schultz in seiner eben erschienenen Eichendorff-Biografie. Wenn der Taugenichts der typische deutsche Mensch ist, was ist denn dann mit dem Untertan von Heinrich Mann?"
(zitiert nach Bild )

Genauso gut könnte man Faust zu "dem" Deutschen schlechthin erklären. Vgl. Bild .

Aber der Taugenichts wäre mir doch allemal der liebste Deutsche!

Interessant ist aber, dass "der" typische Deutsche hier ausschließlich mit fiktiven Figuren gleichgesetzt wird

(wenn man davon absieht, dass es für Faust auch ein historisches Vorbild gegeben hat),

wohl weil er selbst fiktiv ist.


Selbstverständlich gibt es keine makellosen Vorbilder.

So hat z.B. der äußerst verlässliche Zeuge Darwin erst über Alexander von Humboldt gesagt:

"Ich habe ihn immer bewundert; jetzt bete ich ihn an. Denn er allein gibt einen Begriff von den Empfindungen, die das erste Betreten der Tropen in der Seele erregt."

später allerdings äußerte Darwin sich ziemlich enttäuscht:

"Ich fand ihn sehr munter, doch allzu geschwätzig."

(beide Zitate nach )

Dass aber Alexander von Humboldt vielleicht schwul war, ist nun wahrhaft kein Makel.


Als "National(?)heiliger" wäre mir sowieso nur jemand recht, der eben nicht nur national bedeutsam ist

(oder gar engstirnig national gedacht hat).

In diesem Sinne ist mir also allemal Goethe recht - und Alexander von Humboldt.


In Walhalla wird an so viele Dumpfbacken erinnert, dass A. v. Humboldt da wahrhaft nicht schaden könnte.


Es ist doch wahrhaft traurig, dass auch immer andere denken. Denn bei einer kleinen (Internet-)Recherche musste ich zu meiner Bestürzung feststellen, dass leider auch schon andere Alexander von Humboldt zum Nationalheiligen küren wollten:

  1. In seinem Jugendbuch Bild bezieht sich Reinhard Barth auf den o.g. Spiegel-Artikel:

"Einen »Vorbild-Deutschen« und »Mutmacher« nennt ihn der Spiegel Bild in einer Titelgeschichte im September 2004. »Romantischer Eroberer«, »Verwegener Humanist« und »Letzter Universalgelehrter« sind weitere Namen, die das Nachrichtenmagazin ihm beilegt. Was machte Alexander von Humboldt so außerordentlich, und was lässt sich heute von einem Mann lernen, der um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert zur Berühmtheit wurde?
Einige Stichpunkte sollen Humboldts erstaunliche Modernität belegen."

Barth nennt dann:

und deutet damit schon an, dass A. v. Humboldt wahrhaft ein "Universalgenie" war, aber auch zwischen allen Stählen saß, nämlich

Barth schließt dann:

"Humboldt ein Vorbild und Mutmacher? Unbedingt! Mit Optimismus und Risikobereitschaft ging er seine großen Ziele an, setzte bedenkenlos sein ererbtes Vermögen für die Forschungsreise nach Südamerika und deren wissenschaftliche Auswertung ein, und wahrte auch in späterer Zeit als Kammerherr am preußischen Hof noch seine geistige Freiheit und Unabhängigkeit. Das Leben mit Sinn erfüllen, sich etwas vornehmen und dranbleiben, tun, was möglich ist - das hat uns Humboldt beispielhaft vorgemacht."

  1.  Auf der Internetseite dekretiert der deutsche Ober-Meinungs-Mogul Hans Magnus Enzensberger:

"ZUR AKTUALITÄT
ALEXANDER VON HUMBOLDTS:
SIEBEN ARGUMENTE

Deutschland ist auf Alexander von Humboldt angewiesen, wenn es die Herausforderungen des einundzwanzigsten Jahrhunderts bestehen will – aus folgenden Gründen:

ERSTENS. Humboldt ist als Pionier und Vorbild modernen wissenschaftlichen Denkens einzigartig. Er war der erste, der ein internationales Netzwerk der Forschung geschaffen hat, lange bevor in Deutschland an eine transdisziplinäre scientific community zu denken war. Engbrüstige Spezialisierung war nicht seine Sache, und die Abspaltung der Geistes- von den Naturwissenschaften hat er, als von den »Zwei Kulturen« noch längst keine Rede war, in seinem Werk überwunden.

ZWEITENS. In Deutschland war Humboldt der erste, der die Wissenschaft als ein globalisiertes Projekt verstanden hat. Seine Forschungsreisen waren das erste große wissenschaftliche Unternehmen in weltbürgerlicher Absicht, und so sind sie auch in Frankreich, in England, in den Vereinigten Staaten und in Lateinamerika verstanden worden.

DRITTENS. Die Rede von der Wissensgesellschaft, die sich hierzulande meist in Absichtserklärungen erschöpft, hat Humboldt ernst genommen. Er hat als Universalgelehrter dem Begriff Bildung ein Gesicht verliehen und vorgemacht, wie wissenschaftliche Erkenntnisse aus dem Elfenbeinturm in das Bewußtsein der Gesellschaft dringen. Unser Bildungssystem ist bekanntlich dieser Herausforderung bis heute nicht gewachsen. Aber nur auf diesem Wege wird Deutschland in Zukunft ökonomisch überleben können.

VIERTENS. Humboldt ist als wissenschaftlicher Schriftsteller bis heute unübertroffen. Seine Prosa ist lebendig, spannend und allgemeinverständlich, ohne in der Sache Konzessionen zu machen.

FÜNFTENS. Der Begriff der Ökologie ist erst 1886 von Haeckel eingeführt worden. Humboldt hat dieses Wort nicht gekannt, doch war er der erste Wissenschaftler, dessen Verständnis der Natur nicht instrumental, sondern ökologisch geprägt war.

SECHSTENS. Humboldts weltweiter Erfolg verdankt sich auch seiner Risikobereitschaft. Nicht nur in seinem Denken, sondern auch in seiner Praxis hat er stets seine Unabhängigkeit verteidigt – eine Haltung, die im heutigen Forschungsbetrieb keineswegs selbstverständlich ist.

SIEBTENS. Humboldt kann auf junge Forscher ansteckend wirken durch den Enthusiasmus, mit dem er seine riesigen Unternehmungen realisiert hat. Mit der lahmen und lähmenden Stimmung, die derzeit in Deutschland zu herrschen scheint, hatte er nichts im Sinn. Nur wer, wie Humboldt, seine Projekte con amore angeht, wird in Zukunft eine Chance haben."
Stimmt ja alles - und ist mir mit den blau markierten Passagen doch zu "mainstream"

(herrje, was ist aus Hans Magnus Enzensberger geworden!).

  1. "»Angesichts des schlechten OECD-Urteils über das deutsche Schulsystem ist Alexander von Humboldt aktueller denn je. Drei der wichtigsten Werke Humboldts sind nun in der Anderen Bibliothek des Eichborn Verlags erschienen: Ein längst überfälliger Schritt.«
    die tagesschau

    »Schade, daß Deutschland am Kartoffel-Syndrom leidet: das Beste liegt unter der Erde. Rund um den Globus ist Alexander von Humboldt der angesehenste Deutsche. Nur hierzulande – oje. Jetzt endlich wird angemessen an ihn erinnert.«
    Claus Kleber, heute journal

    »Wir wünschen dem Humboldt-Projekt des Eichborn Verlags alles Gute. Wir können es brauchen: Neue Männer braucht das Land.«
    Elmar Krekeler, Die Welt

    »Humboldt, der Entdecker, der Sternschauer, der Weltbürger - wenn es einen Vorzeige-Deutschen, einen Mutmacher-Deutschen geben sollte in diesen düsteren Tagen, dann ihn.«
    Matthias Matussek,
    DER SPIEGEL

    »Er war furchtlos, kühn und voll zupackender Neugier: Ein Weltstar wird neu entdeckt.«
    Josef Nyary,
    Hamburger Abendblatt

    »Alexander von Humboldt: der erste Weltbürger deutscher Herkunft.«
    Paul C. Martin,
    BILD

    »Sieh mal einer an: Von einem solch klar blinkenden Stern wie Alexander von Humboldt läßt man sich gern vom Ursprung der Welt erzählen.«
    Christian Geyer,
    FAZ

    »Humboldts Reiseerlebnisse wecken nicht weniger Abenteuerlust als die Romane von Alexandre Dumas oder Robert Louis Stevenson. In ihnen begegnet uns der Realtypus des Forschers, den Kinder meinen, wenn sie ihn als Berufswunsch neben Matrose, Entdecker oder Astronaut angeben.«
    Magnus Schlette,
    Frankfurter Rundschau

    »Ale erster Wissenschaftler durchbrach er die Schranken, die das Publikum von den Erkenntnissen akademischer Forschung trennten. [...]«
    Werner Fuld,
    Focus

    »Humboldt zu lesen macht froh. Denn es heißt, die Schönheit, Größe und Unübersichtlichkeit der Welt zu entdecken – und das, was Humboldt ihre Mannigfaltigkeiten nennt.«
    Hans Joachim Neubauer,
    Rheinischer Merkur"

    (zitiert nach  )

Aber es mir schon wieder unangenehm, wer da so alles Humboldt lobt, nämlich z.B. auch ein BILD-Redakteur.

Und überhaupt befürchte ich, dass so viele Superlative letztlich nur abschreckend oder phrasenhaft wirken - und die Preise kaputt machen:

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Es kann doch wahrhaft nicht schaden, wenn wir auch mal (zusätzlich) einen Nationalheiligen haben, der sich nicht (nur) als Schriftsteller den Arsch am Schreibtisch plattgesessen hat, sondern in der Welt rumgekommen ist.
 


Man lese und staune, denn die Biographie A. v. Humboldts ist doch schier unfassbar: Bild Was für eine Lebenskraft bzw. neudeutsch "power"!

Ebenfalls unbedingt lesen:

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Bild über das Universum. Die Kosmosvorträge 1827/28 in der Berliner Singakademie,

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Und so mit das Beste, was es über die Humboldts gibt:


Welchen Nationalheiligen hätten Sie denn gern?:

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Warum wird uns eigentlich fast nur der "mittlere", arg staatsmännisch stilisierte Goethe vorgesetzt?

Und welchen A. v. Humboldt hätten Sie denn gern?

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Ich bin keineswegs der Einzige, der in Alexander von Humboldt bzw. den Brüdern Humboldt Bausteine einer positiven "nationalen Identität" (???) sieht:

"2007 beschlossen Bund (Parlamentsbeschluss) und Land Berlin, ab 2010 mit dem Wiederaufbau zu beginnen. Das Gebäude in der Kubatur [???] des [Berliner] Stadtschlosses und mit drei seiner historischen Fassaden, soll den Titel Humboldtforum erhalten und neben einer Bibliotheksnutzung für die Humboldt-Universität auch als Ausstellungsort für die Sammlungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz dienen."
(zitiert nach  Bild )



Ohne die Verdienste Humboldts schmälern zu wollen, ist es doch schade, dass ein anderer Forschungsreisender seiner Zeit fast völlig vergessen ist:
Bild Thaddäus Haenke