oder Vorteile und Grenzen einer Modellvorstellung
vgl. auch
 
Johann Wolfgang von Goethe: Gefunden

Ich ging im Walde
So für mich hin,
Und nichts zu suchen,
Das war mein Sinn.

Im Schatten sah ich
Ein Blümchen stehn,
Wie Sterne leuchtend,
Wie äuglein schön.

Ich wollt es brechen,
Da sagt es fein:
Soll ich zum Welken
Gebrochen sein?

Ich grub's mit allen
Den Würzlein aus.
Zum Garten trug ich's
Am hübschen Haus.

Und pflanzt es wieder
Am stillen Ort;
Nun zweigt es immer
Und blüht so fort.

Ich bin ja in der Tat immer auf der Suche nach Veranschaulichungen ( Anwendungen) mathematischer Sachverhalte, aber diesmal war ich gar nicht auf der Suche, sondern unverhofft fündig:

Da war ich gerade festeweg beim Zahlbereichs-Erklären, als mir urplötzlich die Insel-Metaphorik einfiel.

Und wer denkt nicht ab und zu mit Peter Cornelius

"Wenn i so überleg, worum's im Leben geht,
 dann sicher net um des, wofür i leb'.
 I arbeit's ganze Jahr lang, schön brav für's Finanzamt,
 i frag mi, ob des ewig so weitergeht.

 I bin reif, reif, reif, reif für die Insel.
 I bin reif, reif, reif, überreif.
 Und i frag mi, warum i no' da bin,
 für's aussteig'n bin i scheinbar zu feig."

und summt dann vor sich hin


 

Manchmal möchte man aber nicht nur faul am weißen Strand unter Palmen am dunkelblauen Meer einer (einzigen) Insel verweilen, sondern "Inselhopping" betreiben, als sei das Leben eine endlose Aneinanderreihung von Bacardi-Freiheiten:

(die saufen ununterbrochen und sind - oh Wunder! - doch nie besoffen)

Es gibt ja tatsächlich Inseln, die wie Perlen hintereinander auf einer Schnur aufgereiht sind,

"Wie Perlen hintereinander auf einer Schnur aufgereiht" sind eben auch die Zahlen auf dem Zahlenstrahl:

(Wer möchte, kann auch gerne an


Trittsteine über einen Fluss

denken, Hauptsache, man hat so richtig feste Angst, daneben zu treten und ins Wasser zu fallen.)

Vorerst ist hier nur von den sogenannten natürlichen Zahlen die Rede, also von der Zahlenmenge = { 1; 2; 3 ... }.

(Alle anderen [im Folgenden dann aber doch genannten] Zahlen dürfte es also eigentlich gar nicht geben, da sie ja "unnatürlich" [wenn nicht gar widernatürlich?] sind.)

Wichtig ist, dass die natürlichen Zahlen wie Inseln aufeinander folgen, zwischen denen jeweils weite Meeresflächen liegen, so dass man nicht zu Fuß von einer Insel zur anderen kommen kann.

(Nebenbei: es ist allemal - auch mathematisch - hochinteressant, mit welch phantastischen Navigationsfähigkeiten die Südseeinsulaner von einer Insel zur anderen gelangt sind und die Inseln überhaupt nacheinander entdeckt und besiedelt haben.)

Hier sieht man schon den entscheidenden Vorteil der Insel- und Wassermetaphorik: zwischen den natürlichen Zahlen liegt nichts (Vakuum) oder zumindest Wasser, während der Zahlenstrahl durch seine geradezu materielle Konsistenz immer schon suggeriert, dass er bereits voll ist. üblicherweise nämlich

Im Laufe der Zeit wurden die natürlichen Zahlen

Aber diese beiden Zahlbereichserweiterungen ändern (noch) nichts am Prinzip: die Inseln sind noch immer durch große Wasserflächen voneinander getrennt, nur liegen sie jetzt endlos in beide Richtungen:

<----|---->

Nun kommen auch noch die sogenannten rationalen (= vernünftigen) Zahlen  

(wohl von "Quotient")

hinzu, also alle Brüche aus ganzen Zahlen.

(Auch hier könnte man wieder denken: alle anderen [im Folgenden dann aber doch genannten] Zahlen dürfte es also eigentlich gar nicht geben, da sie ja "unvernünftig" sind.)

In Dezimalschreibweise sind die rationalen Zahlen hinter dem Komma

(Kurz sei auch noch erwähnt, dass die ganzen Zahlen eine Teilmenge der rationalen Zahlen sind, denn jede ganze Zahl [z.B. 3] lässt sich - sogar auf unendlich viele Arten - auch als Bruch schreiben. Z.B. 3 = = ...

Das ja eben ist das Merkwürdige und manchmal vielleicht auch ärgerliche in der Mathematik: dass zwei Dinge dasselbe sein können, obwohl sie völlig unterschiedlich verkleidet sind.

Glücklicherweise - dafür hat man schon gesorgt - gelten für die verschiedenen Zahlen aber immer dieselben Rechengesetze!)

Man kann sich die Hinzunahme der rationalen Zahlen

(hier ausschnittsweise nur zwischen den natürlichen Zahlen 1 und 2)

ansatzweise so vorstellen:

Genau genommen passiert durch die Hinzunahme der rationalen Zahlen aber etwas sehr Merkwürdiges:

Hier nun versagt das anschauliche Inselbild: zwischen die ganzen Inseln lassen sich nur dann unendlich viele Inseln quetschen, wenn sie klitzeklein sind, nämlich keine Ausdehnung haben, sondern reine Punkte sind

(und tatsächlich sind ja bereits die natürlichen und ganzen Zahlen ohne Ausdehnung, also Punkte).

Und auch die gleich noch genauer erklärten Lücken zwischen den rationalen Zahlen hat man sich klitzeklein-punktförmig zu denken.

Aber uns sollte es doch nicht allzu schwer fallen, uns

Anders gesagt: der Zahlenstrahl ist mit den rationalen Zahlen noch immer nicht voll, was auch heißt: wollte man alle

(unendlich viele und unendlich nah beieinander liegenden!)

rationalen Zahlen einzeichnen, so dürfte man es noch immer nicht mit einem durchgehenden Strich tun.

Nun ist es aber technisch gar nicht möglich,

Immerhin bekommt man aber eine Ahnung vom Grundproblem, wenn man einen vermeintlich durchgehenden Bleistiftstrich unter eine Lupe legt und dadurch feststellt, dass er in Wahrheit aus Einzelpartikeln aufgebaut ist:

Wenn denn die Behauptung überhaupt stimmt, dass es zwischen den

(unendlich vielen und unendlich dicht gepackten!)

rationalen Zahlen dennoch unendlich viele Lücken gibt, so gibt es zwei denkbare Möglichkeiten:

  1. die Lücken sind unbehebbar, d.h. dort liegen keine weiteren Zahlen (dort ist und bleibt Vakuum);
  2. in den Lücken "stecken" Zahlen einer anderen, noch unbekannten Art.

In der Tat lässt sich zeigen, dass 2. zutrifft:

in den Lücken stecken die "irrationalen" (= unvernünftigen!) Zahlen der Menge , wovon die bekanntesten sind

(Es sei hier ohne weitere Erklärung kurz hinzugefügt, dass man sich - auch wieder typisch für die Mathematik - diese hochkomplizierten irrationalen Zahlen unvermeidbar einhandelt, wenn man ganz simple Probleme lösen möchte.)

Als nicht-rationale Zahlen müssen diese Zahlen in Dezimaldarstellung hinter dem Komma weder endlich noch periodisch sein, und in der Tat sehen die Ziffernfolgen von , π  und e ja sehr unregelmäßig aus - und sind es auch tatsächlich. Das aber hat zur Folge, dass man sich solche Zahlen auf Anhieb nur schwer vorstellen kann.

Deshalb hier eine irrationale Zahl, bei der man trotz der Unendlichkeit und Nicht-Periodizität hinterm Komma dennoch einen Bauplan erkennen kann:

0, 10 100 1000 10000 100000 ...

(vgl. )

Nun lässt sich aber zeigen, dass die irrationalen Zahlen tatsächlich sämtliche Lücken zwischen den rationalen Zahlen füllen und nun erst/endlich der Zahlenstrahl komplett voll ist.

Die rationalen und die irrationalen Zahlen zusammen nennt man auch die "reellen" Zahlen der Menge , und wenn man diese auf den Zahlenstrahl zeichnen möchte, darf man nun endlich einen durchgehenden Strich machen. Es gibt keine Inseln mehr, sondern nur noch ein einziges durchgehendes Festland, also sozusagen den Urkontinent Pangäa:

Regelrecht für einen Treppenwitz der Mathematik halte ich es aber, die Menge, die sich durch Zusammenlegung der rationalen (= vernünftigen!) sowie der irrationalen (= unvernünftigen!) Zahlen ergibt, "reell" (= wirklich, tatsächlich!) zu nennen.

Und jetzt wird man wohl ahnen, wie's weitergeht:

weitere Zahlen dürfte es also eigentlich gar nicht geben, da sie ja "irreell" (= unwirklich) sind.

Aber auch rein anschaulich scheinen keine weiteren Zahlen mehr möglich, da ja der Zahlenstrahl endgültig voll ist.


Die Mathematik scheint hier an eine endgültige Grenze gestoßen zu sein. Aber die Wörter "dürfte" und "scheinen" bzw. "scheint" deuten ja bereits einen Aus- bzw. weiteren Weg an, der allerdings auf den ersten Blick arg spitzfindig bzw. an den Haaren herbei gezogen erscheint: da der Zahlenstrahl nunmal endgültig voll ist, platziert man diese neuen (komplexen!) Zahlen "einfach" (bzw. dreist) neben dem Zahlenstrahl und erhält damit statt des Zahlenstrahls eine ganze Zahlenebene, von der der Zahlenstrahl (die reellen Zahlen) nur eine Teilmenge ist (sind):

Anders gesagt: der "Urkontinent" bekommt nun zusätzlich zur Länge endlich auch eine Breite:


PS: ich kenne keine andere Stadt, bei der es so unklar ist, wo das Land endet und das Meer beginnt:
  • Großraum Stockholm:


  • Innenstadt Stockholm: