intelligente Aufgaben / intelligentes Aufgabenlösen
Damit hier kein Hochglanzprospekt entsteht und kein Patentrezept suggeriert wird, ist es gleich zu Anfang - wie so oft - nötig, Modewörter zu relativieren:
wenn bei Computer(programme)n von "intelligenter" Benutzerführung die Rede ist oder gesagt wird, sie seien "interaktiv", so ist das doch meist arg hochgestapelt bzw. - gelinde gesagt - grob irreführend:
in der Regel antwortet der Computer nur "intelligent", wenn man ihm die vorprogrammierten Fragen stellt und die richtigen "Keywords" = Fachbegriffe eingibt
(die der Laie in der Regel eben nicht kennt; und wenn er sie kennen würde, bräuchte er den Computer wohl meist auch gar nicht mehr zu fragen);
und "interaktiv" bedeutet meist nur, dass man zwischen einigen wenigen vorprogrammierten Möglichkeiten wählen kann
(also oftmals nur die Wahl zwischen Pest und Cholera hat);
für mich bedeutet "interaktiv" eben auch "wechselseitig" und "aneinander anpassend"
(vgl.
Interaktion, Wechselbeziehungen, bes. die Kommunikation zw. Individuen innerhalb einer Gruppe.
[Meyer Lexikon])
statt nur
interaktiv,
Art des Informationsaustauschs zwischen Mensch und Maschine, bei dem die Möglichkeit besteht, in den Ablauf einzugreifen beziehungsweise diesen zu steuern. Interaktiv wird oft auch als Synonym für eine dialogorientierte Bedienung - z.B. einer Software - benutzt.
(Der Brockhaus in Text und Bild Edition 2002)
Von wegen "intelligente Aufgaben / intelligentes Aufgabenlösen": fangen wir doch mit Letzterem, also intelligentem Aufgabenlösen, an:
sicherlich müssen SchülerInnen auch einfach (?) "ihr Handwerkszeug beherrschen", also stumpf und schnell Standardrechnungen durchführen können,
aber der übliche Matheunterricht fordert bislang doch fast nur dies
(und sorgt regelrecht dafür, dass viele SchülerInnen auch nur dies wollen, also bei "kreativeren" Aufgaben bocken und blockieren).
Ziel (nicht nur um PISAs willen) sollte es also sein, dass die SchülerInnen intelligenter an Aufgaben drangehen.
Letzteres aber heißt doch, dass bereits die Aufgaben
intelligente Lösungen zulassen und überhaupt erst ermöglichen,
also selbst schon "intelligent" sein müssen
(wobei natürlich in Wirklichkeit nicht eine Aufgabe, sondern nur ihr Hersteller intelligent sein kann; vgl.: wenn überhaupt, so ist bislang meist nicht ein Computer intelligent, sondern sein Programmierer).
Eine Aufgabe kann aber nur "intelligent" sein, wenn sie nicht einen einzigen Lösungsweg erfordert/ermöglicht/zulässt bzw. abprüft, sondern mehrere.
Nun besteht das Problem allerdings oftmals darin,
einerseits offene Aufgaben zu entwickeln
(und das ist oftmals gar nicht so schwierig),
andererseits die SchülerInnen aber nicht mit dieser (allzu großen?) Offenheit allein zu lassen.
(Das ja eben ist z.B. auch der Nachteil vieler "neuer" [?] Methoden [?]: dass da häufig fälschlich implizit Fähigkeiten vorausgesetzt werden, die eigentlich überhaupt erst mittels der Methoden zu erwerben wären.)
Das Problem lässt sich sehr schön an einer (hier einzigen) Aufgabe aus dem schon anderweitig
gelobten Zentralprüfungs-Vorbereitungsheft zeigen:
Hier sei (vorerst) nicht diskutiert, wozu man "sowas" braucht
(auch in der Aufgabenstellung heißt es nur autoritär "sollen").
Nun hätte man die Aufgabe ja durchaus noch offener halten, also nur sagen können:
"Löse die Gleichung ( x - 2 ) ● ( x + 1,5 ) = 0."
Dann hätte der Prüfling eben die Wahl zwischen Alex´ und Beas Weg gehabt, nur dass er sich selbst mindestens eines dieser beiden Wege
(es sei mal übergangen, dass der Satz von Vietà auch hilfreich wäre)
hätte erinnern müssen, statt dass sie ihm
(wie in der vollständigen Aufgabenstellung)
ausdrücklich angedeutet werden
(aber eben immerhin - das wird noch wichtig - nur angedeutet, also natürlich nicht vollständig vorgeführt).
Fragt sich eben nur, ob die SchülerInnen denn tatsächlich auf mindestens einen der beiden Wege kämen.
Eigentlich müssten sie Alex´ Weg
(also die Standardbestimmung von Nullstellen mittels quadratischer Ergänzung oder p-/q-Formel)
ja aus dem Vorunterricht kennen, aber das wirkliche Problem liegt ja in Beas Weg:
wenn sie ihn
("das Produkt zweier Faktoren [Klammern] ist Null, wenn [mindestens] einer der beiden Faktoren [eine der beiden Klammern] Null ist")
ebenfalls schon aus dem Vorunterricht kennen würden, wäre die Aufgabe ja witzlos, würden die SchülerInnen nämlich (hoffentlich!) gar nicht Alex´ umständlichen, sondern sofort Beas einfachen Weg gehen.
Der "Witz" der Aufgabe wird also erst dann wirksam
(und das ist für Matheaufgaben wirklich ungewöhnlich!),
wenn die SchülerInnen Beas Weg noch nicht aus dem Vorunterricht kennen.
D.h. das Besondere an der (vollständigen) Aufgabe ist, dass da etwas Unbekanntes erfragt und abgeprüft wird.
... womit sich als nächste Frage stellt, ob die
(nicht alle, aber immerhin doch so einige)
SchülerInnen bei der Kurzaufgabe
"Löse die Gleichung ( x - 2 ) ● ( x + 1,5 ) = 0."
überhaupt eine reelle Chance hätten, Beas Weg zu entdecken, zumal im Vorunterricht ja andauernd nur Alex´ Weg, also das Standardverfahren, vorgekommen wäre, die SchülerInnen also vollends auf Alex´ Weg "eingenordet" und somit kaum offen für Alternativen wären.
Mir scheint, dass das eine Überforderung wäre, die Aufgabe also
(wenn man eben nicht wieder nur das stumpfe Standardverfahren abprüfen will)
ausführlicher formuliert sein bzw. mehr Hilfen geben müsste. Aber "mehr" dürfte, wenn die Aufgabe "intelligent" sein (überhaupt erst werden!) sollte, eben nicht "alles" heißen.
Da aber haben die Autoren der vollständigen Aufgabe
einen, wie ich finde, wirklich intelligenten (raffinierten!) Weg gewählt:
lassen sie den SchülerInnen ja durchaus (vordergründig) die Wahl, welchen Weg sie beschreiten wollen
(fast möchte ich vorschlagen, für Beas Lösung mehr Punkte zu vergeben, da sie
zwar erheblich weniger schnöde Rechenarbeit,
aber erheblich mehr Gehirnschmalz
erfordert;
und doch ist eine solche erhöhte Punktezahl eigentlich unfair, solange die SchülerInnen nichts von dieser verschiedenen Bepunktung erfahren, sondern vordergründig beide Lösungswege zugelassen sind;
kommt hinzu, dass es sich ja sowieso vermutlich irgendwann rächt, wenn jemand Alex´ Weg geht, denn der ist [s.u.] erheblich länger [auch - wie wir noch sehen werden - potentiell fehleranfälliger], so dass man für Folgeaufgaben weniger Zeit hat.),
herrscht aber eben doch nur vordergründig die oben noch geforderte Wahlfreiheit
(mehrere Lösungsmöglichkeiten),
denn die Dramaturgie der Aufgabe besagt ja was ganz Anderes:
Alex´ Weg ist den SchülerInnen ja aus dem Vorunterricht bekannt, und sie werden ahnen, dass da allerhand ungeliebte Arbeit auf sie zukommt;
Beas Weg hingegen funktioniert offensichtlich
(auch wenn man ihn noch nicht versteht)
rasend schnell und ist daher (hoffentlich!) erstrebenswerter.
Interessant ist dabei auch, dass Bea ihren Weg nur andeutet: sie verrät eben nicht
(allzu deutlich, so dass wieder nur nachvollzogen, aber keine eigene, intelligente Lösung mehr gefunden werden könnte)
das Grundrezept, also
"das Produkt zweier Faktoren [Klammern] ist Null, wenn [mindestens] einer der beiden Faktoren [eine der beiden Klammern] Null ist",
sondern sagt nur, dass sie
die eine Lösung (2) sofort erkennt
und die andere
(von ihr nicht genannte!)
Lösung dann (analog) auch schnell findet.
Bleibt den SchülerInnen, die diese Aufgabe lösen sollen, also "nur",
die von Bea verratenen Informationen aufzunehmen
und die Lücken, die sie lässt, auszufüllen.
Wie könnte das durch SchülerInnen geschehen?
Zuerst werden (sollten) sie sich wohl fragen, weshalb Bea sofort die erste Lösung, also 2, sofort erkannt hat. Das aber ist nicht allzu schwierig, da diese 2 ja tatsächlich in der Gleichung auftaucht:
( x - 2 ) ● ( x + 1,5 ) = 0
Im nächsten Schritt könnten
(aber das sagt sich so einfach und ist doch, wie jedeR MathelehrerIn weiß, keineswegs so selbstverständlich)
die SchülerInnen überlegen, weshalb 2 eine Lösung ist, die Gleichung also für 2 "aufgeht", und dazu die 2 an jeder x-Stelle einsetzen:
( 2 - 2 ) ● ( 2 + 1,5 ) = 0
Wenn die SchülerInnen nun schlau sind, werden sie bemerken, dass dann die erste Klammer Null "wird" und damit auf jeden Fall das Gesamtergebnis (wie auf der rechten Seite) Null ist.
Das aber ist der alles entscheidende Erkenntnisschritt: dass rechts nicht irgendeine Zahl, sondern die Null steht
(nur für sie gilt - so langsam könnten die SchülerInnen es ahnen - das Rezept
"das Produkt zweier Faktoren [Klammern] ist Null, wenn [mindestens] einer der beiden Faktoren [eine der beiden Klammern] Null ist").
Wichtig dabei ist, dass die SchülerInnen die zweite Klammer nicht ausrechnen, sondern bemerken, dass es in
( 2 - 2 ) ● ( 2 + 1,5 ) = 0
völlig egal ist, was in der zweiten Klammer steht.
Oder anders gesagt: wenn die erste Klammer Null ist, ist auch das Gesamtergebnis Null.
Und hier nun müsste der zweite entscheidende Schritt folgen: dasselbe gilt natürlich auch für die zweite Klammer, d.h. wenn sie Null ist, ist wiederum das Gesamtergebnis Null.
Wann nun aber ist x + 1,5 = 0 ?
Wenn überhaupt, so würde hier die einzige wirkliche Rechnung auftauchen, nämlich
x + 1,5 = 0 | - 1,5
x = - 1,5,
womit - 1,5 die zweite, von Bea zwar angedeutete, aber nicht genannte Lösung ist.
Die SchülerInnen hätten also Beas implizites Rezept
"das Produkt zweier Faktoren [Klammern] ist Null, wenn [mindestens] einer der beiden Faktoren [eine der beiden Klammern] Null ist"
weitgehend selbst entdeckt, denn es wurde von Bea ja nie ausdrücklich genannt.
Insbesondere sollten die SchülerInnen aufgrund von Beas Weg lernen (wiederentdecken), wie ungemein praktisch es ist, wenn auf einer Gleichungsseite eine nackte Null steht - und notfalls dafür sorgen.
Wie umständlich hingegen Alex´ Weg ist, wird bei der ebenfalls im zitierten Buch enthaltenen Lösung deutlich:
Entscheidend daran ist aber der letzte Satz, und damit wird wohl überhaupt erst die eigentliche Motivation zur Stellung dieser Aufgabe klar: die SchülerInnen sollen
nicht nur schnellere Verfahren entdecken,
sondern auch und vor allem solche, bei denen man potentiell weniger Fehler macht.
Beides müsste eigentlich für SchülerInnen sehr attraktiv sein!
Um die vollständige Wahrheit zu sagen
(denn die Theorie ist oft allzu wohltönend bzw. "Grau, teurer Freund, ist alle Theorie und grün des Lebens goldner Baum." [Goethe bzw. Mephisto im Faust I]):
ich habe die Aufgabe einer 10. Klasse gestellt - und nur ein einziger Schüler hat Beas Weg auffüllen bzw. rekonstruieren können.
Oder anders gesagt: die vermutlich sogar sehr (allzu) suggestive logische Stringenz des von mir vorgeführten Lösungswegs ist für SchülerInnen (wenn sie den Weg alleine gehen sollen) offensichtlich keineswegs so selbstverständlich und naheliegend, bzw. all das wirkt - geradezu ein Grundproblem des Matheunterrichts - nur auf denjenigen so einfach (und der hat dann gut reden und kann leicht entsetzt über die SchülerInnen sein), der schon vorher weiß, worauf alles hinausläuft, nämlich (zum letzten Mal) auf
"das Produkt zweier Faktoren [Klammern] ist Null, wenn [mindestens] einer der beiden Faktoren [eine der beiden Klammern] Null ist".
Wer das sowieso schon weiß, übersieht allzu leicht, dass das nicht nur (wegen der simplen Null) einfach, sondern auch und vor allem genial einfach ist.
Eine intelligente Aufgabe ist auch
aus dem Arbeitsheft zu dem Schulbuch .
Endlich mal sind da nicht nur vorgegebene Zahlen der Größe nach einzuordnen - und die pfiffigste Aufgabe ist e)!
Anhand dieser Aufgabe, die ich mal in einer Klassenarbeit gestellt habe, ergibt sich aber noch eine andere Überlegung, nämlich die, ob man intelligente Antworten auch gesondert "prämieren" kann,
sei´s, dass einE SchülerIn ausdrücklich sagt, dass bei den Aufgaben mehrere Lösungen möglich sind,
sei´s, dass er nicht irgendwelche der möglichen Ziffern einsetzt, sondern nach einem System
(kleinst-/größtmögliche Ziffer oder benachbarte Ziffern)
vorgeht,
und zwar ohne dass zu solch intelligentem Vorgehen ausdrücklich aufgefordert wird
(was ja sowieso eine nichtssagende Aufforderung wäre).
Das hieße also z.B.
6 Punkte (für sechs Teilaufgaben), wenn alles richtig gelöst wurde,
aber 2 Sonderpunkte nur dann , wenn es auch intelligent gelöst wurde?