zum Knobeln verführen?

(wobei "verführen" - zurecht entlarvend? - nach Missbrauch klingt)

"Knobeln steht für

Anlass für diesen Text war eine Mathematikaufgabe, die ein Nachbarsjunge als Vorbereitung auf eine Klassenarbeit in der 7. Klasse lösen sollte

(wobei er allerdings nur "Bahnhof" verstand).

Die Aufgabe (so etwa sinngemäß):

"Herr Klug und Herr Schlau wohnen 540 km voneinander entfernt und wollen sich für ein Treffen entgegen fahren. Da Herr Klug ein uraltes Auto besitzt, fährt er mit nur 60 km/h und startet er deshalb bereits um 8 h. Weil Herr Schlau mit seinem besseren Auto 80 km/h fährt, startet er erst zwei Stunden später.
Da wollen wir ja nun doch alle dringend wissen: wann und wo begegnen sie sich?"

(Warum eigentlich heißen die beiden Protagonisten "Klug" und "Schlau", obwohl doch ihre Tätigkeit [Autofahren] keinerlei Intelligenz beweist?:

Ãœberhaupt waren die Aufgabenautoren entweder weltfremd oder haben sie - durchaus ironisch - bewusst unrealistisch lahmarschige Geschwindigkeiten gewählt.)

Vorweg: da es mir hier nur um die Aufgabenstellung und ganz allgemein den Umgang von Schülern mit solchen Textaufgaben geht, lasse ich den Lösungsweg mal weg (bis auf eine Ausnahme, s.u.).

Erfahrungsgemäß haben Schüler bei solchen Textaufgaben drei Schwierigkeiten:

  1. , vor aller Mathematik überhaupt erst mal den Sachverhalt (richtig) zu verstehen,
  2. , die mathematischen Informationen aus dem

    (den Verdacht werde ich nicht los: oftmals absichtlich irreführenden bzw. verkomplizierenden)

"Hintergrundrauschen"

(d.h. für die Lösung der Aufgabe unnötigen Informationen)

herauszufiltern,

  1. , den Sachverhalt und die mathematischen Informationen in - je nach Aufgabe - eine oder mehrere Gleichungen zu übersetzen.

    (Insgesamt funktioniert das Lösen von Textaufgaben also immer so:

    1. Abnagen aller nichtmathematischen Weichteile des Aufgabentextes,
    2. Aufstellen von Gleichungen aus den mathematischen Ãœberresten,
    3. endlich ist man auf der [hoffentlich] sicheren Seite: reine Mathematik: Lösen von Gleichungen bzw. Gleichungssystemen,
    4. Wiederauftauchen aus der Mathematik: Rückübersetzen des rein mathematischen Ergebnisses aus c. in die Textaufgabe, Beantwortung der Aufgabenfrage.)

Die o.g. Aufgabe ist im üblichen Mathematikunterricht eine Standardaufgabe, wobei allerdings, damit's nicht jeder sofort merkt, die Details gerne verändert werden

Fragt sich nur, ob die Aufgabe eine echte Anwendungsaufgabe ist, also tatsächlich "so" im Alltag auftauchen könnte.

Fangen wir mit dem "Alltag" an:

die Frage, wo sich zwei LKWs bzw. Flugzeuge begegnen

(in letzterem Fall wohl besser nicht),

mag für Speditionen/Logistiker bzw. Fluglotsen von Interesse sein, aber ich sehe wahrhaft keine adäquate Alltagssituation für Schüler.

Natürlich könnte man z.B. folgende Aufgabenvariante konstruieren:

"Erna merkt morgens, als sie gerade die Schule betritt, mit Schrecken, dass sie das Klassenarbeitsheft für die in der ersten Stunde anstehende Mathematikarbeit zuhause vergessen hat. Sie weiß, dass ihr Mathematiklehrer, Herr Dr. Bockel, da keinen Spaß versteht (ansonsten auch nicht) und wegen des fehlenden Klassenarbeitshefts bei ihrer Klassenarbeit, egal, wie sie ansonsten ausfällt, die Zensur um eine halbe Note senken wird.
[Es sei mal dahingestellt, ob das erlaubt ist - was Dr. Bockel allerdings auch herzhaft egal ist.]
Glücklicherweise hat unsere pfiffige Erna eine Idee: sie ruft ihren Vater zuhause an und bittet ihn, ihr auf dem Fahrrad mit dem Klassenarbeitsheft entgegen zu kommen, während sie ihrerseits mit dem Fahrrad wieder in Richtung Elternhaus fährt.
Es ist viertel vor 8 h und die Schule beginnt um 8 Uhr. Die Distanz zwischen der Schule und Ernas Zuhause ist 3 km. Erna und ihr Vater starten sofort. Der Vater fährt mit 12 km/h, Erna mit 8 km/h.
Wann und wo findet die Heftübergabe statt? Vor allem aber [hier wird's jetzt richtig dramatisch]: wird Erna rechtzeitig zur Klassenarbeit wieder in der Schule sein???"

Die Aufgabe ist mir arg lang geraten und wohl auch nicht gerade sprachlich einfach ausgedrückt. Aber um eine schülergerechte Ausdrucksweise geht's hier ja auch nicht, sondern um die inhaltliche Nähe zur Lebenswelt (dem Alltag) der Schüler:

Ernas Problem könnte ja tatsächlich fast genauso jeder beliebige Schüler mal haben. "Fast", weil an der Erna-Aufgabe

(wie auch an der Aufgabe oben mit Herrn Klug & Schlau)

etwas Entscheidendes weltfremd ist und bleibt: Erna würde die Situation wohl ungefähr abschätzen

("üblicherweise brauche ich für meinen Schulweg soundso lange"),

aber garantiert nicht rechnen, also keine Mathematik im eigentlichen Sinne treiben.

(An der Klug-&-Schlau-Aufgabe ist noch was Anderes weltfremd: wenn sich zwei Freunde so etwa auf halber Strecke treffen wollen, werden sie nicht einfach losfahren und mal abwarten, wo sie sich dann genau treffen

[z.B. mitten auf einem Acker].)

Der vorliegende Aufgabentyp ist also anscheinend unheilbar weltfremd und witzlos

(oder gerade wegen seiner typischen Weltfremdheit doch zum Schreien komisch).

Damit aber - sicherlich überraschend - zurück zum Puzzle-Vergleich: es gibt Leute, die dennoch gerne puzzeln

,

also im anfangs aus Wikipedia zitierten Sinn knobeln:

"• mit kleinen Schritten und versuchsweise ein Problem bedenken, aber auch Rätseln
 • ein Spiel durchführen, das besondere Geduld erfordert"

Dass die meisten Textaufgaben nur "eingekleidete" Mathematik und somit eigentlich splitterfaserblöd sind, macht sie dennoch nicht völlig untragbar, sondern man muss sie vielleicht

(das aber fällt mir überhaupt erst jetzt auf:)

"nur" als Knobelaufgaben "verkaufen".

Nun ist es ja nachgerade urkomisch, dass ich höchst ungern "knoble": mit Sudoku oder - für hochgebildete Zeitgenossen - kann ich rein gar nichts anfangen - und 32000 Puzzleteile wieder (!) zu einem Gesamtbild

(davon 3/4 monochrom blauer Himmel und 1/4 Sandstrand)

zusammenzusetzen, erscheint mir doch als Gipfel der Idiotie

(aber soll doch jeder auf seine Facon glücklich werden;

nebenbei: bei Sudoku und Puzzles frag ja auch keiner nach der "Anwendung").

Und mir geht jedes Interesse ab, gewisse Knobelaufgaben in   zu lösen.

Wie aber soll man jemanden zum Knobeln verführen, dem dieses Knobeln "einfach nicht liegt"???

Am interessantesten ist natürlich der Fall, dass Schüler noch nie solch eine Aufgabe wie die Klug-und-Schlau-Aufgabe gelöst haben: (wie) können sie dann "dennoch" möglichst selbstständig auf die Lösung kommen?

Mich wundert immer, dass die Schüler

(wenn sie schon die Aufgabe lösen müssen [um erst gar nicht von "wollen" zu sprechen])

nicht den naheliegendsten Weg wählen: sich zu fragen, wie ein "normaler" Mensch, also ein Nicht-Mathematiker, die Aufgabe angehen würde

(mal abgesehen davon, dass er in der "richtigen" Realität einfach losfahren und dann abwarten würde, wann er den Freund trifft).

Aber letztlich wundert es mich längst nicht mehr, dass Schüler nicht den naheliegendsten

(gleich erklärten)

Weg wählen:

Mathematik hat für sie nichts, aber auch gar nichts mit dem "richtigen" Leben zu tun

(vgl. ):

ein Eindruck, der auch und gerade durch "eingekleidete" Textaufgaben erzeugt oder zumindest verschärft wird!

Ich würde das Klug-und-Schlau-Problem doch vormathematisch so angehen:

(eine Chance auf eine exakte Lösung haben wir dabei allerdings nur, wenn die Ergebnisse ganzzahlig sind;

aber das ist keineswegs unrealistisch:

  1. schaffen Aufgabenautoren gerne Aufgaben mit ganzzahligen Lösungen, da
  1. bauen die Autoren die Aufgaben meist umgekehrt, also ausgehend von einer einfachen Lösung,
  2. ist zumindest bei der Zeit jede Kommazahl-Lösung unschön, weil die Stunden nicht dezimal eingeteilt sind, sondern in 60 Minuten):

Die zugehörige Gleichung lautet also

5 • 60 km +  . 3     • 80 km = 540 km

Und von dieser Gleichung aus können wir auch erahnen, wie die Aufgabe rechnerisch gelöst werden kann:

(und das ist der entscheidende Abstraktionsschritt, um nicht eine zweite Unbekannte y in der Gleichung zu haben!)

 (x - 2) ein:

x • 60 km + (x - 2) • 80 km = 540 km

Kein Wunder, dass diese Gleichung dann auch zur Lösung x = 5 führt.

(Nebenbei: es bewahrheitet sich, dass die Lösungen hübsch ganzzahlig sind, und insbesondere der Treffpunkt bei genau 300 km ist natürlich herzallerliebst.

Hier kann man nun auch erahnen, wie die Aufgabenautoren die Aufgabe zusammengerührt haben:

  1. haben sie die Geschwindigkeit von Klug willkürlich mit dem allerdings einfachen Wert 60 km/h angesetzt;

  2. haben sie beschlossen, dass er bis zum Treffpunkt 5 h fährt, weil nur 5 • 60 km die besonders schöne Zahl 300 km ergibt;

  3. haben sie für Schlau willkürlich eine andere [höhere], allerdings ebenfalls einfache Geschwindigkeit, nämlich 80 km/h, angesetzt;

  4. haben sie beschlossen, dass Schlau, weil er schneller fährt, willkürlich angesetzte 2 h weniger, also nur 3 h fährt;

  5. haben sie damit ebenfalls die Gleichung 5 • 60 km +  3 • 80 km = 540 km.

Für Flugzeuge hätten sie nur die Geschwindigkeiten 600 und 800 km/h wählen müssen.)