Die Natur ist wie

Der Roman "Der Name der Rose" ist hier nur eines von vielen möglichen literarischen Beispielen - und besonders gut geeignet, weil das, worum´s mir hier geht, in ihm überdeutlich wird, da er als Musterbeispiel des "postmodernen" Romans gilt, was hier mal kurz so definiert sei:

der "postmoderne" Roman besteht zu einem großen Teil aus direkten oder indirekten Zitaten. Böse gesagt: er traut sich nichts Eigenes mehr zu.

(Überhaupt halte ich nicht viel von "Der Name der Rose", weil dieser von einem Professor geschriebene Roman mir - wie Vieles von Thomas Mann - zu "professoral", also leblos ist.)

"Der Name der Rose" ist (gleichzeitig!) auf vielen Ebenen lesbar:

  1. ist er zu allererst ein spannender Krimi;
  2. gibt es allerdings Ebenen, die man

(da die Anspielungen und Zitate oftmals indirekt, d.h. die Zitate nicht als solche gekennzeichnet sind)

nicht erkennen muss

(auch ohne sie, also auf der reinen Krimiebene, mag man sein Lesevergnügen haben),

die aber das Lesevergnügen für "gebildete" Leser, die die Anspielungen und Zitate erkennen, erheblich erhöhen

(wohl kaum jemand außer literarischen Detektiven wird alle Anspielungen und Zitate erkennen).

Es ist durch diese zusätzlichen Ebenen geradezu, als wenn man nicht einen zwei-, sondern einen drei- oder gar vierdimensionalen Roman liest

(sich nicht im platten Norddeutschland, sondern in einem atemberaugenden Gebirge bewegt)

bzw. mehrere Romane

(u.a., indem man - s.u. - nochmals Doyle-Roman "Der Hund der Baskervilles" oder die Schriften von Wilhelm von Ockham "mitliest"):

"William von Baskerville
Der Franziskaner William von Baskerville ist keine historische Gestalt, sondern eine der beiden fiktiven Hauptfiguren des Romans. Sein Name "William" und seine philosophisch-erkenntniskritische Grundhaltung verweisen auf den Scholastiker Wilhelm von Ockham, zugleich evoziert sein Zuname "von Baskerville" eine der bekanntesten Detektivgeschichten von Conan Doyle (Der Hund der Baskervilles, 1901/1902), deren Protagonisten, der Detektiv Sherlock Holmes und sein Gehilfe Dr. Watson, eine seither genretypisch gewordene Figurenkonstellation des Detektivromans abgeben, die auch William von Baskerville und sein Gehilfe Adson von Melk noch einmal auf neue Art variieren.
Adson von Melk

Der junge Benediktiner, benannt nach dem Benediktinerkloster Stift Melk, ist die zweite Hauptfigur des Romans. Er begleitet William von Baskerville als junger Gehilfe („Adlatus“) und nimmt zugleich die Rolle des Ich-Erzählers ein, der als greiser Mönch an der Schwelle des Todes „die denkwürdigen und entsetzlichen Ereignisse“ niederschreibt, „deren Zeuge zu werden mir in meiner Jugend einst widerfuhr“. Sein Name (im italienischen Original ist es die lateinische Form "Adso" da Melk, die italienische Namensform wäre "Adsone", "Azzo(ne)") erinnert an Sherlock Holmes' Freund und Gehilfen Dr. Watson und ist somit eine weitere Anspielung auf die Detektivromane von Sir Arthur Conan Doyle. Auch in vielen Dialogen finden sich deutliche Anspielungen auf Doyle („My dear Watson“ als geradezu klassischer Auftakt eines Holmes-Monologs wird bei William zu „Mein lieber Adson“).
[...]
Jorge von Burgos

Der Name ist eine Anspielung auf den blinden argentinischen Schriftsteller und Bibliothekar Jorge Luis Borges, der wegen seiner immensen Kenntnisse als Genie galt, aber wegen seiner Unterstützung des Militärputsches als Reaktionär angefeindet wurde. Durch seine Ablehnung des aufklärerischen Potentials des Lachens erweist sich Jorge ebenfalls als Reaktionär.
[...]
Der Name der Rose gilt als einer der bekanntesten Vertreter des postmodernen Romans. Typischerweise vereinen sich dabei mehrere literarische Genres in einem Text. So weist der Roman deutliche Merkmale des Kriminalromans und des Schauerromans auf und beinhaltet klare Anspielungen auf Werke von Edgar Allan Poe, Arthur Conan Doyle und Agatha Christie.
Andererseits steht er in der Tradition des historischen Romans. Dabei neigt er dazu, Geschichte nicht nur wiederzugeben, sondern das Problem der Geschichtsschreibung selbst zu thematisieren. Exemplarisch dafür sind die Mischung historischer und fiktionaler Figuren, Ecos starke Bezugnahmen auf historische und zeitgenössische Intertexte, die teilweise direkt in den Roman eingearbeitet werden, und das Auftreten vieler Anachronismen: so beschäftigt sich der Der Name der Rose vor dem mittelalterlichen Hintergrund mit politischen und semiotischen Problemen, die typisch für die wissenschaftlichen Diskurse des 20. Jahrhunderts sind. Auch die Textualität selber, die Eigenschaften von Texten sowie ihres Verfassens und ihrer Rezeption, wird durchgängig thematisiert. In der Literaturwissenschaft wurde für Romane dieser Art der Begriff historiografische Metafiktion geprägt.
Eco selbst wies darauf hin, dass der Roman auch als Schlüsselroman gelesen werden kann und gab an, ihn unter dem Einfluss der Aldo-Moro-Affäre geschrieben zu haben. Nach dieser Lesart ließen sich verschiedene Gruppierungen des Romans mit politischen Gruppierungen im Italien der siebziger Jahre entschlüsseln. Verschiedene Kritiker identifizierten die Dolcianer mit den Roten Brigaden, die Franziskaner mit den Kommunisten und die Benediktiner mit der Democrazia Cristiana. Trotz Ecos eigenem Hinweis ist eine solche Lesart jedoch umstritten, da sie teilweise als Überinterpretation empfunden wurde. Eco selbst gab an anderer Stelle der eigenen Erklärung widersprechend auch an, sich nicht um Fragen politischer Aktualität zu kümmern.
Zahlreiche Merkmale teilt Der Name der Rose auch mit Trivialromanen. So sind die Hauptfiguren stark typisiert, es findet eine klare Trennung in gute und böse Figuren statt, zahlreiche Klischees und Stereotype werden aufgerufen. Dieses Vorgehen kann als Pastiche verstanden werden, und damit als bewusste Auseinandersetzung mit der Rolle von Trivialität in der Literatur. Dieses Stilmittel ist ebenfalls typisch für viele postmoderne Romane; Stereotype werden bewusst aufgerufen, um sie klar als Stereotype auszustellen und sie gerade dadurch zu hinterfragen."
(zitiert nach

Genauso enthält (?) die Natur mehrere Ebenen:

  1. die reinen Effekte, also z.B. einen Sonnenuntergang oder in einem der neuartigen naturwissenschaftlichen "Erlebnismuseen" z.B. das Foucaultsche Pendel.

Gegen diese reinen Effekte ist gar nichts einzuwenden

(ich hasse die Arroganz der "reinen [wissenschaftlichen] Lehre", die grundsätzlich gegen alle Popularisierung ist, bei der auch mal Halbwahrheiten nötig sind; vgl. Bild ):

oftmals sind sie einfach (!) schön oder erstaunlich.

  1. gibt es aber auch die Ebene des "warum", d.h. der Naturgesetze und sonstiger Gründe wie etwa beim Sonnenuntergang in 
     .

Wie schon bei "Der Name der Rose" ist diese zweite Ebene zum Genuss nicht notwendig, aber sie vermindert auch nicht den Genuss, sondern - so behaupte ich glatt mal - sie vermehrt ihn sogar: man sieht beispielsweise beim Sonnenuntergang noch genauer hin, entdeckt noch mehr Wunderbares (und vielleicht auch bislang nicht Erklärbares) und staunt über die vielfältigen Erklärungen für die Einzeleffekte, aus denen sich der Sonnenuntergang zusammensetzt. Auch der Sonnenuntergang wird also sozusagen drei- oder vierdimensional!

Und trotzdem finde ich es schade, dass viele Menschen (und SchülerInnnen) auch bei der Natur auf der ersten Ebene

(sozusagen der zweidimensionalen Oberfläche)

hängen bleiben: irgendwo bleiben bei vielen Leuten auf dem Weg bis in die Pubertät

(vermutlich auch und gerade durch die Schule)

die

(manchmal ja nervtötenden)

kindlichen "warum"-Fragen auf der Strecke

("Vgl. ),

und diese Leute interessieren sich dann überhaupt nur noch für die "geilen" Großeffekte.

Ich würde mir da vielmehr eine Einstellung wie die Darwins wünschen:

"Dem Durchschnittsmenschen bin ich insofern überlegen, als ich Dinge bemerke, die der Aufmerksamkeit leicht entgehen, und diese Dinge sorgfältig beobachte. Von frühester Jugend an verspürte ich das starke Streben, alles, was ich beobachtete, verstehen oder erklären zu können [...] Ich bin der Millionär von seltsamen und wunderlichen kleinen Tatsachen."

Eine der zentralen, für mich aber auch ungelösten Fragen ist es daher, wie man in der Schule das Abhandenkommen der "warum"-Fragen verhindern bzw. wieder zu ihnen hinführen kann.

(Dabei weiß ich auch, dass man nicht andauernd über alles staunen und seine Ursachen wissen wollen kann.

Nebenbei: ich hatte oben hinter "enthält" bewusst ein Fragezeichen gestellt: es lässt sich ja darüber streiten, ob die Natur die Naturgesetze und Erklärungen bereits enthält oder ob wir Menschen sie in sie hinein projizieren

[allerdings mit erstaunlichem Erfolg].)


(Mindestens) zwei Ebenen gibt es natürlich auch in der Mathematik:

  1. z.B. den "Effekt", dass (erstaunlicherweise!) in einigen, sehr unterschiedlich ausehenden ebenen Dreiecken die Winkelsumme 1800 ist,
  2. aber auch die Frage, ob das

d.h. die Frage nach dem allgemeingültigen Beweis

(statt der Einstellung "wird schon stimmen" bzw. "ist mir herzhaft egal").