unser mathematischer Neffe

Ich habe eine Macke:

Wenn ich Klamotten kaufe, achte ich darauf, dass da kein Markenzeichen drauf ist. Und wenn doch eines drauf ist, mache ich es zuhause sofort mit viel Mühe ab: ich laufe doch nicht für eine Firma Reklame, die mich nicht dafür bezahlt - und kann es mir leisten, auch dann nicht Reklame für eine Firma zu laufen, wenn diese mich dafür bezahlen würde.

Ich kaufe Klamotten, die mir gefallen und passen. Ob die von einer „Markenfirma“ sind, ist mir bei meiner Kaufentscheidung schnurzpiepegal, und wenn z.B. auf ein T-Shirt ein fettes Markenlogo aufgedruckt ist , ist das für mich das ultimative "no go".

Denn

(um es hübsch arrogant zu sagen)

Gucci-Klamotten werden nur vom “Pack“ getragen, also der Schickeria (der Nicht-Elite) - und der Möchtegernschickeria. 

Und wenn mir der Rand einer Calvin-Klein-Unterhose hinten rausblitzen würde , würde ich mich doch zu Tode schämen.

Nun stehe ich alter Sack mit meiner No-Logo-Einstellung naturgemäß ziemlich alleine da:

Und insbesondere die Deutschrapper haben Markengeilheit geradezu zum Prinzip gemacht:

Sie feiern verständlicherweise in jedem zweiten Lied, dass sie den Aufstieg aus prekären und manchmal (angeblich) kriminellen Verhältnissen geschafft haben und sich nun auch die Statussymbole der "Oberschicht" leisten können

(was allerdings gleichzeitig auch die Oberschicht proletarisiert: ich bin mir gar nicht so sicher, ob es der Firma Gucci langfristig lieb sein kann, dass jetzt auch ihre Klamotten tragen und diese somit "public domain" werden;

nebenbei: ich kannte von der Firma „Gucci“ bis vor kurzem nur die potthässlich kackbraunen Handtaschen , die man

[wie auch total echte Rolex-Uhren]

insbesondere an südländischen Tourismus-Hotspots spottbillig bei fliegenden Händlern kaufen kann).

Aber nicht nur die Fans der Deutschrapper, sondern auch sehr viele andere (nicht nur) Jugendliche werden derzeit zu "Markenhuren":


„Gucci, Fendi, Louis, Prada, Dolce (Dolce)
Back when I was broke and no one know me (Woah)
I couldn't afford it and now that I got the money
I don't even want this shit 'cause it ain't for me (Joyner)“

Anders gesagt: der Kapitalismus hat auf ganzer Linie gesiegt:

Aber nichts gegen Moden: sie bringen Abwechslung ins Leben, betonen immer wieder aufs Neue die Schönheit von Menschen und bieten gruppenspezifische Identifikationsmöglichkeiten

(wenn auch 90 % der Moden nur mainstream sind: Mode und Individualität widersprechen sich meistens).


Mein Schwipp-Neffe

(biologisch der Neffe meiner Frau)

ist immer stylisch gewandet - und tauchte letztens bei uns so auf:


(Die Panzerknacker-Maske habe ich allerdings
zwecks Anonymisierung ergänzt,
denn wer will schon im Internet bloß wegen eines mathematischen T-Shirts
einen Shitstorm riskieren?!)

Mein erster Gedanke bei diesem T-Shirt war: oje, das Hippie-Batikmuster der 70er Jahre

("man sieht sich im Leben immer zweimal").

Das unauffällige Logo des Herstellers

(wie romantisch: direkt über dem Herzen!: )

habe ich jedoch beim ersten Blick noch gar nicht wahrgenommen.

Als ich aber den Rücken unseres werten Neffen sah


("ein schöner Rücken kann auch entzücken"),

schoss es mir sofort durch den Kopf:

 

Auf Nachfrage wurde aber sofort klar, dass unserem ansonsten völlig unmathematischen Neffen natürlich nicht bewusst war, dass er ein mathematisches T-Shirt trug,  sondern dass er das T-Shirt "einfach nur schön" fand.

Nun ist Schönheit meistens kaum messbar, aber ich behaupte dennoch mal:

gewisse Dinge werden als schön empfunden,
  • weil sie mathematischen Gesetzen gehorchen
  • oder umgekehrt, weil es gelungen ist, einige ästhetische Phänomene mathematisch zu erfassen
  • oder weil Mathematik schön ist?
(Vgl. "Die Mathematik, recht betrachtet, besitzt nicht nur Wahrheit, sondern auch höchste Schönheit - eine kalte und strenge Schönheit gleich einer Skulptur, ohne Anziehungskraft für irgendeine unserer schwächeren Seiten, ohne die prächtigen Anreize der Malerei oder der Musik, aber von erhabener Reinheit und einer strengen Vollendung, wie sie nur höchste Kunst aufweisen kann."
[Bertrand Russell])

(... wobei sich Otto Normalverbraucher des mathematischen Hintergrunds ja gar nicht bewusst sein muss.)


Aber zurück zur kryptischen Anspielung

  :

Genau genommen geht es mir gar nicht um die Person namens Wacław Franciszek Sierpiński, sondern um seine berühmteste Entdeckung, nämlich das nach ihm benannte


Sierpinski-Dreieck.

Bzw. von dem T-Shirt abstrahiert:

(Das aber ist eben auch die Form des Markenzeichens vorne auf dem T-Shirt:

Dabei ist „HUF“ der Name des Herstellers von Skater-Klamotten, der viele seiner T-Shirts mit Variationen des Firmenlogos verziert:

 

 

.

Besonders interessant finde ich da - nebenbei gesagt - die als „magic eye“ bezeichnete Variante , die mich doch eher an das “Auge der Vorsehung“ bzw. „Auge Gottes“ erinnert.

Und nochmals nebenbei gesagt: als „Auge Gottes“ wird auch der Helixnebel NGC 7293 bezeichnet

... womit wir

[was viel zu selten geschieht!]

doch glatt mal ein bisschen über die reine Mathematik hinaus gedacht haben.)

Nun ist allerdings noch gar kein "richtiges" Sierpinski-Dreieck, sondern (erstmal) nur ein großes Dreieck, das in vier kleine Dreiecke zerlegt ist

(wobei die kleinen Dreiecke alle gleich groß und zum großen Dreieck "ähnlich" sind):

Damit ist auch das Firmenlogo mit all seinen Varianten auf den T-Shirts noch gar kein "richtiges" (s.u.) Sierpinski-Dreieck und bleibt also offen, ob die Firma "HUF" jemals an das Sierpinski-Dreieck gedacht hat.

Habe ich als Mathematiker also in nur ein gar nicht vorhandenes Sierpinski-Dreieck hineingesehen?

Jedoch dadurch, dass die drei (!) Buchstaben "H", "U" und "F" des Firmennamens immer in den äußeren der vier (!) kleinen Dreiecke angeordnet sind , bleibt im mittleren kleinen Dreieck immer ein Leerraum, der z.B. bei

für ein Zentralmotiv genutzt wird.

Und bei der Variante ist

(abgesehen von dem zusätzlichen kleinen Firmennamenaufdruck )

das mittlere kleine Dreieck mal ganz leer bzw. genauso weiß wie das T-Shirt.

Damit aber haben wir

(ob von der Firma beabsichtigt oder nicht)

das Konstruktionsprinzip des "richtigen" Sierpinski-Dreiecks: von den vier kleinen Dreiecken ist das mittlere „weggeschnitten“, also wie das restliche T-Shirt weiß):

Dieses Konstruktionsprinzip kann man aber immer aufs Neue wiederholen, also

Damit ergibt sich der eigentliche "Witz" des Sierpinski-Dreiecks

(das aus immer mehr Teildreiecken besteht):

Dieses Konstruktionsprinzip kann man

(wenn auch nur theoretisch, also im Kopf)

 in alle Ewigkeit

(Hans Magnus Enzensberger in : bis ins Aschgraue)

wiederholen, und wenn man in das dabei entstehende Gebilde hineinzoomt , stellt man besonders eindrücklich fest, dass sich das Grundmuster immer aufs Neue wiederholt

(Dreiecke in Dreiecken in Dreiecken ...):

Bei sowas spricht man von „Selbstähnlichkeit“: im Kleinen sieht das entstehende Gebilde genauso oder zumindest doch sehr ähnlich aus wie im Großen.

Andere Beispiele für solche Selbstähnlichkeit sind

              (jeweils nach ihren Entdeckern benannt)

Bemerkenswert an ist auch, dass

Da liegt die Vermutung nahe, dass durch immer mehr Löcher im Käse auf die Dauer gar kein Käse mehr übrigbleibt, dass also - mathematisch gesprochen - die Fläche des Sierpinski-Dreiecks gegen null konvergiert.

Gleichzeitig kommen durch immer mehr Dreiecke immer mehr Dreiecksseiten dazu, und deshalb liegt die Vermutung nahe: wenn man all diese Dreiecksseiten aufaddiert, geht die Summe gegen unendlich.

(Beides zusammen - das ist doch gerade der Gag - scheint aber doch widersinnig, wachsen doch bei „normalen“ geometrischen Figuren [Dreiecken, Rechtecken …] Fläche und Umfang immer gleichzeitig.)

Beide Aussagen lassen sich durchaus in der Oberstufe beweisen (vgl. ), wenn man gerade beim Limes ist.

In Schulen kaum möglich ist aber wohl der Beweis, dass das Sierpinski-Dreieck eine (unvorstellbare) „gebrochene“ Dimension (nämlich ; vgl. ) hat und damit in die „Fraktal-Geometrie“ gehört.

Aber auch dazu gibt es schülergeeignete Zugänge, nämlich z.B. .


Es gibt das Sierpinski-Dreieck auch in 3D

 ,

und zwar auch auf einem HUF-T-Shirt:


Ich bin so frei, aus ganzen drei Beispielen dreist zu folgern, dass die gesamte Skaterszene mathe-affin ist.

Hier also ein zweites Beispiel:

Zu den allemal interessanten Themen Baphomet und dem Taxil-Schwindel siehe .

Und zum Fünfeck, Pentagramm und  Drudenfuß

(der - nebenbei gesagt - als dreidimensionaler Gegenstand genauso unmöglich ist wie unten )

könnte man allemal eine spannende interdisziplinäre Unterrichtseinheit machen:

Ein drittes Beispiel:

zwecks Suche nach „Sierpinski-T-Shirts" der Firma HUF habe ich bei Google „T- Shirt triangle [= Dreieck]“ eingegeben und prompt auch diese Ergebnisse von der Firma „Palace Skateboards“ erhalten:

 

 

Dabei wird das auf vielen „Shirts“ variierte Grundmuster am besten auf dem schlichten T-Shirtdeutlich:

Da aber lassen wir jetzt erstmal den für unsere Zwecke unwichtigen Firmennamen weg:


Penrose-Dreieck
(benannt nach seinem Entdecker, dem Mathematiker, theoretischen Physiker und Nobelpreisträger Roger Penrose ,
der [nebenbei gesagt] auch die [ebenfalls als Unterrichtsprojekt interessante] "Penrose-Parkettierung" wiederentdeckt hat:  )

Das menschliche Gehirn ist anscheinend so sehr an die dreidimensionale Wirklichkeit gewöhnt, dass es z.B. in

, und .

(Erstaunlicherweise setzt man die drei hier getrennt nebeneinander liegenden, aber immerhin zueinander passenden Parallelogramme sogar [wieder] im Kopf zu einem Würfel zusammen.)

So gesehen ist es also erstmal kein Wunder, dass wir auch in dem zweidimensionalen Logo auf Anhieb einen dreidimensionalen Gegenstand erkennen.

Das ist aber nur "erstmal" kein Wunder

(also auf den zweiten [?] Blick doch),

weil der dreidimensionale Gegenstand unmöglich ist

(und das Gehirn ihn dennoch für sinnvoll hält).

Um diese Unmöglichkeit zu zeigen, halten wir erstmal fest:

Unmöglich ist nun, was so überzeugend durch das geschlossene zweidimensionale Logo nahegelegt wird, nämlich dass auch der dreidimensionale Gegenstand

  1. aus geraden Balken besteht,

  1. in sich geschlossen ist, also einen dreieckigen Ring etwa in der Art von bildet.

Es ist aber gar nicht so einfach, diese Unmöglichkeit zu erkennen

(und gleichzeitig haben wir hier ein Musterbeispiel dafür, dass das Offensichtliche nicht unbedingt wahr ist).

Wie also im Unterricht die Schüler auf die Ungereimtheiten stoßen, ohne gleich alles zu verraten (neudeutsch "spoilern")?

Ganz einfach: indem man die Schüler

(vgl.  ).

Bzw. indem man den dreidimensionalen Gegenstand

 

Eine Alternative zur handwerklichen Erstellung eines 3D-Modells wäre eine kognitive Schocktherapie:


(Skulptur in Ophoven [Belgien])

… womit hier nur eine Unterrichtseinheit zum Thema „optische Täuschungen“ angedeutet sei (vgl. etwa ), in der Schüler „interdisziplinär“ eine Menge sowohl über Geometrie als auch über optische Wahrnehmung (Biologie) lernen könnten.


PS: wenn doch auch im Unterricht öfters mal Blumen um das mathematische Klettergerüst ranken würden!:

          Aber schnöde Blumen haben ja nix mit erhabener Mathematik zu tun:

(Aus dem unbedingt empfehlenswerten Film .)

PPS: