negative Steigung? - die spinnen, die Mathematiker!

Der Anlass:

Ein Freund, nicht mehr und nicht weniger als immerhin doch Doktor der Medizin

(und seinerzeit in der Schule einer der Besten - auch im Mathematikleistungskurs!),

sah sich nicht (mehr) in der Lage, seinem Sohn (8. Klasse) bei den Geraden zu helfen:

"Was da in dem Schulbuch über die Steigung steht, versteht doch kein Schwein."

(vgl. )

Immerhin war dem Freund (und hoffentlich auch seinem Sohn) schon halbwegs geholfen, als ich sagte:

IMMER

  • 1 nach RECHTS

(also NIE nach LINKS!)

  • und dann die STEIGUNG
    • nach OBEN, wenn sie POSITIV ist,
    • nach UNTEN, wenn sie NEGATIV ist.

Fragt sich nur, wo die Probleme eigentlich her kommen.

Mir scheint:

  1. von einer immerhin doch (im Vergleich mit der Alltagssprache) ungewöhnlichen Verwendung des Wortes "Steigung" in der Mathematik:

kein Normalsterblicher würde von (negativer) "Steigung" sprechen, wenn ein Gefälle vorliegt:

Und das ist keineswegs nur ein begrifflicher Unterschied

(obwohl doch ein Gefälle, von der anderen Seite aus befahren, eine Steigung ist):

Gefälle sind erheblich gefährlicher als Steigungen, und deshalb stehen nur bei Gefällen gerne die allseits beliebten Radarfallen.

  1. scheint mir hier erfahrungsgemäß ein Uraltproblem vorzuliegen, nämlich Unverständnis

(und dennoch ist es verdammt ),

(nebenbei: obwohl MathematikerInnen nie einen Unterschied zwischen Steigung und Gefälle machen, ist ausgerechnet bei ihnen eine [positive] Steigung nie ein Gefälle [eine negative Steigung], denn im Gegensatz zum "normalen Leben" werden in der Mathematik Graphen nie rückwärts [von rechts nach links] gegangen)


Hier möchte ich mich nur mit 1. beschäftigen:

Natürlich spinnen die MathematikerInnen nicht einfach, und schon gar nicht ist ihre Bezeichnung von "Gefällen" als "negative Steigungen" Schikane. Sondern wie alle Wissenschaften, so haben auch sie bei der Wahl ihrer Fachsprache gute Gründe.

Das Problem (aber auch die Chance zur Veranschaulichung) liegt eher darin fast, dass die MathematikerInnen für viele mathematische Inhalte deutsche Alltagswörter gewählt und diese dann um- bzw. genauer definiert haben - womit allerdings auch den Missverständnissen Tür und Tor geöffnet sind

(vgl. etwa auch : im Alltag nennen wir "unwahrscheinlich", wo die MathematikerInnen von "geringer" Wahrscheinlichkeit sprechen).

Warum also tun MathematikerInnen sowas: ein Gefälle "negative Steigung" nennen?

Hauptgrund ist wohl ihr Hang zu

Wieso zwei Begriffe, wenn einer reicht?

y = mx + c ist eine Geradengleichung, und zwar unabhängig davon, ob die Steigung m positiv oder negativ ist.

Weitere Gründe dafür, dass die MathematikerInnen nicht von "Gefälle" sprechen:

  1. geht eine Steigung oftmals sukzessive in ein Gefälle über:

(und natürlich die Zwischenwerte)

... wobei wiederum bemerkenswert ist, dass völlige Flachheit - anders als in der Umgangssprache - von den MathematikerInneN auch als "Steigung" (wenn auch mit dem Wert 0) bezeichent wird.

MathematikerInnen denken oftmals kontinuierlich bzw. in Übergängen

(vgl. ),

nur leider vermitteln sie genau diese Verständnishilfe viel zu wenig den Laien/SchülerInneN bzw. holen diese zu wenig dabei ab.

  1. wollen die MathematikerInnen natürlich alles in Zahlen erfassen. Auch deshalb also 2, 1, 0, -1, -2 (und Zwischenwerte), also ein Zahlenmaßstab für Steigungen und Gefälle.

PS: Meine o.g. Anweisung

IMMER

  • 1 nach RECHTS

(also NIE nach LINKS!)

  • und dann die STEIGUNG
    • nach OBEN, wenn sie POSITIV ist,
    • nach UNTEN, wenn sie NEGATIV ist.

wird meiner Meinung nach in den Schulen viel zu wenig behandelt, sondern üblicherweise geht man da über sogenannte "Steigungsdreiecke" mit beliebigen Seiten

(also nicht nur - wie in meinem "Patentrezept" - mit der Grundseite 1).

Teilweise ist solch komplizierteres Vorgehen nur selbstinduziert:

  • weil die MathematiklehrerInnen bzw. Schulbücher auch gebrochene Steigungen (also z.B. 2/3) vorgeben,

  • braucht man natürlich (???) auch andere Steigungsdreiecke (hier: Höhe [dy] 2, Grundseite [dx] 3).

Das Problem ist: in der achten Klasse braucht man solche komplizierteren Steigungsdreiecke eigentlich nicht

(und wenn dennoch mal die Steigung 2/3 auftaucht, so reicht eben doch

  • 1 nach RECHTS
  • und dann die 0,65 ≈ 2/3 nach OBEN,

auch auf die Gefahr hin, dass die Zeichnung dann ziemlich ungenau wird).

Sondern andere Steigungsdreiecke braucht man eigentlich erst in der elften Klasse bei der Herleitung der Ableitung.

Da zeigt sich in der Tat ein Grundproblem des Mathematikunterrichts bzw. seiner gnadenlosen Stringenz:

  • es wird viel zu viel frühzeitig verkompliziert

  • nur weil man es sehr viel später braucht

(ein Ziel, das die SchülerInnen ja noch gar nicht sehen können).

Hinter den "anderen" Steigungsdreiecken steckt aber natürlich noch etwas viel Fundamentaleres, nämlich ein Grundverständnis von Geraden: dass mit ihrer einheitlichen Steigung natürlich auch das Verhältnis aller Steigungsdreieckseiten gleich bleibt.

Das aber ist (außer bei proportionalen Gleichungen) verdammt schwierig zu vermitteln - und auch darin zeigt sich wieder ein Grundproblem des Mathematikunterrichts:

  • graphisch ist es natürlich banal, dass Geraden immer dieselbe Steigung haben

(so banal, dass ich es kaum aufschreiben möchte: sonst wären es ja keine Geraden;
und dennoch kann man es auch graphisch-geometrisch kompliziert machen, indem man über Strahlensätze geht),

  • rechnerisch ist es (nicht nur) für SchülerInnen einer 8. Klasse teuflisch schwierig

(eine ganz andere, hier nicht angegangene Frage wäre es, wie man auch das Rechnerische möglichst anschaulich vermitteln könnte),

  • und einen Zusammenhang zwischen Zeichnung und Rechnung sehen sie nach dem üblichen (meinem?) Unterricht sowieso nicht, sondern im besten Falle werden Geradengleichungen rein mechanisch in Zeichnungen übersetzt

(... wobei rein mechanische Anweisungen [vgl. "IMMER ..."] natürlich auch sinnvoll und hilfreich sind).