nonverbale Mathematik

  "One of the saddest developments in school mathematics has been the downgrading of the visual for the formal."
(Ian Stewart)

„Ich hatte das Gefühl, durch die Oberfläche der atomaren Erscheinungen hindurch auf einen tief darunter liegenden Grund von merkwürdiger innerer Schönheit zu schauen.“
(Werner Heisenberg)

Was ich im Folgenden schreibe, gilt

(meiner Meinung nach)

genauso sehr für die Naturwissenschaften, wenn nicht gar für alle Schulfächer.

Aber vielleicht gilt es besonders für die Mathematik, und zwar gerade, weil man es bei dieser abstraktesten aller Wissenschaften am wenigsten vermuten würde.


Ich zitiere in diesem Essay viel, und zwar aus dem Buch . Dieses Buch beschäftigt sich mit den (verschiedenen) Denkweisen vieler Genies, aber weil Einstein

(wie sonst wohl nur Leonardo da Vinci)

zum Inbegriff des Genies geworden ist, fängt es mit diesem an und schien wohl auch der Titel "Denken wie Einstein" besonders verkaufsfördernd.

Die Passagen aus dem Buch, die ich im Folgenden zitiere, stammen in der Tat alle aus dem Einstein-Kapitel.


Nun war Einstein allerdings nicht "hauptberuflicher" Mathematiker, sondern Physiker

(wenn auch "theoretischer" Physiker: er hat keine Experimentalphysik betrieben, sondern Theorien enwickelt, wie die bereits vorliegenden Ergebnisse von Experimenten erklärt und welche Experimente noch zur Erprobung der Theorie gemacht werden könnten).

Aber die heutige Physik ist nunmal durch und durch mathematisiert

(was gerade zwei meiner Neffen, die Physik studieren, brutal zu spüren bekommen),

und gerade die Mathematisierung der Physik hat ihr den Ruf eingebracht, eine "exakte" Wissenschaft zu sein. Mehr noch: die Erfolge der Mathematik in der Physik haben dafür gesorgt, dass die Mathematisierung immer mehr zum Maßstab aller Wissenschaftlichkeit geworden ist, ja, dass heutzutage (leider) immer mehr Lebensbereiche mathematisiert werden

(vgl. nur den derzeitigen Hype der

[ausschließlich mathematischen und somit scheinbar objektiven]

Vergleichbarkeit in der derzeitigen Schulpolitik).

Als Physiker hat sich Einstein aber

(im Gegensatz zum reinen Mathematiker)

letztlich mit der außermathematischen Wirklichkeit

(oder genauer: mit einem physikalischen Ausschnitt dieser Wirklichkeit)

beschäftigt.

Es sieht so aus, dass er diese Wirklichkeit erst nonverbal

(und das heißt auch: nicht im üblichen Sinn mathematisch)

durchdrungen und seine nonverbalen Erkenntnisse erst ganz am Ende

(und für ihn meistens äußerst mühsam)

zu Mathematik hat gerinnen lassen müssen:

 

(Hier sei mal davon abgesehen, dass die physikalische Mathematik


Einsteins Gedankenweg erinnert mich an die Arbeitsweise von Mozart, Beethoven und Michelangelo:

(Mir scheint, dass Michelangelo den Moment der Inspiration als [verbal] unerklärbar empfunden hat - und deshalb in einem zweiten Schritt [wenn er sich dann doch verbal äußern sollte] als etwas Äußeres, nicht von ihm selbst Verursachtes erklärt hat: die Figur war schon ohne sein Zutun im Stein enthalten, und er war nur der Geburtshelfer.

Andere Künstler und Wissenschaftler haben dann von einer "Eingebung" gesprochen

[was gar nichts erklärt, solange man nicht sagen kann, von wem da etwas eingegeben wurde]

oder von einem Musenkuss:

"Eine Muse (griechisch Μοῦσα) ist eine Person, die einen anderen Menschen zu kreativen Leistungen anspornt oder inspiriert. Oft finden sich Musen, vor allem Frauen, im Umfeld von Künstlern.
Musen werden seit der Zeit der Griechischen Mythologie als göttliche oder genialische Inspirationsquelle für Künstler genannt (Musenkuss; von der Muse geküsst). Ursprung ist die antike Vorstellung, dass Ideen (das Denken) sich nicht von selbst entwickeln, sondern von Göttern (oder eben Musen) von außen eingegeben werden.
[...]
In der Neuzeit begann man, auch tatsächliche Personen als Musen zu bezeichnen, – meist Freundinnen von Künstlern, vereinzelt auch Männer. Musen inspirieren durch ihren Charakter, ihre Ausstrahlung, ihre menschliche Zuwendung, durch eine erotische Beziehung."
[Quelle: ]

Als einen Musenkuss mag z.B. auch Roger Penrose seine Eingebung empfunden haben:

"Der Nobelpreis flog Roger Penrose zu, als er gerade eine Straße überquerte. Es war im Jahr 1964. Penrose, der damals Mathematik am Londoner Birkbeck-College lehrte, war vertieft ins Gespräch mit einem Kollegen. An weitere Einzelheiten erinnert sich der Forscher nicht mehr. Nur, dass es mitten auf einer Seitenstraße gewesen sein muss, als ihm ein bahnbrechender Gedanke durch den Kopf schoss.
Am Abend verspürte Penrose ein eigenartiges Gefühl der Beschwingtheit. Er versuchte, dieser Regung auf den Grund zu gehen, durchstöberte die Erinnerungen des Tages und stieß dabei auf jenen Moment bei der Straßenquerung. Nun fiel ihm auch der Gedanke ein, der in diesem Augenblick irgendwo in seinem Unbewussten geboren wurde. Es war eine Idee, die etwas mit Schwerkraft und mit schwarzen Löchern zu tun hatte. Sofort machte sich Penrose daran, seine Gedanken zu sortieren und genauer auszuformulieren.
Die Erleuchtung auf der Straße sollte die Physik revolutionieren und bescherte Penrose den Nobelpreis.
Er musste allerdings lange darauf warten. Es vergingen 56 Jahre, bis der Anruf aus Stockholm kam. Penrose ist das recht: Für den Nobelpreis habe er genau das richtige Alter, sagte er nach der Bekanntgabe im Oktober. »Ich kenne einige Leute, die den Preis zu früh erhalten haben, und das hat ihre Wissenschaft ruiniert.«"
[Quelle: ])

Die im Folgenden zitierten Passagen

(überhaupt nur deshalb zitiere ich sie ja:)

stützen meine These, dass die Mathematik in der Schule so anSCHAUlich und beGREIFbar, also immer wieder auch non- bzw. vor-verbal  unterrichtet werden sollte.


Mathematik ist zu allererst eine Sprache, d.h. sie besteht üblicherweise aus (Fach-)Begriffen. Das wird schon allein daran klar, dass die berühmte Formel a2 + b2 = c2 "Satz (!) des Pythagoras" genannt wird. Dabei

Mit "gestapelt" und "zwei Seiten einer Waage ins Gleichgewicht gebracht" rede ich aber schon in Bildern, bin ich also schon im Absprung


im Anfang war nicht das Wort,
sondern das Bild, der Geruch ...

Nun aber die Zitate aus :

(Von wegen "musische Strukturen": könnte es sein, dass Einstein den Satz des Pythagoras gehört hätte?:

a      2           +  b        2         =     c      2

/     _     _     _   /     _    _       _      /    _    _
a quadrat plus b quadrat gleich c quadrat

Und hat er Musik

(wie ich manchmal vor seinem inneren Auge als filmische Abfolge von Bildern gesehen?)