Orientierung in Ebene und Raum
Um vom Großen (d.h. auch: den hübschen Schlagworten) aufs Kleine zu kommen: wenn es (vor allem Fachlichen, das da "nur" wichtigstes Handwerkszeug ist) vornehmste Aufgabe von Schule ist, den SchülerInnen Möglichkeiten (verschiedenste Denk- und Handlungsmodelle) anzubieten,
sich selbstständig in einer multidimensionalen und pluralistischen (?) Welt zu orientieren, |
so gehört dazu auch, die Metapher „Orientierung“ wieder wörtlich (d.h. geometrisch!) zu nehmen:
Orientierung [...] das Sichzurechtfinden im Raum.(Duden)
Trotzdem möchte ich die metaphorische und die wörtliche Bedeutung natürlich nicht simpel gleichsetzen: es gibt Menschen, die bestens „im Leben zurecht kommen“, obwohl sie doch völlig unfähig sind, sich räumlich zu orientieren [1]
(und dennoch kommen sie immer [durchaus räumlich] an, indem sie andere Strategien anwenden, also z.B. Passanten fragen).
Unverzichtbar scheint mir geometrische Orientierung allerdings in der Mathematik.
Leider wird diese geometrische Orientierungskompetenz aber gerade in der üblichen Schulmathematik allzu sehr unterschätzt bzw. viel zu wenig trainiert: gerade bzw. ausgerechnet in der Geometrie kommt man vor lauter Rechnen und Konstruieren nicht zur Anschauung.
Ein Musterbeispiel ist da für mich die Kongruenzgeometrie (vgl. auch ). Was da in Schulen betrieben wird („drehe, spiegele und verschiebe dann noch mal - und zwar immer auf Papier und mit Zirkel und Lineal“) fürdert nicht die Grundanschauung, sondern zerstört geradezu das allzu Banale:
wenn ich z.B. ein Buch Buch schwenke (es drehe), es auf einem Tisch hin- und herschiebe, auf die Vorderseite lege (spiegele) oder gar – in komplexen Bewegungen - alles gleichzeitig tue, also mit ihm rumwedele, verändert das Buch „natürlich“ nur seine Lage, nicht aber seine Form.
(und nebenbei: die Kongruenz wird erst interessant, wenn man gleichzeitig auch ihr "Gegenteil", nämlich die Ähnlichkeit, durchnimmt, bei der die Form [Größe] sich ändert und doch irgendwie [wie?] "ähnlich" bleibt; die beiden Themen "Kongruenz" und "Ähnlichkeit" werden in der Schulmathematik aber leider weit auseinander gehalten.)
oder: zwei Gegenstände A und B sind kongruent, wenn
- A völlig B verdeckt UND
- B völlig A verdeckt.
Warum tut man nicht (erst mal) genau das: reale Dinge drehen, verschieben und spiegeln sowie hintereinander verstecken?
(Warum zerdeppert man zu Beginn der Bruchrechnung nicht echtes Porzellan in Bruchstücke?)
Damit meine ich keineswegs
eine simple Anwendungsmathematik (eine Mathematik, die bei den [vermeintlichen] Anwendungen stehen bleibt): nein, auch reine Innermathematik [2]
(vgl. etwa unten Kegelschnitte; und wo in der [Schüler-] Realität gibt's schon ernsthaft Kegelschnittanwendungen?)will und kann veranschaulicht und erfahren werden;
ein Stehenbleiben bei reiner Anschauung: im Gegenteil können sich aus der Anschauung ja überhaupt erst (und dann durchaus motiviert) mathematische Fragen ergeben:
ich bin der festen Überzeugung, dass simpelste räumliche Orientierung (wie auch wieder anhand der Kegelschnitte klar wird) durchaus auch in der Oberstufe Platz hätte – und zu mathematischen Fragen führen könnte, die allemal eines Leistungskurses würdig wären.
Diese räumliche Orientierung wird ja implizit überall verlangt – nur leider viel zu wenig geübt:
sowieso in der Vektorgeometrie
(„eine Kugel schneidet eine Ebene“: eine mit geradezu tödlicher Sicherheit vorkommende Aufgabe in der Vektorgeometrie, mit der viele SchülerInnen dennoch nichts anfangen können, weil sie damit nicht die mindeste Anschauung verbinden, denn wo kommt sowas im "richtigen" Leben schon vor - außer beim Saturn
und jenen - wie irre komisch! - ominösen Golfbällen ("ich spiele Golf und werde demnächst in die FDP aufgenommen"), die mitten in einem Autofenster stecken geblieben zu sein scheinen?:
Offensichtlich ist der Effekt enorm attraktiv, weil ästhetisch. Warum? Vielleicht doch wohl, weil sich da so recht platonisch das perfekt Gerade [die Ebene] und das perfekt Runde [die Kugel] begegnen. Noch schöner aber ist der Effekt, wenn die Kugel kontinuierlich durch die Ebene "flutscht"; ein Effekt, der dem alten Menschheits-Entgrenzungstraum gleichkommt, durch Wände gehen zu können);
(Ich sehe durchaus die technischen Schwierigkeiten; dennoch sei mal provokativ gefordert: in der dreidimensionalen Vektorgeometrie darf überhaupt keine Aufgabe durchgenommen werden, zu der kein Modell vorhanden ist bzw. gebastelt wird. Bzw. Abstraktion [Arbeit im Kopf ohne Modell] sollte immer nur - durchaus wichtiges! - Endziel sein.)
„eine Funktion 3. Grades muss eine Nullstelle haben, und wenn ich keine rauskriege, kann irgendwas nicht stimmen.“Oder was heißt denn schon (ursprünglich bei Newton) "Ableitung": doch wohl die gar nicht so einfache Orientierung in Raum und Zeit!
Wir Lehrerinnen bewerten scheinbar nur (durchaus oft geübte!) "Rechenfähigkeit", in Wirklichkeit aber oftmals mindestens ebenso sehr auch (selten oder gar nie geübtes) räumliches Orientierungsvermögen(etwa so, wie Deutschlehrer implizit immer Ausdrucks- und historisch-soziales Differenzierungsvermögen voraussetzen).
Selbstverständlich sollte geometrische Orientierung in der (zweidimensionalen) Ebene anfangen und dann erst auf den (dreidimensionalen) Raum übergehen:
(„wie man nach Peking kommt? Ganz einfach: sobald man in Russland reinkommt, einfach rechts halten“)sowie die x- und y-Achse?(und - s.u. - wo befinde ich mich bzgl. einer Sache?)
Der (dreidimensionale) Raum ist sowieso ein Problem, sobald man nur zweidimensionale Projektionen von ihm (an der Tafel, im Schulbuch und Heft) betrachtet
(und man sollte sich eingestehen: ausnahmslos jeder hat Probleme mit zweidimensionalen Projektionen des dreidimensionalen Raums!).
Es ist doch schlichtweg ein Widersinn, wenn man mit diesen zweidimensionalen Projektionen anfängt – und aufhört. Da kann ich nur sagen: massenhaft (dreidimensionale, handgreifliche) Modelle tun Not – und sollten allemal am Anfang aller Raumgeometrie stehen, bzw. alle Ergebnisse aus zweidimensionalen Projektionen sollten, wenn irgend möglich, am Ende wieder an dreidimensionalen Modellen überprüft werden.
(Dabei will ich ja gar nicht bezweifeln, dass zweidimensionale Projektionen durchaus ihren Wert haben, nämlich Abstraktion üben; vgl. )
Wie schon gesagt: die eigentlich mathematischen Fragestellungen sollen ja keineswegs ausgeschlossen werden. Und dennoch sollten sie lange Zeit zurück stehen. Die SchülerInnen sollten erstmal und immer wieder stunden- und wochenlang basteln und rumhantieren, schieben und drehen und durchschneiden usw., ohne dass ein im engeren Sinne mathematischer Ansatz vorkäme.
Nehmen wir nur mal die Kegelschnitte: je nachdem, wie man einen Kegel durchschneidet, ergibt sich
ein Kreis,
eine Ellipse,
eine Parabel,
eine Hyperbel:
(ich habe diese Zeichnungen mangels Masse aus einem Universitätsbuch geklaut, das natürlich einen erheblich theoretischeren Ansatz hat; z.B. stört ja – für SchülerInnen – schon allein der [für die theoretische Mathematik durchaus wichtige] Doppelkegel)
Das ist doch wirklich erstaunlich, dass sich diese völlig verschiedenen Dinge (Kreis, Ellipse, Parabel, Hyperbel) aus ein und demselben Ding (Kegel) ergeben! Woher „wusste“ der Kegel das?
Das erinnert mich doch an Michelangelo, der mal so etwa sinngemäß und durchaus demütig gesagt hat, nicht er schaffe Skulpturen, sondern er hole sie nur aus dem Stein heraus (in dem sie schon angelegt bzw. vorgegeben waren).
Und dieses „Wissen“ des Kegels nachzuvollziehen, also herauszufinden, weshalb da die verschiedenen Figuren herauskommen, ist schon echte Hochmathematik. Nur meine ich: diese „richtige“ Mathematik kann ja immer noch kommen (und sollte – zumindest ansatzweise – irgendwann kommen!).
Aber man kann doch auch gleichzeitig viel einfacher anfangen (schon in einer 5. Klasse): Styroporkegel (und andere Styroporkörper) verteilen und einfach durchschneiden lassen. Die SchülerInnen werden allemal staunen, was da alles bei raus kommen kann (auch wenn sie natürlich noch nicht Parabeln und Hyperbeln unterscheiden bzw. gar mathematisieren können).
Denn staunenswert ist die Ästhetik [3]der herauszufindenden Kurven allemal!: ein Kreis, eine Ellipse, eine Parabel ist intuitiv schön, auch wenn man sie noch gar nicht benennen geschweige denn formalisieren kann
(und dennoch ist mit dieser Ästhetik schon die Motivation vorhanden, sie auch irgendwann zu formalisieren) .
An solch einem Kegel lässt sich tatsächlich massenhaft geometrische Orientierung üben.
Da reicht es allemal nicht
(obwohl das ja „state of the art“ im gängigen Mathematikunterricht ist),
(die SchülerInnen also nichtmal selbst schneiden zu lassen: denn warum heißen diese Dingens denn wohl Kegelschnitte?!).
Bei beiden Vorgehensweisen wird den SchülerInnen nämlich Elementares gestohlen:
(in einer Zeichnung/zweidimensionalen Skizze aber fatal irreführend eine Ellipse!)
Und da dann sind (ausnahmsweise!) wirklich mal Computerprogramme angesagt, die allein eine kontinuierliche Bewegung der Schnittrichtung vorführen und damit „bewegte Mathematik“ [4] (vergleichbar. etwa der Schichten-Computertomographie eines Körpers) zeigen können.Solche Computerprogramme bereiten aber das im Grunde Allerwichtigste vor:
Abstraktion = Anschauung ! |
Gerade als Mathematiker mit einer bestimmten (einseitigen?) Denkweise muss man sich im Klaren darüber sein, dass die eigene Orientierungsweise
nicht die einzig mögliche
und damit eventuell schwer (wenn überhaupt) zu vermitteln ist.
Während "unsereins" sich immer in glasklar raumzeitlichen Koordinaten bewegt
(z.B.
- sogar in geschlossenen Räumen weiß, wo welche Himmelsrichtungen liegen,
- ein fast untrügliches Gespür dafür hat, wieviel Uhr es ist,
- eine Autokarte "genordet" lesen kann, sie also nicht so drehen muss, wie man selbst gerade fährt),
ist das bei anderen keineswegs selbstverständlich: sie leben in einer ganz subjektiven Raumzeit, d.h. alles ist (wie bei kleinen Kindern?) um sie selbst zentriert:
Wie soll man solchen Menschen die "objektiven" mathematischen Koordinaten vermitteln? Geht das überhaupt, oder sind da prinzipielle Grenzen erreicht?
Solch prinzipielle Grenzen mögen fatal im Hinblick auf das Lernen von Mathematik sein. Ansonsten kann man sich aber doch probeweise mal fragen, wer da eigentlich einen "Schaden" hat: beispielsweise
Es gibt so unendlich viele Möglichkeiten, geometrische Orientierung zu üben.
Ich möchte hier nur ein Beispiel andenken:
(so dass man den einen Gegenstand darin kaum wiederzuerkennen vermag).
Es gibt verschiedenste und nach wie vor höchst umstrittene bzw. kontroverse Theorien über diese Pyramiden.
Z.B. wird da diskutiert, ob die Pyramiden
erstellt worden seien.
(Nebenbei: das Thema wäre ja mal ein hübscher Anlass, ansatzweise – und zwar ausgerechnet mitten im Mathematikunterricht! - in die Kultur [5] einer unserer [auch mathematisch!] wichtigsten Vorgängerzivilisationen einzuführen!)
Zwei andere Thesen zu den Pyramiden in Gizeh:
Ägypten ist und war schon immer zu 99 % ein Wüstenland, und nur in der direkten Nachbarschaft des Nils gibt es (enorme!) Fruchtbarkeit, d.h. Lebensmöglichkeiten für Menschen. Der Grund für diese Fruchtbarkeit: die Schlammmassen, die jedes Jahr aus dem Oberlauf des Nils kommen und die Felder am Nil entlang überschwemmen.
Nur liegt genau in diesem Vorteil auch das Problem: diese enorm fruchtbaren Schlammmassen überschwemmen ausnahmslos alles Land.
Für die damaligen Ägypter ergaben sich daraus – so sagt man zumindest – zwei Probleme:
Im 2. Fall brauchte man also schlichtweg geometrische Orientierung, und es wird gesagt, genau da habe die Geburtswiege sämtlicher abendländischen Geometrie gestanden!:
Geo-Metrie = Erd-(ver-)Messung
Eine weitere These ist, dass die Pyramiden nur deshalb errichtet worden seien, weil sie mit ihrer enormen, bei gutem Wetter über hundert Kilometer hinweg erkennbaren Größe (und wegen ihrer Spitzen aus massivem Gold) überhaupt erst die dringend benötigte Orientierung ermöglicht hätten.
Und da sind wir wieder beim o.g. Problem: wie kann man erkennen, wo man sich bzgl. der Pyramiden befindet?
Das ist ja nur eine Perspektive. Aus anderen Perspektiven sehen diese drei Pyramiden allemal anders aus:
Die exakte Bestimmung der Lage der drei Pyramiden zueinander (und der jeweiligen Richtung, in der man sich bzgl. ihrer befindet) ergibt enorme(SchülerInnen allemal überfordernde!) mathematische Probleme (sogenannte „Triangulation“):
Aber ich glaube dennoch, dass es sich allemal lohnt, sich mit den SchülerInnen probeweise(unmathematisch) zwischen diesen Pyramiden zurecht zu finden, und dass es die SchülerInnen interessieren würde.
Ich weiß auch, dass schon allein die erste räumliche Orientierung keineswegs einfach ist:
Aber genau das ist ja der Vorteil: genauso dumm zu sein wie alle.
- wie sich die Gravitationen dreier (oder mehrerer) Körper (z.B. Planeten) zueinander verhalten;
- wie dann die exakten Bewegungen/Umlaufbahnen dieser drei Körper aussehen.
Man arbeite aber wieder so praktisch wie irgend möglich, d.h.
(was gar nicht so einfach ist, sondern überhaupt erst mitten ins Problem führt)den Lageplan(und gebe ihn nicht vor),
(und z.B. die erstaunliche, von einer theoretischen Pyramide ja durchaus interessant abweichende Geometrie
der Cheops-Pyramide durchnehmen) .
Ich halte es also für durchaus sinnvoll, ja sogar dringend geboten,
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