persönlich, kulturell, wissenschaftlich

Keine Frage:

Laien muss man also erst mal abholen.

Daran gemessen sind aber ausnahmslos sämtliche (Mathe-)Schulbücher grauenhaft schlecht, bzw. die AutorInnEn verlassen sich (notgedrungen?) darauf, dass die Lehrkraft vor Ort das "Abholen" schon ergänzen wird

(eine Banalität wir brauchen eben doch die leibhaftige Lehrkraft "vor Ort", die durch kein Buch oder Computerprogramm zu ersetzen ist).

Eben das aber geschieht oftmals nicht, und zwar, weil

Viele Lehrkräfte unterrichten also stur nach Buch ("schlagt heute bitte S. 17 auf und rechnet sämtliche Aufgaben") - und im Laufe der Schulzeit stur ein Buch nach dem anderen (vgl. Bild ).


Wie man aber am besten abholt, wird besonders gut deutlich an einem Beispiel aus

Natürlich ist der Strandkorb (wieder mal) nur ein Vorwand, um die halbe gehobene Physik unterzujubeln. Das gelingt Trefil meist, aber nicht immer

(u.a. nicht wegen einiger schlechter Zeichnungen samt schlechten Erklärungen).

Hier aber soll es darum gehen, wie er Ebbe und Flut erklärt.

Dabei steht er von einem - für ein Buch - schier unlösbaren Problem: er hat kein "richtiges" Meer samt Ebbe und Flut zur Hand

(und auch ein Bild oder eine Filmanimation könnte da kaum helfen: sie blieben - auch in Cinemascope - immer mickrig im Vergleich mit dem "richtigen" Meer, und sei's allein deshalb, weil der Duft der Gischt und deren Tropfen auf der Haut fehlen),

sondern er muss

(den Autor selbst [s.u.], dem da all seine angelernten physikalisch-geographischen Vorkenntnisse auch nicht halfen)

wirkt.

Damit aber Trefils Text [mit Anmerkungen von mir, H.St.]

[persönlich: alle, also auch der Leser; wichtig dabei ist vor allem,

  1. den Leser bei seinem Staunen abzuholen - oder es mittels "niemand" überhaupt erst zu erzeugen: wer wollte sich da denn ausschließen?

  2. Ebbe und Flut als mehr als nur ein ewiges Geschwappe darzustellen: in der Theorie sind sie nur ein Plitschplatsch, aber wenn man wirklich am Strand ist, beeindrucken sie eben doch jeden.
    Das geht ja auch mir [H.St.] so: alles Meer bleibt letztlich graue Theorie, bis es dann hinter der nächsten Kurve auftaucht - und ich [zu meinem eigenen Erstaunen] doch wieder fassungslos über seine Präsenz und Allmacht bin.

Hier spricht Trefil offensichtlich noch für die Leser, die schon selbst das Meer bewundert haben.]

Niemand, der auch nur ein paar Stunden am Strand verbracht hat, kann umhin, die dramatischen Wasserstandsveränderungen zu bemerken, die wir die Gezeiten nennen. Manch unerfahrener Camper hat Lehrgeld zahlen müssen, wenn er sein Zelt nur wenige Meter vom Wasser entfernt aufschlug und unsanft geweckt wurde, als die Wellen seinen Schlafsack durchtränkten.

[persönlich: ein konkretes Beispiel (inneres Bild) des Autors - der auch nicht schlauer ist; hier spricht Trefil eher für Leute, die noch nicht am Meer waren]

Meine eigene Bekanntschaft mit den Gezeiten war etwas weniger erschreckend, wenn auch gleichermaßen beeindruckend. Mit einer Studentengruppe hatte ich während der Frühjahrsferien in einer Jugendherberge an der Küste Portugals Halt gemacht, um den außergewöhnlich schönen Nachmittag zu genießen. Um uns die Zeit zu vertreiben, begannen ein Freund und ich damit, eine große, verwinkelte Sandburg zu bauen. Da er aus Texas stammte und ich aus Illinois, dachte sich keiner von uns etwas dabei, dass die Burg so nah am Wasser lag. Das erste Anzeichen herannahenden Unheils war eine besonders große Welle, die an die äußere Burgmauer schlug. Der ursprüngliche Abstand von zehn Metern bis zur Wasserlinie war auf einen Meter geschrumpft. Sogleich bauten wir einen kleinen Deich aus Sand und machten unbekümmert weiter, bis eine weitere, noch größere Welle ins Innere unserer Konstruktion eindrang. Im weiteren Verlauf des Nachmittags arbeiteten wir mehr an den Barrieren, die als Schutz vor dem Wasser dienen sollten, als an unserer Burg selbst. Die Bekämpfung der Flut wurde für uns so etwas wie eine Obsession, und wir schleppten Treibholz und große Steine heran, um unsere zunehmend gebeutelten Wälle abzustützen. Als sämtliche Versuche, unserer Hände Arbeit zu retten, nichts fruchteten, warfen wir uns selbst den Wellen entgegen. Alles vergebens. Ungeachtet all unserer Bemühungen mussten wir schließlich zusehen, wie unser Werk unter den anrollenden Wellen verschwand. An diesem Tag verließen wir den Strand mit einer neuen Einschätzung der Naturkräfte.

[kulturell: der moderne Mensch ist nicht allein, sondern es stehen uralte "Menschheitsfragen" an]

Der Legende zufolge gab es mindestens einen Vorläufer für unseren Versuch, an jenem Aprilnachmittag den Gezeiten Einhalt zu gebieten. König Knut der Große, der Herrscher über weite Teile Englands und Skandinaviens im 11. Jahrhundert, hat angeblich seinen Thron an einen Strand transportieren lassen, wo er den Gezeiten befahl, innezuhalten. »So weit dürft ihr gehen, doch nicht weiter«, soll er einem Berichterstatter zufolge gesagt haben. Als die Wellen sich nicht an seinen Befehl hielten und den Thron trotzdem überspülten, nutzte er die Situation als Anschauungsunterricht für seine Höflinge über das Thema »Die Grenzen der Macht«.
Es gibt in der Volksüberlieferung und in alten Schriften noch weitere Erwähnungen der Gezeiten, jedoch weniger, als man vermuten würde. Verglichen mit anderen Naturerscheinungen wie den Mondphasen, wurde den Gezeiten offensichtlich nur eine geringe Aufmerksamkeit geschenkt. Herodot beschreibt sie im 5. Jahrhundert v Chr., doch andere klassische Autoren nahmen wenig Notiz davon. Dass die Griechen, immerhin ein Volk von Seefahrern, so selten von den Gezeiten redeten, wird gewöhnlich der Tatsache zugeschrieben, dass die Gezeiten im Mittelmeerbecken nicht sehr bedeutend sind - der Unterschied des Wasserpegels zwischen Flut und Ebbe beträgt normalerweise.nur 15 bis 30 Zentimeter.
Die vielleicht am weitesten verbreitete Darstellung über die Gezeiten in der volkstümlichen Überlieferung betrifft die vermutete Beziehung zwischen dem Tod und dem Gezeitenwechsel. Einige Schriftsteller aus dem Mittelmeerraum haben angeblich geglaubt, dass die Menschen nur bei Ebbe sterben konnten. Dieser Glaube war an den atlantischen Küsten Europas, von Spanien bis hinauf nach Skandinavien, weit verbreitet und überlebte in England bis ins 19. Jahrhundert. Shakespeare ließ Falstaff beim Gezeitenwechsel sterben, und Dickens ließ Mr. Peggotty sagen, die Menschen könnten nicht sterben, »es sei denn, die Ebbe ist ziemlich nahe«. Die Vorstellung von den Gezeiten als Vehikel der Seelen taucht auch an vielen anderen Orten auf, etwa bei den Indianern an der Pazifikküste Nordamerikas.
Wenn auch die Quellen zu diesem Thema relativ spärlich sind, so stimmen sie zumeist doch in einem Punkt überein: Die Gezeiten stehen, auf die eine oder andere Weise, mit dem Mond in Verbindung. für die Tlingit-Indianer am nordwestlichen Pazifik zum Beispiel sind die Gezeiten eine Folge des Kampfes zwischen dem Mond (der als alte Frau dargestellt wird) und dem Raben, der einen kleinen Streifen Land vom Meer zurückgewinnt, um seine Brüder zu füttern.

[wissenschaftlich, und zwar im Rahmen der kulturellen Entwicklung: Newton ist nicht besser, sondern "mehr"]

Erst als Isaac Newton seine Theorie von der universellen Gravitation entwickelte, konnte die vage Verbindung zwischen dem Mond und den Gezeiten durch eine umfassende Gezeitentheorie ersetzt werden.
[...]

So macht man das!