... womit der "Kehrwert" von Platon bzw. "Platon andersrum" gemeint ist.

 

Platons Ideenlehre

Platon teilt die Welt in das Reich der Wahrnehmung und das Reich der Ideen.

Das Reich der Wahrnehmung kann auch Sinnenwelt genannt werden. Über diese Welt können keine allgemeingültigen Aussagen gemacht werden, da sie von uns mit unseren fünf Sinnen wahrgenommen wird. Diese Aussagen können auch nicht allgemeingültig sein, da die Dinge, die beschrieben werden, sich ständig verändern. Platon nannte diesen Prozess fließen. Alles, was in der Sinnenwelt existiert, besteht aus einem vergänglichen Material, welches sich mit der Zeit auflöst. Im Gegensatz dazu ist alles nach dem Muster einer Form gebildet, das zeitlos ist. Alle Pferde können von uns als Pferde erkannt werden. Irgendwann wird das Pferd alt und lahm, aber es ist trotzdem noch als Pferd erkennbar. Dann stirbt es, aber die Pferdeform ist unvergänglich. Diese Urform ist also ein abstraktes, geistiges Musterbild, das, laut Platon, in einer Wirklichkeit hinter der Sinnenwelt besteht. Diese Wirklichkeit nannte Platon das Reich der Ideen. Da man das Reich der Wahrnehmung mit Hilfe der Sinne erreichen kann, kann man dort nur zu wahren Meinungen über etwas gelangen. Über das Reich der Ideen kann man sicheres Wissen erlangen, allerdings nur, wenn man die Vernunft benutzt. Die Ideenwelt läßt sich also nur mit dem Verstand, nicht aber mit den Sinnen erkennen. Die Ideen sind ewig, unteilbar und unveränderlich und existieren unabhängig von wahrnehmbaren Dingen. Also wird die Urform des Pferdes auch dann bestehen, wenn das Pferd tot ist. Die Ideen entstehen also weder, noch vergehen sie, und deshalb kommt ihnen Wahrheit zu. Also existieren laut Platon auch allgemeingültige Aussagen, zum Beispiel mathematische Aussagen: Die Winkelsumme im Dreieck wird immer 180 Grad betragen. Die wahrnehmbaren, vergänglichen Dinge können uns allerdings an die Ideen, dessen Abbilder sie sind, erinnern. So legt Platon dar, dass man durch relativ gleiche Dinge an die Idee der Gleichheit erinnert wird. Vollständige Gleichheit ist in der Welt des sinnlich Wahrnehmbaren nicht vorhanden. Ebenso ist das Gerechte, das Gute in der Welt der Wahrnehmung nicht vorhanden. Es stellt aber ein Ideal dar, nach dem man seine Handlungen ausrichten sollte. Es gibt immer gültige, objektive, ethische Werte, die der Maßstab für die Beurteilung einzelner Handlungen ist. Die Kenntnis der Idee des Guten ist nach Platon eine notwendige Bedingung für moralisches Handeln. Mit Hilfe der Ideen können auch Eigenschaften der sinnlich wahrnehmbaren Dinge erklärt werden. So wird etwas schön genannt, wenn es an der Idee des Schönen teilhat, die selbst schön ist. Platon hielt auch den Menschen für ein zweigeteiltes Wesen. Wir haben einen Körper, der fließt, der also aus vergänglichem Material besteht und mit der Sinnenwelt unlösbar verbunden ist (denn die Sinne sind körperlich). Unsere Seele hingegen ist unsterblich und befindet sich in der Vernunft. Demzufolge ist sie nicht materiell und kann in die Ideenwelt sehen. Platon meint, bevor die Seele in unseren Körper gelange, existiere sie schon im Reich der Ideen, sie hat aber beim Eintritt in den Körper die vollkommenen Ideen vergessen. Wenn wir dann ein unvollkommenes Pferd sehen, sehnt sich unsere Seele nach der vollkommenen Urform, die ihr aus dem Reich der Ideen bekannt ist. Diese Sehnsucht nennt Platon Eros (Liebe).
Die meisten Menschen geben dieser Sehnsucht nicht nach, sondern klammern sich an die schlechten Nachahmungen der Ideen in der Sinnenwelt. Platon hielt die Menschen für Schatten, die glauben, diese Schatten seien alles, was es gibt, ohne daran zu denken, dass etwas den Schatten werfen ließ. Sie sind mit dem Leben als Schattenbilder zufrieden und erleben die Schatten demzufolge nicht als solche. Deshalb hielt Platon alle Phänomene der Natur für bloße Schattenbilder der ewigen Formen oder Ideen.
(zitiert nach )

 

Uns soll's im Folgenden aber nicht um mehr oder weniger tote Pferde gehen, sondern um "mathematischere" Gegenstände, mit denen Platon sich ja auch beschäftigt hat

(vgl. die Winkelsumme 1800).

Mit diesen mathematischeren "Gegenständen" meine ich hier aber nicht die berühmten platonischen (!) Körper

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Tetraeder

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Hexaeder (Würfel)

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Oktaeder

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Dodekaeder

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Ikosaeder

(Animationen von Bild Rüdiger Appel) ,

sondern simple (?) Geraden, Kreise und Kugeln:

:

Für die Pythagoräer war

(und für viele Menschen, die sich die Städte und Gärten mit Kugeln vollstellen, ist anscheinend noch heute)

die Kugel der perfekteste Gegenstand. 

Und im Zweidimensionalen waren die "alten" Griechen derart fasziniert von den perfekten mathematischen Basiselementen Gerade und Kreis, dass sie darauf ihre gesamte Geometrie aufgebaut haben: spätestens seit Euklid sind nur solche geometrische Beweise als gültig anerkannt, die ausschließlich mit


Zirkel
(Kreis) und Lineal (Kreis)

geführt werden können. Dabei wurde dann oftmals übersehen, dass derart nicht führbare Beweise durchaus anderweitig, nämlich mit Origami führbar sind

(vgl. ).

Und die ästethische und geradezu religiöse Überhöhung von Geraden, Kreisen und Kugeln

(denn schließlich waren diese Ideen von Gott gegeben)

hat sich dann jahrhundertelang als Erkenntnisblockade erwiesen, so dass sogar noch Kepler anfangs in meinte, die Planeten könnten sich gar nicht anders als auf Kreisen bzw. Kugeln bewegen

(womit das heliozentrische Weltbild auch kaum besser war als das geozentrische):

Und erst nach mühsamster Auswertung der Beobachtungsdaten von Tycho Brahe musste er sich dann durchaus widerwillig eingestehen, dass die Planeten sich auf Ellipsen bewegen (vgl. die drei Keplerschen Gesetze).


Ob an der mathematischen Ideenlehre was dran ist, ist immer noch umstritten. Wunderschön aufgezeigt hat die Geschichte der platonischen Ideenlehre bis in unsere Gegenwart Mario Livio in seinem Buch .

Vgl. auch "Ist Gott eine Zahl?": BildBildBildBildBildBild.

Und auf den Punkt gebracht hat es P.J. Davis:

"Der typische Mathematiker ist  an Werktagen Platonist und an Sonntagen Formalist."

("1. Im Platonismus sind mathematische Objekte real. Sie existieren außerhalb des Raumes und der Zeit. Sie sind unveränderlich, sie wurden weder geschaffen, noch werden sie sich je verändern oder auflösen. Dem Platonismus zufolge ist ein Mathematiker ein ebenso empirischer Wissenschaftler wie ein Geologe - er kann nichts erfinden, da alles bereits vorhanden ist. Es bleibt ihm nur, die Dinge zu entdecken. [...]

2. Der Formalismus geht dagegen davon aus, daß es KEINE mathematischen Objekte gibt. Die Mathematik besteht nur aus Axiomen, Definitionen und Sätzen - mit anderen Worten aus Formeln. Es gibt, extrem gesehen, Regeln, mit deren Hilfe man eine Formel aus der anderen ableitet. Aber die Formeln geben keine Auskunft ÜBER etwas, sie sind einfach Zeichenketten, Zeichen auf dem Papier."
[zitiert nach ])


Dabei scheint mir insbesondere die manchmal geradezu fanatisch-besserwisserische

(und vielleicht auch den Vorfahren gegenüber undankbare, herablassende, ja verächtliche)

Ablehnung der platonischen Ideen durch einige Mathematiker erklärungsbedürftig zu sein: was ist passiert, dass die anfängliche platonische Sicherheit so ins Wanken geraten ist?

Ein Grund scheint mir der zunehmende Atheismus zu sein: wenn es keinen Gott gibt, wo sollen die platonischen Ideen denn dann herkommen?

Ein weiterer gewaltiger Unterschied besteht darin, dass es von der Antike bis zu Beginn des industriellen Zeitalters "in der freien Wildbahn" kaum auch nur halbwegs exakte Geraden, Kreise und Kugeln gab, so dass es um so erstaunlicher scheinen musste, dass der Mensch sie dennoch denken konnte.

Heute hingegen ist die Welt randvoll mit maschinengefertigten perfekten Kugeln

ja als "Kunst im öffentlichen Raum" verfolgen sie uns geradezu - und dübeln sich vielleicht gerade dadurch wieder als Ideen in unsere Köpfe:

(Wie) kann man da das platonische Staunen über die Perfektion von Geraden, Kreisen und Kugeln denn überhaupt wieder zurückholen?

Mir scheint, das geht eben nur über dreidimensionale, also be-greifbare echte Kugeln im Mathematikunterricht, d.h. es reicht nicht, "drüber" zu reden oder nur zweidimensionale Projektionen an die Tafel zu zeichnen, sondern die SchülerInnen müssen Kugeln wirklich anfassen und in ihrer handschmeichlerischen Perfektion "erfahren" bzw. mit den Fingern an ihnen entlang fahren.

(Die industriell gefertigte Perfektion halte ich in der Tat für ein großes Problem: alles ist dermaßen perfekt, dass man gar nicht selbst aktiv werden kann, da man nie selbst etwas so Perfektes herstellen kann.

Gleichzeitig ist diese Perfektion schon allein simpler Verpackungen

unendlich staunenswert: wenn solch eine Verpackung an den Iden des März 44 v.Chr. aufs Forum Romanum gefallen wäre, hätten die Menschen dafür doch allemal einen Tempel gebaut - und wäre die Weltgeschichte [ohne den frühen Tod Cäsars?] vielleicht ein wenig anders verlaufen.

Vgl. auch den Film

Die Götter müssen verrückt sein
("The Gods Must Be Crazy")

Was für den einen alltägliche Gewohnheit, kann - andere Völker, andere Sitten - für den anderen schon zum Heiligtum werden. So geschehen in der afrikanischen Kalahari-Wüste, als eines Tages ein Pilot eine leere Cola-Flasche aus dem Fenster wirft. Das "Ding" landet nämlich genau vor den Füssen von Oberhaupt Xi, der es für ein Geschenk der Götter hält.

Nun entwickeln die Beschenkten jedoch seltsame Möglichkeiten des Gebrauchs. Kann man es zum Kochen benützen oder zum Musik machen ...?)


Nebenbei: das


"Oloid"

ist die ihrerseits perfekte Kombination aus Kugel und Gerade:

Bild

Erwähnenswert (von wegen ) ist da auch: leicht angestoßen oder auf einer schiefen Ebene bewegt sich das Oloid taumelnd voran, wobei sich seine gesamte Oberfläche über den Untergrund "abwickelt":

... wobei das vollständige Oloid schön, aber auch das simple Grundprinzip interessant ist:


Merkwürdigerweise wird die Perfektion einer Kugel durch derzeit modische "Macken" oder auch nur Maserung sogar noch betont:

Ansonsten können die Kugeln zwecks Eindrücklichkeit gar nicht groß genug sein: