Als ich jüngst (4/2001) ein paar Sachen aus dem Kofferraum meines Autos, das auf einem Parkplatz stand, herausholen wollte, bemerkte ich einen Mann, der - von Weitem gesehen - verdächtig am Nachbarauto hantierte. Da habe ich mich erstmal ein wenig fern gehalten und den Mann beobachtet. Es stellte sich heraus, dass der Verdacht gar nicht angebracht war, sondern der Mann nur immer wieder langsam um sein Auto (einen Toyota Prius wie oben) herumging und mit verzückt-entrücktem Gesicht hier und da die Kurven des Autos streichelte:

So schön habe ich's noch nie gesehen, dass das Auto des Deutschen (?) liebstes Kind ist und allemal noch vor der Ehefrau rangiert:

"My writing, my motorcycle [ Auto] and my wife"
(Lou Reed im Lied "My House")

Man kann sich also lustig drüber machen - oder es zu verstehen versuchen.

Nun gibt es aber verschiedene "Dimensionen" des Verstehens:

  1. heißt "verstehen" nicht automatisch "gutheißen"

(und natürlich schon gar nicht "ablehnen"):

beispielsweise werden wir, um Kindesmissbrauch zumindest teilweise verhindern zu können, die Täter verstehen müssen, was aber doch nicht heißt, Kindesmissbrauch zu entschuldigen;

schon gar nicht darf "verstehen" heißen, vor lauter Differenzieren überhaupt nicht mehr zu einer Entscheidung zu kommen, sondern nach dem differenzierten Verstehensprozess sollte man sehr wohl den Mut haben, sich sogar dann zu entscheiden, wenn man die Nachteile jeder Entscheidung herausgefunden hat;

ich empfehle sogar etwa bei politischen Themen, sich immer zu entscheiden, um nicht hinterher, wenn etwas schiefgegangen ist, zu lügen: "das hätte [!] ich  vorher sagen können";

und es gibt sehr wohl einige Dinge, bei denen man sich trotz allen Differenzierens glasklar entscheiden sollte. 

  1. gibt es ein "inneres" und ein "äußeres" Verstehen:

    1. "inneres" Verstehen bedeutet, dass ich etwas nachvollziehen kann, weil ich es so oder zumindest doch so ähnlich

(vgl. das "Analogieprinzip" in b.)

schon mal selbst erlebt bzw. gefühlt habe

(solch ein Sich-Wiedererkennen in fremdem Verhalten kann durchaus eine schmerzhafte Selbsterkenntnis sein);

  1. "äußeres" Verstehen bedeutet, dass ich das zu Verstehende nie annähernd selbst so erlebt oder gefühlt habe und es mir beim besten Willen fremd bleibt.

Hier kann ich aber eventuell

 
  • durch Analogie verstehen

(als Mann werde ich nie die "Monatsbeschwerden" von Frauen haben, weiß aber durchaus, wie es beispielsweise ist, wenn mir kotzübel ist),

  • die innere Logik fremder Gedankengänge nachvollziehen; vgl. etwa das Buch des geisteskranken Daniel Paul Schreber:  ein Buch, das einerseits zeigt, wie nah der Wahn an der Normalität liegt, andererseits aber erstaunlich in sich geschlossen ist, also geradezu ein wasserfestes Parallelweltbild zeigt.

Fast am liebsten ist mir überhaupt solch ein "ungläubiges" Verstehen:

Insbesondere wohl aufgrund seiner Hochachtung für seine tiefgläubige Frau hat Charles Darwin mal gesagt, dass er selbst im Hinblick auf Religion "farbenblind" sei. Das unterscheidet ihn wohltuend vom antireligiösen Fanatismus beispielsweise Richard Dawkins etwa in .

"farbenblind" deutet nämlich demütig an, dass die eigene Meinung nicht (unbedingt) überlegen ist, sondern evtl. auch einem Mangel entspringt

(und überhaupt unterstelle ich Fanatikern wie Dawkins, dass ihre entlarvend übertriebene Abwehrhaltung nur einen sehnsüchtig empfundenen Mangel kaschiert).

Bzw. jemandem, der farbenblind ist, wird die Erfahrung der Farbe schlichtweg völlig fremd bleiben

(er wird sie also nicht mal vermissen, gesteht aber - gerade weil es für ihn kein Problem ist - anderen gerne diese Wahrnehmung zu: er kann einfach nicht über Farbe mitreden).

Ich bin bei drei Themen "farbenblind":

  1. bei Fußball - oder genauer: beim Zuschauen dabei: anlässlich der letzten Weltmeisterschaft habe ich mir ja

(wenn alle so viel Spaß haben, muss ja wohl was dran sein und will man nicht allein sein)

wirkich Mühe gegeben, beim "public viewing" emotional "mitzugehen", aber die Spiele ließen mich geradezu gegen meinen Willen kalt; 

  1. beim Fernsehen: ich schaue so gut wie nie Fernsehen, sondern lese lieber; aber darauf bin ich keineswegs stolz

(erlebe es aber auch nicht als Manko!),

denn natürlich weiß ich, dass es im Fernsehen neben dem massenhaften Schrott doch auch viele "gute" Sendungen gibt;

  1. eben beim Thema "Autos": für mich ist das Auto ein reines (unvermeidbares) Fortbewegungsmittel, und außerdem fahre ich sehr ungern Auto: erstens, weil das langweilig ist, und zweitens, weil ich keine Lust auf die Mischung aus Mord und Selbstmord auf deutschen Autobahnen habe

(ich hoffe also dringend auf eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen).

Es ist mir also herzhaft egal, welches Auto ich fahre, Hauptsache, es ist möglichst umweltschonend, praktisch und sicher.

Und es gibt auch kein gegenwärtiges Auto, das ich schön finde. Wenn überhaupt, so würde ich

oder oder

fahren.

Aber ich verstehe eben doch, was viele Leute an Autos "finden":

 
  1. den Rausch der Geschwindigkeit,

  2. das Auto ist eine Rüstung, in der man mit heruntergelassenem Visier, also unerkennbar, "kämpfen" kann;

  3. und vor allem die Ästhetik. Und gerade bei dieser ist das beste Beispiel:

"Ich glaube, dass das Auto heute das genaue Äquivalent der großen gothischen Kathedralen ist. Ich meine damit: Eine große Schöpfung der Epoche, die mit Leidenschaft von unbekannten Künstlern erdacht wurde und die in ihrem Bild, wenn nicht überhaupt im Gebrauch von einem ganzen Volk benutzt wird, das sich in ihr ein magisches Objekt zurüstet und aneignet. Der neue Citroën fällt ganz offenkundig insofern vom Himmel, als er sich zunächst als ein superlativisches Objekt darbietet. Man darf nicht vergessen, dass das Objekt der beste Bote der Übernatur ist: es gibt im Objekt zugleich eine Vollkommenheit und ein Fehlen des Ursprungs, etwas Abgeschlossenes und etwas Glänzendes, eine Umwandlung des Lebens in Materie (die Materie ist magischer als das Leben) und letztlichein Schweigen, das der Ordnung des Wunderbaren angehört.
Die „Déesse“ hat alle Wesenszüge (wenigstens beginnt das Publikum, sie ihr einmütig zuzuschreiben) eines jener Objekte, die aus der Welt herabgestiegen sind, von denen die Neomanie des 18. Jahrhunderts und die unserer Science-Fiction genährt wurden: Die Déesse ist zunächst ein neuer Nautilus.
Deshalb interessiert man sich bei ihr weniger für die Substanz als für ihre Verbindungsstellen. Bekanntlich ist das Glatte immer ein Attribut der Perfektion, weil sein Gegenteil die technische und menschliche Operation der Bearbeitung verrät: Christi Gewand war ohne Naht, wie die Weltraumschiffe der Science-Fiction aus fugenlosem Metall sind. Die DS 19 erhebt keinen Anspruch auf eine völlig glatte Umhüllung, wenngleich ihre Gesamtform sehr eingehüllt ist, doch sind es die Übergangsstellen ihrer verschiedenen Flächen, die das Publikum am meisten interessieren. Es betastet voller Eifer die Einfassungen der Fenster, es streicht mit den Fingern den breiten Gummirillen entlang, die die Rückscheibe mit ihrer verchromten Einfassung verbinden.
In der DS steckt der Anfang einer neuen Phänomenologie der Zusammenpassung, als ob man von einer Welt der verschweißten Elemente zu einer solchen von nebeneinandergesetzten Elementen überginge, die allein durch die Kraft ihrer wunderbaren Form zusammengehalten, was die Vorstellung einer weniger schwierig zu beherrschenden Natur wecken soll. Was die Materie selbst angeht, so steht fest, dass sie den Sinn für das Leichte im magischen Verstand unterstützt. Es liegt in der Form eine gewisse Rückkehr zur Aerodynamik, die jedoch insofern neu ist, als sie weniger massiv, weniger schnittig und gelassener ist als die aus der ersten Zeit dieser Mode. Die Geschwindigkeit drückt sich nun in minder aggressiven, minder sportlichen Zeichen aus, als ob sie von einer heroischen zu einer klassischen Form übergegangen wäre.
Diese Vergeistigung erkennt man an der Bedeutung und der Materie der sorgfältig verglasten Flächen. Die „Déesse“ ist deutlich sichtbar eine Preisung der Scheiben, das Blech liefert dafür nur die Partitur. Die Scheiben sind hier keine Fenster mehr, keine Öffnungen, die in die dunkle Karosserie gebrochen sind, sie sind große Flächen der Luft und der Leere und haben die gleißende Wölbung von Seifenblasen, die harte Dünnheit einer Substanz, die eher insektenhaft als mineralisch ist. Es handelt sich um eine humanisierte Kunst, und es ist möglich, dass die „Déesse“ einen Wendepunkt in der Mythologie des Automobils bezeichnet. Bisher erinnert das superlativische Auto eher an das Bestiarium der Kraft. Jetzt wird es zugleich vergeistigter und objektiver, und trotz manchen neuerungssüchtigen Selbstgefälligkeiten (das leere Lenkrad) ist es haushälterischerund jener Sublimation der Gerätschaften, die wir unseren zeitgenössischen Haushaltsgeräten finden, angemessener. Das Instrumentenbrett erinnert eher an die Schalterblende eines modernen Herdes als an die in einer Fabrikzentrale: die kleinen Klappen aus mattem, gewellten Blech, die kleinen Schalter mit den weißen Knöpfen, die sehr einfachen Anzeiger, selbst die diskrete Verwendung des Nickels, all das bedeutet eine Art Kontrolle, unter der Bewegung steht, die mehr als Komfort denn als Leistung aufgefasst wird.
Offensichtlich tritt an die Stelle der Alchimie der Geschwindigkeit ein anderes Prinzip: Fahren wird ausgekostet. Es scheint, dass das Publikum die Neuigkeit der Themen, die man ihm anbietet, auf großartige Weise begriffen hat. Zunächst einmal empfänglich für den Neologismus (eine Pressekampagne hielt es seit Jahren in neugieriger Erwartung), es ist bemüht, sich sehr rasch ein Anpassungs- und Geräteverhalten zu eigen zu machen („Man muss sich daran gewöhnen“). In den Hallen wird der Ausstellungswagen mit liebevollem, intensivem Eifer besichtigt.
Es ist die große Phase der tastenden Entdeckung, der Augenblick, da das wunderbare Visuelle den prüfenden Ansturm des Tastsinns erleidet (denn der Tastsinn es unter allen der am stärksten entmystifizierende, im Gegensatz zum Gesichtssinn, der der magischste ist); das Blech, die Verbindungsstellen werden berührt, die Polster befühlt , die Sitze ausprobiert, die Türen werden gestreichelt, die Lehnen beklopft. Das Objekt wird vollkommen prostituiert und in Besitz genommen; hervorgegangen aus dem Himmel von Metropolis, wird die “Déesse” binnen einer Viertelstunde mediasiert und vollzieht in dieser Bannung die Bewegung der kleinbürgerlichen Beförderung.”

(Roland Barthes in )

Und es ist eben das Glatt-Perfekte, es ist der Handschmeichler , was/den der Mann auf dem Parkplatz staunend-hingerissen gestreichelt hat.

Ich habe oft behauptet, wir sähen vor lauter Gewohnheit

(und ein wenig undankbar)

gar nicht mehr die Perfektion derzeitiger industriell gefertigerter Dinge

(vgl. etwa ).

Könnte es vielmehr sein, dass wir sie (u.a. in schnittigen Autos) geradezu anbeten?


Fragt sich nur, was all das mit Mathematik zu tun haben soll.

Die glatten Formen heutiger Autos entstehen wohl aus zwei Gründen:

  1. aufgrund aerodynamischer, also physikalischer Erfordernisse, die mathematisch berechenbar sind,
  2. aufgrund ästhetischer Kriterien, die ich mal kurz mit "geschwungen" auf den Punkt bringen möchte.

Die äußeren Formen von Autos sind

(derzeit mehr denn je, also anders als früher beispielsweise beim )

nsbesondere durch geschwungene, aber "stetige" und "differenzierbare" mathematische Graphen beschreibbar

("stetig" heißt "in einem Stück, ohne Absetzen oder Sprung", und "differenzierbar" heißt [vereinfacht gesagt] "ohne Knicke"):

 

PS:


Innenseite der Tür des Citroen C5 2009

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Meine Digitalkamera erkennt mittels einer erstaunlich guten "Gesichtserkennung"
a) Gesichter,
b) Audi-Fahrzeuge mit LED-Scheinwerfern: