Produkt- und Kettenregel


Vorweg:

in vielen Schüleraugen sehen

wohl abschreckend monströs aus

("da brauche ich erst gar nicht anzufangen, denn das kann ich sowieso nicht").

Aber ich nehme die Funktion f: y = (x2-6x+8)•e2x-3 hier nur, weil genau solche Aufgaben nunmal häufig im üblichen Unterricht auftauchen - und frage hier nicht, ob das inner- oder außermathematisch sinnvoll ist.


Benötigtes Vorwissen:


In war schon gesagt worden,

zusammensetzen kann,

Nun gibt es aber noch drei andere Möglichkeiten, zwei Funktionen g und h zu einer Funktion f zusammenzusetzen:

  1. f ist das Produkt zweier Funktionen, also f = g h

(s.u. die "Produktregel"),

  1. f ist der Quotient zweier Funktionen, also f =

(s.u. die "Quotientenregel"),

  1. f ist eine "Verkettung" der beiden Funktionen g und h

(zu diesem wohl schwierigsten Fall s.u. die "Kettenregel"; dort wird auch erklärt, was eine "Verkettung" überhaupt ist). 


Zwei Bemerkungen vorweg:

  A.

Die Produkt- wie auch die Kettenregel sind nur dann nötig, wenn eine Funktion f aus zwei verschiedenartigen Funktionen g und h

(im Folgenden jeweils einer ganzrationalen und einer Exponentialfunktion)

zusammengesetzt ist.

 B.

Sowohl die Produkt- als auch die Kettenregel ermöglichen es,

  • die Ableitung der zusammengesetzten Funktion f

  • aus den ursprünglichen Funktionen  g und h sowie deren beiden Ableitungen g ' und h ' herzuleiten.


Die Produktregel

Ein Produkt liegt vor, wenn

Bevor man überhaupt mit einer Ableitungsregel und dem Rechnen loslegt, sollte man also mit Argusaugen darauf achten, ob ein auftaucht:

In einer Schulbuch-Aufgabe taucht der Funktionsterm (x2-6x+8)•e2x-3 auf

(zugehöriger Funktionsgraph: ; es ist unbedingt ratsam, sich vor allen Rechnungen den Funktionsgraphen am Computer anzusehen, denn dann weiß man immerhin, dass man mit den Rechnungen links ein Maximum und rechts ein Minimum erhalten muss - und was falsch gemacht hat, wenn man was anderes rausbekommt; falls letzteres der Fall ist und ich keine Zeit mehr habe, den Fehler zu korrigieren, würde ich als Schüler immerhin erwähnen, dass mir der Fehler aufgefallen ist - und als Lehrer würde ich für diese Erkenntnis Punkte vergeben).

Der Funktionsterm (x2-6x+8)•e2x-3  sieht erstmal katastrophal schwierig (und wahnsinnig intelligent) aus

,

und in der Tat haben die Schulbuchautoren da sämtliche Schwierigkeiten aus der Unterrichtseinheit „Produkt- und Kettenregel“ reingepackt. Man könnte also vermuten, dass die Konfusion der Schüler da geradezu Absicht war.

Aber da lässt sich dennoch Ordnung reinbringen bzw. erkennen

(und solches Ordnung-Erkennen ist wohl eine der wichtigsten Fähigkeiten in dieser Unterrichtseinheit):

grob hingeschaut, ist erstmal nur das Malzeichen wichtig:

  (x2-6x+8)  e2x-3  

bzw. noch gröber

und am gröbsten

.

(Nebenbei: wir haben im scheinbaren Chaos inzwischen also eine sehr einfache Ordnung gefunden: da werden zwei Sachen miteinander multipliziert, und das ist doch nun wahrhaft nicht neu.)

Bei ist es vorerst herzhaft egal, was in und was in steht

Wichtig ist hier einzig und allein, dass

(das Blinken des Malpunkts lasse ich ab jetzt aber weg, weil es auf die Dauer doch nervig ist und von neuen Erkenntnissen ablenkt),

also ein Produkt  vorliegt

(die hier nicht hergeleitet wird):

Produktregel: f (x) = f (x) =   
                                                                   
f (x) = f (x) =   •   
                                                                    • 
f (x) = f (x) =     •     
                                                                    • 

In unserem Beispiel (x2-6x+8) e2x-3 ist

           f  (x) =  (x2-6x+8)   e2x-3    f ' (x) =     (2x - 6)      •  e2x-3    +  (x2-6x+8)  •  (e2x-3 )'

... was den kleinen Schönheitsfehler hat, dass wir die Ableitung (e2x-3 )' noch nicht berechnen können (s.u. bei der "Kettenregel").

Deshalb sei das Beispiel erstmal vereinfacht, indem wir statt h  (x) = (e2x-3 )  nun die Variante h  (x) = ex nehmen

(wobei daran erinnert sei, dass die Ableitung von ex wunderbar einfach wieder ex ist)

            f  (x) =  (x2-6x+8)     ex      f ' (x) =    (2x - 6)       •      ex      +  (x2-6x+8)  •    ex

Wichtig an der Produktregel

f (x) = g(x) h(x) f '(x) = g'(x) h(x) + g(x) h'(x)

ist, dass wir damit

Schauen wir uns aber das Ergebnis f '(x) = (2x - 6) ex +  (x2-6x+8) ex nochmals genauer an:

da fällt auf, dass ex in beiden Summanden auftaucht, weshalb wir ex mit dem Distributivgesetz ausklammern können:

           f '(x) =    (2x - 6) ex +  (x2-6x+  8)   • ex =

                      = [ (2x - 6)        +  (x2-6x+  8) ] ex =

                      [  2x - 6         +   x2-6x+  8   ] ex =

                      = [                         x2-4x+  2   ] ex 

Oder kurz f '(x) = [                         x2-4x   +2  ] ex .

Daran ist zweierlei bemerkenswert:

  1. : die Funktion h(x) = ex taucht in der Ableitung (und allen weiteren Ableitungen) exakt genauso wieder auf wie in der Ausgangsfunktion f

  1. : die erste Ableitung erstellt man immer als notwendiges Kriterium für ein(en) Minimum / Maximum / Sattelpunkt, wofür f '(x) = 0 sein muss.

Im vorliegenden Fall muss also [x2-4x+2] ex = 0 sein.

Hier aber kommt ein enorm wichtiger "Trick" zum Tragen: das Produkt zweier Zahlen ist 0 , wenn

                            a                 b       = 0 ⇔     a        = 0 oder       b      = 0

                      = 0 = 0 oder = 0

In unserem Beispiel:

                                      = 0 = 0 oder = 0

(... wobei ich hier das Wort "oder" plötzlich nicht mehr im umgangssprachlichen, sondern im mathematischen Sinn verwende).

Fangen wir hinten mit = 0 an: bekanntermaßen (?) haben Exponentialfunktionen keine Nullstellen N ( ? | 0 )

(sondern liegen komplett oberhalb der x-Achse).

Es ist also ausgeschlossen, dass = 0 ist, weshalb wir diesen Fall streichen können:

                                     

Somit bleibt nur der Fall = 0 , also eine altbekannte quadratische Gleichung, die wir mit der pq-Formel lösen können, wobei x1 = 2 + ≈  3,5 und x2 = 2 - ≈ 0,5 herauskommen. Als

(Wir sparen uns hier mal


Zur Quotientenregel siehe Bild .


Zur Kettenregel

Schauen wir uns nochmals die Funktion f: y = vom Anfang an, an der wir die Notwendigkeit einer Produktregel hergeleitet hatten, mit der wir f nun immerhin schon mal halbwegs ableiten können:

f '(x) =.  g'(x)    •  h(x)   +      g(x)      •   h'(x)

f '(x) = (2x + 6) e2x-3 + (x2+6x+8) (e2x-3)'

Nur "halbwegs ableiten", weil noch immer nicht geklärt ist, wie man (e2x-3)' berechnet, also (e2x-3) ableitet.

Wir wissen allerdings bereits, dass die Ableitung von ex idiotensicher einfach wieder ex ist. Was also ist bei e2x-3 komplizierter geworden?

Um das herauszufinden, benutzen wir erstmal andere Farben, nämlich

so dass sich insgesamt ergibt.

Nun setzen wir in für x eine beliebige Zahl ein, also z.B. 4. Dann müssen wir rechnen:

  

Dabei soll uns der Dezimalwert ‭148,4131 nicht weiter interessieren, zumal er ja nur ungenau ist. Sondern uns interessiert nur der Rechenweg, also

  

Wenn man sich Funktionen als Maschinen vorstellt, die jedes vorne eingegebene x nach derselben Regel verarbeiten,

(h arbeitet also nicht völlig unabhängig von g).

Die Teilmaschine h

Mit einem Vergleich aus der Elektrotechnik könnte man also sagen: die beiden Teilfunktionen g und h sind Oder für Fußball-Fans: beim Einlass ins Westfalen-Stadion insgesamt also .

Wieder an unserem mathematischen Beispiel :

Vgl. auch:


Schauen wir uns im Vergleich mit der "Hintereinander-Schaltung" von g und h in

nun mal eine "Parallelschaltung" von g und h an:

Hier wird

Allerdings kommen dadurch rechts aus unserer Maschine ZWEI Ergebnisse heraus, nämlich

Weil da aber einem x (bzw. 4 ) MEHRERE Ergebnisse zugeordnete werden, liegt hier KEINE Funktion vor.

Nebenbei: eine „Parallelschaltung“ von Waschen und Bügeln ist gar nicht möglich, da man ein (!) Hemd nicht gleichzeitig waschen UND bügeln kann.

Nur so viel zum „Parallelschalten“ von Funktionen, damit man das auch mal gesehen hat - und dadurch vielleicht doch das „Hintereinanderschalten“ von Funktionen besser versteht.


Am Wasch-/Bügel-Beispiel erkennt man auch, dass bei umgekehrter Reihenfolge der

(jetzt wieder hintereinander geschalteten)

Teilmaschinen etwas anderes herauskommt:

Der Unterschied liegt also darin, dass hier das Hemd am Ende doch wieder zerknittert rauskommt, das anfängliche Bügeln also überflüssig war.

Und so kommt auch etwas anderes heraus, wenn wir in

die Reihenfolge der Teilmaschinen ändern:


Eine Funktion f ,

  • die aus zwei Teilfunktionen g und h besteht,
  • wobei die Teilfunktion h das Ergebnis der Teilfunktion g weiter verarbeitet,

nennt man „verkettet

(„verkettet“ wohl wegen der Abhängigkeit der beiden Teilfunktionen g und h voneinander:

eine fürchterliche Version von „verkettet“ ist nebenbei die „chain gang“ ).

Genau genommen ist

Man könnte auch sagen:

Da die Verkettung von Funktionen Schülern erfahrungsgemäß einige Schwierigkeiten bereitet, hier noch ein besonders einfaches Beispiel:

die Funktion f besteht aus den beiden Teilfunktionen

Wenn nun h das Ergebnis von g weiterverarbeiten soll, erhalten wir also    .

(Ein Beispiel: irgendwas = 4 . Dann ist

Oder mathematischer gesagt:

Wenn nun h das Ergebnis von g weiterverarbeiten soll, erhalten wir also   

                                                                                                                bzw.    (3            x         ) 2 .

Und das schreibt man auch                                                                                h (g           ( x )     ).

Weil da  g innerhalb   der großen Klammer (  ) steht, nennt man g die "innere  Funktion".

Und weil h außerhalb der großen Klammer (  ) steht, nennt man h die "äußere Funktion".

Dabei ist

  •         die "innere   Funktion" g diejenige, mit der zuerst gerechnet wird
  • und die "äußere Funktion" h diejenige, die        danach das Ergebnis von g weiterverarbeitet.

Um zu verstehen, wie man die innere Funktion g und die äußere Funktion h findet (und beide auseinanderhält), schauen wir uns nochmals die beiden bereits oben benutzten Funktionsterme

an.

Da die beiden Funktionsterme so verwirrend, ja gefährlich ähnlich aussehen

(außer dass die 2 offensichtlich

seien die Exponenten mal viel deutlicher hochgestellt , und außerdem seien Malpunkte ergänzt.

(Nebenbei ein kleiner Tipp: damit einem die Exponenten einer unteren Zeile nicht versehentlich in eine obere Zeile rutschen, schreibe man mit doppeltem Zeilenabstand, sobald überhaupt Exponenten vorkommen.

Und sowieso schreibe man die Exponenten deutlich höher als die Basen, da die Exponenten sonst allzu schnell in die Basen herabrutschen, was garantiert zu Fehlern führt.)

In viel deutlicherer Schreibweise erhalten wir also:

     

Wenn man nun herausfinden möchte, was jeweils die innere Funktion g und was die äußere Funktion h ist, ist es ratsam, für x mal eine konkrete Zahl einzusetzen, also z.B. x = 4 .

Wir erhalten dann

Angenommen mal, wir wollten diese Terme nun vereinfachen bzw. ausrechnen:

(also ≈ 2,718254,5981)

und das Ergebnis dieser Rechnung

(also 2 • x - 3 ≈ 2 • 54,5981 - 3 ≈ 109,1963 - 3 = 106,1963);

somit ist hier

       

(also 2 • 4 - 3 = 8 - 3 = 5)

und das Ergebnis  dieser Rechnung

(also e ≈ 2,7182   ≈  148,4131);

somit ist hier

       


 Damit aber endlich zur eigentlichen "Kettennregel": 

(wobei

zu einer Funktion f verkettet (s.o.) sind,

     f ' = h ' (g)g '

Oder kurz:

Kettenregel: 

     f   = h   (g)

f ' = h ' (g)g '

Diese Kettenregel soll hier

(wie oben die Produktregel) 

nicht hergeleitet / bewiesen, wohl aber auf konkrete Funktionen angewandt werden, und zwar wieder auf die beiden oben schon mehrfach behandelten Funktionen

Zu f: y = 2 e   x - 3 :

 Wie oben bereits gezeigt, ist hier

       

Da wir in der Kettenregel g ' und h ' brauchen, ist es ratsam, diese schon mal vorweg auszurechnen:

Mit der Kettenregel

    f '     = h ' (g   )g '

folgt

   f '(x) = h ' (g(x)) g '(x)

                            =        2      •   e x 

Oder kurz:

           f   (x) = 2 e x - 3

        f ' (x) = 2 e x                                                                         

Zu f: y =    e 2x - 3 :

Wie oben bereits gezeigt, ist hier

       

Vorweg berechnen wir schon mal g ' und h ':

Mit der Kettenregel

    f  '     = h  ' (g       ) g  '

folgt

   f ' (x) = h ' (   g(x) ) g ' (x)

                            =

Oder kurz:

     f   (x) = e 2x - 3 

f ' (x) = e 2x - 3 • 2                                                               


Zu Anfang dieses Textes hatten wir uns die Frage gestellt, wie man die verschachtelte Funktion f: y =  (x2-6x+8)e2x-3 ableiten könnte.

Weil da ein   auftauchte, hatten wir mit der Produktregel immerhin schon berechnen können

f  : y =  (x2-6x+8)   e2x-3    f ': y = (2x - 6) •  e2x-3  +  (x2-6x+8)  •  (e2x-3 )',

wobei uns da allerdings noch nicht klar war, wie wir die Ableitung (e2x-3 )' bestimmen könnten.

Inzwischen wissen wir aber: (e2x-3 )' = e 2x - 3 • 2 , und wenn wir deshalb (e2x-3 )' durch e 2x - 3 • 2 ersetzen, erhalten wir

f ' : y =    (2x - 6)   e2x-3 +  (x2-6x+8)  •    (e2x-3 )'    ,

f ': y =     (2x - 6) •  e2x-3 +  (x2-6x+8)  •  e 2x - 3 • 2

(... was erstmal scheußlich unübersichtlich aussieht; um es aber zu vereinfachen, bedarf es absoluter Genauigkeit und der routinierten Anwendung von Rechengesetzen).

Da taucht e 2x - 3 in beiden Summanden auf, weshalb wir es mit dem Distributivgesetz ausklammern können:

       f ' : y =    (2x - 6) •  e2x-3    +   (x2- 6x+  8)  •  e 2x - 3 • 2                      =

                         = ( (2x - 6)                 +   (x2-  6x+  8)  •                  2  ) e 2x - 3  =

                         = (  2x - 6                  +  2x2-12x+16                           )e 2x - 3  =

                        = (                                  2x2-10x+10                                 )e 2x - 3 

oder kurz

 f  :  y =  (x2-6x+8)       • e 2x - 3   

     f ': y = (2x2-10x+10) e 2x - 3                                            

Bei Kurvendiskussionen brauchen wir f ' , um die notwendige Bedingung f ' (x) = 0 für Minima / Maxima / Sattelpunkte zu überprüfen, im vorliegenden Fall also

(2x2-10x+10) e 2x - 3  = 0 

Hier greifen wir wieder zu dem bereits oben benutzten Trick:

                            a                 b        = 0            a          = 0 oder       b        = 0

                      = 0 = 0 oder = 0

Im vorliegenden Fall:

                           = 0 = 0 oder = 0

Fangen wir hinten mit = 0 an: bekanntermaßen (?) haben Exponentialfunktionen keine Nullstellen N ( ? | 0 )

(sondern liegen komplett oberhalb der x-Achse)
.

Es ist also ausgeschlossen, dass = 0 ist, weshalb wir diesen Fall streichen können:

                                     = 0 = 0 oder

Somit bleibt nur der Fall = 0 , also eine altbekannte quadratische Gleichung.
Um sie erstmal zu normieren, dividieren wir auf beiden Seiten durch 2 und erhalten x2-5x+5 = 0 . Diese Gleichung können wir mit der pq-Formel lösen, wobei x1 = 2,5 + ≈  3,1 und x2 = 2,5 - ≈ 0,9 herauskommen. Als
(Wir sparen uns hier mal

Last but not least ...

... eine enorme Vereinfachung: wir verallgemeinern , , und ohne Beweis:

Exponentialfunktionsterme bleiben beim Ableiten immer unverändert erhalten.

Ein Beispiel:

Dabei ist

Wir sparen uns aber die schwierige Bestimmung von h ' und setzen in der Kettenregel für h ' (g(x)) tolldreist einfach wieder aus f ein:

 f ' : y = h ' (g(x)) g ' (x) =

            =       • g ' (x) =

  =          2x

bzw. kurz

f ' :   y =           2x .

Und weil derselbe Exponentialterm in der Ausgangsfunktion  f und in der Ableitung f ' auftaucht, kann man ihn oftmals mit dem Distributivgesetz aus der Ableitung ausklammern und braucht dann nur noch den Rest (oftmals eine ganzrationale Funktion) zu betrachten (s.o.).