Pseudoantworten oder warum
- Flugzeuge fliegen,
- Schiffe schwimmen,
- Fahrräder nicht umfallen

  Dass sogar das scheinbar ach so Einfache eben doch schwer verständlich sein und arg abstrakt bleiben kann, wird wunderbar dadurch belegt, dass eigener Aussage nach nicht mal Stephen Jay Gould das


Foucaultsche Pendel

kapiert hat.
(Quelle: )

Es ist fast schon wieder eine Pest: derzeit erscheinen massenhaft "Erklärbücher", in denen anekdotisch verschiedenste (Mehr-oder-minder-)Alltagsphänomene (mehr oder minder) anschaulich naturwissenschaftlich erklärt werden. Aus der Fülle nur zwei Beispiele:

Wohl eine unvermeidliche Folge des Trends ist dabei, dass die Phänomene immer "abgedrehter" werden. Ich befürchte zudem, dass die vielen Einzelbeispiele schnell zum einen Ohr rein, zum anderen wieder raus gehen, alles also doch wieder nur Ex-und-Hopp-Unterhaltung ist.


Man muss nicht alles wissen - und schon gar nicht, warum Frauen

(angeblich oder wirklich; meiner Privatstatistik nach allerdings stimmt´s!)

schneller frieren.

Ja, die Titel scheinen ja geradezu mit der Nebensächlichkeit

(und nur scheinbar dummen "Kinderfragen")

zu spielen, was ja nicht schlimm wäre, wenn zu zeigen versucht würde, dass auch und gerade hinter den unscheinbarsten Phänomenen hochinteressante ("weltbewegende") Hintergründe lauern

(fast schon eine Widerstandsform gegen die Verführung und Enttäuschung durch action & hypes).

Zu fragen wäre also, wo unter all den denkbaren Phänomenen solche

(überschaubar wenige!)

stecken, die besonders geeignet sind, Grundprinzipien der Naturwissenschaft zu veranschaulichen.


Man muss gar nichts wissen, also auch nicht, warum Flugzeuge fliegen, Schiffe schwimmen - oder gar, warum Fahrräder nicht umfallen

(mal abgesehen davon, dass andauernd [vor allem stehende] Fahrräder umfallen, und zwar - wie der sprichwörtliche Sack Reis - vor allem in China; was soll´s?!).

Das ja eben macht unsere Technik heutzutage überhaupt erst so enorm erfolgreich: dass die Masse der eigentlichen Nutzer, nämlich der Laien, sie nicht im mindesten verstehen muss.

Und dennoch scheinen mir Flugzeugeschiffefahrräder besonders geeignet:

  1. , weil sie nun wahrhaft Alltagsphänomene sind,

  2. , weil da tatsächlich besonders deutlich Grundprinzipien der Naturwissenschaft "hervorlugen", und zwar teilweise für die gesamte Wissenschaftsgeschichte bedeutsame.

Mir scheint aber noch etwas Drittes wichtig zu sein: nur wer

(auch technik- bzw. wissenschaftshistorisch, also inkl. all der Irrwege und Mühen)

versteht

(und zwar die andauernd genutzten Alltagsphänomene, also z.B. Flugzeugeschiffefahrräder),

kann auch dankbar und vielleicht auch sorgsam sein, weil er eben nicht mehr alles schnöde für selbstverständlich

(d.h. auch "mein verdammtes Recht")

hält.


Ich weiß: auch hinter den einfachsten Dingen

(und sowieso, sobald Elektronik ins Spiel kommt; vgl. )

stecken oftmals Erklärungen, die ganz grundsätzlich nicht

(oder zumindest nicht mehr vollständig)

zu veranschaulichen sind.

(Das mag man als Entfremdung empfinden, aber ebenso auch als Triumph der [menschengemachten!] Theorie, die weit über die Anschauung hinaus reicht: "wir sind schlauer als wir selbst!")


Zumindest Flugzeuge und Schiffe sind Phänomene, über die sich wohl jedeR (?) mal gewundert hat:

 

 

 

 

 

 

"Über den Wolken
  Muss die Freiheit wohl grenzenlos sein.
  Alle Ängste, alle Sorgen, sagt man,
  Blieben darunter verborgen und dann
  Würde, was hier groß und wichtig erscheint,
  Plötzlich nichtig und klein."
  [Reinhard Mey])

Wie ist es überhaupt möglich, dass ein 270 Tonnen (!!!) schwerer Airbus sich auch nur einen Millimeter von der Startbahn erheben kann?

(Bzw. warum steht sie eigentlich - und zwar unzweifelhaft! - so hoch aus dem Wasser ... und kippt nicht um?)

Bemerkenswert dabei ist, dass bei solchen Phänomenen (wie hier) immer mit den denkbar schwersten Oschis argumentiert wird.

Es wundert anscheinend keinen, dass auch

"Ach herrje, so ein winziges Segelflugzeug bzw. Einer-Ruderboot wiegt doch eh nix, kann also auch problemlos fliegen bzw. schwimmen."

Es ist ja eben nicht so naheliegend

(bzw. das behaupten sowieso nur die Neunmalklugen, die sich eh nicht mehr wundern können),

dass der A380 aus demselben Grund fliegt wie das Segelflugzeug und die QE2 aus demselben Grund schwimmt wie das Ruderboot.


Das Fahrrad ist unscheinbarer

(meiner Meinung nach aber das genialste Fortbewegungsmittel aller Zeiten, weil man keine zusätzliche Antriebskraft braucht und dennoch - in der Regel ohne zusätzliche Mühe - schneller als zu Fuß ist;
deutlich wird das aber vor allem an irgendeinem Uralt-, also "Grundprinzip"-Fahrrad


Karl von Drais

nicht so eine topmodische, mit 5000 Gängen etc. aufgemotzte Gurke).

Aber weil das Fahrrad so unscheinbar ist, wundert man (?) sich über das Phänomen(ale) an ihm überhaupt nicht mehr:

dass es auf nur zwei (!) Punkten (!) steht

(was prinzipiell instabil erscheint: erst ab drei Beinen kippt ein [dann erst so genannt:] Tisch nicht mehr um, weil durch die drei Endpunkte der Beine eine Ebene definiert wird, die identisch mit jener Fläche ist, auf der der Tisch dann steht.)

und deshalb doch eigentlich (nicht nur, wenn es steht) andauernd umkippen müsste.


Ich will nicht bezweifeln, dass es irgendwo anschauliche Antworten auf all meine Fragen gibt. Meistens aber sind es eben doch Pseudoantworten

(und genau die werden dann von SchülerInnen oftmals bieder brav in Referaten und Facharbeiten abgeschrieben, ja, viele SchülerInnen scheinen gar nicht zu bemerken, dass die Antworten wenig befriedigend sind).

Nehmen wir zuerst das Beispiel Flugzeug. Eine typische Erklärung des Auftriebs ist  :


(zitiert nach )

Da frage ich mich doch:

  1. Wieso fließt die Luft oben denn schneller als unten? Sie hat zweifelsohne einen längeren Weg zurückzulegen, aber das könnte ja auch heißen, dass sie ihn langsamer zurück legt.

  2. Und wenn die Luft oben tatsächlich schneller flösse als unten: wieso herrscht dann oben ein geringerer Druck?

(Ich versuche ja schon eine Teilantwort: wenn die Luft oben schneller fließt, muss sie [die gleiche Menge Luft] sich auf eine größeres Volumen [s.o.: einen längeren Weg] verteilen [als die Luft unten], wodurch oben Unterdruck [im Vergleich mit unten] entsteht.)

  1. Allemal fehlt in der Darstellung aber doch der entscheidende Kick: wenn oben Unterdruck und unten Überdruck entsteht, wird die Tragfläche in Richtung des Unterdrucks gedrückt, also angehoben.

Und was ist eigentlich bei Flugzeugen mit symmetrischen Flügelprofilen

sowie Kunstflugzeugen im Rückenflug?

(Wobei nicht verschwiegen sei, dass die zitierte Quelle viel ausführlicher als der Zitatausschnitt ist und weitere Antworten liefert.)

Vgl. auch

(... wobei doch mit einiger Befriedigung angemerkt sei, dass da just jene Fragen gestellt werden, die ich auch schon immer an die Simpel-Erklärung hatte:

"Doch warum, um Himmels willen, [...] sollten die beiden Luftströme am Ende des Flügels gleichzeitig ankommen? Das ist offenkundiger Quatsch, niemand zwingt die Luftmoleküle zu einem gleichzeitigen Zieleinlauf.
Außerdem dürften nach dieser Logik Kunstflüge über Kopf gar nicht möglich sein denn bei umgekehrtem Tragflügelprofil müsste sich nach der Schulbuchlogik auch das Druckverhältnis umkehren - und das Flugzeug abstürzen.")


Man behält ja oftmals nur die zerfledderten Reste von Anekdoten:

Als der Dickwanst Archimedes eines Tages in die randvolle Badewanne stieg, schwappte sie

(wie bedeutsam :-)

über, und von einer ungeheuer wichtigen Erkenntnis angeweht, sprang er sofort wieder - und zwar splitterfasernackt! - aus der Badewanne und rief sein weltberühmt gewordenes "Heureka".

Als Wissenschaftler, der auf sich hält, ging Archimedes natürlich prompt zum "Transfer" über, warf zwei zufällig gerade herumliegende Kronen in die Badewanne und konnte danach klarstellen, welche der beiden echt (aus purem Gold) und welche eine Fälschung (eine Legierung aus Gold und anderen, minderwertigen [und leichteren!] Metallen) war.

Das Problem ist nur, dass an der oftmals so oder so ähnlich erzählten Geschichte die entscheidenden Details fehlen und die Geschichte somit zwar nett ist

(ein typisch durchgeknalltes und zudem nacktes [!!!] Genie),

aber im Kern doch unverständlich bleiben muss. Es fehlt,


Erklärungsversuche

(und insbesondere Schülerreferate und -facharbeiten)

sollten viel einfacher anfangen, und das heißt vor allem: den

(zugegeben: gar nicht so einfach herauszufindenden)

entscheidenden Phänomenen praktisch auf den Grund gehen.

D.h. vor allem, dass man mit den allereinfachsten Dingen und eben nicht den Riesen-Hightech-"Oschis" anfange und diese einfachen Dinge dann noch so weit wie möglich "abstrahiere" bzw. "abnage"

(vgl. nochmals ):

(eins dieser Dinger, mit dem merkwürdigerweise fast nur kleine Mädchen rumfahren)

übrigbleibt

(womit sich das Problem scheinbar nur verschärft, weil solch ein Einrad ja nur noch auf einem Punkt steht),

und lasse dann sogar noch die gesamte Sitzhalterung weg, also nur noch ein einzelnes übrig. Auf die Radnabe montiere man seitlich eine Verlängerung, halte das Rad an dieser Verlängerung fest, setze es in schnelle Umdrehungen und versuche dann mal, das Rad in allen Richtungen

(also nicht bloß hoch und runter bzw. vorwärts und rückwärts)

zu schwenken.

(Nebenbei: zum Begriff der "Präzession" und ihrer Theorie kann [und sollte!] man erst viel später kommen.)


"Praktisch" heißt für mich also vor allem - und soweit möglich -  "handgreiflich":

vom Lehrer vorne vorgemachte Versuche wie auch entsprechende Computersimulationen

(vgl. etwa  : da weht kein echter Wind, und aus spürbaren Kräften werden bloße Zahlen)

bieten zwar immerhin einen optischen Zugang, betrügen (!!!) aber geradezu ums Anfassen

(und sind zudem meistens schon so vorstrukturiert, dass alles Suchen abgewürgt wird).


Nebenbei: wenn man lustig ist, kann man auch noch die restlichen Verkehrsmittel ergänzen, also Auto

(diese benzinfressende Blechkiste, deren Grundprinzip ich - trotz neumodischen elektronischen Schnickschnacks - für völlig veraltet halte)

und Eisenbahn:

45 (!!!) P(ferde)S(tärken)

und eine (gedrosselte) Spitzengeschwindigkeit von 135 km/h herausholt! Bzw. da es ja offen"sichtlich" durchaus möglich ist: was müssen da - zudem rasend schnell hintereinander - also für mörderische Explosionen in den Zylindern ablaufen - von denen man kaum was hört und wenig spürt?
Und erstaunlich finde ich es dann auch, dass Motoren trotz solch brachialer Kräfte zigtausend Kilometer durchhalten.

Ein Zug fährt

(nebenbei: wie auch ein Fahrrad; und natürlich abgesehen von absichtlichen Kurven)

paradoxerweise gerade deshalb immer hübsch geradeaus, weil er andauernd kleine Kurven fährt.