die sieben Tragiken des
armen
Pythagoras
und sein großer Triumpf
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... wobei ich nichtmal weiß
(und zu faul bin, es
nachzuschlagen)
ob es überhaupt einen Plural von „Tragik“ gibt,
denn eine Tragik
reicht ja wohl allemal.
An der Symbolik der Zahl 7 hätte
Pythagoras bestimmt seine helle Freude gehabt.
|
- : die vier Tragiken des Pythagoras:
- besteht eine besondere
Tragik des armen Pythagoras darin, dass
er vielleicht nie gelebt hat
(oder zumindest nicht
so, wie spätere
Autoren es ihm zugeschrieben haben; von ihm selbst sind ja
keine Werke
erhalten, und deshalb kann man - wie bei Sokrates oder Jesus - so
ziemlich alles in ihn hineininterpretieren).
Zumindest vermuten einige Autoren, dass
die Person Pythagoras „nur“ ein Mythos ist.
Andererseits werden von den meisten
Forschern doch einige Lebensdaten des Pythagoras als mehr oder weniger
sicher gehandelt:
"Pythagoras
von
Samos (griechisch Πυθαγόρας; * um 570 v. Chr. auf Samos; †
nach 510 v.
Chr. in Metapont in der Basilicata) war ein antiker griechischer
Philosoph (Vorsokratiker) und Gründer einer einflussreichen
religiös-philosophischen Bewegung. Als Vierzigjähriger verließ er seine
griechische Heimat und wanderte nach Süditalien aus. Dort gründete er
eine Schule und betätigte sich auch politisch. Trotz intensiver
Bemühungen der Forschung gehört er noch heute zu den rätselhaftesten
Persönlichkeiten der Antike. Manche Historiker zählen ihn zu den
Pionieren der beginnenden griechischen Philosophie, Mathematik und
Naturwissenschaft, andere meinen, er sei vorwiegend oder ausschließlich
ein Verkünder religiöser Lehren gewesen. Möglicherweise konnte er diese
Bereiche verbinden. Die nach ihm benannten Pythagoreer blieben auch
nach seinem Tod kulturgeschichtlich bedeutsam."
(Quelle:
)
Aber selbst für den Fall, dass
Pythagoras tatsächlich gelebt
hat, streiten sich die Forscher gewaltig
über das, was ich unten als seine (tatsächlichen oder vermeintlichen)
besonderen Leistungen erwähnen werde:
- : Insbesondere ist umstritten, ob das Berühmteste an Pythagoras
(falls er überhaupt
gelebt hat),
nämlich der „Satz des Pythagoras“,
überhaupt von ihm stammt:
"Weltbekannt ist
sein Satz des Pythagoras, der auch in der modernen Mathematik noch
gültig ist und angewandt wird. Er entdeckte die Formel a² + b² = c²,
mit der man die Kantenlängen rechtwinkliger Dreiecke berechnen kann,
jedoch nicht als erster. Es gibt Beweise, dass diese Formel schon
mehrere hundert Jahre vor Pythagoras im antiken Babylon verwendet
wurde. Strittig ist, ob Pythagoras möglicherweise als erstem der Beweis
für die Richtigkeit des Satzes gelungen ist."
(Quelle:
)
Da gilt es also zu unterscheiden:
- anscheinend war Pythagoras nicht der Erste, der wusste, dass
in rechtwinkligen (!) Dreiecken a2 + b2 = c2
gilt;
- unklar ist allerdings auch, ob er immerhin der Erste war, der
das nicht
nur wusste, sondern es auch beweisen
konnte.
- : wenn man Leute lange nach ihrer Schulzeit fragt, was ihnen zu
„Pythagoras“ einfällt, kommen üblicherweise folgende Antworten:
- "das war doch irgend so ein Scheiß in der Mathematik"
(und dann kommt in
vielen Leuten ihre
halbe Schulzeit wieder hoch);
- einige
- können zwar noch die Gleichung
a2 + b2
= c2 runterrattern
(die sich
wohl wegen des regelmäßig pulsierenden Rhythmus' einprägt:
A-qua-drat-plus-B-qua-drat-gleich-C-qua-drat, also / _ _ _ / _ _ _ / _
_ ;
überhaupt hat die Gleichung a2
+ b2
= c2 ihren ästhetischen Reiz:
sie ist besonders einfach und
wegen der Quadrate an allen Seiten sehr gleichmäßig),
- wissen aber nichts mehr über die Bedeutung dieser Formel
bei (rechtwinkligen) Dreiecken;
- einige erinnern sich vielleicht auch noch an das irgendwie ja
auch ästhetische Bild
und damit daran,
dass „Pythagoras“ irgendwas mit Dreiecken
und Quadraten zu tun hat;
(meist
Naturwissenschaftler und
Techniker, die die Formel tatsächlich noch ab und zu in ihrem Beruf
brauchen)
kennen noch halbwegs die Bedeutung der Gleichung a2
+ b2 = c2:
„damit kann man
in rechtwinkligen [!] Dreiecken aus zwei Seiten die
dritte berechnen“;
(außer Mathematikern)
bekommt aber die grandiose
vollständige Bedeutung der
Gleichung auf die Reihe:
ein Dreieck ist genau dann
rechtwinklig,
wenn für seine Seiten a, b und c die
Gleichung a2 + b2 = c2 gilt,
wobei das „genau dann“
zwei
Richtungen bedeutet:
- wenn ein Dreieck rechtwinklig
ist (und nur dann), dann gilt
für seine Seiten die Gleichung a2
+ b2 = c2,
- umgekehrt: wenn für die Seiten eines Dreiecks die Gleichung
a2
+ b2 = c2 gilt, dann ist das Dreieck rechtwinklig:
eine Tatsache, die
- für ausnahmslos alle,
also unendlich viele rechtwinklige
(!) Dreiecke gilt,
(wie wir unten sehen
werden: leider)
nicht auch für sämtliche (viel
mehr?)
nicht-rechtwinkligen Dreiecke.
Damit ist
- das rechtwinklige
Dreieck unter allen Dreiecken
- und der rechte
Winkel unter allen Winkeln
der
.
Das wahrhaft
Erstaunliche
(und einer der Ursprünge der
eigentlichen Mathematik)
ist aber, dass vielleicht Pythagoras
den Satz
„ein Dreieck ist genau dann
rechtwinklig,
wenn für seine Seiten a, b und c die
Gleichung a2 + b2 = c2 gilt“
für sämtliche, also unendlich viele
rechtwinklige (!) Dreiecke bewiesen hat, also z.B. auch
- für sehr lange,
aber flache rechtwinklige (!)
Dreiecke,
- für klitzekleine
und gigantisch große rechtwinklige
(!)
Dreieck
(also z.B. von der Erde
zum Mond und
zur Sonne und dann wieder zurück zur Erde, aber eben nur, wenn diese
bei Halbmond rechtwinklig
zueinander stehen),
- für ausnahmslos alle jemals vor und nach Pythagoras
(also auch in ferner
Zukunft)
gezeichneten oder tatsächlich
materiell vorhandenen rechtwinkligen (!) Dreiecke,
- aber auch für ausnahmslos alle weder vor noch nach
Pythagoras jemals gezeichneten oder materiell vorhandenen
rechtwinkligen (!) Dreiecke.
Wie macht Mathematik sowas geradezu
Paradoxes?:
- in endlicher Zeit (z.B.
zehn Minuten)
- etwas für unendlich
viele Fälle beweisen?
(Keine andere
Wissenschaft kann
irgendwas beweisen
[da gibt es „nur“ mehr oder minder
gesicherte Theorien]
und schon gar nicht in
einem Abwasch
für unendlich viele Fälle.)
Und Pythagoras war eben angeblich
einer der Ersten, der einen Beweis für unendlich viele Fälle führen
konnte!
- Die Frage, was den Leuten zu Pythagoras einfällt, war von mir
bewusst nicht genauer
formuliert worden: ich hatte
- weder direkt nach der Person
Pythagoras
- noch direkt nach dem Begriff
„Pythagoras“
gefragt.
Wenn aber Leuten überhaupt etwas zu
„Pythagoras“ einfällt, dann eben immer der Begriff „Pythagoras“ oder
genauer der „Satz des
Pythagoras“.
Das Einzige, was einigen wenigen Leuten
zur Person Pythagoras
einfällt, ist so etwa:
„War das nicht so ein oller
Mathematiker im alten Griechenland [eben der mir dem ‚Satz des
Pythagoras‘]?“
Eine weitere Tragik der
Person Pythagoras
besteht also darin, dass
- sein Name zwar
immerhin im Begriff
„Pythagoras“ (oder genauer
im Begriff „Satz des
Pythagoras“) aufgegangen ist,
- er selbst bzw. sein
sonstiges Leben
(nochmals: wenn er
überhaupt gelebt
hat)
weitgehend vergessen ist.
Es ist wie mit
"Alois Alzheimer (*
14. Juni 1864 in
Marktbreit; † 19. Dezember 1915 in Breslau) war ein deutscher
Psychiater und Neuropathologe: Er beschrieb als erster eine
Demenzerkrankung, die heute Alzheimer-Krankheit genannt wird."
(Quelle:
):
Alois Alzheimer könnte, wenn er noch
leben würden, für sich den zweifelhaften Ruhm reklamieren, dass eine
scheußliche Krankheit
(die er als erster beschrieben hat)
seinen Namen trägt
(dass also sein Name
zu einem Begriff
geworden ist).
Als
Person ist er aber
weitgehend
vergessen, und vermutlich wissen sogar viele
Ärzte nichts mehr von ihm
(also vielleicht
nichtmal, dass hinter
dem Begriff / der Krankheit
"Alzheimer" eine reale Person
steht /
stand).
Es ist, als wenn die Krankheit
„Alzheimer“ das einzige überbleibende
Kind
der
Person Alois Alzheimer
wäre: ein wahrhaft
scheußliches
Kind, eine
Missgeburt
- und doch viel
langlebiger
als ihr
Vater.
(Möchten Sie, verehrter Leser namens XY, dass Leute
später sagen: “ich leide unter XY“?
Nebenbei: viele Schüler sagen aber: „ich leider unter [dem Satz des]
Pythagoras“.)
Dass von der Person
Pythagoras nur der
Begriff „Satz des Pythagoras“
übrig geblieben ist, darf einen aber gar
nicht wundern: im üblichen Mathematikunterricht
(ja, überhaupt in der Wissenschaft
Mathematik)
kommen im besten Fall mal
- ein Bild der Person Pythagoras vor
- und die nackten Lebensdaten.
Aber selbst das Bild
(oder genauer: die
auf ihm abgebildete
Büste)
zeigt
(schon wieder: falls
er überhaupt
gelebt hat)
wirklich ausgesehen hat,
- sondern ist Jahrhunderte
später entstanden, also freie
Erfindung:
"Alle Ähnlichkeiten mit lebenden oder
toten Personen sind rein zufällig."
Die Mathematik
(und damit auch der
Mathematikunterricht in der Schule)
interessiert sich in der Regel
reichlich wenig für die Personen, die sie erschaffen haben,
und
dementsprechend kann die Person
Pythagoras noch von Glück reden, dass
immerhin der „Satz des Pythagoras“ nach ihr benannt ist.
Ansonsten aber: wieso sollte die
Person Pythagoras interessant
sein, wenn
- sie zwar vielleicht als erste
den „Satz des Pythagoras“
bewiesen hat,
- dieser aber (wenn auch unbewiesen) schon alle Zeit vor ihm
gegolten hat
- und unabhängig von ihm auch (dann endlich bewiesen) in alle
Ewigkeit nach ihm gelten wird,
- wenn er also längst mausetot
und (als Person) vergessen
ist (s. 7.)?!
Man könnte fast sagen, dass Pythagoras
wie Mohammed ist: beide sind nicht
Gott, sondern „nur“ dessen Propheten.
Kommt hinzu, dass, wenn nicht Pythagoras
den "Satz des Pythagoras" entdeckt oder bewiesen hat, dieser Satz
vermutlich früher oder später von einem anderen Mathematiker entdeckt
und
bewiesen worden wäre
(und in der Tat ist ja
gar nicht klar,
ob wirklich Pythagoras den
Satz entdeckt oder bewiesen hat).
So bitter es klingt und vielleicht auch
ist: die Personen sind in der
Mathematik
(anders als in der
Kunst!)
weitgehend austauschbar bzw. ersetzbar -
also nebensächlich.
Nur den ganz
Großen - wie eben
z.B. Pythagoras - ist die Ehre vergönnt, dass mathematische
Erkenntnisse nach ihnen
benannt sind, und zwar genau dann, wenn solch
eine Erkenntnisse ein echter Durchbruch
war und manchmal sogar ein ganz
neues mathematisches
Teilgebiet eröffnet hat.
(Und so
könnte Pythagoras dann eben doch
[mit Ernst Bloch?] sagen: "wir meißeln unsere Namen in die Ewigkeit!")
In der Mathematik werden die Personen
- aber nicht nur versehentlich
vergessen,
- sondern oftmals geradezu absichtlich
ausgelöscht:
Das erste völlig unpersönliche
Mathematikbuch
(und im hier gezeigten Sinne ein fatales Vorbild für spätere Zeiten)
ist
(auch schon aus der Antike).
Oder nehmen wir z.B. den
(heute allerdings
zumindest unter Mathematikern eben doch
noch bekannten)
überlebensgroßen Mathematiker
"Johann Carl Friedrich Gauß ([...] *
30. April 1777 in Braunschweig; † 23. Februar 1855 in Göttingen) war
ein deutscher Mathematiker, Astronom, Geodät und Physiker. Wegen seiner
überragenden wissenschaftlichen Leistungen galt er bereits zu seinen
Lebzeiten als Princeps Mathematicorum („Fürst der Mathematiker; Erster
unter den Mathematikern“)."
(Quelle:
)
Gauß hat seine mathematischen Texte so
lange poliert, bis aber auch wirklich gar
keine Spuren des
Entdeckungsprozesses (und damit eben der Person Gauß) mehr erkennbar
waren: in
solchen (typischen) mathematischen Texten spricht
(und ist entsprechend
auch das Wort
„ich“ tabu, nämlich geradezu unwissenschaftlich),
- sondern sozusagen Gott
selbst
(worauf wir unten
zurückkommen werden;
nur was ist, wenn es keinen [mathematischen] Gott gibt?)
oder der mathematische "Weltgeist"
oder der Geist der Mathematik oder
Graf Zahl / The Count
....
- : oben war gesagt worden, dass durch den „Satz des Pythagoras"
- der rechte Winkel
unter allen Winkeln
- und das rechtwinklige
Dreieck unter allen Dreiecken
ausgezeichnet werde.
Man kann es aber auch mal als hässlichen
Makel und als
Tragik ansehen,
dass der „Satz des Pythagoras“
- leider nur für rechtwinklige Dreiecke,
- nicht aber
- auch für alle sonstigen,
nicht-rechtwinkligen
Dreiecke,
- also ausnahmslos alle
Dreiecke
gilt.
Und das
- liegt nicht etwa daran, dass Pythagoras
(als einer der ersten
Mathematiker und
daher sozusagen als „Anfänger“)
einen Fehler
gemacht oder nicht weit
genug geschaut hat,
- sondern eine Erweiterung des „Satzes des Pythagoras“ auf sämtliche
(eben auch
nicht-rechtwinklige)
Dreiecke ist prinzipiell nicht
möglich.
Nun lieben Mathematiker aber
größtmögliche Allgemeingültigkeit
(z.B. ist in ausnahmslos
allen [ebenen]
Dreiecken
[also rechtwinkligen
ebenso wie
nicht-rechtwinkligen]
die Winkelsumme exakt 1800;
[= zwei rechte Winkel!];
und doch gibt es auch da
eine „kleine“
Unschönheit:
in nicht-ebenen Dreiecken
[z.B. auf Kugeln und
„Sattelflächen“]
ist die Winkelsumme eben doch nicht
1800).
So gesehen verletzt die Beschränkung des “Satzes des Pythagoras“ auf
rechtwinklige Dreiecke dann
eben doch das
Schönheitsempfinden
vieler
Mathematiker.
Gegenüber dem vermutlich früheren Beweis, dass in
allen, also auch
nicht-rechtwinkligen (ebenen)
Dreiecken die Winkelsumme 1800 ist, kann
man den „Satz des Pythagoras“ mit seiner Beschränkung auf
rechtwinklige
Dreiecke dann doch als
Rückschritt
ansehen.
- : eine weitere Tragik
des Pythagoras ist, dass er
- für eine seiner weniger
wichtigen Leistungen, nämlich den
„Satz des Pythagoras“,
- nicht aber für seine
viel größere Genietat berühmt
geworden
ist
(s.u. B.: der Triumpf
des Pythagoras).
- : eine letzte Tragik
teilt Pythagoras mit vielen anderen
:
dieser Begriff "dead white men" war
ursprünglich wohl mal als Kritik an einer einseitigen Überbetonung
- seit langem toter,
also (vermeintlich?) nicht mehr
lebensnaher Personen,
- der eurozentrischen,
„white“ Perspektive,
im kulturellen
Kanon und damit auch in
der schulischen Bildung gemeint.
(Z.B. musste der große
Mathematiker
David Hilbert um 1900 erstmal ein Machtwort sprechen, als die
brilliante Mathematikerin Emmy Noether in Göttingen nicht als
Professorin zugelassen werden sollte:
„Meine Herren, dies ist
keine
Badeanstalt.“)
Inzwischen scheint sich der Begriff
„dead white men“ aber gegen alle
großen Geister der Vergangenheit zu
richten
(so neu ist das
allerdings nun auch
wieder nicht),
und manchmal drängt sich mir der
Eindruck auf, dass durch solche Großkotzigkeit nur das Mittelmaß seine
Minderwertigkeitskomplexe zu
überspielen versucht
(statt Größe neidlos
und durchaus
bewundernd anzuerkennen, ja
als gemeinschaftliches kulturelles
Erbe
aufzufassen, auf das man vielleicht sogar stolz sein kann;
nunja, es fällt mir schwer, auf die Leistungen anderer Menschen stolz
zu sein).
Das mit Abstand größte Tragik des
Pythagoras
(falls er überhaupt
jemals gelebt hat;
vgl. 1.)
ist also, dass er mausetot ist
(aber das kann ihm
jetzt auch egal
sein).
Wir
hingegen können den Triumph
genießen, noch (!) unter den Lebenden zu weilen:
"Ich werde auf eure Gräber spucken."
(Boris Vian, der inzwischen allerdings längst auch zu
den „dead white men“ gehört)
Wo aber Schatten ist, da ist auch Licht:
- : der Triumph des Pythagoras:
abgesehen von einigen
Philosophiehistorikern weiß wohl kaum jemand mehr, was die
größte
Leistung des Pythagoras war
(viel größer als die -
so gesehen -
eher nebensächliche Entdeckung des „Satzes des Pythagoras“):
vor allem in der Stilisierung durch Platon war Pythagoras der Erste,
der geglaubt hat, dass
Gott
die Welt nach
mathematischen
Kriterien
erschaffen hat:
Pythagoras hat damit eine
Denktradition erschaffen, die spätere Genies vielleicht deutlicher auf
den Punkt gebracht haben:
- „Das wichtigste Ziel aller Untersuchungen über die Außenwelt
sollte es sein, die rationale Ordnung zu entdecken, die ihr von Gott
aufgeprägt worden ist und die er uns in der Sprache der Mathematik
geoffenbart hat.“
(Johannes Kepler)
- ”Das Buch der Natur ist in der Sprache der Mathematik
geschrieben.“
(Galileo Galilei)
Soweit man weiß, war Pythagoras noch bei Weitem kein moderner
Mathematiker und Naturwissenschaftler, sondern er scheint vielmehr aus
seiner Erkenntnis „Alles ist Zahl“ eine aus heutiger Sicht arg
esoterische, krude
Religion
gemacht zu haben
(was sich - da bin ich
fassungslos -
auf einem Nebengleis bis heute
fortsetzt: das Internet wimmelt von
spinnerten Leuten, die sich bei ihrer Zahlenmystik bis heute auf
Pythagoras berufen; vgl. pars pro toto z.B. nur
).
Der SATZ “Alles ist Zahl“ DES
PYTHAGORAS hat aber sogar den
Tod
Gottes überlebt und ist vielleicht
überhaupt erst
danach
(als eine
Ersatzreligion?)
voll wirkungsmächtig geworden
(so sehr, dass meines
Wissens Alfred
North Whitehead behauptet hat, Pythagoras sei sogar wirkungsvoller als
Jesus gewesen).
Die Erklärung "der" Welt durch Mathematik
(und der Glaube an die
Berechenbarkeit
der Welt)
hat seit der Frühneuzeit einen
(vielleicht sogar
gefährlichen)
Siegeszug ohnegleichen
angetreten!
Bester Beleg ist da, dass Mathematisierbarkeit regelrecht zum Kriterium
von
Wissenschaftlichkeit
geworden ist.
Und
neueste Musterbeispiele
für den Mathematisierungswahn sind
- der sich letztlich nur in Zahlen ausdrückende neue
Vergleichbarkeits-, d.h. Objektivierungswahn in der Schulpolitik,
- ,
(wobei die "Big Data"
letztlich nur aus
[massenhaft] Zahlen bestehen
und "Algorithmen" nur ein aufgemotzes Wort
für [wenn auch extrem komplizierte] "Rechnungen" ist).
Der Glaube an die
komplette
Mathematisiertbarkeit der Welt ist aber oft
nur ein Refugium der
Phantasielosen,
die heillos überfordert sind, wenn
etwas
nicht nach zweiwertiger
Logik (wahr/falsch) und
keine
monokausale
Logik (aus A folgt B) funktioniert.
Die viel
größere Leistung des Pythagoras, nämlich die These,
dass
"alles Zahl" ist, gehört aber mindestens
ebenso in den Schulunterricht
wie der "Satz des Pythagoras"!
PS: |
ich hatte oben aus
dramaturgischen Gründen den „Satz des Pythagoras“ und damit die Leistung
des Pythagoras ein wenig schlechtgeredet, weil der „Satz des
Pythagoras“ nunmal leider nur für rechtwinklige Dreiecke gilt.
Jetzt aber seien die Triumpfe
nachgeholt, die Pythagoras auch schon bei seinem „Satz des
Pythagoras“
erlebt haben mag:
wie schon oben gesagt, hat
Pythagoras seinen „Satz“ in endlicher Zeit für unendlich
viele, nämlich ausnahmslos alle rechtwinkligen Dreiecke
führen können.
Er war
- nach dem von einem
unbekannten Anderen geführten Beweis der Winkelsumme 1800 in
Dreiecken
- und dem Beweis des „Satz des Thales“
vermutlich der Dritte,
der solch einen allgemeinen Beweis führen konnte.
Heute wundert das wohl leider (!)
kaum
jemanden mehr, aber damals
muss solch ein allgemeiner Beweis doch eingeschlagen haben
wie eine Bombe!:
(Hier springt allerdings nicht Pythagoras,
sondern Archimedes aus der
Badewanne.)
Da wurde der Mensch fast gottgleich zum Herrn über die Unendlichkeit
(was
dann in der Frühneuzeit beispielsweise durch Newton und Leibniz weiter
ausgebaut wurde)
und hätte Pythagoras allemal
zu Recht das Triumpfgefühl
und den Stolz des
empfinden können.
Und auf noch etwas Anderes
hätte Pythagoras stolz sein können: dass er mit
seinem „Satz“ zum zweiten Mal
nach der Entdeckung der
Dreiecks-Winkelsumme 1800 einen Zusammenhang zwischen
- einerseits Geometrie
(rechtwinkligen Dreiecken) und
- andererseits Algebra
(der Gleichung a2
+ b2 = c2 )
herstellen konnte, so dass die
Wirklichkeit immer mehr mathematisch
oder zumindest doch mathematisierbar
zu sein schien.
Darin mag Pythagoras auch
durch seine anderweitige Erkenntnis bestätigt worden sein, dass
musikalische Harmonien auf simpler Bruchrechnung
beruhen:
Kein Wunder, dass er von seiner
Erkenntnis, die er zudem als göttliches
Geschenk empfunden haben mag
(der
Heureka-Moment entzieht sich nunmal meistens der rationalen Erklärung),
derart überwältigt war, dass er daraus
prompt eine regelrechte Religion
gebastelt hat.
|
PPS: |
Wenn Mathematiker auf
scheinbar unüberwindliche Hindernisse stoßen, haben sie zwei häufig
angewandte Tricks:
- : :
- wenn uns also mal ein nicht-rechtwinkliges
Dreieck
begegnet,
- auf das der „Satz des Pythagoras“ leider nicht
anwendbar ist,
- so teilen wir das Dreieck eben einfach durch die Höhe
,
- wobei zwei rechtwinklige Dreiecke entstehen,
- auf die nun eben doch jeweils der „Satz des
Pythagoraos“
angewandt werden kann
(aber
durch die Unterteilung in zwei rechtwinklige Teildreiecke sind auch
nicht alle sich bei Dreiecken
stellenden Seiten-Aufgaben lösbar).
- und im vorliegenden Fall dasselbe:
- angesichts eines neuen Problems
(hier: nicht-rechtwinkliges
Dreieck)
- besinnt man sich auf das, was man bereits kann
(hier: rechtwinklige
Dreiecke),
- und geht einen kleinen Umweg
(hier: Aufteilung
des nicht-rechtwinkligen Dreiecks durch die Höhe in zwei rechtwinklige
Dreiecke),
- um auf diesem Umweg dann letztlich doch noch
zum Ziel zu kommen.
|
PPPS: |
- nach dem Satz zur Winkelsumme 1800,
mit dem die
drei Winkel (www) eines Dreiecks in Beziehung
zueinander gebracht
werden, so dass man
- zu zwei bekannten Winkeln
- den dritten, anfangs noch unbekannten Winkel berechnen
kann,
- und nach dem Satz des
Pythagoras, mit dem die drei Seiten
(sss) eines rechtwinkligen
Dreiecks
in Beziehung zueinander gebracht werden, so dass man
- zu zwei bekannten Seiten
- die dritte, anfangs noch unbekannte Seite berechnen kann,
- fehlt nur noch eine Möglichkeit,
- sowohl Seiten
- als auch Winkel
eines Dreiecks miteinander in
Beziehung zu bringen (also z.B. sws) und so z.B.
- den von ihnen eingeschlossenen, anfangs noch unbekannten
Winkel
berechnen zu können.
Das ist mit
der sogenannten “Trigonometrie“ (also Sinus, Cosinus ...) möglich -
aber
eben (anfangs) auch nur in rechtwinkligen Dreiecken.
Aber das kann man mit denselben Tricks wie oben dann doch auf alle,
also auch nicht-rechtwinklige Dreiecke erweitern (Sinus- und
Cosinussatz).
|
PPPPS: |
es gibt erstaunliche Parallelen
(aber natürlich auch Unterschiede) zwischen dem Pythagoras- und
dem Jesus-Mythos - sowie den Adepten der beiden:
( Quelle:
)
Ansatzweise verständlich werden
diese Parallelen zwischen dem früheren Pythagoras und dem späteren
Jesus nur dann, wenn man
(bzw.
genauer: das Neue Testament)
nicht als historisch
singuläres
„Wort Gottes“ ansieht,
- sondern erkennt, dass die Evangelisten und insbesondere
Paulus in einer helenistisch geprägten Welt lebten und sich
dieser auch
verständlich machen wollten.
Überhaupt war der damalige Orient eine Brutstätte sich gegenseitig
beeinflussender Religionen, und wer auf sich hielt,
- wurde jungfräulich
geboren,
- starb am Kreuz
- und erlebte danach eine Wiederauferstehung
(... wobei es mir
fern liegt,
mich über solche damalige „Moden“ lustig zu machen: da wurden „nur“ in
einer qualvollen Zeit die Eckpfeiler des menschlichen Lebens
[Geburt, Tod, ein
Leben nach dem
Tod?]
verhandelt).
|