Rückstoß oder Sachtexte im Deutschunterricht

In den neuen Kernlehrplänen für das Fach Deutsch wird eine zunehmende Entfernung von Literatur und dafür eine Hinwendung zu Sachtexten deutlich - ein Prozess, den ich durchaus zwiespältig betrachte:

(bei PISA haperte es im Fach Mathematik oftmals nicht an den Rechenfertigkeiten, sondern am Textverständnis);

("mit der kann man ja keinen Nagel in die Wand schlagen")

 demnächst hinten runter fällt,

(aber z.B. viele MathematiklehrerInnen sind ja selbst halbe Analphabeten, können nämlich z.B. kaum selbst einen differenzierteren Text schreiben bzw. vauch "nur" verbal reflektieren),


Auf einer Arbeitssitzung von DeutschlehrerInneN wurde nun überlegt, welcher Sachtext altersadäquat geeignet sei, in einer 5. (!) Klasse Verständnis abzuprüfen

(... wobei natürlich an ähnlichen Texten vorher "Verständnisverfahren" geübt worden sein sollten!).

Folgender Text aus einem (mir nicht vorliegenden) Deutsch-Schulbuch wurde vorgeschlagen

(und daraus wurden dann Prüfungsfragen entwickelt, die ich hier weder nennen noch "kritisieren" möchte):

Düsenflugzeuge

Ein Düsenflugzeug ähnelt einem Gewehr mit Flügeln. Wenn ein Mann ein Gewehr abfeuert, explodiert das Pulver in der Patrone. Die heißen Gase dehnen sich aus, jagen das Geschoss aus dem Lauf, aber sie schlagen auch zurück gegen die Patronenhülse, die gegen den Verschluss des Gewehres gestoßen wird. Dieser Rückstoß presst das Gewehr gegen die Schulter des Schützen.
Wenn nun ein Düsenflugzeug fliegt, verbrennt explosionsartig Brennstoff in einer Brennkammer. Die heißen Gase schießen aus der Düse - wie ein Geschoss mit großer Geschwindigkeit -, sie stoßen aber auch gegen die geschlossene Wand der Brennkammer. Beides, Ausströmen und Druck auf die Brennkammer, treiben das Flugzeug vorwärts.
Blase einen Ballon auf und lasse ihn dann los. Wenn die Luft aus dem Mundstück ausströmt, fliegt der Ballon in der entgegengesetzten Richtung fort.
Die üblichste Art des Düsenmotors ist eine Turbinendüse. Sie arbeitet folgendermaßen: Luft strömt durch einen Einlass in die Vorderseite des Düsenmotors und wird durch einen Verdichter zusammengepresst oder verdichtet. Dann schießt sie in die Brennkammer. Gleichzeitig wird Benzin in die Brennkammer gespritzt, es vermischt sich mit der Luft und verbrennt schnell. Ständig kommt nun Brennstoff in die Brennkammer und verbrennt sofort. Die heißen Gase sind es also, die das Düsenflugzeug vorwärtstreiben. Bevor die Gase zur Düse kommen, treiben sie noch eine Turbine an, die den Luftverdichter an der Spitze des Motors antreibt. Entfesselte heiße Gase schießen aus der Düse, und das Flugzeug jagt in den Himmel.

Mich interessiert an all dem (vorerst) nur, dass auf meine Nachfrage hin keineR der anwesenden DeutschlehrerInnen hinterher korrekt das grundlegende Düsenprinzip erklären konnte; oder genauer: alle erklärten es falsch.

Aber Prüfungen darüber abhalten!

(Vgl. auch )

Man möchte glatt kalauern: die Aufgaben war ein Rückstoß für die LehrerInnen.


Die Erklärung aller KollegInneN war die typisch (naheliegend!) laienhafte: 

Nun kann man diese Erklärung schnell auf zwei Arten verunsichern:

  1. fragt man nach dem letztgenannten Effekt, also "die umgekehrte Richtung annimmt - und damit den Luftballon in die entgegengesetzte Richtung treibt":

  1. Auch Weltraumraketen funktionieren mit Düsen - aber da gibt es doch gar keine Luft (B), von der sich die ausströmende Luft (A) ab- bzw. "zurück"stoßen könnte!???

Wohlgemerkt: solch schlaue Fragen können nur zwei Personengruppen stellen:

  1. diejenigen, die solche Fragen überhaupt als erste gestellt haben, also die Genies, die die Düse bzw. ihre Vorformen erfunden haben, oder solche, denen als erste merkwürdige abweichende Effekte aufgefallen sind;

  2. Besserwisser (wie ich!?), die irgendwo mal gelernt haben, dass die o.g. Erklärung falsch ist.

Kommt hinzu, dass sie nicht mal ganz falsch ist: 

In der Tat ist die Vorwärtsbewegung des Luftballons bzw. der Düse teilweise

(aber eben nur zu einem minimalen Anteil)

auf den o.g. Effekt der Abstoßung von der äußeren Luft (B) zurückzuführen, und der Text sagt das auch an einer Stelle:

"Beides, Ausströmen [!] und Druck auf die Brennkammer, treiben das Flugzeug vorwärts."


Der Text ist aus dem (amerikanischen) Englischen übersetzt worden und liegt mir zudem nur in einer Abschrift vor: es gibt also Fehlermöglichkeiten genug, um nicht leichtfertig die ursprünglichen AutorInnEn für Fehler verantwortlich zu machen.

Denn mindestens einen solchen Fehler enthält der Text allemal

(ein erster Hinweis darauf, dass der Text [in der übersetzten bzw. abgeschriebenen Version] eben gerade nicht als Prüfungstext geeignet sein könnte!):

Statt

"Bevor die Gase zur Düse kommen, treiben sie noch eine Turbine an [...]"

müsste es nämlich korrekt heißen:

"Bevor die Gase [hinten] aus der Düse kommen, treiben sie noch eine Turbine an [...]".

Oder war ursprünglich gemeint (Druckfehler!)?:

"Bevor die Gase [hinten] zur Düse heraus kommen [...]"

Und das ist eben kein marginaler Fehler, sondern da wird die wichtige Beschreibungsrichtung der Düse (von vorne nach hinten) durchbrochen, die zu erkennen ja sowieso schon nicht so einfach ist (s.u.).

(Ein konstruktionsbedingtes, also [scheinbar?] unvermeidbares Problem besteht allerdings darin, dass diese Beschreibungsrichtung in der Tat mal unterbrochen werden muss:

"Bevor die Gase [hinten (!) aus der Düse] kommen, treiben sie noch eine Turbine an, die den [lange vorher schon mal behandelten] Luftverdichter an der Spitze [also vorne!] des Motors antreibt."

D.h. die Katze beißt sich sozusagen in den eigenen Schwanz!

[Nebenbei: wie unten noch deutlich wird, setzt die Turbine erst ein, nachdem bereits der Rückstoß erfolgt ist, d.h. sie nutzt nur die sonst inzwischen weitgehend überflüssige Energie der Abgase - um damit vorne den Verdichter anzutreiben. Man könnte da also auch von "Energie-Recycling" sprechen.]

Gleichzeitig frage ich mich aber, ob dieses Problem wirklich unvermeidlich ist: Muss man Verdichter [vorne] und Turbine [hinten] wirklich erwähnen, wenn es ums Grundprinzip des Düsentriebwerks geht? Irritieren solche Nebensächlichkeiten wie Verdichter [vor der "eigentlichen" Düse] und Turbine [hinter der "eigentlichen"] Düse nicht doch allzu sehr?

Ich weiß da keine [eindeutige] Antwort, weil man an einer Düse "im Alltag", also z.B. auf einem Flughafen, ja vor allem diese Nebensächlichkeiten [das Schaufelrad vorne, also den Verdichter] sieht, nicht aber die Innereien, also die eigentliche Düse.

Zudem werden umgangssprachlich oftmals Düse und Turbine miteinander verwechselt.)


Dabei steht die richtige Erklärung des Düsenprinzips durchaus im o.g. Text drin!:

Ein Düsenflugzeug ähnelt einem Gewehr mit Flügeln. Wenn ein Mann ein Gewehr abfeuert, explodiert das Pulver in der Patrone. Die heißen Gase dehnen sich aus, jagen das Geschoss aus dem Lauf, aber sie schlagen auch zurück gegen die Patronenhülse, die gegen den Verschluss des Gewehres gestoßen wird. Dieser Rückstoß presst das Gewehr gegen die Schulter des Schützen.
Wenn nun ein Düsenflugzeug fliegt, verbrennt explosionsartig Brennstoff in einer Brennkammer. Die heißen Gase schießen aus der Düse - wie ein Geschoss mit großer Geschwindigkeit -, sie stoßen aber auch gegen die geschlossene Wand der Brennkammer. Beides, Ausströmen und Druck auf die Brennkammer, treiben das Flugzeug vorwärts.
Blase einen Ballon auf und lasse ihn dann los. Wenn die Luft aus dem Mundstück ausströmt, fliegt der Ballon in der entgegengesetzten Richtung fort.
Die üblichste Art des Düsenmotors ist eine Turbinendüse. Sie arbeitet folgendermaßen: Luft strömt durch einen Einlass in die Vorderseite des Düsenmotors und wird durch einen Verdichter zusammengepresst oder verdichtet. Dann schießt sie in die Brennkammer. Gleichzeitig wird Benzin in die Brennkammer gespritzt, es vermischt sich mit der Luft und verbrennt schnell. Ständig kommt nun Brennstoff in die Brennkammer und verbrennt sofort. Die heißen Gase sind es also, die das Düsenflugzeug vorwärtstreiben. Bevor die Gase zur Düse kommen, treiben sie noch eine Turbine an, die den Luftverdichter an der Spitze des Motors antreibt. Entfesselte heiße Gase schießen aus der Düse, und das Flugzeug jagt in den Himmel.

Bemerkenswert daran ist viererlei:

  1. Die richtigen Erklärungen stehen sehr früh im Text - und dann lenkt der Resttext (absichtlich?) nur wieder davon ab?

  2. Die Erklärungen sind durchaus raffiniert gebaut

[einerseits], aber auch

... und das gleich zweimal, also in offensichtlich beabsichtigter

(aber auch durch den "Normalleser" bemerkter?)

Wiederholung:

das Grundprinzip des relativ einfacher zu verstehenden Gewehrs  wird da auch durch fast gleichlautende sprachliche Mittel auf die kompliziertere Düse übertragen.

(Überhaupt erscheint es mir immer wichtiger, SchülerInnen [nicht nur bei Sachtexten] auf "Signalwörter" [wie eben z.B. "aber auch"] regelrecht zu trimmen.)

  1. ist mit "[zwar], aber auch" implizit, aber ohne deutliche Nennung sehr viel mehr gemeint:

[einerseits], aber auch und vor allem!

  1. ist der vorliegende Text also vielleicht nicht schlecht geschrieben, aber doch keineswegs so einfach, wie man (LehrerInnen) auf Anhieb meint; und der beste Beweis dafür ist, dass ausgerechnet LehrerInnen den Text falsch verstanden haben!

Nur ein weiteres Beispiel für diese latente Schwierigkeit des Textes: natürlich ist es von der Funktionsweise her sinnvoll, eine Düse von vorne nach hinten (also entlang der durchströmenden Luft) zu beschreiben; dass aber diese Beschreibungsrichtung gewählt wurde, ist dem Text keineswegs auf Anhieb zu entnehmen

(mal abgesehen davon, dass - wie oben gezeigt - diese Beschreibungsrichtung einmal versehentlich, einmal absichtlich durchbrochen wird),

sondern

(zumindest aus der Sicht eines hypothetischen 5.-Klässlers)

durchaus hübsch verklausuliert:

"Luft strömt durch einen Einlass in die Vorderseite des Düsenmotors und wird durch einen Verdichter zusammengepresst oder verdichtet. Dann schießt sie in die Brennkammer. Gleichzeitig wird Benzin in die Brennkammer gespritzt, es vermischt sich mit der Luft und verbrennt schnell. Ständig kommt nun Brennstoff in die Brennkammer und verbrennt sofort [ein Satz, mit dem die Vorwärtsbewegung massiv unterbrochen wird!]. Die heißen Gase sind es also, die das Düsenflugzeug vorwärtstreiben. Bevor die Gase [hinten aus der] Düse kommen, treiben sie noch eine Turbine an [...] Entfesselte heiße Gase schießen [hinten] aus der Düse, und das Flugzeug jagt in den Himmel."

Am Ende durchbricht auch noch "[...] und das Flugzeug jagt in den Himmel [...]" diese Beschreibungsrichtung, denn "in den Himmel" ist senkrecht zur bisherigen Beschreibungsrichtung. Nur bei einem Senkrechtstarter (Raketen) wird das Fluggefährt durch die Düsen in den Himmel getrieben, bei einem Normal-Düsenjet hingegen sorgen nicht die Düsen, sondern die Flügel für den senkrechten Auftrieb

(solcher Auftrieb durch Flügel wäre nebenbei auch ein interessantes Thema, denn bei dessen Erklärung herrscht ebenfalls viel Halbwissen vor).

... wobei es allerdings in einem jugendgemäßen Text gute dramaturgische Gründe für einen Abschluss mit "[...] und das Flugzeug jagt in den Himmel [...]" gibt.


Nun könnte man fragen, ob nicht (nur) die Schreibweise des Textes, sondern (auch) die gewählten Beispiele für die genannten Missverständnisse sorgen.

Dabei ist es natürlich erstmal lobenswert, dass das Düsengrundprinzip auf relativ einfache Gegenstände "herabgeholt" wird. Aber provoziert das Luftballonbeispiel nicht geradezu das o.g. Missverständnis

(bzw. lenkt es auch schon von den vorher stehenden richtigen Erklärungen ab)?

Bemerkenswert scheint mir auch, dass hier "nur" ein Text vorliegt: 

"Blase einen Ballon auf und lasse ihn dann los."

ist ja keineswegs als Anweisung zu einer "echten" Handlung gemeint

(dass also einE SchülerIn tatsächlich einen echten Luftballon aufbläst),

sondern nur als Aufforderung, sich ein vermutlich schon mal erlebtes "Experiment" ins Gedächtnis zu rufen bzw. ein inneres Bild zu machen

(und in der Tat wird vermutlich jedeR SchülerIn schon mal einen Luftballon aufgeblasen und ihn dann losgelassen haben; ein "Originalerlebnis", das bei einem Gewehr wohl kaum so einfach vorausgesetzt werden kann;

das nämlich wäre doch öfters mal pädagogisch zu differenzieren: wann reichen [welche?] Worte, um ein [bereits erlebtes] Bild zu evozieren - und wann nicht?

Durchaus technisch interessant finde ich nebenbei, wie der Rückstoß eines Gewehrs gemildert werden kann, indem er anderweitig genutzt wird:

Selbstlader  
 
Selbstlader, auch "Halbautomaten" genannt, sind Waffen, bei denen nach einem Schuss durch Rückstoß oder einen Teil der Verbrennungsgase der Nachladevorgang aus einem Magazin und das Auswerfen der abgeschossenen Hülse selbstätig ausgelöst werden.  
 
Vollautomaten  
 

Gewehre, bei denen nach einem Schuss durch Rückstoß oder einen Teil der Verbrennungsgase der Nachladevorgang aus einem Magazin, das Auswerfen der abgeschossenen Hülse und der nächste Schuss selbstätig ausgelöst werden, heißen Vollautomaten. [...]

[zitiert nach ] )

Indem der Text

(und ein Text als solcher kann kaum anders)

sofort mit 

"Wenn die Luft aus dem Mundstück ausströmt, fliegt der Ballon in der entgegengesetzten Richtung fort [...]"

weiter geht, lässt er ja auch keinerlei Zeit zum Handeln - und auch nicht, das innere Bild hervorzurufen und dann zu "problematisieren"?:

"1. Was genau passiert beim Loslassen?
  2. Warum eigentlich fliegt der Luftballon in die entgegengesetzte Richtung?"

(Denn nicht nur SchülerInnen haben ja oftmals ihnen durchaus oberflächlich bekannte Effekte nicht genau beobachtet geschweige denn über deren Ursachen bzw. Funktionsweisen nachgedacht

... und man kann schließlich nicht alles genau beobachten bzw. darüber nachdenken).


So vordergründig einfach das Luftballonbeispiel nämlich ist, so durchaus kompliziert ist in Wirklichkeit, was da beim Loslassen passiert:

Durch das Aufblasen 

  1. drückt die Luft gegen die gespannte Luftballonhülle und 

  2. umgekehrt dann auch (actio und reactio!) die gespannte Luftballonhülle auf die Luft.

Die Luft drückt nun die Luftballonhülle in allen Richtungen gleichermaßen:

(wobei unten die Öffnung nach Loslassen des Luftballons ist):

  1. wie alle sonstigen Seiten, so wird auch die Luftballonhülle oben weggedrückt;

  2. unten ist aber die Öffnung, kann die Luft also gegen nichts drücken, sondern dort entweicht sie ohne Widerstand.

I. und II. gleichen sich also nicht gegenseitig aus, so dass die Kraft I. voll bestehen bleibt: der Luftballon (seine Hülle) wird nach oben gedrückt.

(Und jetzt bin ich doch heftigst gespannt, ob diese Erklärung

  1. für Laien verständlich ist,

  2. in den Augen "richtiger" PhysikerInnen bestehen kann :-)

Die langersehnte Lösung lautet nun also:

Der Luftballon (und damit jede Düse) stößt sich 
  1. keineswegs (oder nur marginal; s.o.) von der Luft außerhalb ab, sondern
  2. sozusagen von sich selbst.

(Eben das war im Originaltext mit

"[...] aber sie [die heißen Gase im Gewehrlauf] schlagen auch zurück gegen die Patronenhülse, die gegen den Verschluss des Gewehres gestoßen wird. Dieser Rückstoß presst das Gewehr gegen die Schulter des Schützen [...] sie [die heißen Gase in der Düse] stoßen aber auch gegen die geschlossene Wand der Brennkammer. Beides, Ausströmen und Druck auf die Brennkammer, treiben das Flugzeug vorwärts.

gemeint!)

Man könnte auch sagen: er zieht sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf wie einst Münchhausen:

Weil aber in der korrekten Erklärung b. keinerlei Luft außerhalb mehr benötigt wird, funktionieren (Raketen-)Düsen auch im Weltraum, also im (annähernden) Vakuum.


Im Nachhinein erweist sich also auch der schon mehrfach zitierte Satz

"Die heißen Gase schießen aus der Düse [...], sie stoßen aber auch gegen die geschlossene [!] Wand der Brennkammer."

als

(wieder: erst in der Übersetzung oder nach falschem Abschreiben?)

sprachlich äußerst ungünstig:

  1. ist daran wichtig, dass sie nicht gegen irgendeine Wand stoßen, sondern gegen die Vorderwand,

  2. wird so aber unverständlich, wo dann denn von vorne die Luft reinkommen soll.

Der scheinbare Widerspruch sei am Bild einer Düse aufgelöst:

In den roten Kreisen sieht man zwei Austrittsöffnungen der Gase, und allein an deren Vorderseiten  (also relativ kleinen Flächen!) stoßen sich die Gase ab, während gleichzeitig seitlich von ihnen (hellblau) von rechts neue Luft zuströmt.

(Merkwürdig, "vorne" bei einer Düse wäre bei mir - anders als im Bild - immer links, und das wohl deshalb, weil wir von links nach rechts lesen [und zwar auch mathematische Koordinatensysteme].)


Zweifelsohne gibt es erstaunliche Effekte des Luftballonbeispiels, z.B. ein luftballonbetriebenes Spielzeugauto:

Dennoch hat sich Luftballonbeispiel, so einfach es ist, oben bereits mehrfach als problematisch erwiesen

(vielleicht auch deshalb [wie schon gesagt], weil es nur in Worten übermittelt wird?).

Und es gibt in der Tat ein viel besseres Beispiel, das ich mal "Rückwurfgefährt" nennen möchte

(im Unterricht sollte man es nicht [wieder mal] nur in Worten beschreiben, sondern tatsächlich von allen SchülerInnen benutzen lassen):

  1. Man nehme, wenn man hat, ein Skateboard mit besonders guten, also fast widerstandsfrei laufenden Rädern.

  2. Man stelle eineN SchülerIn darauf, die/der in beiden Händen schwere Kugelstoß-Kugeln (Herrenkugel 7,257 kg, Damenkugel 4 kg) hält.

  3. Nun bitte man dieseN SchülerIn, die Kugeln nach hinten zu werfen - und der Effekt ist, dass

  1. natürlich die Kugeln nach hinten fliegen,

  2. sich aber auch das Skateboard samt SchülerIn nach vorne bewegt.

Vorteilhaft gegenüber dem Luftballonbeispiel finde ich dabei zweierlei:

  1. ist das "Rückwurfgefährt" sicherlich eindrücklicher

(eine wahrhaft erstaunliche, wenn auch auf die Dauer doch arg anstrengende Art der Fortbewegung),

  1. scheint mir die (beim Luftballonbeispiel naheliegende) falsche Erklärung (vgl. oben) ausgeschlossen, die schweren Kugeln könnten die Luft hinterm Skateboard nicht verdrängen und würde daher von dieser zurückgestoßen

(... und würden dann - vgl. die erste "Verunsicherung" oben - zurückfliegen, die/den SchülerInnen anstoßen - und dabei schwer verletzen?!).


Was da beim "Rückstoßgefährt" passiert, erkläre ich mir bei meiner physikalischen Halbbildung (richtig?) folgendermaßen:

der Impuls (?) nach beiden Seiten ist gleich:


PS:

Mein Text über "Rückstoß oder Sachtexte im Deutschunterricht" war kaum raus, da schrieb mir eine meiner treuesten und - das finde ich positiv! - kritischsten  LeserInnen ins Gästebuch (vgl. ):

"Das Funktionsprinzip eines Turbinenantriebs mit dem einer Waffe und eines Geschosses zu vergleichen ist technisch unzulänglich, deshalb waren Ihre KollegInnen hinterher auch nicht klüger als zuvor.

Aber die Ungeheuerlichkeit besteht doch im ungestraften Mißbrauch der Waffentechnik unter dem Vorwand des neutralen Sachtextes - das ist Erziehung zum Krieg! Solche Beispiele sollen durch die Hintertür Waffenmißbrauch ins Alltägliche einführen und somit legalisieren! Erfurt, Columbine Highschool, Irak! In der DDR gab es genug manipulative Schultexte, aber so unverholen aggressiv waren die nicht! Nach allgemeiner Auffassung war das eine Diktatur!

Keine(r) Ihrer KollegInnen stellte die Eignung dieses aus Amerika (USA?) stammenden Textes in Frage?

Grüße! - Immer hübsch mißtrauisch bleiben!"

Meine erste Reaktion war da zwiespältig:

  1. fühlte ich mich selbst kalt erwischt, denn den militaristischen Aspekt hatten ja nicht nur meine KollegInnEn, sondern auch ich selbst völlig übersehen

(... oder oben in "Durchaus technisch interessant finde ich nebenbei, wie der Rückstoß eines Gewehrs gemildert werden kann [...]" nur angedeutet, indem ich allein den technischen Aspekt betonte),

  1. und vielleicht gerade aus 1. folgend dachte ich mir aber: "bitte nicht schon wieder so ein windelweicher Pazifist

(aber nichts gegen [auch sich selbst gegenüber] konsequente Pazifisten!),

der meint, Kinder würden später automatisch zu Mördern und Soldaten, nur weil sie mal auf Karneval mit einem Spielzeugcolt Cowboy gespielt haben."

Kleiner Einschub: ich halte den Vergleich Gewehr/Düsentriebwerk keineswegs für "technisch unzulänglich", sondern - eben rein technisch gesehen - sogar für günstiger als den mit einem Luftballon, denn der Rückstoß eines Gewehrs (wenn man ihn denn kennt) ist sehr viel eindrücklicher als der eines Luftballons.

Inzwischen scheint mir, dass die Autorin des Gästebucheintrags indirekt doch recht hat:

Indem der Text schon im ersten Satz davon ausgeht, dass jedeR SchülerIn (wohlgemerkt in einer 5. Klasse!) den Rückstoß eines Gewehres kennt

(der dann auf ein Düsentriebwerk übertragen werden kann),

wird vielleicht nicht gerade Gewalt "legalisiert" oder für sie geworben, werden aber immerhin "amerikanische Zustände" vorausgesetzt.

Mag auch sein, dass deutsche LehrerInnen die Übertragung Gewehr → Düsentriebwerk nicht verstanden haben, weil wir glücklicherweise noch keine amerikanischen Zustände haben.