Schule hinterm Mond

 

 

"Wissenschaft fängt eigentlich erst da an, interessant zu werden, wo sie aufhört."
(Justus von Liebig)

"Die menschliche Vernunft hat das besondere Schicksal in einer Gattung ihrer Erkenntnisse: daß sie durch Fragen belästigt wird, die sie nicht abweisen kann; denn sie sind ihr durch die Natur der Vernunft selbst aufgegeben, die sie aber auch nicht beantworten kann; denn sie übersteigen alles Vermögen der menschlichen Vernunft. "
(Immanuel Kant)

"Verglichen mit dem Teich des Wissens bleibt unser Unwissen von atlantischen Ausmaßen. Der Horizont des Nichtwissens weicht sogar zurück, wenn wir ihm näher kommen."
(Ronald Duncan, Miranda Weston-Smith)

Sorge um Bildung der Lehrer

Hamburg (dpa). Der Präsident der Kultusministerkonferenz der Länder, Sachsens Wissenschaftsminister Meyer, hat sich [was denn auch sonst!?:] besorgt über die Allgemeinbildung deutscher Lehrer geäußert. Es sei "schockierend", welche Wissensdefizite vor allem im Hinblick auf die deutsche Geschichte zutage träten, sagte Meyer. Er reagierte damit auf eine Studie des Kölner IFEP-Instituts, deren Ergebnisse in der vergangenen Woche bekannt geworden waren. Schüler und Lehrer aus allen Teilen Deutschlands hatten darin 40 Fragen aus unterschiedlichen Wissensfeldern beantworten müssen. Außer den Schülern ließen auch die Pädagogen eklatante Bildungs-Lücken erkennen.

(Die Fragen waren allerdings so etwa auf dem Niveau von "Wer wird Millionär?", wie ja überhaupt in der derzeitigen "Bildungsdebatte" immer nach idiotischstem Faktenwissen gefragt und dieses für "Bildung" behalten wird.)

Manchmal denke ich, LehrerInnen müssten geradezu zwangsweise Fortbildungen in neuesten Ansätzen Ihres Faches, ja, mehr noch, in allgemeinen Ansätzen mitmachen.

(Das ist natürlich nicht ernst gemeint: Zwang macht alles – also die Ablehnung – nur noch schlimmer.)

Allen Respekt vor konventionellen Verfahren

(in der Germanistik also simpel textimmanenter Arbeit "direkt am Text" und ohne alle Methoden: "was steht denn objektiv [nicht] drin?"):

diese konventionellen Verfahren haben allemal ihren Wert, und wir wollen doch bittschön nicht anbiedernd modernistisch werden

(es kann der allergrößte Scheiß sein, Hauptsache, es ist en vogue)!

Und dennoch: man darf SchülerInneN in der Oberstufen-Germanistik heute einfach nicht mehr gänzlich ohne (post-)strukturalistische und dekonstruktivistische Ansätze kommen. Beide sind nicht nur (vor allem von den Adepten) völlig überzogene, sondern durchaus auch wichtige Ansätze.

Und sofort werde ich natürlich wieder ganz leise: irgendwann verliert man als Lehrer im Alltagsstress einfach den Kontakt zur neuesten Forschung – wenn einem keiner hilft.

Hier – im Zur-Verfügung-Stellen aufbereiteter wichtiger Informationen – liegt tatsächlich ein Desiderat (nicht nur für LehrerInnen): es müsste eine monatliche knappe Zeitschrift oder eine Mailingliste im Internet geben, in denen über neueste wissenschaftliche Entdeckungen und Denkrichtungen, aber auch über interessante "Trends" und (literarische) Bücher, nicht aber  (wie oft in "Bild der Wissenschaft") nur über Einzelfakten informiert würde: also nicht etwa "Quasar soundso ist entdeckt worden", sondern "die Entdeckung von Quasar soundso ist überhaupt nur interessant, weil seine Eigenschaften unser Weltbild ändern könnten".

Und fast ist mir danach, solch eine Mailingliste im Internet zu initiieren!


Wenn im folgenden vor allem von Naturwissenschaft die Rede ist, so heißt das auch: Aufgabe von Naturwissenschaftlern wäre es, ihre eigenen nicht-naturwissenschaftlichen KollegInneN über naturwissenschaftlich-erkenntnistheoretische Umbrüche zu informieren!

(Und umgekehrt haben Geisteswissenschaftler Naturwissenschaftler endlich mal über die simpelsten Grundlagen seriöser historischer, sozialer und philosophischer Argumentation und Differenzierung zu "belehren"! Vgl. )

Es ist allemal verständlich, daß z.B. ein Germanist keinen blassen Schimmer von Relativitätstheorie hat (woher sollte er sie in unserer extrem spezialisierten Gesellschaft denn auch haben)? Aber gleichzeitig geht es nicht an, daß er z.B. das Thema "Epochenbruch 1900"

(nun, immerhin ist dieses Themenheft
"Malerei, Musik, Literatur der Jahrhundertwende"
schon ein wohltuender Ansatz zu Interdisziplinarität)

nur aus geisteswissenschaftlich-künstlerischer Perspektive behandelt (solange nicht gleichzeitig im Physikunterricht Quanten- und Relativitätstheorie behandelt werden). Man kann und darf eine Zeit (1900) nicht dermaßen um ihre naturwissenschaftlichen und technischen Neuerungen kastrieren, die vielleicht erheblich wirkungsmächtiger als alle Kunst waren, vielleicht aber auch erst (wie immer höchst indirekt) die Verunsicherung und Neuorientierung der Kunst (also des menschlichen Selbstverständnisses) herbeigeführt haben.

Denn es ist doch immerhin auch schade, dass es in den Geschichtsabteilungen (Unterabteilung Frühneuzeit) von Bibliotheken und Buchhandlungen kein einziges Buch über den allemal weltbewegenden, wirkungsmächtigen Aufbruch in der damaligen Mathematik und Naturwissenschaft gibt.

Ich verstehe es  einfach nicht, dass die Naturwissenschaften nicht ihre neuen, viel intelligenteren Karten ausspielen. Sie verpassen gründlich die Chance, zur – jadoch – Aufklärung der "Welt" beizutragen (und ihr eigenes klotzmechanistisches Negativimage zu beseitigen). Sie haben durchaus die Mittel – und nützen sie nicht.

So wichtig – um überhaupt mitreden zu können, ja, dürfen - Handwerkszeug und Tradition sind: es stimmt einfach nicht, dass man Mathematik oder auch Physik von der Pieke auf (also die gesamten Bemühungen von der Antike bis heute) gelernt haben muss, um überhaupt erst gegenwärtige Erkenntnisse verstehen und über sie mitreden zu können (und wiederum dürfen: dass man nämlich alles Vorherige gelernt haben müsse, ist oftmals auch nur ein Totschläger- und elitäres Ausschlussargument).

Die simple Folge solcher Logik ist, dass man (wie oft im Fach Geschichte, das meist mit 1945 endet) niemals zur Gegenwart kommt. Das kommt mir fast vor, als wenn man sich nur mit Geschichte beschäftigt, damit man nur ja nicht zu den drängenden Problemen der Gegenwart kommt.

Mehr noch: ich meine, dass wir unserem "Erziehungsauftrag" einfach nicht mehr nachkommen: einerseits zwar allemal wichtige Tradition, andererseits aber auch neueste Denkmodelle zu vermitteln

(denn letztlich ist es doch schrecklich einfach: die Lösungen der Vergangenheit waren zwar oft allemal lehrreich, aber gleichzeitig doch auch noch nie direkt auf die Gegenwart anwendbar, ja, konnten sogar von neuen Lösungsversuchen gründlich ablenken).

Was ist das eigentlich für ein geradezu reaktionärer Naturwissenschafts-Unterricht, in dem folgende (auch nicht ganz neuen) Themen nicht vorkommen?:

(nebenbei: ohne diese erkenntnistheoretischen Konsequenzen lasse man dieses Thema aber auch in einem Physik-Leistungskurs weg!),

(also auch der Rache der Dummen, d.h. der Verachtung des Intellekts [des eigenen Verstands], der gegen ihn ausgespielten "emotionalen Intelligenz" und allem Körperkult und aller Befindlichkeits-Esoterik)

gründlich ein Ende bereiten und endlich wieder (wie schon Kopernikus) das menschliche Bewußtsein (im Körper) in den Mittelpunkt stellen,

(es geht nicht an, daß eventuell nur [schon] Mitglieder eines Physik- oder Biologie-Leistungskurses oder "elitärer" Philosophiekurse davon erfahren; vielmehr gehören die genannten Themen in die Allgemeinbildung, die an alle SchülerInnen zu vermitteln doch eigentlich Aufgabe, ja, Stolz des Gymnasiums ist)

(Eine Zeitschrift wie z.B.

gehört unabdingbar in jede Schulbibliothek und sind allemal wichtiger als Computerausstattungen!)

Ich bin fest überzeugt, dass sich da was ganz Neues, also ein Epochen- und Bewusstseinsbruch anbahnt (nicht zu verwechseln mit all dem Postmoderne-Quatsch: "Hauptsache, mich versteht keiner mehr"): zumindest erkenntnistheoretisch ist zu Pessimismus wahrhaft kein Anlass! Der Mensch ist (auch wenn die Probleme inzwischen – wie schon immer? – allzu groß werden) dermaßen phantasievoll bei der neuen Lösung neuer Probleme, daß es geradezu bewundernswert ist! (Vgl. )

Skeptisch bin ich bei den genannten "neuen" Wissenschaftsfelder aber allemal auch: es sind keine "weltbewegenden" Neuerungen oder gar Patentrezepte, aber immerhin doch Versuche: hier wird derzeit gründlich frohgemut das bisherige mechanistische Weltbild untergraben und als Klein-Jungen-Klötzchen-Mechanistik entlarvt

(vgl. Mathias Bröckers in seinem manchmal allerdings schwer zu genießenden und gleichzeitig doch anregenden Buch "Das sogenannte Übernatürliche").

Nein, all diese neuen Ansätze sind wahrhaft nicht "das Ei des Kolumbus": sie sind alle noch tastende Versuche, und alles kann sich noch als Humbug erweisen

(vgl. z.B. Sheldrakes "morphologische Felder": wenn in "Feld"-Metaphorik gesprochen wird, ist das immer schon [aber eben auch in der anerkannten Physik!] Eingeständnis, daß noch mehr unklar als klar ist; deshalb ja eben faselt "die" Esoterik auch – erstaunlich, ja, geradezu entlarvend physikalisch und damit letztlich vor der ach so gehaßten Naturwissenschaft einknickend – so viel von irgendwelchen "Energien").

Und allemal allergisch bin ich auch gegen die simpel populistisch-esoterische Vermengung, die sich durch alle nur halb wahrgenommenen naturwissenschaftlichen "Erkenntnisse" immer nur bestätigt fühlt: "es ist derzeit [im »Jargon der Eigentlichkeit«; Adorno] alles ganz ungeheuer »ganzheitlich« [wieder Adorno: »das Ganze ist das Falsche«, leugnet nämlich systematisch die Brüche und Interessenskonflikte]". Solch halbwissenschaftliches Rührei hat z.B. Fridjof Capra insbesondere mit seinem Bestseller "Wendezeit" angerührt (Buddhismus = Quanten- + Relativitätstheorie!?). Und was habe ich gelacht, als ich letztens ein Buch zur "Quantenpsychologie" gesehen habe!

Schlimm ist aber auch, dass Stephen Hawking mit seinem Bestseller "Eine kurze Geschichte der Zeit" nach wie vor allereinfachsten Mechanismus verbreitet (auf der grundpythagoräisch-platonischen Suche nach "der" [männlichen] Weltformel) – und das in erschütternder philosophischer Unbelecktheit.

So einfach ist das ja alles nicht: ich selbst denke (durch meine Erziehung und jahrtausendealte Tradition) nach wie vor sehr mechanistisch und kausal (ich kann und will nämlich nicht simpel aus Traditionen rausspringen) – und wehre mich ganz gründlich gegen alle neueren, unmechanistischen Ansätze, ja, verdächtige sie prophylaktisch immer erstmal des "esoterischen" Blödsinns! Solche Zweifel sind eine gute Sicherung gegen Blabla!

Und das mechanistische Denken ist auch nicht so einfach überwindbar: "das Leben »an sich«" ist nunmal verdammt mechanistisch: "ich will einfach satt zu (fr)essen haben, und das geht noch immer hübsch mechanistisch und greifbar wortwörtlich von der Hand in den Mund".

All die neuen Ansätze (von wegen Internet und Cyberspace) ändern doch rein gar nichts an den verdammt mechanistischen Grundproblemen des Lebens (und deshalb, nebenbei, sind auch 99 % der Esoterik gefährliche Ablenkung).

Und dennoch bringen die genannten Richtungen neue Denkansätze bei, und seis eben, dass man oftmals verdammt viele Nebeneffekte mitbedenken muss und gar nicht alle berücksichtigen kann.

(Verantwortliche Entscheidungen kann nur der treffen, der eben eine Entscheidung, eine Abwägung zwischen verschiedenen Gütern und Positionen trifft [sie also überhaupt kennt]. Nur wer das tut, ist vor Fanatismus gefeit. Das erspart ihm nicht die Entscheidung [sich die Finger schmutzig zu machen] und bewahrt ihn auch nicht vor krassen Fehlentscheidungen oder zumindest doch solchen, bei denen er sich mit den Vor- auch Nachteile einhandelt. Aber er weiß, dass er die Entscheidung später überprüfen muss.)

Genau das müssen SchülerInnen "heutzutage" lernen, das dürfen wir ihnen einfach nicht mehr vorenthalten!

Letztlich aber muss der Mensch sich wohl simpel-mechanistisch und in Ursache-Folge-Kausalität entscheiden und aktiv werden! Beides, also unmechanistisches Vor-Denken (Philosophie) und mechanistisches Handeln (Politik) schließt sich aber doch nicht aus!

Wir LehrerInnen behalten unseren SchülerInnen entsetzlich was vor: neue, kreative Herangehensweisen an ihr Leben! Wir bringen ihnen nur die ewig gleichen Reaktionsweisen auf eine längst vergangene (unsere, aber nicht der SchülerInnen?) Welt bei. Wir bereiten sie schlichtweg nicht auf das gegenwärtige, geschweigedenn zukünftige, also prinzipiell offene Leben vor (wozu durchaus auch eine Lektüre des Buchs "Das offene Kunstwerk" von Umberto Eco gehören würde).

Die o.g. "neuen" Themen sind wahrhaft – an SchülerInnen – nicht einfach vermittelbar. Pars pro toto die "Relativitätstheorie" ist – wenn man sie halbwegs gründlich vermitteln will, statt nur zu sagen, dass "irgendwie alles schon immer ganz schrecklich relativ" sei – dermaßen schwierigst mathematisch, dass es keine Chance gibt, sie in dieser nunmal gegebenen Komplexität SchülerInnen zu vermitteln. Mehr noch: kaum einE LehrerIn hat im normalen Berufsstress eine Chance, sie noch nachzuvollziehen (geschweigedenn SchülerInnen zu vermitteln). Oder doch nicht? Vgl.   .

Und dennoch: wichtige Ansätze kann man allemal vermitteln. Hoimar von Ditfurth, aber auch Einstein höchstpersönlich in seinem Buch "Die Evolution der Physik" hat es bewiesen.