mathematische Sonderlinge
(vgl. auch: Es gab im US-Staat Indiana einmal einen Gesetzentwurf, der den Wert von Pi auf 3,2 festsetzen sollte)
... zwei Bücher und eine Internetseite, die natürlich rein zufällig hier rein geraten sind
Man erkennt die mathematischen Sonderlinge meist daran, dass sie
unter Verfolgungswahn leiden (sich vom wissenschaftlichen "Establishment" verfolgt fühlen),
eine apokalyptische Situation der gesamten Welt aufzeigen und sich dann
als Erlöser mit einem Patentrezept (einer kompletten Welterklärung) präsentieren.
Vgl. etwa den Klappentext des zweiten o.g. Buchs:
"Jetzt, wo die Menschheit am Rande des Abgrunds angelangt ist, soll sich erfüllen, daß wir mehr über uns und unsere Welt erfahren dürfen: Am Anfang waren die Primzahlen."
Ich weiß, ich bewege mich mit Texten wie haarscharf an der Grenze und erreiche deshalb mit meiner Website leider auch so einige Sonderlinge.
In letzter Zeit nimmt das derart überhand, dass ich mich genötigt sehe, mit diesem Text Sonderlinge abzuschrecken. |
Diese mathematischen Sonderlinge, also Zahlenmystiker und Sinnsucher
wären durchaus ein interessantes Thema für sich:
Was an der "richtigen" Mathematik
macht sie so attraktiv für Sonderlinge? |
Meine probeweise Antwort: ihre vermeintliche oder tatsächliche endgültige Wahrheit. Ich werde sogar den Verdacht nicht los, dass die Denkweisen
der mathematischen Sonderlinge einerseits
und der mathematischen Kleingeister und Rechenknechte andererseits
sehr nah beieinander liegen: da ziehen sich verklemmte Jungs
(denn es sind ja durch die Bank Männer!)
in die einzige Welt zurück, in der nicht die (sozialen, emotionalen) Widrigkeiten des Alltags herrschen - und selbst das ist verständlich:
"Geben wir zu, dass das Streben der Mathematiker ein göttlicher Wahnsinn des menschlichen Geistes ist, eine Zuflucht gegenüber der bedrängenden Enge der dem Zufall ausgelieferten Ereignisse."
(Alfred North Whitehead)Hochinteressant wären auch Überlegungen zur historischen Bedingtheit wahnhafter Inhalte: wann herrscht welcher religiöse Wahn, wann kommt mathematischer Wahn auf, wann blühen Verschwörungstheorien - und was (welche unerträglichen Zustände) drängt Menschen da hinein?
(Vgl. auch "Die Bielefeldverschwörung - Bielefeld gibt es nicht!!!")
Könnte es gar sein, dass die mathematischen Sonderlinge durchaus was Wichtiges spüren - und darauf reagieren?: dass die Mathematik längst "unsere unsichtbare Kultur" ist, die zunehmend in alle Erfahrungsbereiche ausgreift: der ebenso unmerkliche wie unaufhaltsame Putsch der eiskalten Berechenbarkeit und totalitären Berechenbarmachung. Versuchen die mathematischen Sonderlinge vielleicht nur, in diesem Spielchen mitzuspielen, statt nur gespielt zu werden?
Auf die Dauer sind die mathematischen Sonderlinge in mehrfacher Hinsicht durchaus lästig:
Sie drängen sich penetrant auf und lassen einen nie wieder in Ruhe.
Jegliche Verständigung mit ihnen ist unmöglich, weil sie nicht mal die simpelsten Rechenregeln kennen, man also ihren Hirnwindungen beim besten Willen nicht folgen kann.
Man möchte ja nett sein, also nicht den Wahnsinn beim Namen nennen. Deshalb versucht man, Annäherungen mit freundlichen Floskeln abzuwimmeln, was aber alles nur schlimmer macht. Die einzig richtige Reaktion ist, erst gar nicht zu reagieren.
Dabei habe ich durchaus (ohne jede Herablassung) Mitleid mit solchen mathematischen Sonderlingen:
dass sie sich derart in ihrem Denkgefängnis verlaufen,
dass ihr Wahn überhaupt erst dafür sorgt, dass sie niemals die ersehnte Anerkennung durch Wissenschaftler bekommen werden.
Hinter dem Sonderling-Sein steckt oftmals nämlich ein entsetzliches Leiden: "Ich möchte mich von meiner eigenen Arbeit befreien - damit ich endlich wieder klar denken kann." (aus einem Email) |
In letzter Zeit wurde ich mehrfach bedrängt, die Berechnungen für einen Perpetuum-mobile-Erfinder vorzunehmen.
Da haben wir das Problem mal hübsch schizophren in Reinkultur:
Wieso sollte ich mich noch mit dem nachweislich unmöglichen Perpetuum mobile beschäftigen?
Gleichzeitig hat Eno Pertigen hat in seinem hochseriösen Buch , das vor allem von der Geschichte des Perpetuum mobile handelt, gezeigt, dass das über das Perpetuum mobile verhängte Denkverbot (s.u.) eine Metapher für eine selbst auferlegte Behinderung der Physik in Bezug auf alles bislang noch nicht Erklärte oder gar prinzipiell (?) nicht Erklärbare ist.
"Ein perpetuum mobile 1. Art ist eine Maschine, die nur Arbeit abgibt. Eine solche Maschine ist offensichtlich bereits durch den 1. Hauptsatz [der Thermodynamik] verboten. Ein perpetuum mobile 2. Art ist eine Maschine, die ausschließlich Wärme bei einer festen Temperatur aufnimmt und dafür Arbeit abgibt. Die Einschränkung »ausschließlich« bedeutet, daß die Maschine keine weiteren Wechselwirkungen mit ihrer Umgebung hat. Ein perpetuum mobile 2. Art wäre durch den 1. Hauptsatz nicht auszuschließen; die abgegebene Arbeit müßte nur dem Betrag nach gleich der aufgenommenen Wärme sein [...] Das perpetuum mobile 2. Art widerspricht aber dem Clausius-Theorem [...] Diese Überlegung zeigt übrigens, daß auch ein verallgemeinertes perpetuum mobile 2. Art, in dem Wärme bei beliebigen Temperaturen ausschließlich aufgenommen wird, verboten ist."
(zitiert nach )
Das Problem ist nur: am Allerheiligsten und Gral der Physik, nämlich den Hauptsätzen der Thermodynamik, haben durchaus auch große Geister (wie beispielsweise zeitweise Niels Bohr) gezweifelt, ja gerade sie waren groß genug es zu wagen, am (allzu?) Selbstverständlichen zu zweifeln.
Es gibt auch die triefend selbstironischen mathematischen Spinner:
Um überhaupt Mathematik zu betreiben, muss man allemal a bisserl spinnert sein! Ein Normalsterblicher wird uns Mathematiker doch eh nie verstehen.