gnadenlos / blödsinnig systematisch
Ich nehme von Tag zu Tag derart an Weisheit zu, dass ich bald vor lauter Weisheit nicht mehr gehen kann: |
Nach 22 Jahren als Mathelehrer
(mit sämtlichen gängigen Standardfehlern!)
in- und auswendig,
(aber eben nur für mich, jedoch nicht für die SchülerInnen?)
mmer mehr die (notwendige!) langfristige Systematik des Schulstoffs herausi
d.h. erst jetzt wird mir klar, wie gnadenlos einfach Vieles ist.
"Vor lauter Weisheit nicht mehr gehen können" bedeutet dann wohl, dass man (als Lehrer) gar nicht mehr sieht, dass gerade die gnadenlose Systematik für viele SchülerInnen eben nicht so einfach ist.
Diese Systematik ist aber den SchülerInnen aber gnadenlos (?) einzuprügeln (??), denn ohne solche Systematik sind nicht mal die simpelsten Standardrechnungen korrekt durchführbar.
Ein Standardbeispiel
(noch standardiger geht's kaum):
Berechne den Schnittpunkt S (a | b ) der beiden Geraden mit den Funktionsgleichungen f: y = 10x + 1000 und g: y = 20x. |
... ein Zwischenschritt, der dermaßen banal ist, dass ein Laie wohl kaum drauf kommt, und der auf ihn schlichtweg blödsinnig wirken muss.
Geometrie | Algebra | |||
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Wenn der (eine!) Schnittpunkt S (a | b ) auf der Geraden f liegt ... |
... müssen seine beiden (!)
Koordinaten a und
b die
Funktionsgleichung f:
y = 10x + 1000 erfüllen:
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Wenn der (eine!) Schnittpunkt S (a | b ) auf der Geraden g liegt ... |
... müssen seine beiden (!)
Koordinaten
a und b die
Funktionsgleichung
g: y = 20x erfüllen:
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b = 10a + 1000
b = 20a
und deshalb
10a + 1000 = 20a .
Das endlich (!) ist eine Gleichung mit nur noch einer Unbekannten, nämlich a, und diese Gleichung lässt sich nun endlich lösen:
10a + 1000 = 20a | - 10a
1000 = 10a | : 10
100 = a
... womit das Ziel, auf einer Seite der Gleichung nur noch ein a zu haben, erreicht ist und wir inzwischen also wissen: a = 100.
Daraus folgt: S (100 | b ), also sozusagen "die halbe Wahrheit".
Dazu kramen wir die zwischenzeitlich verlorene Gleichung b = 20a wieder hervor, die
(wie oben bereits als wichtig hervorgehoben)
b in Abhängigkeit vom (inzwischen bekannten) a ausdrückt, d.h. wir setzen in b = 20a nun für a die in 6. erhaltene 100 ein und bekommen heraus:
b = 20 • 100 = 2000.
Und damit erst kennen wir den Schnittpunkt S (100 | 2000 ) vollständig.
Insgesamt sind also für die doch noch ziemlich "einfache" Standardrechnung unvermeidlich 7 (in Buchstaben: s-i-e-b-e-n) Schritte nötig! Und es ist ja wohl nicht nur die Anzahl der Schritte, die da Schwierigkeiten bereiten mag, sondern auch
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Es ist eben nicht so, dass ich bei meiner in der Tat zunehmenden "Weisheit" bald "vor lauter Weisheit nicht mehr gehen kann", also nicht mehr sehe, dass das scheinbar so Einfache für viele SchülerInnen eben keineswegs einfach ist. Sondern im Gegenteil wundert es mich immer mehr, dass so einige SchülerInnen die Systematik (auf die Dauer) dann eben doch beherrschen.
Sicher, "(erst) durch Übung wird man Meister", d.h. man muss solche Aufgaben wie oben wohl zigmal gerechnet haben, bis sie einem derart in Fleisch und Blut übergegangen sind, dass man sie zum knappen Fünfzeiler
10a + 1000 = 20a | - 10a
1000 = 10a | : 10
100 = a
b = 20 • 100 = 2000
S (100 | 2000 )
abnagen kann.
Und doch befallen mich Zweifel, ob das mit der "Übung" stimmt: all die im "klassischen" Schulunterricht exzessiv betriebenen Term- und Gleichungsumformungen bewirken ja eben meistens nicht, dass die SchülerInnen "sowas" langfristig können.
Einen anderen
(und mir hier wichtigeren)
Verdacht werde ich ebenfalls nicht los:
dass gerade die gezeigte, unumgängliche gnadenlose Systematik viele SchülerInnen abschreckt:
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Allerdings bleibt natürlich festzhalten, dass die Berechnung des Schnittspunkts zweier Geraden
(als pars pro toto für große Teile der Teile der Schulmathematik)
zwar
ist, denn in der Mathematik gilt fast dasselbe wie in der Physik:
"Wir sehen an diesem Beispiel, dass echte wissenschaftliche Experimente etwas anderes sind als das, was uns in der Schule oder im Fernsehen als Experiment verkauft wird. Bei einem Schulexperiment glaubt man zu wissen, was dabei herauskommen soll. Ergibt sich ein anderes Ergebnis als erwartet, dann weiß man, dass irgendwo im Versuchsaufbau ein Fehler stecken muss. Man sucht, probiert, rüttelt und schraubt so lange, bis sich das erwartete Ergebnis einstellt. So etwas ist kein Experiment, es ist ein Demonstrationsversuch, um den Schülern etwas Bekanntes und Akzeptiertes beizubringen. Falls es tatsächlich einmal unmöglich ist, mit dem Demonstrationsexperiment das erwartete Ergebnis zu erzielen, wird das Resultat als »Ausreißer« oder »Schmutzeffekt« klassifiziert und vergessen."
(zitiert nach )