ein teuflisch schwieriger Text
Wohlgemerkt: ich rede hier noch gar nicht von einem "richtigen" wissenschaftlichen Text, sondern "nur" von einem ausdrücklich populärwissenschaftlichen!
Vorweg, damit hier kein Missverständnis aufkommt: es liegt mir wahrhaft fern, das unten zitierte Vorwort des Buches
(oder gar das ganze Buch)
zu kritisieren.
Im Gegenteil: ich finde den Text sogar in mehrerlei Hinsicht besonders gut und allemal empfehlenswert:
er gibt nicht nur einen wunderschönen Überblick über vor-einsteinsche Erkenntnisse der Physik
und macht dabei ebenso gelungen typische wissenschaftliche Herangehensweisen deutlich,
sondern (und das wird unten noch wichtig werden) ist auch sprachlich sehr gelungen, aber schon allein auf der Satzbauebene durchaus komplex
(nur soviel dazu:
fast schon melodiöse ("ellenlange"?) Sätze wie z.B.
"Verglichen mit den Abständen zu den uns nächsten Sternen nehmen sich unsere ersten Hüpfer ins All - die Vorstöße, die den Spaceshuttle kaum aus der oberen Atmosphäre der Erde herausführen, die Besuche auf unserem natürlichen Satelliten, dem Mond, ja selbst die jahrelangen Reisen unserer mechanischen Abgesandten, der Raumsonden - sehr bescheiden aus."
wie in jedem gut verständlichen Text: permanenter Einsatz von "Signal-Satzzeichen" und "Signal-Wörtern", die überhaupt erst die Text"dramatik" erzeugen, also z.B.
"Den atemberaubenden Weltallbildern von Astronauten und Sonden zum Trotz : Gemessen an den Distanzen, die das Weltall zu bieten hat, haben wir Menschen bislang gerade einmal unseren kosmischen Vorgarten betreten.
[...]
Immerhin haben wir es im kosmischen Voyeurismus zu einiger Professionalität gebracht seit der Zeit, als einer unserer frühen Vorfahren erstmals bewusst die Tausende von Lichtpunkten betrachtete, die das Dunkel des Firmaments durchbrechen."
eine oftmals wirklich schön dramatische Sprache
[eben z.B. "das Dunkel des Firmaments durchbrechen", womit ja indirekt vielleicht auch der Ausbruch aus dem Dunkel der Erkenntnis gemeint ist:
] )
Der Text ist sogar so gut, dass ich
(ein typisches, leider fast unvermeidbares Verwertungsinteresse von LehrerInneN)
beim Lesen sehr bald dachte, dass er besonders für SchülerInnen geeignet sei
(... wo ich doch immer auf der Suche nach
Aber kaum hatte ich´s gedacht, schon stutzte ich:
"Da schließt ich aber doch ein bisschen arg voreilig von mir auf andere [SchülerInnen]: was für mich so einfach ist, ist für SchülerInnen
eventuell (erahnbar!) ganz im Gegenteil enorm schwierig."
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Dass der Text eventuell für SchülerInnen nicht oder nur schwer verständlich ist, mache ich keineswegs seinem Autor zum Vorwurf: er hat ja vermutlich auch gar nicht für "Durchschnitts"-SchülerInnen geschrieben
(und man kann sowieso nicht für alle schreiben,
weil man dann heillos simplifizieren oder
jeden "Pups" erklären müsste,
alles also unendlich lang würde),
sondern für jenen fiktiven Ansprechpartner mit "Allgemeinbildung" oder (eine Chimäre) "Abiturwissen".
Die zentralen Schwierigkeiten des Textes scheinen mir auf drei typischen (!) Ebenen zu liegen:
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Die drei Probleme bedingen einander teilweise:
wer beispielsweise einen Text als langweilig empfindet (3.), ist auch nicht bereit, unbekannte Begriffe nachzuschlagen (1.);
und umgekehrt: wer massenhaft begriffliche Schwierigkeiten hat (1.), kann auch nicht mehr die "Textdramatik" (3.) empfinden.
Für die entscheidenden Probleme halte ich bei vielen SchülerInnen
(neben a priori fehlendem Interesse)
aber nicht
(wie die SchülerInnen meist selbst)
das 1., sondern das 2. und 3. Problem:
Wie häufig zeigt sich doch im Unterricht, dass bei SchülerInnen durchaus ein oberflächliches (bis grob sinnentstellendes), aber eben kein "tieferes" (eigentliches) Verständnis vorliegt - und sie das (wie sollten sie auch?) nicht mal bemerken. Und weil sie es nicht bemerken, können sie auch nicht Probleme einkreisen - und überhaupt erst von dieser Problemeinkreisung aus lösen. |
Nur wäre es natürlich ein schlechter (aber durchaus gängiger) Witz, wenn LehrerInnen, die doch dafür bezahlt werden, SchülerInnen mittels exemplarischer Texte auf dem langen und oft mühseligen Weg zu "tieferem" Verständnis anzuregen und zu begleiten, den SchülerInneN den Mangel an solch "tieferem" Verständnis zum Vorwurf machen würden.
Mir scheint, man müsste Pössels Text mit Unmengen an Bildern illustrieren - was ja eine durchaus zwiespältige Angelegenheit ist:
einerseits erschlägt uns heutzutage ja eine Bilderflut
(und das Fatale ist: "Die Bilder behalten immer Recht" [Georges Simenon]"),
und vor allem traut man ja kaum mehr dem Wort bzw. empfindet einen Text, der länger als eine SMS ist, schon als intellektuelle Zumutung;
andererseits gelten Bilder in der Wissenschaft oftmals nachgerade noch als unseriös, weil "populär". Da scheint mir aber in der Tat, dass manchmal ein Bild mehr sagt als tausend Worte. Ein Beispiel: bei Reisebeschreibungen über ferne Länder vermisse ich doch immer wieder Karten, auf denen ich mich doch gerne orientieren würde: die AutorInnen behalten den LeserInnen jene Orientierung vor, die sie (die AutorInneN) auch lange nicht hatten, sondern langsam erwerben mussten (und sei´s, dass sie ihrerseits eine Karte bemühten).
Letztlich zeige ich im Folgenden aber nur explizite Bilder, die bei echtem Verständnis und An"schau"(!)ung sowieso im Kopf des Lesers entstehen bzw. aus dem Kopf-"Archiv" wieder hervorgeholt werden müssten:
Echtes Verständnis - so behaupte ich einfach - ist sowieso verbunden mit einer Flut innerer Bilder
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Nun muss einE AutorIn
(Pössel, der sein sonstiges Buch schon mit erstaunlich vielen Grafiken angereichert hat)
diese Bilder ja gar nicht explizit zeigen. Vielmehr spielt er (bewusst oder unbewusst) andauernd auf die inneren Bilder an bzw. setzt einen Leser voraus, die bzw. der bereits in der Lage ist, aus sich selbst heraus zu "bebildern".
Solch einE LeserIn wirkt also massiv an dem Buch mit - und wird vom Autor als (fiktiver, weil persönlich unbekannter) Partner empfunden und auch so behandelt. Der Autor ist dann höchstens jemand, der sich auf (s)einem Fachgebiet besser auskennt und den Leser
freundschaftlich-respektvoll in dieses begleitet. Da werden (innere) Bilder aber nur um so wichtiger: der Autor muss dem laienhaften Leser Bilder bieten bzw. diese in ihm evozieren, die eine Art Brücke von der Alltagsanschauung zur Fachwissenschaft sind. |
Notgedrungen (also nicht mit böser Absicht) schließt solch einE AutorIn allerdings auch jene aus, die (aus welchen Gründen auch immer) nicht (bzw. noch nicht) eine eigene Bilderflut ergänzen können.
An zwei Beispielen aus dem Text sei vorweg überlegt, ob solche Bilder nötig sind - und was sie gegebenenfalls (leisten) können:
"Der Planet Saturn erschien Galileo nicht als rundes Scheibchen, sondern leicht verformt, eine Scheibe mit Henkeln oder jedenfalls mit seitlichen Auswüchsen. Größere Fernrohre haben gezeigt, wie dieses Erscheinungsbild zustande kommt - dass nämlich der Saturn von einem System gigantischer Ringe umgeben ist."
Ist es überhaupt vorstellbar, dass jemand nicht weiß, welch besonderes Aussehen der Saturn hat?
Gesehen - jede Wette - hat das jedeR mal, wenn man es vielleicht auch nicht direkt mit dem Namen "Saturn" verbindet.
Der Autor scheint sogar mit solchem Unwissen zu spielen (oder den Erkenntnisprozess der Astronomen vor/bei/nach Galilei zu imitieren):
"Der Planet Saturn erschien Galileo nicht als rundes Scheibchen, sondern leicht verformt, eine Scheibe mit Henkeln oder jedenfalls mit seitlichen Auswüchsen."
... und dann erst nennt er das "Ding" beim Namen: nicht die Bezeichnung "Saturn", sondern
"[...] dass nämlich der Saturn von einem System gigantischer Ringe umgeben ist."
Die Dramaturgie läuft also von einer eher lächerlichen "Scheibe mit Henkeln oder jedenfalls mit seitlichen Auswüchsen" hin zu "einem System gigantischer Ringe", und vielleicht merken einige LeserInnen erst da, dass mit "Saturn" jener Planet ist, der durch seine Ringe hervorsticht.
Mir scheint also, dass das Bild des Saturns nicht unbedingt nötig ist (und auch keine Zusatzinformationen bringt), weil jedeR (?) solche Bilder des Saturns schon mal gesehen hat. Mehr noch: das zu früh sichtbare Bild würde die Dramatik der Entwicklung gleich vorweg erschlagen, die allerdings nur dann wirklich wirkt, wenn jemand nicht weiß, das der gleich zu Satzbeginn genannte Saturn gerade jener Planet mit den Ringen ist.
Nun hat allerdings der direkt vorher genannte Jupiter
("Die Beobachtung des Planeten Jupiter zeigt, dass er eigene Begleiter hat: Um seine Scheibe herum kann man vier kleinere Lichtpunkte sehen, deren Positionen sich mit der Zeit verändern."),
ein erheblich weniger markantes Aussehen
(obwohl auch er - allerdings schwer erkennbare - Ringe hat; und trotz seines unter Insidern berühmten großen Flecks knapp unterhalb der Mitte),
so dass, so vermute ich mal, die allermeisten mit ihm (anders als vielleicht noch beim Saturn) kein Bild verbinden werden.
Ich bezweifle allerdings, dass solch ein Bild irgendwie hilfreich beim sowieso einfach verständlichen Satz
"Die Beobachtung des Planeten Jupiter zeigt, dass er eigene Begleiter hat: Um seine Scheibe herum kann man vier kleinere Lichtpunkte sehen, deren Positionen sich mit der Zeit verändern."
(Nebenbei: auf dem Bild oben ist tatsächlich links unten einer der im Text genannten Monde zu sehen.)
irgendwas hinzufügen kann.
Aufschlussreicher wäre da vielleicht schon ein Bild, auf dem die Monde gezeigt werden.
Eine wirklich bedeutsame (und doch "nur" Zusatz-)Information bekäme man allerdings durch eine Darstellung der Entdeckung in Galileis Manuskript:
Diese Manuskriptseite deutet darauf hin, mit welch einfachen Mitteln Galilei zu seinen Entdeckungen gekommen ist (kommen musste) und macht gerade deshalb seine Genialität besonders deutlich.
Und obwohl ich gezeigt habe, dass Abbildungen der beiden Planeten nicht nötig, ja teilweise sogar kontraproduktiv sind, würde ich sie dennoch zeigen, damit (nur so) einigen LeserInneN überhaupt erst die Majestät des Gegenstands aufginge. Die rein sprachliche Beschreibung "gigantische Ringe" reicht da oftmals nicht!
Im Text wird zweimal ein gewisser Tycho Brahe erwähnt:
"Am Anfang der Entwicklung standen Vorrichtungen, die helfen, die Position von Himmelskörpern zu bestimmen und so die täglichen wie jährlichen Veränderungen am Himmel zu erfassen - von Peilsteinen, mit deren Hilfe astronomisch gebildete Steinzeitmenschen die Zeitpunkte von Sommer- oder Wintersonnenwende bestimmen konnten, bis hin zu der jahrelangen geduldigen, systematischen Beobachtungsarbeit des dänischen Astronomen Tycho Brahe mit seinen präzisen Visiereinrichtungen.
Einen großen Schritt vorwärts bedeuteten technische Instrumente, die das aufgefangene Licht in so geschickter Weise bündeln, spiegeln und streuen, dass dabei am Ende ein vergrößertes Bild des Geschehens herauskommt: Teleskope."
"[...] wer ein astronomisches Fenster nutzt und die Bewegung der Planeten sorgsam beschreibt wie Tycho Brahe, hat schon viel gewonnen, und wer die Systematik dieser Bewegung durch ein Modell mit wenigen Grundannahmen erklären kann, wie Kepler es tat, hat damit einen gewaltigen Fortschritt erzielt."
Wichtig daran im Hinblick auf Tycho Brahe
(in beiden Zitaten als Wegmarke einer längeren Entwicklung)
ist vor allem zweierlei:
seine "jahrelange[...] geduldige[...], systematische[...] Beobachtungsarbeit",
"die Bewegung der Planeten sorgsam beschreibt wie Tycho Brahe"
(während erst Kepler sie auch erklären kann).Was aber könnte ein Bild von Tycho Brahe
da noch hinzufügen, außer dass auch an seinem Aussehen und seiner Kleidung die inzwischen enorme historische Distanz zwischen ihm und uns besser deutlich wird
(wodurch ja immerhin seine Leistungen betont würden)?
Schon eher bedeutsam scheinen mir andere Informationen:
ein Bild von seinem gigantischen Observatorium
(in dem es eben noch kein Teleskop gab):
nähere Informationen darüber, dass er zig Jahre lang Nacht für Nacht den Himmel beobachtet hat, und zwar mit bis dahin unerreichter Präzision (erkennbar auch an der von ihm gefundenen Zahl der Sterne),
sein - fast könnte man sagen: - "halb-kopernikanisches" Weltbild
(und zwar zu einer Zeit, als Kopernikus schon weiter war):
Aber das sind alles - zugegebenermaßen - Informationen, die im ursprünglichen Text gar nicht nötig waren.
Und dennoch hauchen sie dem abstrakten Namen "Tycho Brahe"
(ein Mann, der sonst im Text vielleicht als Zwischenspiel untergeht)
endlich Leben ein - wie z.B. auch seine sagenhafte "Beobachtungsburg" Oranienborg:
Es bleiben halt Lücken im Text, die der Leser auffüllen sollte: z.B.,
dass der im zweiten Zitat direkt nach Brahe genannte Kepler seine Theorie überhaupt nur aufstellen konnte, weil ihm die irrwitzigen Beobachtungsdaten Brahes zur Verfügung standen,
oder dass Keplers "Erklärung" u.a. in den drei "Keplerschen Gesetzen" bestand
(u.a. also darin, dass die Planeten sich nicht - wie bis da alle meinten - auf Kreisen, sondern auf Ellipsen bewegen).
Und es ist fast eine Ironie Pössels, dass Kepler das noch keineswegs erklären konnte, sondern dass zu solch einer Erklärung erst Newton kommen musste
(was Pössel ja kurz drauf ergänzt).