in den Tunneln der Mathematik (das Mathematik-Studium)

???


Erstsemester kurz vor Einfahrt in die Mathematik

(wobei "Erstsemester"
- auch liebevoll-herablassend "Ersti[e]s" genannt -
StudentInnEn im ersten Semester,
also StudienanfängerInnen sind)


Erstsemester beim Aufgabenlösen

Tun|nel|blick, der; -[e]s (eingeschränkte Sehfähigkeit; starrer Blick; übertr. auch für eingeengte Sichtweise)
© Duden - Die deutsche Rechtschreibung, 23. Aufl. Mannheim 2004 [CD-ROM]

Vgl. auch

In dem Aufsatz "Informatik-Studium, Uni, FH, Mathematik und anderes" hat ein Anonymus sehr schön die typischen Leiden von Erstsemestern beschrieben, die Mathematik studieren bzw. ein naturwissenschaftliches oder technisches Fach, in dem auch Mathematik verlangt wird.

(Weil dieser Aufsatz anonym erschienen und zudem zu befürchten ist, dass er bald nicht mehr im Internet auffindbar ist, war ich so frei, ihn unten großteils abzu"drucken".

Schade finde ich es allerdings, dass der Anonymus am Ende seines Aufsatzes gerade wegen seiner mathematischen Schwierigkeiten

[und zwar verständlicherweise schon nach 1 1/2 Monaten, aber doch zu früh]

überlegt, das Studium an der Uni aufzugeben und an eine Fachhochschule zu wechseln. Nichts gegen eine Fachhochschule, aber mir wäre die Darstellung eines "Kandidaten" lieber gewesen, der sich am Ende doch durch die Mathematik durchbeißt - und eine neue Art Spaß an ihr gewinnt.)

Offensichtlich hat sich seit meinem Mathematik-Studium anno dunnemals nichts geändert, so dass der Aufsatz geradezu als "überhistorisch repräsentativ" gelten kann.


In diesem Aufsatz gibt es nun eine interessante kurze Passage, in der eines der Grundprobleme von Studienanfängern auf den "anschaulichen" Punkt gebracht wird:

"Wer sich die Vektoren in der Schule nur vorstellen konnte, wenn der Lehrer mit Stift und Papier zur Veranschaulichung griff, der sollte sich unbedingt Gedanken um eine Alternative zum Mathe- oder Informatik-Studium machen."

Ich würde die Konsequenz allerdings nicht so drastisch formulieren, sondern eher sagen:

"... der sollte [wird!] sukzessive lernen, auch ohne solche Veranschaulichung zurecht zu kommen."

Dennoch wird mit der kurzen Passage scheinbar kräftig an meinem Credo, nämlich , gekratzt.

"Scheinbar", weil ich mit ja "nur" eine weitere, also nicht die einzig wahre Seite der Mathematik propagiere und zudem sehr wohl auch erkenne.


In der Tat kann aus einem Mathematik-Studium nichts werden, wenn man immer Veranschaulichung braucht. Sondern oftmals sieht die Reihenfolge wohl eher so aus:

  1. wird ein (vielleicht sogar anschauliches) Anfangsproblem gestellt,

  2. Danach begibt man sich in die Tunnel der Mathematik

(wo es kein Licht und somit auch keine An"schau"ung mehr gibt),

  1. Am Ende (falls man das Problem gelöst hat) erreicht man wieder das Tageslicht und erhält vielleicht sogar ein anschauliches Ergebnis:

(Vorsicht, es gibt auch Irrlichter, also frustrierende Scheinlösungen!)

Negativ formuliert, kann man mit Arthur Schopenhauer die "Mäusefallenbeweise" beklagen: dass zwar die Einzelschritte (im Tunnel) logisch sind, sich aber nicht zu einem vollständig übersichtlichen Weg zusammensetzen (der Weg im Tunnel bleibt abstrakt), so dass der Gesamtgedankengang sowohl während der "tour de force" als auch im Nachhinein im Dunkeln bleibt und den Ruch von Hinterlist nicht loswird.

Es ist

  • wie bei einer Fahrt mit der U-Bahn: man fährt bei Station A los und kommt bei Station Z an, aber dazwischen ist außer ununterscheidbaren Stationen nichts: wenn man beispielsweise mit der U-Bahn "durch" Hamburg fährt, hat man von Hamburg rein gar nichts gesehen,

  • , als würde man auf Gleisen (also allzu suggestiv) in einem stockfinsteren Waggon durch einen stockfinsteren Tunnel gezogen und käme zwar durch, könnte hinterher aber nichts mehr darüber sagen, wie´s eigentlich im Tunnel aussieht bzw. was da passiert ist.

Bzw. selbst den Ingenieuren und Bauarbeitern des Gotthard-Tunnels wird nicht anschaulich vor Augen stehen, dass da über dem Tunnel kilometerdickes Gestein ist und wo genau sie sich jeweils befinden. 


(Andrew Wiles, der bewiesen hat;
vgl. )

Allerdings hat Wiles nicht bloß ein halbes Jahr gesucht, sondern geschlagene 6 + 2 = 8 Jahre!

Interessant ist aber auch das abgewandelte Bild, das Wiles benutzt, nämlich das eines erst dunklen Raums, in dem man am Ende doch noch den Lichtschalter findet und spätestens dann übersehen kann, wo man vorher überall war. D.h. für Wiles (anders als für Schopenhauer) scheint sich am Ende alles dann eben doch "zusammengesetzt" zu haben.

A propos 6 + 2 = 8 Jahre: Wiles wird da doch zwischendurch immerhin - als Ermutigung - Teiltunnel (Zwischenergebnisse) erledigt und wieder kurz ans Licht aufgetaucht sein:

Vielleicht sind solche Zwischenerfolge der Grund dafür, dass er überhaupt die 6 + 2 = 8 Jahre bei einem Problem durchgehalten hat, an dem sich jahrhundertelang die halbe Elite der Mathematik erfolglos abgearbeitet hatte und von dem völlig unbekannt war, ob es überhaupt lösbar war.


Nun gibt es verschiedene Arten von Tunnel:

  1. solche, die schon komplett durch den Berg geführt, rundum verschalt und bestens ausgeleuchtet sind:


(der Pauschaltouristen-Tunnel)

Mathematisch gesagt:

(das wird zu Beginn des Mathematikstudiums die Regel sein);

(und dennoch kann es zu Katastrophen kommen, nämlich dann, wenn die Problemlösung

  • nur scheinbar richtig war

  • oder subjektiv unverständlich ist);

  1. solche Tunnel, die bereits "durchgestochen", aber noch nicht ausgebaut oder gar beleuchtet sind:


(der Abenteuerurlaub-Tunnel)

Dass Vorgänger da bereits eine Lösung gefunden haben

(und dass es überhaupt eine Lösung gibt),

ist da vorerst reines Versprechen. Vor allem aber ist der Weg noch nicht geglättet, gibt es keine hilfreiche Beleuchtung und ist sogar zu befürchten, dass der lange nicht benutzte Tunnel einstürzt oder man allüberall stolpert und vielleicht ein


Labyrinth

betritt, das zwar einen zweiten Ausgang hat, den man aber vielleicht nie findet

(und auch nicht zurück zum Eingang).

Solche Labyrinthe sind dann wohl eher


Katakomben,

in denen schon so einige Leute beerdigt wurden

(ihr Studium abgebrochen haben):

Zumindest hat wohl jedeN Studentin/Studenten bei solchen Aufgaben schon mal die nackte Verzweiflung

bzw. die Einsicht eigener (angeblicher) völliger Unfähigkeit gepackt.

Diese Art Aufgaben, bei denen

(den ProfessorInnEn bzw. ÜbungsgruppenleiterInneN)

bekannt ist, dass sie lösbar sind, aber

(welch neckisches, manchmal [notgedrungen?!] beschämendes Spielchen!)

nicht verraten wird, wie, sind Standard im Mathestudium.

  1. solche Tunnel, die man überhaupt erst selbst graben muss:


("und jetzt bittschön genau hier mit dem Kopf durch die Wand")

Nun wird es zwar zu Beginn des Studiums keine Aufgaben dieser Art geben, ja selbst in einer Examens- oder Diplomarbeit wird kaum jemals eine wirklich eigene, absolut neue Problemlösung erwartet.

Aber die meisten mathematischen Tunnel kommen einem immerhin so vor, als wenn man sie neu graben müsste, und es mag einen frustrieren, dass man andauernd das Rad neu erfinden, d.h. neue Tunnel durch Gebirge graben soll, durch die es bereits bestens ausgebaute, einem allerdings unbekannte Tunnel gibt.


Was aber passiert in solch einem - das sei hier mal vorausgesetzt - stockdusteren Tunnel, in dem es mangels Licht keinerlei Anschaulichkeit gibt?

Wie bewegt man sich da denn überhaupt vorwärts?

(und dennoch hilft manchmal nur blindes "Rumstochern" [Rechnen verschiedener Varianten] in der Hoffnung, dass ein Vortrieb dann vielleicht doch zum Ziel führen wird).

Überhaupt ist es, wenn man das Ziel kennt, immer empfehlenswert, von beiden Bergseiten aus gleichzeitig "drauflos" zu bohren, also "aufeinander zu zu rechnen" - natürlich mit der Gefahr, dass man aneinander vorbei rechnet;

Diese Hilfsmittel bzw. dieses Handwerkszeug sind aber gerade die nicht-anschaulichen Teile der "unterirdischen" Mathematik:

möglichst vielfältige, stumpf anzuwendende Standardverfahren, die bereits vorher vielfach bewiesen haben, dass sie hilfreich sind.

D.h. die Freude muss sich verlagern:

(vgl. )

sowie die sinnreiche Raffinesse der "Maschinen"  .

(Das ist durchaus vergleichbar mit meinem anderen Studienfach, der Germanistik: sie fängt überhaupt erst an, wenn man


Irgendwann, so ist zu hoffen, erblickt man nach vielen gescheiterten Tunnelversuchen und dem ein oder anderen Verirren in Labyrinthen erstmals voller Staunen

(und mit einigem Stolz!)

das Licht am Ende des Tunnels:

 

Ella Fitzgerald: I'm beginning to see the light

I never cared much for moonlit skies
I never wink back at fireflies
But now that the stars are in your eyes
I'm beginning to see the light

Und wenn man sich einige Male selbst zum Licht durchgewühlt hat, vertraut man eher darauf, dass einem das beim nächsten Mal auch wieder gelingen wird.

Mehr noch: irgendwann

(nach einer wohl leider weitgehend unvermeidbaren Durststrecke)

merkt man erleichtert, dass sich nicht nur Einzelproblemlösungen, sondern ganze mathematische Gebiete "wie von Geisterhand" zusammensetzen.

(Z.B. hatte ich in der sogenannten "Funktionentheorie" irgendwann den erhellenden Geistesblitz: "da wird anfangs frischweg die »Holomorphie« definiert und im gesamten restlichen Buch eigentlich nur gefeiert, was man damit so alles Hübsches anstellen kann." Und tatsächlich fiel mir die Funktionentheorie ab da sehr viel leichter.)

Und vielleicht hat man auch Spaß am Buddeln bekommen, also "Blut geleckt". Dann interessiert einen das "Wie kommt man drauf?" sogar, wenn man weiß, dass der Tunnel schon mal von Vorgängern gegraben wurde.

Wenn man sich durchzuhalten zwingt und endlich doch wieder ans Tageslicht gelangt, kann man hinterher immerhin zu sich sagen: "Ich war [wenn auch verspätet] genauso schlau wie Pythagoras, Euler, Gauß ...".


A propos "sich zwingen":

ich habe im Mathestudium schnell gemerkt, dass ich auch dort "nur" (immerhin!) guter Durchschnitt bin: es gab da Cracks, denen alles zuflog und die überhaupt nur von Anfang an durchstarten wollten

(da fühlte ich mich bei der Vergabe von Talenten vom Schicksal doch manchmal arg ungerecht behandelt: ).

Für mich hingegen (wie die meisten) war das Studium immer wieder eine arge Plackerei mit vielen Misserfolgserlebnissen und endloser Arbeitszeit. Ich musste all die Mathebücher Mini-Schritt für Mini-Schritt durcharbeiten.

(... was ich in der Form getan habe, dass ich andauernd in die Bücher Zettelchen mit fehlenden Erklärungen eingeklebt habe, so dass die Bücher hinterher mehr als doppelt so dick wie anfangs waren und an den Buchrücken schon auseinander brachen;
oftmals musste ich also stunden-, wenn nicht gar tagelang "rumprobieren", bis ich die "missing links" in nur drei Zeilen eines Buchs ergänzen konnte, d.h. Instant-"Befriedigung" wie in der Schule

["wenn ich´s nicht nach zehn Minuten geschafft habe, geb´ ich auf und wird mir garantiert morgen der Lehrer oder ein guter Mitschüler vormachen, wie´s geht"]

war undenkbar.)

Und auch ich war mehrfach versucht, den ganzen Krempel hinzuwerfen und das Studienfach zu wechseln

(aber was ein richtiger Stauff ist, macht vor lauter Pflichtbewusstsein alles zu Ende - und sei´s noch so schwachsinnig).

Mir hat insgesamt die Mathematik dennoch Spaß gemacht

(und sie macht mir ja offensichtlich noch immer Spaß!),

wenn mir auch (im Angesicht eben der Cracks) schnell klar wurde, dass ich kein wirklich kreativer Mathematiker bin und in der Eiseskälte der Spitzen heutiger Spezialgebiete sowieso erfrieren & ersticken würde. Ich bin vielmehr wohlig zufrieden mit

"Bei uns sitzen Sie in der ersten Reihe",

d.h. ich schaue den richtigen MathemematikerInneN gerne bei ihrem Tun zu

(vgl. auch  ).

Nun, fürs Lehramt (das kann ja jeder :-) hat´s dann aber dennoch gereicht.

Und ich behaupte mal - zwecks Selbstentschuldigung? -, dass

(Unterrichtsvor- und Nachbereitung [Klausuren]),

(und d.h. auch, aber nicht nur die Vermittlung des Fachlichen)

zu vernachlässigen.


Jeder Bergmann und jeder Höhlenforscher weiß, dass es unverantwortlich lebensgefährlich ist, sich alleine ins Dunkel zu begeben.

Deshalb: am Anfang des Studiums (in einer neuen Stadt) sucht man ja sowieso nach neuen Bekanntschaften - und braucht auch dringend Übungsgruppen in Mathematik:


"Vier Augen sehen mehr als zwei",
"da hilft der Blinde dem Lahmen",
und der eine baut auf, wenn der andere durchhängt.

Allemal richtig ist, dass einem an Universitäten von sich aus keiner hilft

(es ist den Profs herzhaft egal, ob man überhaupt kommt),

woraus nur folgen kann:

"Hilf dir selbst [geh´ auf Leute zu], dann hilft dir Gott."

"Und du wirst schnell bemerken, dass die meisten anderen genauso »blöd« sind wie du
(einige können´s nur besser verbergen)."


Aus dem oben zitierten Aufsatz wird klar, dass die Universitäten seit "meiner" Zeit anscheinend nichts dazu gelernt haben, also in aller Arroganz oder Ignoranz nach wie vor darauf pfeifen, die Erstsemester bei ihrem Schulwissen abzuholen.

Dabei könnte ich mir ja durchaus vorstellen, dass die Universitäten

(außer für die Cracks, die unbedingt losrennen sollen: )


(ein gutes Buch, weil schon allein sein Layout vermittelt,
wie der Hase in der universitären Mathematik läuft)


Aber natürlich ist es arg billig, wenn LehrerInnen einseitig den Universitäten die Schuld geben, sondern in der Tat muss sich auch die Schule ändern:

(eine "allgemeine Hochschulreife" kann und darf nicht auf ein Fach vorbereiten, und sogar viele Mathematik-Leistungskurs-SchülerInnen werden später doch etwas Mathematik-Fernes studieren),

(eben z.B. - nochmals - anhand von )

und überhaupt Denk- und Verfahrensweisen mehr in den Vordergrund gestellt werden als reines Aufgabenlösen nach "Schema F"

(allemal sinnvoll wäre es da auch, Fachleute von den Universitäten mal in den Unterricht zu holen bzw. mit ganzen [Leistungs-]Kursen Anfängervorlesungen zu besuchen

[einige Universitäten bieten das ja schon von sich aus an]

... und hinterher auch mal mit den StudentInnEn sowie  [hoffentlich aufgeschlossenen] ProfessorInnEn zu sprechen).

(mit dem sie dann auch regelrecht "getriezt" werden),

sei´s in Form von Büchern, sei´s durch Wettbewerbe, sei´s durch frühzeitige Kontaktaufnahme mit Universitäten.

(EinE MathelehrerIn muss sich nicht in Spezialgebieten auskennen, aber doch dahin vermitteln können.)

Zu fragen wäre auch, ob Schule mehr zu allgemeinen Fähigkeiten anleiten bzw. sie gegebenenfalls sogar erzwingen muss wie z.B., dass man sich zwei Schulstunden intensiv und ohne Ausflüchte mit einer (Mathe-)Aufgabe beschäftigt, auch wenn man sie dann nicht lösen kann.


Und überhaupt sollte jedeR, die/der vorhat, ein bestimmtes Fach zu studieren, sich vorher schon mal die

von innen anschauen, d.h.

(das merkt keiner, dass man da eigentlich noch nicht hingehört),

teilnehmen.


Informatik-Studium, Uni, FH, Mathematik und anderes

-- 30.November 2005 (#55)

Ich bin seit dem 17.10 „ordentlicher“ Student an der Westfälischen-Wilhelmsuniversität in Münster – Diplom-Informatik, 1.Semester. Ich hatte mir seit Ende des Zivildienstes Anfang Mai und auch schon vorher einige Gedanken um meine berufliche Zukunft gemacht, habe allerdings sehr lange gewartet, Nägel mit Köpfen zu machen. Also drängte die Zeit und da ich eh immer was in Richtung Informatik studieren wollte, habe ich mich kurzfristig an der WWU immatrikuliert. Jetzt, nach bald gerade mal 1,5 Monaten, ist es Zeit für mich ein Resüme zu ziehen.

Die Informatik und der Matheanteil

Im Zusammenhang mit Informatik wird gerne das Gerücht kolportiert, dass es einen sehr hohen Matheanteil gäbe. Dieses Gerücht ist definitiv wahr. Ich habe eine Vorlesung Informatik und zwei Vorlesungen Mathe (Analysis und Lineare Algebra). Der Zeitaufwand beträgt dementsprechend auch 2/3 nur für die Mathematik-Vorlesungen und das ist noch nicht alles, denn selbst in der Informatik wird man mit Mathematik so sehr getriezt, dass die Hälfte der Informatik-Übungen wiederum selbst aus Mathe besteht.

Informatik = Großer Lernaufwand?

Das zweite Gerücht ist, dass man 10 Stunden am Tag lernen muss. Tja, wenn andere das sagen, dann hält man das im vorhinein für eine maßlose Übertreibung und plumpe Abschreckung. Leider ist jedoch auch dieses Gerücht wahr und man fragt sich schnell, woher man vor dem Studium die Zeit hatte, sich mal ohne schlechtes Gewissen in Ruhe vor dem Fernseher zu hängen und Studium Studium sein zu lassen. Wer Mathe oder Informatik studiert, der hat – in so fern er nicht von vornherein in Betracht zieht, die Regelstudienzeit zu überschreiten – kaum noch ein Privatleben. Ein Beispiel sind die Übungszettel. Es gibt jede Woche einen Übungszettel, also von jeder Vorlesung. Diese Übungszettel müssen innerhalb einer Woche bearbeitet und abgegeben werden. Am Ende muss man 40% richtig haben, um für die Klausur zugelassen zu werden (für die Informatik-Übungen gilt diese Beschränkung an der WWU jedoch nicht). Jeder Übungszettel hat zirka 4 Aufgaben mit jeweils 4 Punkten, die zu vergeben sind. Wer so mutig ist, diese Zettel alleine zu bearbeiten, der kann ohne Untertreibung mindestens 10 Stunden dafür veranschlagen. Deshalb macht es auch immer Sinn, den Zettel in seiner Gruppe (2 oder 3 Leuten) zu bearbeiten. Einzelkämpfer werden auf Dauer Probleme kommen, davor warnt auch die WWU in ihrer Erstsemester-Vorbereitung. Aber selbst wenn man den Zettel in Gruppen bearbeitet, kommt man sehr schnell in Zeitnöte und sobald ein Zettel durchgeackert und abgegeben wurde, kommt auch schon der nächste (selbst während der Weihnachtszeit!). Ingesamt bekommt man im ganzen Semester zirka 12 Zettel in jeder Vorlesung, also 50 Aufgaben.

Unterschied zwischen Schul- und Hochschul-Mathematik

Das dritte Gerücht ist, dass die Mathematik an der Uni kaum noch was mit der Mathematik an der Schule zu tun hat. Auch das ist Tatsache, weil die Mathematik wesentlich abstrakter ist. Es geht nicht mehr nur darum, mathematische Formel anzuwenden, sondern über ihnen zu stehen, sie zu erschließen, zu beweisen und allgemeine Theorien herauszufinden. Das stellt viele Erstsemester vor unheimliche Schwierigkeiten und schnell merkt man, wie wenig vorbereitet man selbst bei einem Mathe-LK ist. Anders gesagt: der Kuchen wird ganz neu verteilt, denn plötzlich macht es kaum noch einen Unterschied, ob man früher einmal gut im Mathe-LK war oder nur mittelmäßig in einem Mathe-GK. Wer die Problemstellungen der Mathe-Vorlesungen abstrahieren kann, hat sehr viel gewonnen und das hat mit GK und LK nur bedingt etwas zu tun.
Ein Beispiel: Wer sich die Vektoren in der Schule nur vorstellen konnte, wenn der Lehrer mit Stift und Papier zur Veranschaulichung griff, der sollte sich unbedingt Gedanken um eine Alternative zum Mathe- oder Informatik-Studium machen.

Informatik an der Universität

Viele stellen sich unter Informatik Programmierung vor. Manche denken auch, sie seien zum Informatikstudium qualifiziert, weil sie besonders gut Counterstrike und andere seltsame Computerspiele beherrschen würden. Zweiteres trifft am allerwenigsten zu und auch die Programmierung ist eher Nebensache. Das Studium an der Uni ist kein Programmierkurs und es sollen auch keine ausgebildeten Programmierer am Ende rauskommen.
Manchmal wird sogar gesagt, es sei hinderlich, wenn man vor dem Beginn des Studiums bereits programmieren könne. Ich halte das für Unsinn und geradezu irreführend, denn das Informatikstudium beinhaltet zwar keinen Programmierkurs, aber letztlich muss man das Programmieren in Java in 2 oder 3 Semestern einfach drauf haben. Das Problem ist nur das man es sich in seiner Freizeit selbst beibringen muss.
Die Vorlesungen in der Informatik sind sehr anstrengend und ermüdend. Anstrengend deshalb, weil man dem recht drögen Erklärungen des Dozenten folgen muss. Dabei gibt es stets eine Projektion einer Powerpoint-Präsentation, die man sich auch im Internet herunterladen kann. Zettel und Stift sind also eigentlich überflüssig.
Mir kommt es so vor, als wenn sehr einfache Sachen in den Informatik-Vorlesungen besonders kompliziert erklärt werden. Zum Beispiel uferte die Erklärung zu Operatoren (+, -, etc.) in Baumtraversierungen, Umgebungsanalysen etc. pp. aus und kein Mensch am Ende versteht mehr, was das eigentlich sollte.

Viele Studienabbrecher

Viertes Gerücht ist, dass sehr viele Studenten das Mathe-Studium wieder schmeißen. Ja, das ist so. Bis Weihnachten (also innerhalb der ersten 2 Monate) exmatrikulieren sich zirka 30% der Leute. Man beginnt mit zirka 300 bis 400 Leuten und kann dann regelrecht zusehen, wie die Hörsäle nach und nach „ausdünnen“. Selbst von den Leuten, die es bis zu den Prüfungen schaffen und ihre Klausurzulassung bekommen, fallen 50% durch. Es ist absolut keine Seltenheit, dass den Leute nach dem ersten Semester ein oder zwei Scheine fehlen. Selbiges gilt natürlich wieder für die Informatiker, weil die Informatiker mit den Mathematikern in einem Boot sitzen. Das ist nicht nur eine Phrase, denn die Informatiker müssen am Anfang die selben Vorlesungen wie die Diplom-Mathematiker belegen und auch die selben Übungszettel bearbeiten und die selbe Klausur bestehen. Viel mehr ist es so, dass am Anfang gar kein Unterschied zwischen Mathematikern und Informatikern besteht, weil sie darüber hinaus auch noch in den selben Übungen sitzen und in gemischten Gruppen die Übungszettel bearbeiten.
Ein Sprichwort besagt, dass diejenigen, die es bis Nikolaus durchhalten, auch bis zum Ende des Studiums weitermachen.
Wer übrigens denkt, es ginge im langsamen Tempo los und der Schritt von Schul- auf Uni-Mathematik würde sukzessive vollzogen, der hat sich geschnitten. Bereits ab der ersten Vorlesung steckt man in der grauen Theorie.

Gezielte Abschreckung von Erstis?

Es gibt eine Theorie, nach denen die Professoren die Erststudenten „rausekeln“, um die Kursgröße auf eine für sie moderate Anzahl von Teilnehmern zu reduzieren. Ich persönlich bin mittlerweile Anhänger der Theorie, denn am Anfang findet ganz klar ein Aussiebungsprozess statt, bei dem die schwachen Studenten schnell das Handtuch schmeißen. Teil dieses Zermürbungsprozesses ist z.B. dass affenschnelle Tempo, in denen die Vorlesungen gehalten werden und die Abstände, in denen man die Übungszettel bearbeiten soll. Während einer Vorlesung habe ich selbst schon Mühe mit dem Abschreiben, gleichzeitig auch noch zuzuhören und nachzudenken ist fast undenkbar. Weiterhin stößt mir etwas auf, dass es den Professoren häufig gar nicht darauf anzukommen scheint, dass jemand die Sätze, Lemmas und Beweise z.B. durch Veranschaulichungen besser versteht.
Über die Professoren gilt auch folgendes zu sagen: Es handelt sich Menschen, die als Forscher tätig sind und neben ihren Vorlesungen eben wissenschaftlich arbeiten. Die Lehre, also die Vorlesungen, sind für viele eher lästig und es fehlt ihnen an einer besonderen Ausbildung als Lehrkraft. Es kann also vorkommen, dass man einen brillianten Forscher als Dozenten hat, der sein Wissen aber nicht vermitteln kann und nicht vermitteln will, weil er eine didaktische Niete ist. Manch ein Dozent begründet die Unverständlichkeit seiner Vorlesung auch damit, dass diejenigen, die intelligent genug sind, sich den Mathematik-Stoff schon von selbst aneignen würden.
Mathe ist übrigens zulassungsfrei, jeder bekommt einen Studiumsplatz. Merkt jetzt jemand, wo der Haken ist?

Unbequeme Hörsäle?

Das sind sie definitiv, denn man hat eine Platte, auf der nicht mal ein DIN-A4-Zettel komplett draufpasst, bei der man unten mit den Knien gegen eine Metallstange stößt und wo man links wie rechts keine Armfreiheit hat. Kurz gesagt: Man fühlt sich wie eine Legehenne. Dazu sind die Gänge extrem schmal. Wenn also jemand aus der Mitte einer Reihe raus will, dann muss er entweder über die Tische laufen oder 15 andere Leute müssen aufstehen und die Person muss sich an ihnen vorbeiquetschen. Am Anfang hat man zusätzlich damit zu kämpfen, dass man mit 300 bis 400 Leuten in einem Saal ist. In Informatik waren es gar über 400. So bekamen einige nicht mal einen Sitzplatz, mussten stehen oder auf den Stufen sitzen. Sobald die Temperaturen steigen, wird die Luft auch unangenehm stickig (trotz Belüftung). Einem anderen Fachbereich der WWU müssen die „überflüssigen“ Studenten sogar in zweiten zusätzlichen Hörsaal und können die Vorlesung nur über eine Kamera im ersten Hörsaal verfolgen.

Literatur-Empfehlungen

Wer dennoch nicht davor zurückschreckt, ein Mathe- oder Informatikstudium aufzunehmen, der sollte sich schon im vorher mit Literatur vorbereiten.

Ich habe mir kurz nach Anfang des Studiums das Buch „Mathematik für Einsteiger“ von Klaus Fritzsche geholt. Dieses Buch hat die Intention, eine Art Brücken- und Vorkurs zu sein und dem Neuling die Axiomatik und die Herangehensweise der Uni-Mathematik nahe zu bringen. Obwohl es ein Einsteigerbuch ist, ist es nicht immer ganz einfach zu verstehen (was wohl einfach an der Thematik liegt), aber ich habe kein verständlicheres Buch zu diesem Thema gefunden. Es kann einem auch über die ersten 2 oder 3 Wochen des Studiums helfen, aber man sollte nicht denken, dass es auch darüber hinaus studiumsbegleitend eingesetzt werden kann.
In dem Buch von Klaus Fritzsche gibt es übrigens auch Übungsaufgaben mit Lösungen. Es empfiehlt sich, den Versuch zu unternehmen, die Übungen einmal selbst zu lösen.

Während des Studiums empfehle ich „Lehrbuch der Analysis, Teil 1“ von Harro Heuser. Es ist sehr umfassend und hat viel Fließtext. Dementsprechend ist es mit fast 650 Seiten auch schon fast ein echter Wälzer. Der Heuser ist deshalb ganz nett, weil er Dinge erklärt und weil man ihn wegen des Fließtextes fast wie ein „echtes“ Buch lesen kann.

An der WWU gibt es als „Pflichtlektüre“ noch „Analysis I“ von Otto Forster. Der Forster ist für mich allerdings ein rotes Tuch. Dort stehen zwar viele Sätze und Beweise recht prägnant drin, zeichnet sich für eher mathematisch Minderbemittelte wie mich aber auch durch seine mangelnde Didaktik aus. Damit meine ich, dass viele Erläuterungen fehlen oder sehr kurz geraten sind. Der Forster eignet sich zwar als Nachschlagewerk von mathematischen Sätzen und Definitionen, jedoch nicht als Referenz, wenn man einen bestimmten mathematischen Begriff erklärt haben möchte. (Das dazugehörige Übungsbuch kann man sich übrigens sparen.)

In der Linearen Algebra braucht man an der WWU gar kein Buch. Wer dennoch eins sucht, den verweise ich mal auf „Lineare Algebra“ von Albrecht Beutelspacher, „Lineare Algebra“ von Howard Anton oder „Lineare Algebra“ von Seymour Lipschutz (wird aber leider nicht mehr gedruckt und ist daher nur noch schwer erhältlich).

Literaturempfehlungen zur LA am Fachbereich 10 der Westfälischen Wilhelmsuniversität Münster sind „Lineare Algebra I“ von Falko Lorenz, „Lineare Algebra“ von Bosch und „Lineare Algebra“ von Gerd Fischer.
Das Buch von Falko Lorenz ist ein älteres Buch, was es so im Handel nicht mehr geben dürfte. Es ist recht handlich, aber bislang habe ich von diesem Buch eher Abstand genommen, weil ich es unverständlich fand. Das Buch von Gerd Fischer ist vom selben Verlag wie „Analysis I“ von Otto Forster, nämlich vieweg. Vielleicht liegt es daran, dass ich dieses Buch für den Anfänger genauso fragwürdig empfehlenswert halte, wie das Analysis-Buch von Otto Forster. Auch hier bedient man sich eher eines „Stakkatostils“. Die Erklärungen sind kurz und spärlich, stattdessen wird sehr viel mit Formeln gearbeitet, was für einen Anfänger nicht immer leicht verdaulich ist. Der einzigen Empfehlung, der ich halbwegs beipflichten kann, ist „Lineare Algebra“ von Bosch. Bosch ist nicht so mundfaul, wie seine Kollegen und es gibt hier und da eine grafische Veranschaulichung.

Für Menschen, die eine Mathe-Enzyklopädie oder Lexikon suchen, soll „Teubner-Taschenbuch der Mathematik“ ganz empfehlenswert sein.

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