... alle Ängste, alle Sorgen, sagt man,
Blieben darunter verborgen und dann
Würde, was hier groß und wichtig erscheint,
Plötzlich nichtig und klein.
(Reinhard Mey)

  1. Für Leute, die das Originallied von Reinhard Mey nicht kennen: ich war so frei, im Titel "Freiheit" durch "Mathematik" zu ersetzen, und zwar nicht etwa, um die Freiheit abzuschwächen oder gar zu vernichten

(weil also die Mathematik ein einziges Zwangssystem wäre),

sondern im Gegenteil, um anzudeuten, dass die Mathematik selbst ganz ungeheure Freiheiten bietet.

  1. Da schlag´ ich mir auf die Schenkel: man kann aus einem Matheaufsatz doch glatt noch was für den Umgang mit Literatur lernen:

ganz offensichtlich ist der Sprecher (das "Ich") dieses Lieds

(wie fast aller Literatur!)

unter keinen Umständen mit seinem Autor, also Reinhard Mey, gleichzusetzen, denn

("muss wohl", "sagt man"; und im weiteren Lied wird auch klar, dass das "Ich" nur einen Flugzeugstart beobachtet, aber nicht mitfliegt: "Ich wär´ so gerne mitgeflogen"),

Dass das "Ich" sich aber die Freiheit über den Wolken nur erträumt, selbst aber

(wie ebenfalls im sonstigen Lied deutlich wird)

im wortwörtlichen Regen stehen bleibt

(und zwar neben einer völlig unzeitgemäßen "Luftaufsichtsbaracke"?),

ist allemal entscheidend für dieses Lied:

das "Ich" erträumt völlige Freiheit, in der "alle Ängste, alle Sorgen" unsichtbar werden, aber es scheint sie gerade deshalb zu erträumen, weil es selbst nach wie vor und unveränderlich mitten in all diesen Ängsten und Sorgen drin steckt.

Man mag das arg negativ finden

(dem Autor ging´s doch besser!?),

aber es hat doch allemal den Vorteil, dass es die realen Ängste und Sorgen vieler Menschen nicht leugnet, also nicht unberührbar für sie ist.

Und das alles steckte schon in "muss wohl".


Auf die Mathematik bezogen:

  1. wenn sie - so meine zentrale These hier - totale Freiheit ist, so gilt das vielleicht zeitweise, kann es aber garantiert nicht immer gelingen

(ein Mathematiker ist auch "nur" Mensch)

bzw. darf es nicht zur völligen Leugnung aller Ängste und Sorgen führen.

  1. Viele Laien wird - wohl vor allem aufgrund ihrer Erfahrungen in der Schulzeit - der Gedanke völlig fremd sein, dass ausgerechnet (!) die Mathematik ein Reich grenzenloser Freiheit sein soll. Für sie ist die Mathematik vielmehr eine Art geistiger "Archipel Gulag".

Aber ich kenne auch so einige Leute, die

(meist lange nach ihrer Schulzeit, also insbesondere fernab von allem Notendruck)

durchaus

(wie das "Ich" in Meys Lied)

die Freiheit "da oben im Reich der Mathematik" erahnen, ja sogar gerne mal dorthin "fliegen" würden

(und dazu einen vertrauenswürdigen und erfahrenen Flugkapitän suchen!),

die aber bislang noch nie "mitgeflogen" sind

(vielleicht auch ein wenig "Flugangst" haben),

denen dieses Reich der Freiheit also bislang weitgehend verschlossen blieb.


"Über den Wolken [...]
alle Ängste, alle Sorgen, sagt man,
Blieben darunter verborgen"

lässt eine geschlossene Wolkendecke vermuten

(im weiteren Lied heißt es ja auch: "Bis die Lichter [des Flugzeugs] nach und nach/ganz im Regengrau verschwinden").

Auf die Mathematik bezogen heißt das, dass von "reiner" Mathematik die Rede ist, die mit der schnöden "Wirklichkeit" oder gar einer Anwendbarkeit rein gar nichts am Hut hat.

Und genau da scheiden sich schon die Geister, bzw. es gibt eine Phantasielosigkeit, die zwei scheinbar disparate Gruppen miteinander verbindet:

Es sei noch ergänzt - auch wenn ich mich nicht weiter damit beschäftige -, dass Wolkenlöcher für mich "angewandte" Mathematik bedeuten.


 


David Hilbert
 

"Er ist Schriftsteller geworden,
 für die Mathematik hatte er zu wenig Phantasie,
 aber für die Dichtung reicht's!"
 

Gero von Randow


"Mathematik ist die radikalste aller Geisteswissenschaften [...]"
 

 

"In der Tat, sehr lobenswürdige Anstalten, die Narren im Respekt und den Pöbel unter dem Pantoffel zu halten, damit die Gescheiten es desto bequemer haben. Ohne Anstand, recht schnackische Anstalten! Kommen mir für wie die Hecken, die meine Bauren gar schlau um ihre Felder herumführen, daß ja kein Hase drüber setzt, ja beileibe kein Hase! – Aber der gnädige Herr gibt seinem Rappen den Sporn und galoppiert weich über der weiland Ernte."

Die "reine" Mathematik ist nun aber wahrhaft

(oder zumindest auf den ersten Blick)

ein Reich grenzenloser Freiheit!

Da folgt alles aus ihr selbst (den grundlegenden "Axiomen"), und einen Großteil der Mathematik kann man mit einem Blatt Papier sowie einem Bleistift erledigen, ja, die eigentliche Mathematik spielt sich allein im Kopf ab:

Nur einige Beispiele:

(also z.B. π = 3.1415926535897932384626433832795028841971...................),

und dennoch können MathematikerInnen sie

(wie auch unendlich Kleines und unendlich Großes sowie überhaupt Unendlichkeit)

bestens denken, nämlich z.B.

("uns reizt gerade die vermeintliche Unvernunft" und ),

(denn "plus mal plus gleich plus" und "minus mal minus gleich plus")?


Die Luft "über den Wolken" ist glasklar, und man kann da unbegrenzt weit aufsteigen:

(Ich habe mal irgendwo gelesen, dass die Mathematik die schnellstwachsende Wissenschaft ist;
keine Ahnung, wie man das misst.)

Dabei wird allerdings auch die Luft immer dünner (die Mathematik immer schwieriger), und zudem ist es weit oben eiskalt (abstrakt logisch).


Einige sehr schöne Sternbilder (wenn man sie denn überhaupt zu schätzen weiß) kann man aber auch schon vom Boden aus sehen, z.B. den seit 2600 Jahren und in alle Ewigkeiten erstrahlenden


Satz des Pythagoras


Besonders schwierig ist es natürlich, überhaupt erst mal zu starten und dann durch die Wolken zu kommen. Ja, sogar "über den Wolken" kann es einem passieren, dass man doch wieder in


besonders hoch aufragende (Gewitter-)Wolken
(also in teuflisch schwierige Rechnungen)

hineinfliegt, sich verirrt oder ins Trudeln (unberechenbare [!] Vertikalströmungen, Luftlöcher) gerät.


Sowieso gibt´s in der Mathematik nicht die Fix-und-fertig-Charterflüge

(bei denen man ja kaum merkt [nur vorgeschwindelt bekommt?], dass man überhaupt fliegt: ),

sondern sehen die Fluggefährte eher so aus:

 

Dann aber gibt´s auch noch jene tollkühnen Mathe-Cracks

(z.B. Andrew Wiles)

in ihren fliegenden Hightech-Maschinen, die ich nur neidlos bei ihren irrwitzig komplexen und mir völlig unverständlichen Kapriolen bewundern kann:


Zum Fliegen braucht man allemal eine gute Ausrüstung und Ausbildung (Rechenfertigkeit ...), die man meist erst in "Trockenschwimmkursen" auf dem platten Boden erhält

(schlimm ist es nur, wenn man - wie meist in Schulen - immer auf dem Boden bleibt und nie erste Flugversuche machen darf).

Kommt hinzu, dass man sich

- und da wird die Freiheit nun in der Tat massiv eingeschränkt -

auch bzw. gerade "über den Wolken" an für alle Piloten verbindliche Flugregeln (die "mathematische Logik") halten muss.

Es gibt ja Leute, die ohne solche Ausbildung und Regeln zu fliegen versuchen (vgl. ) und dadurch zwar niemand anderen gefährden, aber doch garantiert erfolglos bleiben (nur zu fliegen meinen).