damit Schüler Überblick über die
(Schul-)Mathematik bekommen
Ein zentrales Problem im Mathematikunterricht besteht darin, dass
- die Schulmathematik implizit durchaus weitgehend logisch
aufgebaut ist, nämlich die meisten Unterrichtsstoffe Zukünftiges
(zumindest in der Schulmathematik)
vorbereiten,
- diese Propädeutik aber fast nie explizit wird, so dass
die Schüler nicht verstehen, wozu eine derzeitige Erkenntnis zukünftig
(innermathematisch) gebraucht wird.
(... wobei ein Verweis auf eine
innerschulisch-innermathematische Zukunft à la "das braucht ihr in fünf
Jahren im Abitur" für viele Schüler auch nicht gerade tröstlich ist.
Nebenbei: es gibt durchaus auch
mathematische Unterrichtsstoffe, die im Mathematikunterricht nie
wieder gebraucht werden
[oftmals schon gar nicht im
"richtigen" Leben],
und die sind sicherlich die
allerersten Kandidaten für ein großes Ausmisten der Schulmathematik
[insbesondere nach blödsinnigen
Verkürzung der Schulzeit auf G8]
in Analogie zu
.
Beispiele dafür, dass
Unterrichtsstoffe nie wieder in der Schule gebraucht werden,
sind
- die bei Arbeitgebern in
Vorstellungsgesprächen ach so
beliebten Themen Dreisatz und Prozentrechnung, die
üblicherweise in der 7. Klasse durchgenommen werden; da darf es einen
nicht wundern, dass die Schüler diese beiden Themen Jahre später in
Vorstellungsgesprächen natürlich nicht mehr beherrschen
[wofür man dann nicht
der immer schon dummen Jugend von heute, sondern der Schule
die Schuld gebe];
- in der 5. Klasse andere Zahlensysteme als das
10er-System, also z.B. das 2er- bzw. Binär- oder das 12er-System,
- die Kongruenz und Ähnlichkeit
von Dreiecken in der 7. Klasse,
- eingekleidete und
völlig um die Ecke
gedachte Textaufgaben wie etwa
Das heißt aber nicht
automatisch, dass man diese Themen ersatzlos streichen
sollte: vielleicht sind ja nicht diese Stoffe wichtig, wohl
aber die an ihnen vermittelten mathematischen Denkweisen:
- versteht man z.B. das
allzu
alltägliche 10er-System besser oder gar überhaupt erst
wirklich, wenn man auch andere Zahlensysteme
durchschaut hat?
[und das glaube ich eher]
Lehrer froh sein, wenn die
Schüler das 10er-System halbwegs automatisiert benutzen können, und es
keineswegs dadurch überproblematisieren, dass man junge Schüler
kognitiv völlig überfordernde andere Zahlensysteme
durchnimmt?)
Ein Beispiel für die weitgehende implizite Ordnung der
Schulmathematik ist die p-q-Formel für
quadratische Funktionen, die
üblicherweise in der 9.
Klasse durchgenommen wird
(nebenbei: das Wort
"durchgenommen" erinnert mich immer an "durchgekaut" und an "Durchfall"):
- um die p-q-Formel herleiten zu können, braucht man die erste
binomische Formel
(und ich behaupte sogar
[hier ohne Begründung],
dass man die binomischen
Formeln
überhaupt nur braucht, um die p-q-Formel herzuleiten);
- da aber eine gleichzeitige Erarbeitung der ersten
binomischen Formel und der p-q-Formel die Gefahr birgt, die Schüler
völlig zu überfordern,
- nimmt man erst in der 7. Klasse beim Oberthema
"Termumformungen" die binomischen Formeln
- und viel später in der 9. Klasse die p-q-Formel
durch,
- wodurch den Schülern in der 7. Klasse völlig unklar
bleibt, wozu die binomischen Formeln eigentlich "gut" sind.
(Die häufige Frage der Schüler,
wozu man "den ganzen Scheiß" denn eigentlich brauche
[und diese Frage ist natürlich rhetorisch
gemeint, die implizite Antwort nämlich "zu nichts!"],
fragt also vielleicht
- nicht nur nach einer
"lebensweltlichen" Anwendbarkeit
[in der Tat werden
die
meisten Schüler die binomischen Formeln niemals im
"wirklichen" Leben brauchen!],
- sondern auch nach einer unklaren innermathematischen
Anwendbarkeit.)
Ein zweites
Beispiel:
wozu braucht man denn
(innermathematisch) die quadratischen
Funktionen
(und mit ihnen
die
p-q-Formel)?
Doch wohl, weil die
quadratischen Funktionen die
einfachsten "krummen" Funktionen und diese "krummen" Funktionen eines
der zentralen Themen der Oberstufe sind
(vgl. Ableitung
und Integration "krummer" Funktionen;
dabei sei hier
mal
dahingestellt, warum die "krummen" Funktionen in der
Oberstufe so hochgehängt werden).
Insgesamt ergibt sich damit folgende
"Dramaturgie":
- in der 7. Klasse werden die binomischen Formeln
durchgenommen, weil man in der 9. Klasse die p-q-Formel braucht,
- in der 9. Klasse führt man die quadratischen Funktionen
und damit die p-q-Formel ein, weil die quadratischen
Funktionen die einfachsten Beispiele für "krumme" Funktionen sind,
welche
- in der Oberstufe (ab der 10. Klasse) so eminent wichtig werden.
Solche arg langfristigen
Perspektiven
haben
fatale Folgen:
- muss den Schülern der 7. bzw. 9. Klasse alles
mathematische
Unterfangen wie ein Stochern im Nebel vorkommen: sie lernen
Dinge für eine weit entfernte und zudem noch völlig unklare
Zukunft
(... womit hier
-
nochmals gesagt - keine "lebensweltliche" Zukunft gemeint ist, sondern
nur eine innermathematische Zukunft, und die auch nur bis zum
Abitur: am Tag danach können die meisten Schüler eh die
gesamte Mathematik vergessen);
- ist es dann wohl ein verständlicher, wenn nicht sogar
unvermeidbarer Effekt, dass die Schüler
- in der 9. Klasse die binomischen Formeln aus der 7. Klasse und
- in der Oberstufe die p-q-Formel aus der 9. Klasse
längst
wieder vergessen
haben
(nur schlechte
Lehrer halten dann die Schüler für dumm).
Als Lehrer muss man also
(was ja durchaus frustrierend
ist)
in der 9. Klasse bzw. in der
Oberstufe wieder bei Null bzw. Adam & Eva anfangen
(manchmal frage
ich dann die Schüler, bei welcher Pfeife sie denn vorher
Mathematik gelernt haben
[dass so wenig
hängen geblieben ist];
ich frage das
allerdings nur dann, wenn ich selbst diese Pfeife war).
Da könnte man sagen, dass
alles Lernen und also
auch
das der Mathematik nunmal nur in einem "Spiralcurriculum" funktioniert,
also durch (variierte) Wiederholung in mehr oder minder
regelmäßigen Abständen
(in der
Hoffnung,
dass sukzessiv immer mehr hängen bleibt und dann eben doch langsam
zusammenwächst, was zusammengehört).
Das Spiralcurriculum wird
schon allein an den Inhaltsverzeichnissen
vieler Mathe-Schulbücher deutlich
(wobei man diese
Inhaltsverzeichnisse
[und das ist -
neben methodischen Überlegungen - die letzte verbliebene
Lehrerfreiheit]
natürlich auch
in
ganz anderer Reihenfolge abarbeiten kann):
da wird dann
- nicht etwa z.B. ein Halbjahr Geometrie und danach ein Halbjahr
Algebra vorgeschlagen,
- sondern beide Oberthemen wechseln einander immer wieder ab, was
dazu führt, dass die Schüler
(solange Geometrie und Algebra
noch weitgehend getrennte Gebiete sind)
andauernd
abrupt scheinbar
völlig neue Themen durchnehmen.
Statt in einem ewigen Spiralcurriculum bzw. einer
Endlosschleife gefangen zu bleiben
,
könnte man drei unterschiedliche Konsequenzen
ziehen:
- die allzu langfristig aufgebaute Stofflogik endgültig
aufgeben, weil sie aussichtslos ist
(weil Schüler im
besten Fall nur Rechenrezepte abspulen können, aber nichts verstanden
haben):
wie dann eine Alternative
aussehen könnte, sei hier mal dahingestellt;
- zueinander gehörende Stoffe auch in zeitlicher Nähe
unterrichten
(z.B. in einem einzigen
Schuljahr
- binomische Formeln,
- p-q-Formel,
- "krumme" Funktionen
und als einfachstes Beispiel dafür quadratische Funktionen,
- Ableitung und
Integration quadratischer Funktionen;
dieses
Alles-zusammen-Durchnehmen ist aber zeitlich kaum möglich,
zumal für die p-q-Formel auch noch die Wurzel benötigt wird);
- die jeweiligen Stoffe schon zumindest ansatzweise von
Anfang
an in jene Zusammenhänge stellen, in denen sie später
wichtig werden und teilweise sogar überhaupt erst ihren Sinn finden.
Ich bleibe bei dieser dritten
Alternative,
weil sie mir
- einerseits dringend geboten,
- andererseits die realistischste zu sein scheint.
Ich hatte anderweitig schon ein
"Wissensnetz"
in der Form vorgeschlagen, dass
- an der Decke des Klassenraums ein echtes Netz aufgehängt und
- in dieses am Schuljahrsanfang die wichtigsten
(schon kurz erklärten)
Begriffe des
Schulbuch-Inhaltsverzeichnisses gehängt werden, so dass die Schüler von
Anfang an die Perspektiven des kommenden Schuljahrs kennen;
- dieses Netz wird nun im Laufe des Schuljahrs sukzessiv
- mit Details gefüllt,
- variiert und umgeordnet,
- mit wortwörtlich "roten Fäden" versehen;
- dabei wird immer wieder vor- und zurückgeschaut
("wo kommen wir
her, wo wollen [sollen] wir hin?"),
und
- zum Schuljahrsende kann man sogar stolz darauf sein,
welch langen Weg man zurückgelegt hat.
Zumindest theoretisch wäre es doch schön, wenn
dieses
Netz sogar
- vorherige Schuljahre und
- ansatzweise kommende Schuljahre
mit umfassen würde:
warum sollen Schüler nicht
immerhin schon ahnen,
wohin ihr jetziger Weg sie in den nächsten Jahren führen wird?
Dabei muss die Zukunft keineswegs nur aus arg
abstrakten und vor allem unverständlichen Begriffen
(z.B. "ableiten" oder gar
"differenzieren")
bestehen.
Ein Beispiel: wenn man in der 9. Klasse
quadratische
Funktionen inkl. der p-q-Formel durchnimmt, sollte man
- zurückschauen, um die quadratischen (ersten
"krummen") Funktionen gründlich von den linearen Funktionen
abzusetzen,
- durchaus schon aktiv nach vorne schauen, indem man
einen Stoff einbezieht, der üblicherweise erst in der Oberstufe
"dran" ist, nämlich sogenannte "Kurvendiskussionen":
was
- Nullstellen,
- Schnittpunkte mit der y-Achse,
- Minima und Maxima,
- steigende und fallende
Kurvenabschnitte,
- Links- und Rechtskurven,
- Wendepunkte
sind,
kann ein 9.-Klässler durchaus
schon anhand einer fiktiven
Bergwanderung
erfassen, und dann kann man
eben
sagen:
- die Nullstellen
quadratische Funktionen berechnen wir schon jetzt
(mit Hilfe der
p-q-Formel),
- zur Berechnung der weiteren
Eigenarten quadratischer Funktionen kommen wir dann in anderthalb
Jahren.
Mehr noch:
- warum sollen Schüler der 9. Klasse
nicht schon darüber staunen, dass eine quadratische Funktion
- zwar in jedem Punkt eine eindeutige Steigung
hat,
- aber in jedem Punkt eine andere?
- warum sollen Schüler, die in der 9.
Klasse von linearen zu quadratischen Funktionen
übergehen, nicht schon erfahren, dass die Ableitung quadratischer
Funktionen später doch über eine Annäherung mittels simpler linearer
Funktionen geschehen wird
(weil [alle!]
Mathematiker zu blöd für Krummes sind, es aber genial über Lineares
annähern - und damit zu erstaunlichen Folgen kommen)?
- warum sollen Schüler, die in der 9.
Klasse auch die Kreisfläche erarbeiten, nicht erfahren, dass
die Annäherung der Kreisfläche (von etwas "Krummem") durch Dreiecke
(etwas "Gerades") der Königsweg sein wird, um in der Oberstufe die Fläche
unter einer Parabel (etwas "Krummem") zu bestimmen (vgl.
Integralrechnung)?
Und welcher Aha-Effekt, wenn
die Schüler Jahre später
merken: das hatten wir alles so ähnlich schon - und wird nun
"nur" variiert und zur Vollendung gebracht!
Ein anderes Beispiel für Rück- und Vorblicke:
- in der 5. Klasse hatten wir die Winkelsumme in
Dreiecken, die von drei Winkeln handelt: www;
- in der 9. Klasse beschäftigen wir uns mit der Satzgruppe
des
Pythagoras, die von drei Seiten handelt: sss;
- fehlt nur noch eine Mischform, die gleichzeitig von Winkeln
und Seiten handelt: ssw; und diese Lücke füllt eben die Trigonometrie
(ebenfalls in der 9. Klasse);
- wer aber www, sss und ssw beherrscht, ist geometrisch
fit für die Oberstufe - und kann stolz darauf sein.
Genauso könnte man sagen: wer
- die Bruchrechnung,
- Termumformungen,
- das Lösen linearer und quadratischer Gleichungen
(inkl.
p-q-Formel
und Wurzeln),
- die Anfangsgründe der Exponential- und trigonometrischen
Funktionen
beherrscht und überhaupt ein
grundlegendes
Verständnis von Funktionen hat, ist algebraisch "reif" für
die Oberstufe.
Wo sonst kann ein Schüler
mal stolz auf
- erreichte fachliche Inhalte
- statt bloß auf die inhaltsleere Versetzung in die
nächste Klassenstufe
sein?
Mir ist daher geradezu
danach, am Ende der
Mittelstufe spezielle mathematische Zeugnisse auszustellen,
auf denen
- nicht schnöde Schulnoten nur für die
Mathematikleistungen in der 9. Klasse stehen
(als wäre vorher
nichts gewesen),
- sondern all die in langen Jahren gemeisterten Teilstoffe
erwähnt werden, die zum Übergang in die mathematische Oberstufe
berechtigen.
Ein anderes Mittel der Rück-
und Vorschau wäre
beispielsweise
(pars pro toto
über das irrwitzige Konzept der Null
und ihre ungeheure Bedeutung an allen Ecken und Enden der
Schulmathematik:
).