das Unvorstellbare vorstellbar machen?

das Evangelium nach Johannes, Kap. 20:

19 Am Abend dieses ersten Tages der Woche, als die Jünger aus Furcht vor den Juden die Türen verschlossen hatten, kam Jesus, trat in ihre Mitte und sagte zu ihnen: Friede sei mit euch!
20
Nach diesen Worten zeigte er ihnen seine Hände und seine Seite. Da freuten sich die Jünger, daß sie den Herrn sahen.
21
Jesus sagte noch einmal zu ihnen: Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch.
22
Nachdem er das gesagt hatte, hauchte er sie an und sprach zu ihnen: Empfangt den Heiligen Geist!
23
Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben; wem ihr die Vergebung verweigert, dem ist sie verweigert.
24
Thomas, genannt Didymus (Zwilling), einer der Zwölf, war nicht bei ihnen, als Jesus kam.
25
Die anderen Jünger sagten zu ihm: Wir haben den Herrn gesehen. Er entgegnete ihnen: Wenn ich nicht die Male der Nägel an seinen Händen sehe und wenn ich meinen Finger nicht in die Male der Nägel und meine Hand nicht in seine Seite lege, glaube ich nicht.
26
Acht Tage darauf waren seine Jünger wieder versammelt und Thomas war dabei. Die Türen waren verschlossen. Da kam Jesus, trat in ihre Mitte und sagte: Friede sei mit euch!
27
Dann sagte er zu Thomas: Streck deinen Finger aus – hier sind meine Hände! Streck deine Hand aus und leg sie in meine Seite und sei nicht ungläubig, sondern gläubig!
28
Thomas antwortete ihm: Mein Herr und mein Gott!
29
Jesus sagte zu ihm: Weil du mich gesehen hast, glaubst du. Selig, die nicht sehen und doch glauben.

Man sollte dringend unterscheiden zwischen

  1. mathematischer Abstraktion und

  2. schwierig oder gar nicht vorstellbaren natürlichen Vorgängen bzw. Zusammenhängen

(vgl. auch ).

Die Mathematik ist nicht (immer) daran schuld, dass "Dinge" unanschaulich sind, ja, sie kann sogar ein wenig dazu beitragen, sie (ansatzweise) anschaulich zu machen.

Das mathematische Ergebnis kann sogar "Dinge" ansatzweise veranschaulichen, auch wenn die (Zwischen-)Rechnungen abstrakt und schwierig sein mögen.

1. Beispiel: wie tief liegt Dortmund (von Münster aus gesehen)?
2. Beispiel: wie viel wiegt Luft?


1. Beispiel: wie tief liegt Dortmund (von Münster aus gesehen)?

Wenn Dortmund auf 50-254 m über NN und Münster auf 60 m über NN liegt, ist die Frage scheinbar schon falsch gestellt, denn dann liegt Dortmund teilweise tiefer, teilweise (großteils) aber auch höher als Münster

(und von Bayern aus gesehen, wo alle noch brav CSU wählen, liegt Dortmund sogar ganz, ganz tief, nämlich fast schon an der Nordsee, und sind somit alle Einwohner Dortmunds "Fischköppe").

Ich habe, ausgehend von meinem Heimatort Münster, Dortmund überhaupt nur gewählt, weil es in halbwegs überschaubarer Entfernung von Münster liegt

(Luftlinie - und das wird noch wichtig - entlang der Erdkrümmung 50 km, und damit lässt sich doch hübsch einfach rechnen).

Worum´s mir geht:

  1. wie weit entfernt ist der Horizont und

  2. könnte man, wenn keine Hindernisse im Weg stünden und allerfeinste Fernsicht herrschte, von Münster bis Dortmund gucken

(oder zumindest doch die Spitze des ca. 220 m hohen Dortmunder Funkturms sehen)?

Vorweg:

  1. - und genau diesen Anlass suche ich -: Die Erdkrümmung ist normalerweise ja völlig abstrakt, denn in der vermeintlichen Ebene sehen wir sie ja nicht, sondern höchstens aus einem Flugzeug oder von einer sehr hohen Klippe am Meer.

  2. Wir abstrahieren im Folgenden noch weiter:

  1. denken wir uns sämtliche Hindernisse (Hügel, Bäume ...) weg,

  2. stellen wir uns der Einfachheit halber vor, dass alle Orte (also auch Dortmund und Münster) auf Meeresebene (+/- 0 bzgl. NN) lägen, die Erde also keinerlei Erhebungen hätte, sondern eine ideale Kugel wäre

(so gesehen läge also Dortmund nicht tiefer [oder höher] als Münster, sondern gleich hoch; aber  unten  wird noch deutlicher, dass ich mit "tiefer" ja etwas anderes meine).

Fangen wir mit 1. an, also der Frage, wie weit der Horizont entfernt ist:

Angenommen, ich stehe mit meiner Körpergröße von 1,80 m und somit einer Augenhöhe von etwa a = 1,70 m auf dieser glattrasierten Kugel. Wie weit ist dann der Horizont entfernt?

Dazu eine nicht maßstabsgetreue Skizze:

0 = Erde
r  = Radius der Erde = 6368 km
0 = mein Standpunkt
a = Augenhöhe = 1,7 m = 0,0017 km
-  = tangentialer Blick zum Horizont
0 = Horizont
b = Bogenabschnitt zwischen meinem Standpunkt 0 und dem Horizont 0 = Entfernung des Horizonts von meinem Standpunkt

Nun gilt im hellgrau hinterlegten rechtwinkligen (!) Dreieck:

cos (α) =

             0,9999997330402722725403795039816

     α 0,041865908048769504798615682652589 0

Des weiteren verhält sich

Selbst wenn diese mathematische Rechnung kompliziert erscheinen mag und sowieso

(insbesondere durch den Umweg über den Cosinus, der sowieso erst ab der 10. Klasse möglich ist)

sehr abstrakt ist, ist doch allemal das Ergebnis hochinteressant: der Horizont ist nur (!) ca. 4,6 km entfernt!!!

... womit auch schon klar ist, dass zumindest der "Unterteil" von Dortmund garantiert nicht von Münster aus sichtbar ist.

Nebenbei: auch wenn das Meer eben erscheinen mag, verschwindet doch jedes Schiff jenseits der 4,6 km teilweise hinter dem Horizont, so dass "halbe" Schiffe immerhin ein indirektes Indiz für die Erdkrümmung sind.

Vergleiche auch (und vielleicht sogar viel besser erklärt)   .

Damit zur 2. Frage:

könnte man, wenn keine Hindernisse im Weg stünden und allerfeinste Fernsicht herrschte, von Münster bis Dortmund gucken

(oder zumindest doch die Spitze des ca. 220 m hohen Dortmunder Funkturms sehen)?

Da die Frage schon teilweise beantwortet war, sei sie hier anders gestellt:

wie hoch ist der "Hügel" der Erdkrümmung, der zwischen Münster und Dortmund liegt, bzw. wie "tief" liegt Dortmund hinter diesem Hügel?

... wobei ich davon ausgehe, dass man sich selbst (bzw. Münster) immer als "oben" versteht und somit alles andere (also auch Dortmund) nur "tiefer" liegen kann;
und weil man selbst "oben" ist, irritiert es einen insbesondere sehr, dass die armen "Antipoden" auf der anderen Seite der Erdkugel (z.B. die Neuseeländer) ihr Leben lang mit dem Kopf nach unten hängen.

Im Folgenden sei nun auch nicht mehr von oberhalb der Erde (aus einer Augenhöhe a) geschaut, sondern sozusagen von Boden zu Boden: eine auf dem Boden kriechende Schlange in Münster schaut zu einer ebenfalls auf dem Boden kriechenden Schlange in Dortmund.

Zuerst drei nicht maßstabsgetreue Skizzen:

Im Ausschnitt das hellblau hinterlegte Dreieck:

Und davon jetzt nur noch das rechte Teildreieck:

Fangen wir diesmal mit der Winkelbestimmung an:

     α   0,225 0

Nun gilt im rechtwinkligen (unteren Teil-)Dreieck:

     cos (α) =

y = r●cos (α) = 6368 km ● cos (0,2250)

        ≈ 6367,950898781204838095073174787 km.

Die gesuchte Höhe h des "Erdberges" zwischen Münster und Dortmund ist aber

h =     r         -                                y

   = 6368 km - 6367,950898781204838095073174787 km

   49 m.

D.h. zwischen zwei nur 50 km entfernten Orten liegt ein immerhin etwa 50 m hoher "Erdberg" - über den hinweg man höchstens den Dortmunder Funkturm sehen könnte. 

Jetzt aber sagt einem die Anschauung vielleicht: dann geht´s also von Münster aus bis zur Hälfte (etwa Werne) bergauf und danach wieder bergab, so dass man eben ab der Mitte den Automotor ausstellen und bis Dortmund rollen kann!?


(Holzschnitt aus dem Mittelalter)


2. Beispiel: wie viel wiegt Luft?

Die erste Hälfte des Problems ist, dass wir nicht hinter unser modernes Wissen zurück können: wir hören z.B. andauernd in den Wettervorhersagen von Hoch- und Tiefdruckgebieten, und da ist es doch selbstverständlich, dass die Luft eben Druck ausübt, also wohl etwas wiegt.

Die zweite Hälfte des Problems ist aber, dass es ein nur "angelesenes" bzw. "unerledigtes", also letztlich weiterhin abstraktes, wenn nicht gar ein "Falsch-Wissen" ist:

"Wenn Sie zum Trinken einen Strohhalm benutzen, werden Sie vielleicht glauben, sich das Getränk dank Ihrer Saugkraft in den Mund zu ziehen. Das stimmt jedoch nicht. Sie entfernen durch das Saugen lediglich die Luft aus dem einen Ende des Strohhalms - das Getränk gelangt dann durch das [...] Gewicht der Sie umgebenden Luft in ihren Mund. Nicht anders ist es bei einem Baby, das an der Mutterbrust trinkt. Mit seinem eifrigen Saugen beseitigt es nur die Luft aus der Umgebung der mütterlichen Brustwarze; die Kraft der Luft über ihr drückt dann auf die Brust der Mutter und sorgt dafür, dass die Milch in den Mund des Babys spritzt. Genauso funktioniert der Staubsauger. Auch hier presst die Luft den Staub in den Schlauch, weil die Luft, die mit gleichem Druck von der anderen Seite aus schob, zuvor beseitigt wurde. Probieren Sie einmal einen Staubsauger im All aus - er wird kein kosmisches Staubteilchen aufnehmen, weil keine Luft da ist, die von der anderen Seite her drückt."
(zitiert nach ; nebenbei würde mich doch mal brennend interessieren, . )

Ich bin aber allergisch gegen jene phantasielosen Dogmatiker, die auf höchst besserwisserische Art alles scheinbar Gesicherte für selbstverständlich halten (als unbezweifelbar ausgeben) und nicht mehr "zurückspringen", sich "dumm" stellen und staunen können

(und einem dann beispielsweise apodiktisch weismachen wollen, die Erde drehe sich um die Sonne; vgl. ).

Seien wir doch mal ehrlich: bei einem Tiefdruckgebiet ist zwar schlechteres Wetter als bei einem Hochdruckgebiet, aber wir empfinden keinen tieferen Druck von oben. Wir empfinden überhaupt keinen Druck von oben, d.h. die Luft wiegt nichts bzw. ist "luftig leicht". Sondern einen Luftdruck empfinden wir höchstens bei Wind von der Seite.

Und nun machen wir ein fast alltägliches und doch

(wer Ohren hat, der höre, wer Augen hat, der sehe!)

immer wieder erstaunliches Experiment: wir wollen das Wasser aus einem Aquarium entfernen. Man könnte das Aquarium natürlich sukzessive mit einem Eimer ausschöpfen, aber das ist uns doch zu umständlich, und deshalb wenden wir einen alten Trick an: wir legen einen Schlauch (mit den Enden A und C) in das Aquarium und lassen ihn vollständig vollaufen. Nun halten wir beide Enden zu, belassen das Ende A im Aquarium und heben das Ende C aus dem Aquarium heraus und öffnen es erst unterhalb des Aquariums beispielsweise über einem Abfluss:

Das wahrhaft Erstaunliche dabei ist, dass nun das Aquarium ohne jegliche Arbeit "von selbst" leerläuft und dabei insbesondere "mit links" den Berg B überwindet.

Hier sei noch gar nicht danach gefragt, warum das funktioniert

(wenn die Antwort "Druck der Luft" durch den Kontext natürlich naheliegt).

Vielmehr sei gefragt, ob das eigentlich immer funktioniert. Beispielsweise könnte man doch auf die Idee kommen, derart mit einer Art


Aquädukt

Trinkwasser über einen Hügel zu transportieren.

Vielleicht sollte man es tatsächlich mal im Unterricht durchführen, vielleicht reicht aber auch die Kenntnisnahme von Experimenten, die in der Frühneuzeit von Galilei und seinem Schüler Torricelli angestellt wurden:

das "Aquarium-Experiment" funktioniert nur bis zu einer "Berghöhe" von ca. 9 Metern!

Und jetzt erst kommt die Warum-Frage.

Dazu stellen wir uns ein schnorchelfömig gebogenes, bei A geschlossenes und bei B offenes Reagenzglas der Länge b vor:

Dieses Reagenzglas sei anfangs vollständig mit Wasser gefüllt. Da sollte man doch denken, dass es, weil es ja bei C geöffnet ist, sofort leerlaufen würde.

Tut es aber nicht (immer), weil über C ja eine Luftsäule steht, die bis in die oberste Atmosphäre reicht:

Und jetzt muss man genauer differenzieren:

Daraus folgt: bei b 9 m ist die Wassersäule genauso schwer wie die Luftsäule.

(Nebenbei: hier sei von dem - für die Forschungsgeschichte allerdings ungemein wichtigen - Detail abgesehen, dass sich links oben in dem Reagenzglas ein kleines Vakuum bilden kann, wenn die Wassersäule teilweise heruntersinkt;
zudem verstehe ich das auch nicht: wenn das Wasser ein bisschen runterläuft, wieso läuft es dann nicht ganz raus?)

Damit aber haben wir nun eine ganz einfache, wenn auch monströse (9 m hohe!) Luftwaage:

wenn wir wissen, wie schwer eine Wassersäule der Länge b 9 m ist, wissen wir auch, wie viel die Luftsäule wiegt.

Nun hängt das Gewicht der 9 m hohen Wassersäule natürlich auch von ihrem Querschnitt ab. Sagen wir also der Einfachheit halber mal, der Querschnitt sei genau 1 cm2.

Dann hat die 9 m = 900 cm hohe Wassersäule ein Gesamtvolumen von 900 ml und wiegt somit 900 Gramm.

Um einfacher rechnen zu können, runden wir von 900 Gramm auf 1000 g = 1 kg auf

(unten werden wir hingegen massiv abrunden, was sich dann hoffentlich ein wenig ausgleicht).

Wir wissen somit also, dass auch die Luftsäule über jedem Quadratzentimeter Erdoberfläche etwa 1 kg wiegt.

Und das lasse man sich doch schon mal auf der Zunge zergehen: über jedem klitzekleinen Quadratzentimeter 1 kg!

Ich lasse hier mal weg, was ich einfach nicht verstehe, nämlich dass die Luft angeblich (wegen ihrer molekularen Bewegung?) nicht nur von oben, sondern von allen Seiten drückt. Nein, mich interessiert hier nur der Druck der Luftsäule von oben.

Mit welchem Gewicht drückt denn diese Luftsäule nun auf mich? Dazu abstrahiere ich mal ein wenig meine Oberansicht:

Das aber ergibt eine Oberfläche von 600 cm2 und somit einen auf mir lastenden Druck von ca. 600 kg, also ein bisschen mehr als eine halbe Tonne!

Schon allein das ist unfassbar - und wieso merke ich davon eigentlich nichts? Die Standarderklärung, dass mein Körper innerlich denselben Druck habe und somit die beiden Drücke sich gegenseitig ausgleichen würden, bleibt mir doch arg abstrakt.

(Immerhin folgt aus dieser Erklärung, dass der Körper, bliebe er [etwa im Vakuum des Weltalls] ohne Außendruck, sofort explodieren müsste, woraus wiederum folgt, dass die Astronautenanzüge regelrechte Panzer sein müssen.)

Und jetzt sei doch noch kurz ausgerechnet, wie viel die gesamte Atmosphäre so ungefähr wiegt. Dazu stellen wir uns vor, dass über jedem Quadratzentimeter der Erde eine 1 kg schwere Luftsäule steht. Ein wenig abstrahiert und vereinfacht:

(Vgl. )

Hier nun wird deutlich, dass wir massenhaft Luft (nämlich die roten Keile) vernachlässigen und somit - im Gegenzug zur obigen Aufrundung - enorm abrunden.

Die Grafik abstrahiert zudem sehr stark:

Wir haben also massenhaft sehr dünne, aber sehr lange Luftsäulen, was den Luftdruck wiederum arg abstrakt macht.

Jetzt müssen wir "nur" noch wissen, wie viele solche Luftsäulen nebeneinander auf der Erde stehen können, d.h. wie viele Quadratzentimeter groß die Erde ist.

Die Oberfläche einer Kugel wird berechnet als F = 4 π r2.

Nun beträgt der Erdradius r = 6368 km = 636.8 00.000 cm, womit

F = 4 π (636.800.000 cm)2

    5.095.842.229.240.193.107 cm2

    ≈ 5 Trillionen cm2.

Es gibt also etwa 5 Trillionen unserer Luftsäulen!!!

Weil - wie wir oben herausgefunden haben - jede einzelne der Luftsäulen etwa 1 kg wiegt, wiegt also die Gesamtatmosphäre nach unserer doch eher vorsichtigen Schätzung etwa 5 Trillionen kg oder 5 Billiarden Tonnen!

Soviel zum Vorurteil, dass Luft nichts wiegt.


Stellt sich nur die Frage, ob mit all dem das (bislang oder grundsätzlich) Unvorstellbare vorstellbarer geworden ist - oder "nur" umso erstaunlicher.