"[Es gilt], den ästhetischen Sinn des Menschen und dessen Ausbildung in der Kunstliebe mit in die Naturbeschreibung [einzubeziehen.] [...] die verschiedenen Eindrücke der Fröhlichkeit und Melancholie, welche die Pflanzenwelt im sinnlichen Menschen hervorbringt [...], das scheinen mir Objecte, die des Nachdenkens werth und fast ganz unberührt sind. Ich beschäftige mich ununterbrochen mit ihnen."

Man könnte natürlich sagen, dass es Anmaßung sei, einem Buch den Titel "Kosmos" zu geben, also in einem Buch schlichtweg alles erklären (?) zu wollen. Alexander von Humboldt war sich dessen durchaus bewusst:

 "Die wichtigste, fünfbändige Schrift seines Lebens beginnt Alexander von Humboldt nach dem Tod seines geliebten Bruders zu schreiben. In ihr hat er die Ideen zu Papier gebracht, die bis heute nichts von ihrem Reiz und Wert verloren haben. »Es ist das Werk meines Lebens, soll abspiegeln, was ich mir für Vorstellungen Trugbilder von dem ergründeten und nicht ergründeten Zusammenbange der Erscheinungen durch Selbst-Erfahren oder Nachforschen in dem in vielen Sprachen mühsam Gelesenen entworfen habe«. [...] So hat er es bereits 1833 geplant und programmatisch als Entwurf einer physischen Weltbeschreibung konzipiert, in dem er alles darstellen, breiter ausführen und tiefer durchdenken will, was er in seinen frei gehaltenen Vorlesungen an der Berliner Universität und in der Bild Singakademie nur skizzieren konnte; und während sein Bruder abgeschlossen in Tegel an seinem großen Kawi-Werk arbeitet, beginnt er sich auf dieses Lebenswerk zu konzentrieren, »das von den Nebelflecken bis zu den Moosen alles enthalten soll, ein Kosmos (eine physische Weltbeschreibung« [...]. Er ist unsicher wegen des Titels, der in diesem Brief an Caroline von Wolzogen [...] nur als thematischer Hinweis auftaucht. Doch schon wenig später hat er den »tollen« Einfall, das ganze Werk mit diesem alten griechischen Begriff zu benennen — »Kosmos« —, der ursprünglich etwas Schmuckvolles und Wohlgeordnetes bezeichnete, von Pythagoras auf die Weltordnung übertragen wurde und schließlich als philosophischer Fachbegriff »zur wissenschaftlichen Bezeichnung der Wohlgeordnetheit der Welt, ja der ganzen Masse des Raum-Erfüllenden, d. i. des Weltalls selbst, umgeprägt ward« [...] Humboldt befürchtet zunächst, dass dieser Titel zu vornehm oder anmaßend klinge, sogar etwas affektiert. Doch schließlich gibt er seine Skrupel auf, nicht zuletzt, weil sein Bruder Wilhelm den Titel Kosmos gut findet, mit dem erläuternden Zusatz: Entwurf einer physischen Weltbeschreibung."
(zitiert nach )

Damit aber zu

"[Es gilt], den ästhetischen Sinn des Menschen und dessen Ausbildung in der Kunstliebe mit in die Naturbeschreibung [einzubeziehen.] [...] die verschiedenen Eindrücke der Fröhlichkeit und Melancholie, welche die Pflanzenwelt im sinnlichen Menschen hervorbringt [...], das scheinen mir Objecte, die des Nachdenkens werth und fast ganz unberührt sind. Ich beschäftige mich ununterbrochen mit ihnen."

Dass Humboldt sich "ununterbrochen" mit "sowas" beschäftigt hat, heißt ja nicht, dass er den Anspruch erfüllen wollte - und konnte. Sondern er hat ein Desiderat seiner ("fast ganz unberührt") wie auch noch unserer Zeit aufgezeigt.

Vielleicht ist es aber sogar noch sehr viel mehr ein Desiderat unserer als der damaligen Zeit, weil der wichtige Ansatz Humboldts - bei allem sonstigen inzwischen stattgefundenen Erkenntnisfortschritt - seitdem weitgehend wieder vergessen wurde.

Was aber wollte Humboldt genau?: beispielsweise über

"[...] die verschiedenen Eindrücke der Fröhlichkeit und Melancholie, welche die Pflanzenwelt im sinnlichen Menschen hervorbringt [...]"

nachdenken, wobei die Pflanzenwelt ja wohl "nur" pars pro toto für die gesamte Natur ist und beispielsweise auch durch einen Sonnenuntergang ersetzt werden könnte.

Ihn interessiert also nicht nur (aber vermutlich auch), wie die Natur funktioniert, sondern auch, welche Gefühls-Eindrücke sie im Menschen "hervorbringt"

(wobei im Zitat unklar bleibt, ob er damit subjektive oder objektive Eindrücke meint).

Vermutlich wird sowas heutzutage tatsächlich erforscht, aber ich befürchte, dass das oftmals sehr billig "neurobiologisch" funktioniert, also etwa so: Aussehen und Duft einer Pflanze werden in einem Gehirnareal xy in einen "Gefühls-Eindruck" umgesetzt ... was alles und nichts erklären würde.

(... und es ist ja auch unklar, ob Humboldt überhaupt kausale Erklärungen gesucht hat: was habe ich davon, wenn ich weiß, warum ein Sonnenuntergang in mir romantische Gefühle hervorruft?!

[Allemal bezweifle ich aber, dass Erklärungen die Romantik kaputt machen. für mich wird überhaupt erst umgekehrt ein Schuh draus: gerade weil ich Sonnenuntergänge so schön finde, möchte ich auch wissen, wie sie "funktionieren". Vgl. 

Aber alle physikalischen Erklärungen erklären ja noch immer nicht, was ich wohl niemals erfahren werde: warum ich Sonnenuntergänge so schön finde.])

Falls aber Humboldt keine kausalen Erklärungen gemeint hat, müsste man mal kritisch nachforschen, was er sonst gemeint haben könnte.)

Bemerkenswert ist aber vor allem, dass Humboldt überhaupt sowas (heutzutage) "Unwissenschaftliches" wie "Fröhlichkeit und Melancholie" in seine Naturbetrachtungen mit einbezogen, ja zu seinem eigentlichen Interesse erklärt hat.