wie wir mit Brüchen rechnen

"Wir" heißt hier "wir Lehrer", und ich bin mal so dreist, mich da für halbwegs repräsentativ zu halten.


Standardbild von LehrerInneN ist ja, dass sie

Das bedeutet beispielsweise bei einem Mathematiklehrer

(was heutzutage sowieso unmöglich ist)

die gesamte Mathematik

(inkl. neuester Entwicklungen, zu denen Lehrer jeden Kontakt verloren haben)

beherrscht,

(Und dann gibt es noch - so zumindest ein Klischee - Lehrer, die über tatsächlich alles [selbstverständlich außerhalb ihres Fachs] mitreden, sich also anmaßen, Alles-, ja sogar Besserwisser zu sein.
Mal dreist positiv gewendet: vielleicht sind so einige Lehrer ja tatsächlich weltoffener [haben die Chance dazu] als "Durchschnittsmenschen"!?).

Nun kann man sich ja streiten, ob das Lehrerbild im letztgenannten Sinne, dass also die Lehrkraft ihr gesamtes Teilgebiet und (zumindest potentiell) alle Lösungen beherrschen soll, richtig und produktiv ist.

(Vielleicht ist es ja geradezu eine Grundkrankheit der heutigen Schule [mit der fatalen Folge des ausschließlichen Frontalunterrichts?], dass Schüler mit [wenigstens im Kopf der Lehrkraft] restlos fertigem Wissen und sowieso grundsätzlich lösbaren Problemen konfrontiert werden.)

Aber dennoch ist an der Forderung, dass die Lehrkraft ihr (Teil-)Gebiet gründlich 

(oder wenigstens die grundsätzlichen Denk- und Verfahrensweisen)

kennen sollte, natürlich was dran: schon ich als Schüler fand 

(außer stramm autoritärem Gehabe, aber auch windelweicher Positionslosigkeit)

kaum etwas so suspekt wie Lehrer, die permanent im ihrem "angestammten" Gebiet stecken blieben.


Wohl jeder Mathematiklehrer wird also von sich behaupten, dass sie/er problemlos mit Brüchen

(einem aus Lehrersicht ja in der Tat noch relativ einfachem Thema)

 rechnen kann.

(Nebenbei: es gibt unter [insbesondere, so behaupte ich mal, Mathematik-]Lehrer ein gentlemens agreement, niemals voreinander "die Hosen runter zu lassen", also einzugestehen, dass man etwas [oder zumindest einen Schulstoff] nicht beherrscht. Oh, was habe ich da schon schönes "Begriffs-Dropping" und hübsch lächerliche Hahnenkämpfe zwischen gestandenen Mathematikern [meist Männern] erlebt!)

Dann aber stellen sich für mich zwei interessante Fragen:

  1. wie genau rechnen wir denn mit Brüchen,

  2. wie sind wir zum korrekten Rechnen mit Brüchen gekommen

(wenn man nicht einfach - sei‘s aus Arroganz, sei‘s aus Vergesslichkeit - behauptet, man habe die Bruchrechnung [und "sowieso" die gesamte Mathematisch!] schon immer perfekt beherrscht)?

Die Bruchrechnung, so scheint mir, ist da nur ein Beispiel für viele mathematische Themen

(wenn nicht gar die gesamte Schulmathematik, die wir betreiben),

und deshalb möchte ich vorerst noch allgemein bleiben.


Ich unterstelle mal, dass "wir" zu "meiner" Zeit 

(ich also in der tiefen Adenauerrepublik der 60er und auch noch der 70er Jahre an einem erzkonservativen "humanistischen" Gymnasium)

auch nicht den idealen pädagogischen Unterricht erhalten haben - oder zumindest nicht einen, wie er heute gefordert wird.

Wir haben's dennoch gelernt - oder gerade deswegen?

Könnte es also sein

(und die Frage meine ich durchaus, wie gleich noch klar wird, halbwegs ernst),

dass "sowieso" in der Mathematik - aber allemal bei Rechenverfahren wie der Bruchrechnung - schlicht und einfach gilt?:

"Was uns nicht tötet, macht uns hart."
(Friedrich Nietzsche?)

Denn meiner Erinnerung nach

(aber genau die ist ja - wie schon oben angedeutet - das Problem, weil man halt viel vergisst oder auch mehr oder minder bewusst beschönigt; ich z.B. kann mich oftmals nicht entsinnen, dass ich jemals so "blöd" war wie viele meiner Schüler - und doch wird‘s genauso gewesen sein)

wurde in meiner Schulzeit

(mit Ausnahmen; Danke, Herr Beuckmann!)

Mathematik (wie alle Fächer) stumpf vorgemacht und dann noch stumpfer gebimst

("Die 76 Aufgaben auf Seite 17 bis 23 komplett und bis zum Erbrechen").

Und vielleicht ist die Mathematik sogar gerade deshalb bei vielen Schülern auch heute noch so durchaus beliebt: sie ist in ihrem Stumpfsinn verlässlich.

(Was Mathematik "wirklich" sein kann, habe ich doch erst sehr viel später [mir scheint sogar: erst nach dem Studium] gemerkt.)

Nun neige ich allerdings nicht gerade zur Romantisierung meiner Schulzeit

(genauso wenig wie zu ihrer pauschalen Ablehnung):

in der Tat, "wir" haben‘s 

(vor allem Rechenfertigkeiten wie die Bruchrechnung)

gelernt - aber unter welchem Leidensdruck!

(„Da mussten wir alle durch, und hat‘s uns geschadet?“ „Ja!“)

Da stellt sich doch zumindest die Frage, ob man dasselbe positive Endergebnis (mathematische Fertigkeiten) nicht auch anders (menschlicher, wenn nicht sogar mit Spaß) erreichen kann.


Damit aber zu meiner ersten Frage, also: wie genau rechnen wir denn mit Brüchen?

Denn wenn wir die Bruchrechnung beherrschen

(das sei hiermit einfach vorausgesetzt),

dann könnte unsere Vorgehensweise ja vielleicht doch auch hilfreich für (heutige) Schüler sein.

(Überhaupt stellen sich Lehrer, so scheint es zumindest mir, viel zu selten die Frage, wie sie selbst denn an [ihnen neue oder auch bekannte] Probleme herangehen, um dann erst zu entscheiden, wie Schüler da dran geführt werden könnten.)

Und da zeigen sich dann merkwürdige Widersprüche: Lehrer gehen fast nie selbst so vor, wie sie es

(gerade wenn sie methodisch offen sind)

Schüler angedeihen lassen bzw. empfehlen:

(also nicht jenen, die "sowieso" gegen alles sind und jede methodische Überlegung für Schnickschnack halten),

bei denen diese sich weigerten, selbst mal die Methode durchzuprobieren, die da gerade behandelt wurde

("ich bin mir zu schade für solche Kinderspiele - oder habe [natürlich schnoddrig überspielte] Angst, mich vor allen anderen zu blamieren?").

Wir rechnen selbst nie so mit Brüchen, wie wir es den SchülerInnen vermitteln - oder gerne vermitteln würden. Wir verbinden mit Bruchrechnungen nämlich in der Regel keineswegs eine Anschauung.

(Das muss ausgerechnet ich [Verräter?] sagen, der hier doch eine ganze "Internetpräsenz" mit dem Obertitel Bild betreibt!!!)

Als Beleg muss ich da nichtmal die teilweise haarsträubenden Ultimokombinationen von Bruchrechenregeln wie z.B.

Bild Bild

in vielen Mathematikbüchern nehmen

(obwohl es auch - und zwar gerade jüngeren Schüler - Spaß machen kann, sowas zu "knacken"; vgl. Bild "Kinder brauchen Idiotentätigkeiten"),

sondern reicht ein relativ einfaches Beispiel:

Bild

Ausgerechnet ergibt sich da natürlich Bild.

Aber wer hätte dieses so einfache Endergebnis 4 denn auf Anhieb "anschaulich" gesehen? Ich nicht, sondern ich habe einfach stumpf (mir allerdings wohlbekannte) Bruchrechenregeln angewandt.

(... was natürlich eine [halbe] Notlüge ist, denn immerhin habe ich die Aufgabe ja überhaupt erst selbst konstruiert, und zwar so, dass

Dass aber das einfache Ergebnis ausgerechnet 4 und nicht z.B. 3 ist, habe ich nicht von Anfang an gesehen.)

Um aber ein hoffentlich noch überzeugenderes Beispiel anzuführen:

Bild

Rechnerisch ergibt sich Bild, und da wette ich mal, dass keiner

(außer vielleicht - die mag‘s ja geben - Menschen mit enormer mathematischer bzw. Zahlenintuition - oder auch nur permanenter Übung bzw. Gewohnheit)

das Ergebnis Bild

(wobei die Rechnung natürlich so rasend schnell erfolgen kann, dass man das für "auf Anhieb" hält),

(Nebenbei:

  1. kann man sich streiten, ob das letztgenannte Beispiel Bild leichter oder schwieriger als das vorhergehende Beispiel Bild ist:

  • das Ergebnis Bild ist allemal schwieriger [schlechter einzuschätzen] als das Ergebnis 4,

  • aber das einfachere Ergebnis 4 kommt ja "nur" durch Kürzen zustande, also eine Rechenregeln, die man bei Bild nicht anwenden kann - und also auch nicht kennen muss.

  1. beherrsche ich beim zweiten Beispiel durchaus etwas anderes: zwar "sehe" ich nicht auf Anhieb das Ergebnis, und schon gar nicht leite ich es anschaulich her, aber ich ahne doch - anders als viele Schüler - die Größenordnung:   ist kleiner als 1, ist ebenfalls kleiner als 1, also ist das Produkt bzw. das Ergebnis [Bild] noch kleiner als beide Ausgangsbrüche [und also auch als 1].
    Und an dem Ergebnis
    Bild interessiert doch nicht die genaue, auf Anhieb schwer vorstellbare Größe [ungefähr  0,34285], sondern die leicht zu überblickende ungefähre Größe:  BildBild, was nebenbei - indem es Bruchzahl bleibt - viel anschaulicher ist als eine Dezimalzahl.)

Nun waren ja in beiden Beispielen die zu multiplizierenden Brüche noch sehr einfach (einstellige Zähler bzw. Nenner), und ich finde sogar die Bruchmultiplikation besonders einfach

(einfacher sogar noch als beispielsweise die Bruchaddition, weil man bei der ja oftmals erst

[gar nicht so einfach, weil nicht mit einer direkten oder zumindest schnell umsetzbaren Regel findbar]

noch den Hauptnenner finden muss;

und schon gar nicht will ich hier [genauer] von der Bruchdivision reden, mit der ich beim normalen Hantieren überhaupt keine Anschauung mehr verbinde

[obwohl die zumindest bei einfachen Beispielen durchaus noch möglich ist; vgl. Bild ];

... was natürlich nebenbei nicht heißt, dass ich die Bruchdivision [wie es die neuen Lehrpläne tun] für überflüssig halte. Ich finde sogar eher den rein logischen, also unanschaulichen Weg frappierend, nach dem sich die Bruchdivisionsregel aus anderen Regeln ergibt.)

Summa summarum:

Wir Lehrer führen die allermeisten

(außer vielleicht allersimpelsten, also z.B. 2. • = 1)

Bruchrechnungen (auch) ohne Sinn und Verstand (genauer: irgendeine Anschauung) durch, sondern wenden "nur" (hoffentlich halbwegs treffsicher) eingepaukte Rechenregeln an.

Ich sehe da eigentlich nur eine (Doppel-)Ausnahme, nämlich die Bruchaddition bzw. -subtraktion: da ist mir intuitiv klar, dass ich nicht Birnen und Äpfel durcheinander werfen, sprich: nur gleiche Anteile addieren bzw. subtrahieren darf, also gegebenenfalls vorher durch Erweitern oder Kürzen "gleichnamig" machen muss.

Bzw. es gibt noch - wie oben schon angedeutet - eine andere Ausnahme: mir ist (meist) intuitiv klar, wie zwei Brüche bei der Multiplikation aufeinander "wirken", d.h. welche Größenordnung des Ergebnisses (der Vereinfachung) möglich scheint.

(Und nebenbei: diese "Wirkungsweise" [vgl. auch Bild ]


Angenommen also, wir Lehrer rechnen (dann allerdings spielend leicht) auch nur stumpf. Dann stellt sich dennoch wieder die erste oben gestellte Frage, wie wir dazu gekommen sind.

Bestand der Weg dahin wirklich nur aus stumpfem Üben vorgegebener Regeln

(10 000 Aufgaben, bis einem die Rechenregeln "in Fleisch und Blut" übergegangen sind)?

Worauf meine gesamte Argumentation bis hier hinaus läuft:

  1. kann‘s natürlich nicht schaden, ja ist es sogar wünschenswert, wenn Schüler erfahren (angeleitet selbst erarbeiten), warum eine bestimmte Rechenregel so und nicht anders aussieht: auch wenn sie es vor lauter nachfolgenden reinen Rechenaufgaben schnell vergessen werden

(sogar vergessen müssen, damit es eben "mit links" geht?),

betreiben sie doch bei solchen Herleitungen immer mal wieder "mathematische Denkgymnastik", lernen also typische, auch über das Einzelproblem hinausgehende mathematische Denk- und Vorgehensweisen.

  1.  
bzgl. des reinen Bruchrechnens hilft tatsächlich nur stumpfes Pauken!

(... wobei hier offen bleiben soll, ob man das Bruchrechnen [und wenn ja, in welcher Ausführlichkeit] denn überhaupt braucht.)

D.h. aber, dass stumpfe Paukphasen im Unterricht unabdingbar sind.

Daraus folgt für mich:

  1. nochmals vorausgesetzt, dass die Schüler die Bruchrechnung beherrschen müssen: man kann und darf ihnen die Mühe und Plage des reinen Paukens nicht abnehmen;

  2. es ist unehrlich, diese Paukphase mit methodischen Gags & Gimmicks zu "überzuckern" (und die Schüler sind auch gar nicht so blöd, darauf reinzufallen).

(Genau das wird heutzutage aber z.B. in vielen "Lernzirkeln" gemacht, die etwa so aussehen, als hätte jemand die sterbenslangweilige [aber wichtige!] Aufgabensammlung eines Mathe-Schulbuchs nur zerschnibbelt und dann in verschiedenen Ecken des Klassenraums "arrangiert".

Der Fehler dabei besteht einzig und allein darin, dass die modischen [und ja nicht an sich schlechten] "Lernzirkel" da pauschal und unreflektiert auf alles und jedes angewandt werden (vgl. Bild Anfragen an das "Lernen an Stationen").

Dabei muss [unvermeidbares!] Pauken ja keineswegs bedeuten, dass das nur in den klassischen Formen Frontalunterricht und Einzelarbeit möglich ist: selbstverständlich können sich SchülerInnen dabei auch gegenseitig helfen, z.B. auch die Aufgaben [angeleitet!] selbstständig aussuchen oder gar selbst erstellen.)

"Ehrlichkeit" bedeutet, dass man den SchülerIün explizit sagt

(es möglichst auch erklärt),

in welcher (manchmal eben langweiligen) Unterrichtsphase man sich gerade befindet, aber auch Perspektiven auf andere Phasen zeigt (vgl. Bild ).


Damit man mich nicht missverstehe:

Alles bislang Gesagte ist wahrhaft kein Plädoyer für pures Pauken als Allheilmittel, sondern nur ein Plädoyer für das Pauken von Bruchrechenregeln

(bzw. allgemein von Rechenfertigkeiten).

Ich will also keineswegs vollständig zurück (?) zum "alten" (nach wie vor weitgehend üblichen) Unterricht, sondern es bleiben auch bei der Bruchrechnung genug Teilaspekte, bei denen der

(oft aus der Not geborene)

Frontalunterricht dringend abgeschafft gehört:

  1. bei Anwendungsaufgaben

(die ihren Namen wirklich verdienen, also nicht nur "eingekleidete Mathematik" sind),

  1. beim Grundverständnis von Brüchen bzw. - allgemeiner gesagt - Verhältnissen (vgl. Bild ),

  2. bei - wie oben angedeutet - der "Wirkungsweise" von Brüchen.