der schönste Beweis aller Zeiten

1. Vorwort:

Ich danke ganz herzlich meiner derzeitigen

Bild
Klasse 9d

am Gymnasium St. Michael in Ahlen,

Die besten Ideen bekommt man noch immer in der konkreten Begegnung mit SchülerInneN. Es macht Spaß, mit ihnen die Entdeckungswege nachzugehen.

Gleichzeitig danke ich einigen FreundInnEN und meiner Frau, die Passagen des Textes gegengelesen haben bzw. vor denen ich sie entworfen und mit denen ich sie immer wieder diskutiert habe.

Es kann einem gar nichts Besseres passieren als scheinbar "dumme" Laienfragen, die mit hübscher Regelmäßigkeit nur ins eigentliche mathematische Problem führen. Wie oft habe ich da bemerkt, dass ich etwas schlecht aufbereitet hatte, weil ich es entweder noch nichtmal  selbst durchdrungen hatte oder es aber für allzu selbstverständlich hielt! Und garantiert musste ich dann jedesmal sofort irgendwas nachbessern.

Und mich reizt ja noch immer der Gedanke, ein Mathebuch für erwachsene Laien zu schreiben, die inzwischen, nachdem sie wieder genug Distanz zur Schulmathematik haben, "einfach mal gerne" wissen möchten, was Mathematik ist bzw. (anders als in der Schule) sein kann.

Mit einigem Selbstbewusstsein:

Wenn man das "Herz" der Mathematik, nämlich Beweise, überhaupt mit einer vorstrukturierten Computer-Selbstlerneinheit vermitteln will

(wogegen ja vor allem die Abwesenheit einer Bezugs-Lehrperson spricht!),

dann so wie hier!

Ich müsste nur sehr viel mehr Zeit haben, um massenhaft solche Lerneinheiten zu entwickeln!

Man darf sich bei der Popularisierung von Mathematik nicht um viererlei drücken:

  1. um das Alphabet der Mathematik, also Gleichungen, Symbole etc. Stephen Hawking hat fatalerweise mal gesagt, damit dürfe man einen Laien nicht langweilen.

(Mir scheint ja noch immer, dass viele popularisierende Mathematiker ihr "Alphabet" verbergen, weil sie sich seines schämen; bzw. sie akzeptieren in vorauseilendem Gehorsam die ja durchaus verbreiteten und teilweise auch berechtigten Vorurteile gegenüber diesem "Alphabet", statt diesen Vorurteilen verständnisvoll [den Laien bei seinem Vorurteil abholend], verständlich und vor allem überzeugend entgegenzutreten.)

So wichtig ja mathematische Grundideen sind, die etwa in der Schulmathematik gerade wegen des ganzen formalen Aufwands viel zu kurz kommen: diese Ideen werden ja eben oft im mathematischen "Alphabet" transportiert, es vereinfacht vieles. Ganz ohne es auszukommen, kommt mir vor, als wenn man einem Laien alle Gedichte vorenthält und nur ihre Inhalte nacherzählt.

(Auch so ein interessantes Thema für eine ganze Unterrichtseinheit: "die Entwicklung der mathematischen Symbolsprache; ihre Vor- und Nachteile"; vgl. etwa Bild)

  1. um die "Mühen der Ebenen" (Bert Brecht): wie jede andere Wissenschaft, jedes Handwerk und jede Kunst besteht auch die Mathematik nicht nur aus Highlights und schönen Gipfelaussichten, sondern unvermeidbar auch aus lang(weilig)en "Etüden" (Aneignen des Handwerkszeugs, mit dem man überhaupt erst Kunst hervorbringen kann), Umwegen und Irrwegen. Wer das dem Laien vorenthält, erschlägt (und letztlich: beschämt) ihn wieder nur mit "geilen" Effekten und verschweigt, dass auch die großen Genies lange dran gearbeitet haben, also "genauso" waren wie wir.

Auf den Matheunterricht in der Schule bezogen: man macht es sich mit wunderhübschen neuen methodischen und didaktischen Ansätzen allzu einfach, wenn man sich dazu immer nur die Rosinen (z.B. die hochmotivierte Einführung eines Themas oder von mir aus auch Bild) herauspickt. Sondern wenn überhaupt, so müssen sich solche neuen Ansätze in allen drei typischen Unterrichtsphasen bewähren, also in

A. Einführung B. Beweisnotwendigkeit
Beweis
C. Anwendung
Übung
(typischer "Aufgabenteil")

Nebenbei: die SchülerInnen nehmen uns den hochmotivierten Einstieg ja eh nicht mehr ab, sie wissen ja doch ganz genau, dass die dramatische Kurve danach verlässlich wieder auf Null absinkt und letztlich alles nur auf eine abgenagte Klausur (Zensuren) hinaus läuft. Ja, sie empfinden die anfängliche "geile" Motivation geradezu als verächtlichen Köder bzw. als Lüge.

Oder ein neuer Ansatz sollte so ehrlich sein, zuzugeben, dass er nicht überall (gleich gut) funktioniert, sondern z.B. in gewissen Phasen doch wieder dem klassischen fragend-entwickelnden (Frontal-)Unterricht den Vortritt lassen sollte.

Jeder neue Ansatz hat überhaupt nur (als konkrete Utopie) eine Chance, wenn er realistisch ist, d.h. von den Gegebenheiten ausgeht, ohne allerdings sowieso schon resigniert zu sagen: "es geht eh nicht anders als schon immer".

Und überhaupt ist einE LehrerIn keinE ShowmasterIn!

  1. um die "Innermathematik".

Nichts gegen Anwendungsbezug der Mathematik, nichts gegen Motivation durch alltägliche Brauchbarkeit. Es gibt sie viel zu wenig. Dass Mathematik in vielen Bereichen (vor allem in der Technik)  unser Leben bestimmt und lenkt, wird zwar immer behauptet (bzw. vorausgesetzt), aber kaum je überzeugend belegt.

Das liegt daran, dass 

  1. die wirklich tiefgreifenden Folgen der Mathematik auch sehr verborgen sind (vgl. nur etwa die Mathematik, die in einer Hifi-Anlage steckt): Mathematik kann man nicht sehen oder anfassen ("begreifen"?);

  2. die Mathematik da extrem kompliziert, also für einen Anfänger völlig unzugänglich ist. Folge davon ist, dass in der Schule oft nur Pseudo-Anwendungsaufgaben (meist sowieso nur "eingekleidete", letztlich doch von der Innermathematik aus gedachte Aufgaben) möglich sind und dass SchülerInnen letztlich immer nur auf später vertröstet werden ("irgendwann im Studium wird das ganz wichtig").

Wenn aber die Bedeutung von Mathematik immer nur behauptet, aber nie belegt und untersucht wird, so wird dadurch nur die Angst vor Mathematik erhöht: sie ist Expertensache, für die der Laie eh zu dumm ist, sie ist ein gnadenloser, völlig uneinsehbarer archaischer Gott.

Aber es gibt ganz andere und viel bessere Gründe gegen eine heute andauernd geforderte, kurzsichtige Orientierung der (Schul-)Mathematik an Anwendungen:

Es ist also schlichtweg absurd, immer auf Anwendbarkeit zu schielen, und die SchülerInnen nehmen es uns auch gar nicht ab. Sie wissen genau: letztlich geht´s nicht um Hifi-Anlagen, sondern z.B. um Termumformungen (und das Bestehen der nächsten Klausur).

Letztlich also wird - wenn überhaupt - Motivation großteils aus der Innermathematik ("der Sache selbst") kommen müssen: wer grundsätzlich keinen Spaß an innermathematischen Umformungen und Beweisen hat, wird überhaupt keinen Spaß an Mathematik haben können.

Zur "Innermathematik" (auch "reine" Mathematik genannt; "rein" im Sinne von "ausschließlich", "unverdorben"!) gehört allerdings für mich auch die innermathematische Dramaturgie: die Bedeutung eines Sachverhalts im größeren fachlichen Zusammenhang, aber auch seine historische Entdeckung.

Wenn also meist eh nur Innermathematik getrieben werden kann, dann kann auch nur diese innermathematische Dramaturgie motivierend wirken.

(Z.B.: "warum geht diese Rechnung auf?; wie lässt sich das beweisen?; wie wurde es entdeckt?; welche Bedeutung in der ' Gesamtmathematik '  hat es? ...")

Hochinteressant und wichtig fände ich es aber auch, wenn man ab und zu der (meist ja durchaus sinnvollen, aber doch auch allzu festbetonierten) sachlogischen Stringenz entfliehen und übergreifende Themen behandeln würde, also z.B.

Ich fände es sogar gut, ein ganzes Halbjahr auf sowas zu verwenden (verwenden zu dürfen). Die SchülerInnen würden in jedem Fall exemplarisch lernen, was Mathematik eigentlich "ist".

  1. um die Quintessenz der Mathematik, also Beweise (s. 4c). Zwar muss man, um wieder die Grundideen zu zeigen, nicht alles beweisen (vgl. etwa Bild ), aber wenn man Beweise ganz weglässt, zeigt man nur Gags und Gimmicks, enthält man dem Publikum also alle Erklärungen vor und verkauft es somit letztlich (wie viele pseudo-populärwissenschaftlichen Sendungen à la Knoff-Hoff-Show) zynisch und voller Verachtung für dumm bzw. als Klatschvieh.

Im folgenden geht es mir also darum, meine Ideen probeweise mal in der o.g. zweiten Phase, beim Beweis (und damit der vielleicht zentralsten mathematischen Denkweise) auf den Prüfstand zu stellen - und zwar möglichst konkret:

wie denn könnte der Beweis im konkreten Unterricht durchgeführt werden?

Zuguterletzt: ich bin mir durchaus im Klaren darüber, dass die Detailfülle der folgenden Erläuterungen schnell das Interesse und das Differenzierungsvermögen der SchülerInnen (NeuntklässlerInnen!) überfordern bzw. erlahmen lassen könnte.

(Und dabei habe ich noch weitgehend auf die Wiederholung unumgänglicher Vorkenntnisse verzichtet!)

Mir geht´s hier nur mal ums Prinzip, also die Frage, inwieweit ein Beweis überhaupt weitestmöglich selbstlernend entwickelt werden kann.

Zudem finde ich, dass der Beweis der Irrationalität es allemal wert wäre (was leider unter dem derzeitigen Stoff- und Klausurendruck ein purer Irrealis ist), mehrere Monate auf ihn (und sein Umfeld) zu verbringen. Wer ihn verstanden hat, hat exemplarisch verstanden, was Mathematik "eigentlich ist" (und genau das geht ja hinter all der Stofffülle verloren!).

Ja, ich verstehe meinen Vorschlag zum Beweis der Irrationalität sogar auch als allemal lohnenswerten Oberstufenstoff, auch wenn er üblicherweise in der 9. Klasse verhandelt wird.

Voraussetzung: Weil hier nicht alles erledigt werden kann, sei vorausgesetzt, dass der Begriff der Wurzel bereits erarbeitet wurde, allerdings nur
  • als Wurzel einer Quadratzahl,
  • im intuitiv-geometrischen, noch nicht funktionalen Sinne: "die Wurzel aus x ist diejenige (positive) Zahl, die mit sich selbst malgenommen (quadriert) x ergibt".

Dazu wurde die Wurzel anhand von Quadratflächen/-seiten bei ganzzahligen Seitenlängen entwickelt.

Dabei scheint es mir äußerst wichtig, die Formel

BildBildBild= x
(hier noch nur für Quadratzahlen)

genauso wie den Begriff "Wurzel" sowie das Wurzelsymbol als Definitionen und dabei klarzustellen, dass

  • Definitionen willkürlich-arbiträr, dann im Gebrauch aber konventionell sind

(z.B. spricht Enzensberger verurlkend vom "Rettich" statt der "Wurzel" - und wird [will] mit solcher Umbenennung doch nicht dauerhaft Erfolg haben),

  • einen Sinn letztlich nur durch Praktikabilität gewinnen.

Ebenso ist aber zu zeigen, dass alles folgende Hantieren mit Wurzeln nicht mehr willkürlich-arbiträr ist.

Fast sollte man wie einige Computerprogramme zwischen ":=" für "ist definiert als" und "=" im üblichen Sinne unterscheiden.

Zuguterletzt sei hier nicht unerwähnt, wie wohltuend es ist, ab und zu doch wieder einen Unterrichtsentwurf so extrem detailliert wie hier auszuarbeiten. Nur so wird einem wieder bzw. bleibt einem klar, wie viel Handwerkszeug SchülerInnen auch schon einer 9. Klasse permanent parat haben müssen, um zu korrekten Lösungen kommen zu können.

Da wäre es ein interessantes und wichtiges Unterfangen, mit den SchülerInnen zusammen sukzessive eine "Formelsammlung" der wichtigsten Formeln, die andauernd benötigt werden, anzulegen - und immer wieder im Spiralcurriculum zu reaktivieren. Solch eine "Formelsammlung" müsste wohlüberlegt (was braucht man tatsächlich immer wieder - und was nicht?) und zentraler Bestandteil aller Schuljahre sein: die SchülerInnen müssen bemerken, wie Mathematik sukzessive aufeinander aufbaut und dass Ergebnisse früherer Schuljahre immer wieder benötigt und fortgesetzt werden, also nicht bloß Schikane bzw. Selbst(prüfungs)zweck waren. Sie müssen also bemerken: das Vergangene hat sich gelohnt, das Gegenwärtige wird sich also wohl auch lohnen.

Zudem kann es nicht schaden, den SchülerInnen immer mal wieder anzudeuten, wo der gegenwärtige Stoff später nochmals benötigt und ausgebaut wird. Z.B. können NeuntklässlerInnen durchaus schon verstehen, dass das Heronverfahren den Limesbegriff vorbereitet, und man kann mit ihnen sehr wohl auch schon mal die Differential- und Integralrechnung ansprechen. Ja, sie sind sogar mächtig stolz, wenn man dann im Nachhinein sagt: "und damit haben wir so ganz nebenbei schon Oberstufenstoff behandelt".

weiter

Inhaltsverzeichnis