selbstgewählte Schwierigkeitsniveaus

Am Beispiel der Symmetrie gewisser ganzrationaler Funktionen sei im Folgenden mal überlegt, wie eine Binnendifferenzierung im Unterricht, aber auch in Klausuren aussehen kann.

Vorausgesetzt sei dabei, dass die Symmetrie über Überlegungen zur Schönheit von Funktionsgraphen auftauchte (also über Anschauung, nicht Anwendung). D.h. der erste Zugang ist ein geometrischer, nicht algebraischer

  1. Was müssen alle SchülerInnen lernen? (Obligatorik)
  1. Unverzichtbar ist der Übergang von der geometrischen zur algebraischen Bedeutung von Symmetrie, d.h. von

zu

und dann zu f (x) = - f (-x).

Analoges gilt für achsensymmetrische Graphen.

Dahinter steckt die gar nicht deutlich genug hervorhebbare, wenn auch nur vorläufige Wahrheit, dass in der Schulmathematik zunehmend auch berechnet werden kann, was gezeichnet werden kann - und umgekehrt.

Vgl. Anmerkung unten.

  1. das grundlegende Beweisverfahren, und d.h.:

immerhin der Nachweis, dass die Gleichung f (x) = - f (-x) für eine konkrete Funktion und ein konkretes x gilt, dass also z.B. f (4) = - f (-4) für die Funktion f: y = 5x3 + 7x gilt.

Hier muss immerhin noch gewusst und anschaulich gemacht werden, dass selbstverständlich mit der Symmetrie eines Punktes natürlich noch lange nicht die Symmetrie des ganzen Graphen bewiesen ist.

  1. Freiraum
  1. die SchülerInnen können die Symmetrie für alle Punkte einer konkreten Funktion beweisen, dass also z.B. f (x) = - f (-x) für die Funktion f: y = 5x3 + 7x gilt.
  2. die SchülerInnen können die Symmetrie für alle Punkte einer ganzen Funktionsklasse beweisen, dass also z.B. f (x) = - f (-x) für die alle Funktionen der Art f: y = ax3 + bx gilt.

Diese Hierarchie ist nochmals auf einer anderen Ebene binnendifferenzierbar, nämlich je nach Funktionenklasse. Z.B.

so ist beispielsweise der allgemeine Beweis, dass alle (also auch gestreckte/gestauchten und verschobenen) quadratischen Parabeln

sind, für SchülerInnen einer 10. Klasse schon arg schwierig, weil das ein unschönes Gewusel mit vielen (Form-)Variablen setzt.

Aber das heißt eben nicht, dass man mit SchülerInnen einer 10. Klasse gar nicht erst in solche "Höhen" aufsteigen sollte. Sondern im Gegenteil

(Und dann können SchülerInnen auch überprüfen, ob sie sich überhaupt für solche [inner-]mathematischen Fragestellungen interessieren.)

Nun kann man ja im Unterricht differenzieren, indem man die SchülerInnen parallel auf die verschiedenen Schwierigkeitsstufen ansetzt bzw. ihnen die Wahl lässt.

(Und es gibt immer wieder SchülerInnen, denen es eine "Ehre" ist, in Hausaufgaben auf solche Schwierigkeiten angesetzt zu werden.

Die "Ehre" entsteht auch dadurch, dass sie später ihre Ergebnisse allen MitschülerInnen vorführen, was unbedingt nötig ist, damit Binnendifferenzierung nicht zur völligen Zersplitterung führt. Und "Vorführen"

Und genauso kann man auch Klassenarbeiten stellen

(wobei das Verfahren nur dann zweifelhaft wäre, wenn überhaupt nur eine Aufgabe dieser Art bzw. überhaupt nur solche Aufgaben auftauchen würden):

Die SchülerInnen können sich selbst ihre Schwierigkeitsstufe wählen:

  1. eine konkrete Funktion, ein konkreter x-Wert,
  2. eine konkrete Funktion, beliebiger x-Wert,
  3. eine ganze Funktionenklasse mit beliebigen x-Werten.

Weil man nun aber nicht von SchülerInnen verlangen kann, dass sie sich freiwillig eine Aufgabe wählen, die automatisch (nur im Hinblick auf diese eine Aufgabe gerechnet) zu einem "mangelhaft" führt, darf es bei keiner richtigen Lösung von B., C. oder D. (und d.h. insbesondere bei der leichtesten Aufgabe B.) ≤ die halbe Punktzahl geben.

Zudem müssten SchülerInnen mindestens einen kleinen, eher lässlichen Fehler machen dürfen, ohne damit gleich über die "Kante" zum "mangelhaft" zu rutschen.

Denkbar wäre also folgende Bepunktung:

  1. 12
  2. 16
  3. 20

(wobei die Dopplung der Punkte [statt z.B. 6, 8 und 10] deshalb gewählt wurde, damit andere [Standard-]Aufgaben relativ gering bewertet werden können.)

Das System schließt zudem nicht aus, dass jemand sich "hocharbeitet", also z.B.

Umgekehrt ist es ja auch für jemanden, der sich durchaus D. zutraut, empfehlenswert, es erst mal an B. auszuprobieren.

Klar dabei ist nur, dass man keine Punkte summieren kann bzw. dass die Höchstgrenze 20 Punkte ist und bleibt.


Ein weiteres schönes Beispiel für eine mögliche Binnendifferenzierung ist die Ermittlung der Kreisfläche mittels Parkettierung durch ein Quadrat und dann "außenrum" zunehmend feinere Dreiecke:

  1. kann man das Prinzip gemeinsam herleiten oder aber EinzelschülerInnen  und Gruppen seine Entdeckung (angeleitet) überlassen;

  2. sind verschiedene Schwierigkeitsgrade in Gruppen möglich:

Wichtig dabei ist: alle Gruppen haben hinterher das Grundprinzip verstanden, und beispielsweise zeigen die "komplexeren" Gruppen den "einfacheren" hinterher "nur" die Verfeinerungen bzw. Weiterführungen des grundlegenden Prinzips.


Anmerkung: Diese "Wahrheit" über die "Vermählung" von Geometrie und Algebra ist ein wichtiger, immer wiederkehrender Punkt in allen Schuljahren, also z.B. auch schon bei der Winkelsumme (wir können mit geometrischen Gegenständen rechnen!) oder bei der Satzgruppe des Pythagoras.

Die "Wahrheit" hat den bedeutenden Vorteil, dass sie

  • Perspektive in den Unterricht bringt, also zukünftige Ziele setzt

(Z.B. als Vorankündigung in der 10. Klasse, dass in der 11. Klasse auch die offensichtlichen "Scheitelpunkte" [Minima/Maxima] von Funktionen dritten Grades berechnet werden können, was in der 10. Klasse noch nur bei quadratischen Funktionen möglich ist),

  • aber auch ermutigt: "wenn ich´s zeichnen kann (was oft leichter fällt), müsste es auch auszurechnen sein."

Nachteil dieser Wahrheit ist, dass sie den gefährlichen Mythos unterstützt, dass überhaupt alles (im Leben) berechenbar ist. Dagegen ist - und zwar regelmäßig! - mit grundsätzlich oder derzeit unlösbaren Aufgaben anzugehen.

Irgendwann mag es sogar angebracht sein, explizit zu zeigen, dass die "Wahrheit" nur vorläufig war und überwunden werden muss; dass nämlich die Algebra die Geometrie überflügelt

(die Rechnung über die Anschauung hinausgeht und dennoch richtig ist, also in "unbekannte, anders gar nicht zugängliche Kontinente" führt).

Es ist dann etwa zu zeigen, dass mehr algebraische als geometrische Orte rauskommen können

(vgl. etwa die Ortslinie des Inkreismittelpunkts eines Dreiecks, wenn sich einer der Dreieckseckpunkte z.B. auf einer Geraden bewegt: da ergeben sich algebraisch Punkte [und werden auch von einigen CAS mit internem algebraischem Algrorithmus angezeigt], die geometrisch unmöglich sind, nämlich außerhalb des Dreiecks liegen;
das Beispiel verdanke ich Herrn Thomas Gawlick).

Das Problem dabei ist allerdings, dass die zugehörige Mathematik nicht gerade einfach und deshalb, wenn überhaupt Zeit dafür ist, nur in sehr "guten" Kursen oder Facharbeiten möglich ist.