erst denken, dann (gar nicht mehr) rechnen

vgl. "erst denken, dann sprechen"

 

"Heisenberg bemerkt [...]: »Wer nicht selbst ein wenig von der Bedeutung dieses Wunders [dass Newton Erd- und Himmelsmechanik verbinden und in einige wenige Gleichungen packen konnte] verspürt hat, kann nie hoffen, etwas vom Geist der modernen Naturwissenschaft zu verstehen.«
[...] der Hinweis [scheint] nicht unangebracht, daß es genau dieses Spüren des Besonderen und Wunderbaren ist, welches den heutigen Studenten der Physik nicht mehr beigebracht wird. Sie fühlen nichts von der Physik, die sie betreiben sollen, und so kommt ihnen zum einen nicht die Einseitigkeit ihres Vorgehens in den Sinn, und so bekommen sie zum zweiten auch nichts von dem Geist zu fassen, der ihre Wissenschaft in ihren großen Tagen erfüllt hat und den sie wieder benötigt. Tatsächlich nehmen Studenten inzwischen nicht nur als schlichte Rechenübung hin, was für Newtons Zeitgenossen einem Wunder gleichkam, sie lassen sich auch in völliger Gleichgültigkeit die Grundgleichungen der Quantentheorie vorlegen, ohne auch nur die geringste Ahnung von dem geistigen Abenteuer zu spüren, das hinter ihrer Entdeckung steht. Natürlich erwartet niemand von einem Touristen, seine Urlaubsreise mit derselben Erregung und ähnlichen Gefühlen anzutreten, mit denen Seeleute wie Kolumbus oder Flieger wie Lindberg sich auf ihren Weg gemacht haben. Aber wenn die Studenten der Physik nicht zu bloßen Konsumenten ihrer Wissenschaft verkümmern wollen, dann muß sich an der Lehre (und an den Lehrern) etwas ändern [...]"

zitiert nach:  S. 214

Allerdings ist mir das ein bisschen arg nostalgisch: auch schon früher werden nur die Kreativeren gestaunt haben können: die anderen haben damals die Heisenbergsche Unschärferelation ja auch nicht gefunden (und wer traut sich schon im Nachhinein zu, dass er sie hätte finden können?).

   

vgl. auch


Eine Banalität fast als Entschuldigung vorweg: natürlich muss man auch (als Handwerkszeug) rechnen bzw. komplette Lösungswege durchführen können.


Letztens hatte ich das Vergnügen, eine Schülerin aus einem 12.-Klasse-Mathematik-Leistungskurs in einem nachmittäglichen Crashkurs auf sogenannte "Steckbriefaufgaben" vorbereiten zu dürfen.

Dabei zeigten sich typische Probleme, die um so bemerkenswerter sind, als die Schülerin ansonsten hochintelligent ist:

  1. scheiterte vieles schon an der reinen Begrifflichkeit: "Quader", "horizontal/vertikal" sowie "achsenparallel" waren unbekannt, und dementsprechend verlief sich die Schülerin: z.B. bei "Quader" probierte sie alles durch, u.a. auch teuflisch schwierige Pyramidenstümpfe;
    nun lassen sich Begriffe ja schnell erklären (und "achsenparallel" durch "parallel zu jeweils einer der beiden Koordinatenachsen" verbessern); viel wichtiger scheint es mir aber, echte Anschauung zu schaffen, d.h. z.B. einen Quader (Tafelschwamm) vorzuführen;

(Schon gar nicht war in dem Kurs jemals erklärt worden, weshalb die "Steckbriefaufgaben" eigentlich so [treffend!] heißen: weil


(vgl. und )

Vgl. auch nach den Anschlägen auf das World Trade Center und das Pentagon derzeitige Rasterfahndungen nach

  1. männlich

  2. islamische Religionszugehörigkeit ohne nach außen tretende fundamentalistische Grundhaltung

  3. legaler Aufenthalt in Deutschland

  4. keine eigenen Kinder

  5. Studientätigkeit (technische Studienfächer)

  6. Mehrsprachigkeit

  7. Keine Auffälligkeiten im allgemeinkriminellen Bereich

  8. rege Reisetätigkeit

  9. häufige Visabeantragungen

  10. finanziell unabhängig
  11. Flugausbildung.

[zitiert nach ])

  1. die (Oberstufen-!)Schülerin hatte gnadenlos alles von der Tafel abgeschrieben bzw. abgezeichnet, u.a. eine Strahlensatzfigur, bei der die zentrale Voraussetzung, nämlich zwei parallele Schnittgeraden, nicht gegeben war;

  2. die simpelsten (und dringlichsten) Grundlagen, z.B. die Potenzgesetze, waren nicht vorhanden; da packt man sich doch an den Kopp: die SchülerInnen sollen "ableiten" - und beherrschen nicht mal die Potenzgesetze; was doch wohl (am Beispiel solch einer hochintelligenten Schülerin) heißt: die Schule hat komplett versagt!
    (Das sage ich im bitteren Bewusstsein, wie wenig von meinem eigenen Unterricht hängen bleibt.)

  3. da wurde sinn- und verstandlos drauflosgerechnet, ohne die mindeste Anschauung vom Problem.

Alle Mathematik blieb für die Nachhilfeschülerin tot (blindes Rechnen), und so ist wohl oftmals eine Mathematikstunde

Nun kann man allerdings kaum erwarten, dass die Mathematik von Anbeginn an ein Farbfilm ist, sondern sie muss wohl erst langsam entwickelt und farbig werden.

Der Gerechtigkeit halber sei ergänzt:


Meine dringliche Frage im Folgenden ist also:

(Wie) kann man erreichen,
  • dass SchülerInnen erst denken und dann rechnen, d.h.

  • dass sie vor aller (oftmals notgedrungen abstrakten) Rechnung erst mal eine Vorstellung vom Problem und vom möglichen Lösungs"raum" bekommen?

Das scheint mir zumindest in der Anfangsphase wichtig. Später, wenn das Procedere gefestigt und die universelle Anwendbarkeit motiviert ist, mag und muss ja tatsächlich das Routinerechnen folgen.


1.

Ich fange bewusst mal rein innermathematisch an, weil das im Unterricht ja oftmals (leider?) noch die Regel ist und viele sogenannte "Anwendungsaufgaben" doch nur vorgeschoben bzw. "eingekleidete Mathematik" sind (s.u.):

angenommen, es wurde mittels der 1. Ableitung (= 0) gezeigt, dass

Um heraus zu bekommen, ob f ''() > 0 ist (womit tatsächlich ein Minimum vorläge), werde ich doch den Teufel tun, den scheußlichen Wert in 3x2 + 4x +5 einzusetzen und dann ewig lange

(unter anderem durch Anwendung einer binomischen Formel)

zu rechnen, bis tatsächlich ein Wert herauskommt, der eindeutig größer als Null ist.

(Und schon gar nicht hilft hier ein [Taschenrechner-]Rechnen mit der Dezimalnäherung, also  1,59 ≈ .

Denn der Näherungswert könnte ja beispielsweise eben nicht mehr das Minimum, sondern das Maximum der Funktion sein [beide lägen nur "verdammt" nah beieinander], womit ich dann - wegen f '' (1,59) < 0 - fälschlich auch für ein Maximum annehmen würde.)

Sondern ich überschlage doch nur:

  1. => 4() > 0 ,

  2. da x2 quadratisch ist, ist es sowieso Null, also auch 3x2 ≥ 0,

  3. 5 > 0 .

Aus 1., 2. und 3. folgt aber, dass 3x2 + 4x +5 > 0 für x = .

D.h. aber doch, dass ich f '' ( ) > 0 und damit das Minimum zeigen konnte, ohne jemals mit dem scheußlichen Wert zu rechnen.

Es sei allerdings eingestanden, dass dieser "leichtere" Weg viel voraussetzt (und so gesehen sogar schwieriger ist): ein "Gespür" für Wurzeln und Quadrate.

Natürlich funktioniert das nur so einfach, wenn in der (hier frei erfundenen) 2. Ableitung kein einziges Minuszeichen vorkommt.


2.

Zu einem zweiten Beispiel dafür, dass die Anschauung schon die "halbe Miete" sein kann, siehe die Kugel-/Kegelaufgabe in "welche Aufgabe wie stellen?"


3.

Astronauten werden auf ihren Aufenthalt im Weltall dadurch vorbereitet, dass ein Flugzeug eine parabelförmige Bahn fliegt und dabei in ihm kurzzeitig Schwerelosigkeit herrscht

(nebenbei: für alle an Bord, also auch die Piloten!).

Die "Steckbriefaufgabe" besteht nun darin, zwischen einer linearen Aufstiegs- und einer linearen Abstiegsfunktion die passende Parabel herauszufinden.

Nur was soll das alles, wenn nicht (physikalisch!) klar wird, warum

Wenn man den physikalischen Grund

(Wurfparabel)

nicht durchnimmt, lasse man ehrlicherweise die gesamte Astronautenaufgabe weg und bleibe rein innermathematisch.

Zudem macht die Aufgabe wird die Aufgabe erst sinnfällig (d.h. den Sinnen zugänglich), wenn ihre Dramatik geradezu körperlich spürbar wird:

"Der Flug an sich ist ziemlich spektakulär und aufregend. Und sehr ungewohnt für »erdgebundene« Reisende. Die ESA hat einen schubstarken Airbus A300 für ihre Zwecke umgebaut. Zweieinhalb Stunden fliegt der Airbus Richtung Atlantik, weg vom Heimatflughafen bei Bordeaux, und vollführt dabei etwa dreißig mal immer wieder das Gleiche Flugmanöver:

Auch flugerfahrene Passagiere können sich leicht ausmalen, wie der Magen auf einen solch brutalen Wechsel von zweifachem Körpergewicht – Schwerelosigkeit – usw. reagiert.
Und das ununterbrochen im Minutentakt, rauf und runter ... Ein Zwischenstopp wegen Unpässlichkeit ist nicht vorgesehen.
Doch nichts – so sagen die, die das Glück hatten, mitzufliegen – ist vergleichbar mit dem Gefühl der Schwerelosigkeit."
(Bild- und Textquelle: )

Nebenbei: in dem Text sind schon alle Werte für eine nun tatsächlich mal realitätsnahe Rechnung vorhanden!

Und der Text macht auch schon deutlich: wenn das Flugzeug im Steilflug himmelan erst mal genug "Power" hat, braucht der Pilot gar nichts mehr zu tun: "Herunterdrosseln der Triebwerke", d.h. das Flugzeug "fällt" jetzt von selbst, und zwar in einer "Wurf"-Parabel (d.h. es steigt anfangs natürlich noch). Schon gar nicht - und das zerstört wieder ein wenig die "Anwendungsaufgabe" - muss der Pilot absichtlich eine Parabel fliegen (sie berechnen bzw. dem Bordcomputer eingeben), sondern die ergibt sich im Fall von selbst, und genau darauf beruht ja die Schwerelosigkeit: die Insassen "fallen" mit dem Flugzeug. Aber dennoch ist es sinnvoll, die Parabel zu berechnen, damit man immerhin weiß, wann man nachher das Flugzeug wieder abfangen muss und wo man dann überhaupt ist (über dem Boden, bzgl. anderer Flugzeuge ...).

Das sagt sich so leicht bzw. hört sich so harmlos an: "Durchstarten mit vollem Schub himmelwärts [...]". Man bedenke, dass der Airbus 300 eine Riesenmaschine (54 m lang, 90 t schwer [Leergewicht]) ist!

Und wenn man mal sozusagen in 3D und fast schon in "Echtzeit" mitbekommen will, was bei solch einem Parabelflug an Bord passiert, schaue man doch mal unter   nach.

Es ist wie so oft im Unterricht: er sollte zwar immer mal wieder so realitätsnah wie möglich sein, aber einige Erlebnisse bleiben uns nun mal vorenthalten

(wir können bei solchen Flügen nicht mitfliegen, und das Magengrummeln während eines Parabelflugs lässt sich leider/glücklicherweise nicht simulieren).

Und doch kann man (wie bei jedem Gedicht im Deutschunterricht) Assoziationsbrücken bauen:

"Völlige Schwerelosigkeit, Andruck wie bei einem Raketenstart - bis zum Vierfachen der Erdschwerkraft muss der menschliche Körper in einer Achterbahn aushalten. Moderator Ingolf Baur machte für [die Fernsehsendung] nano den Test.

Eine Vielzahl von Sensoren für Blutdruck und Sauerstoffgehalt hat während der Fahrt mit dem Silverstar, Europas größter Achterbahn, die Reaktion seines Körpers auf die auftretenden enormen Beschleunigungen gemessen. An "schnellen" Stellen wirkt die vierfache Erdbeschleunigung, auf den Kuppen herrscht Schwerelosigkeit. Achterbahn-Fahrten könne man am besten mit Kunstflügen vergleichen, meint die Medizinerin Annkathrin Lehr."
(zitiert nach
)

Selbstverständlich kann man Schwerelosigkeit auch viel einfacher haben:


(Fahrstuhl des Grauens)

"Wenn sich ein Mensch im freien Fall befindet, wird er seine eigene Schwere nicht empfinden können."

Man könnte also die angehenden Astronauten auch einfach (mit Fallschirm) aus dem Flugzeug werfen. Der Nachteil wäre nur, dass das erheblich unkomfortabler wäre und auch viele Übungen für das Leben an Bord eines Raumschiffs dann unmöglich wären. Und schon gar nicht kann man, wenn man halbwegs verantwortungsbewusst ist (Gefährdung der Menschen, aber auch Materialüberlastung), den gesamten Airbus im Sturzflug nach unten fallen lassen wie einen Sturzkampfbomber.

Warum ich solch eine Banalität wie

"Wenn sich ein Mensch im freien Fall befindet, wird er seine eigene Schwere nicht empfinden können."

zitiere?

Weil es eben keine Banalität und auch nicht so "selbstverständlich" ist, wie oben gesagt. Immerhin stammt das Zitat von Albert Einstein und geht folgendermaßen weiter:

"... Mir ging ein Licht auf. Dieser Gedanke beeindruckte mich nachhaltig. Die Begeisterung, die ich empfand, trieb mich dann zur Gravitationstheorie [d.h. der allgemeinen Relativitätstheorie]."

Genau das war typisch für Einstein: dass er noch über ganz Simples, vermeintlich allzu Selbstverständliches staunen konnte - und dann zu einer irrwitzig komplizierten, aber auch wunderschönen Theorie kam.

Die nur scheinbar so selbstverständliche Erkenntnis über den freien Fall hat Einstein später als "den glücklichsten Gedanken meines Lebens" bezeichnet.

Es ist manchmal schon merkwürdig: gerade "wir" MathematikerInnen und NaturwissenschaftlerInnen können das nicht mehr anschaulich und dramatisch vermitteln, was uns doch so wichtig ist: weil wir schon allzu mathematisch und naturwissenschaftlich denken und damit nicht mehr (wie durchaus noch die seinerzeitigen Entdecker) staunen können. Wir fangen mit der fix und fertigen Gleichung s = ½ gt2 für den freien Fall an, statt mit ihr aufzuhören.

Manchmal muss man also nicht nur vorher denken, sondern auch vorher (geradezu körperlich) fühlen. Auch das ist nötig, um die rechnerischen Ergebnisse hinterher einschätzen bzw. sogar erleben zu können, damit sie nicht abstrakte Zahlenwerte bleiben:

"wer (noch) nicht rechnen kann, muss (erst mal) fühlen!",

aber auch

"wer (durchaus schon) rechnen kann, muss auch fühlen!"

Ein ähnliches Beispiel: wenn man Schwertransporte als Einstieg in die Tangenten-/Ableitungsproblematik nutzt (vgl. ), so liegt es doch nahe,

Vor aller Mathematisierung muss doch anschaulich werden, was für ein irrwitziger Aufwand für solche Schwertransporte nötig ist und welche immensen Probleme bei Hindernissen (Brücken, Ortsdurchfahrten ...) gemeistert werden müssen: ich habs mal erlebt, dass wegen solches eines Schwertransports auf einer Kreuzung sämtliche Schilder und Ampeln wegrasiert wurden - und der Fahrer (Künstler am Steuer!) dennoch nur mit stundenlanger Millimeterarbeit durchkam.

Da stellt sich doch die Frage: wie berechnen Schwertransportbetriebe Hindernisse - und rechnen sie überhaupt? Gut wären hier wohl Kontakte zu solchen Firmen - und noch besser solche vor Ort.


4.

Ein allseits

(bei LehrerInnen; aber auch bei SchülerInnen???)

beliebter Aufgabentyp ist auch die Verbindung zweier linearer Straßenstücke durch eine glatt anschließende Kurve.

Das klingt so schön nach knackiger, richtig handgreiflicher Anwendung, nämlich nach Landschaft-Umpflügen und Das-Unterste-zuoberst-Kehren.

Mathematisch bis zum Skelett vereinfacht (aber dann auch für SchülerInnen erst halbwegs berechenbar) sieht das so aus:

In dieses Problem würde ich natürlich nicht einsteigen, indem ich schon vorgäbe:

"Gib eine Funktion dritten Grades an, die an den Anschlussstellen P (1 | 1) und Q (0 |0) dieselbe Steigung hat wie die Strecken."

Damit wäre schon alle Luft aus der Aufgabe raus. Sondern die Aufgabenstellung müsste natürlich viel offener sein, also etwa

"Welche Verbindungsstrecken sind möglich und [weshalb] sinnvoll."

Dabei könnte auch ein Kriterium aufkommen, das bei dieser Sorte Aufgaben üblicherweise nicht mitbedacht wird, aber (z.B. neben ökologischen Vorgaben) durchaus wichtig ist, nämlich:

"Gesucht ist eine möglichst kurze Verbindung."

Insbesondere sollten aber doch schon die ganz praktischen Vorerfahrungen der SchülerInnen aufgenommen werden, die

Oder ein geeigneter Einstieg wäre auch die Überlegung, warum Autobahnkreuze wohl die typisch kleeblattartige Form haben:

(was ja immerhin auch [weshalb?] seinen ästhetischen Reiz hat).
 

Ansonsten soll es mir hier (anders als in 3.) aber nicht um die tatsächliche oder vermeintliche Anwendbarkeit gehen, sondern um

die Frage, ob man das Ergebnis schon vorher absehen und somit das spätere rechnerische Ergebnis daran messen kann.

Als mathematische Informationen liegen vor:

  1. f(0) = 0

  2. f(1) = 1

  3. f '(0) = 1

  4. f '(1) = 0

Auch das müssen SchülerInnen sehen lernen (und sollte nicht vorweggenommen werden): das sind vier Bedingungen, also wird wohl alles

("... wie ich den Laden hier kenne" bzw. "Nachtigall, ick hör dir trapsen")

auf eine Funktion f(x) = ax3 + bx2 + cx + d, also eine Funktion  dritten Grades hinauslaufen, da darin vier Unbekannte vorkommen. Oder umgekehrt: der Lehrer fragt nach einer Funktion dritten Grades, also muss ich so lange suchen, bis ich vier Bedingungen gefunden habe.

(Eigentlich wundert es mich ja doch, dass SchülerInnen oftmals nicht sehen, wie absehbar [mundgerecht] die gesamte Standardschulmathematik ist [und oftmals sein muss], weil alles vom derzeitigen mathematischen Inhalt aus gedacht ist.

Wobei allerdings noch lange nicht ausgemacht ist, ob solch eine Funktion dritten Grades die anwendungstechnisch beste Lösung ist:

  1. könnte ja eine Hyperbel- oder Sinusverbindung viel besser sein;

  2. ist tatsächlich eine Funktion fünften Grades sinnvoller, bei der die Wendepunkte in den Anschlussstellen an die Strecken liegen: der Übergang bei Wendepunkten ist viel "sanfter" und daher mit dem Auto leichter zu fahren.
    Solch eine genauere Untersuchung der sonst eher verborgenen Eigenschaften von Wendepunkten wäre ein schönes Exkurs-Thema.)

Nun kann man mit o.g. mathematischen Informationen natürlich sofort (stumpf und blind) losrechnen.

Aber lässt sich nicht schon vorher erahnen, welche Funktion dritten Grades überhaupt herauskommen kann?

(... wobei man sich natürlich intuitiv ganz schön "verhauen" kann, ja es sogar Beispiele wie etwa das Geburtstags- oder Ziegenproblem gibt, bei denen die Mathematik sozusagen über die Anschauung hinaus reicht und ihr regelrecht widerspricht. Das [d.h. auch die Beschämung oder aber "Erhöhung" des "gesunden Menschenverstands"] ist ja gerade der "Gag" solcher Beispiele.)

Wegen waagerechten Anschlusses in P (1 | 1) an die violette rechte Strecke muss dort das Maximum oder Minimum der Funktion dritten Grades liegen:

da wird man

(vorausgesetzt, es sind grundsätzliche Vorstellungen über Graphen dritten Grades vorhanden; vgl.  )

versucht sein, erst solch einen "Standard"-Graphen

in das Bild hinein zu legen.

Es ergeben sich prinzipiell die beiden folgenden Möglichkeiten:

  1. Minimum des Graphen in P(1 | 1):

  1. Maximum des Graphen in P(1 |1 )

In beiden Fällen sieht man (???), dass - hier ohne nähere Begründung - der jeweilige Graph in Q (0 | 0) nicht glatt anschließt.

Nun erst denkt man vielleicht daran, dass - bei negativem a - ein Funktionsgraph dritten Grades auch so aussehen kann:

Es ergeben sich analog zu oben die beiden folgenden Möglichkeiten:

  1. Minimum des Graphen in P(1 | 1):

... eine Möglichkeit, die von Anfang an ausgeschlossen ist, weil der linke Zweig nach oben geht und deshalb nie durch Q (0 | 0 ) laufen wird.

  1. Maximum des Graphen in P(1 |1 )

... ganz offensichtlich die einzig überzeugende Möglichkeit.

Nur durch solches Herumprobieren mit möglichen Graphen ahnt man also schon:

,

Da wundert es einen schon gar nicht mehr, wenn hinterher rechnerisch und also exakt heraus kommt:

f(x) = - x3 + x2 + x


5.

Ein weiteres beliebtes "Anwendungsbeispiel" ist die "Glasscheiben-Aufgabe":

1. Version:

"Aus einem dreieckigen Glasrest soll eine möglichst (flächen-)große rechtwinklige Scheibe geschnitten werden."

(wobei zwei Seiten des Rechtecks parallel zu den Koordinatenachsen und ein Eckpunkt auf der Parabel liegen soll[en])

(Der "Gag" der Aufgabe besteht natürlich darin, dass man normalerweise nicht eine dreieckige, sondern nur eine rechteckige Glasscheibe braucht.
Woher kam denn dann der dreieckige Rest?

[Da geben MathematikerInnen manchmal die fadenscheinigste und gleichzeitig entlarvendste Antwort: "der Rest ist zufällig abgebrochen": deshalb ja Glas, denn "Glück und Glas/wie leicht bricht das".]

Und wenn man schon so "anwendungskritisch" fragt: man braucht niemals eine möglichst große Glasscheibe, sondern eine zu einem vorgegebenen Rahmen.

Schon gar nicht wird jemand die möglichst große rechteckige Scheibe berechnen, sondern wenn überhaupt, so entscheidet er nach Augenmaß [und vertut sich da eventuell].

Und doch liegt gerade hier die "Rettung" der Aufgabe:

  1. würde ich natürlich nicht gleich mit der Frage nach der größtmöglichen Scheibe anfangen, sondern [etwa mittels einer Animation] alle Möglichkeiten und die dabei entstehenden Effekte durchspielen lassen, womit sich geradezu automatisch die Frage nach der größten Scheibe ergibt, weil

  • zwischen einer sehr hohen und schmalen [also flächen-kleinen]

  • und einer sehr flachen und breiten [ebenfalls sehr flächen-kleinen]

  • tatsächlich eine größte "sichtbar" wird.

  1. werden solche Aufgaben ja vielleicht nicht nur wegen der Rechnungen, sondern auch zur Ausbildung eines "Augenmaßes" gestellt, und das braucht beispielsweise ein Arbeiter in einer Schreinerei ja tatsächlich, wenn er Resteverwertung betreiben möchte.)

2. Version (meist im Anschluss an die 1. Version), um die es hier viel genauer gehen soll:

Die Glasscheibe ist - aus welchen an den Haaren herbei gezogenen Gründen auch immer - parabelförmig zerbrochen, und zwar ausgerechnet nach der Formel

f(x) = (x-3)2 + 2,5

(Es ist schon ausgesprochen nett vom Zerbrechen bzw. Zufall, dass er sich so fein mathematisch verhält!)

Wieder besteht die Aufgabe darin, aus diesem (parabelförmigen) Reststück eine flächengrößte rechteckige Scheibe auszuschneiden:

Die SchülerInnen werden nun, wenn bereits die 1. Version bearbeitet wurde, siegesgewiss analog (und stumpf) drauflos rechnen und (hier ohne Erklärung) ein Maximum der Flächenfunktion F(x) = Rechteckbreite ● Rechteckhöhex ● [ (x-3)2 + 2,5] für x = ≈ 1,5918 erhalten.

Und dieses durchaus logische Ergebnis ist schlichtweg falsch (die Fläche ist dann ≈ 7,136), weil ein Randextremum für x = 3 vorliegt (die Fläche ist dann größer, nämlich 7,5 ).

Die fälschlich als größte berechnete Rechtecksfläche ist also

,

die tatsächliche größte aber jene mit einer Ecke im Scheitelpunkt der Parabel:

Wie aber wird man auf den Fehler, der doch so eindeutig raus kommt und richtig scheint, aufmerksam, d.h. wie kommt man überhaupt auf die Idee, mit dem Rand (x = 3) zu vergleichen?

Im üblichen Unterricht ist da (in der Reihenfolge der beiden Versionen) eine Falle beabsichtigt, d.h. die Lehrkraft weist erst nachher auf den Rand und den sich dort ergebenden wahren Extremwert hin.

(Ehrlich gesagt, dient die 2. Version ja meist überhaupt nur dazu, auch mal auf Randextrama zu kommen.)

Solch nachträgliche Überraschung mag ihren Sinn haben

(manchmal will und muss man die SchülerInnen ins offene Messer der Überraschungen laufen lassen, damit auch die Mathematik nicht als völlig determiniert erscheint und die SchülerInnen lernen, vorsichtig zu sein sowie rechnerischen Ergebnissen zu misstrauen;

der Fairness halber bekenne man dann aber auch frank und frei:

"ich wäre ohne einschlägige Übung bzw. Kenntnis des Problems auch nicht darauf gekommen, ja die Aufgabe wird [von mir] doch nur wegen dieser Abweichung gestellt").

Aber solch eine nachträgliche Korrektur hat doch auch was von Beschämung und Spitzfindigkeit.

Wie also könnte man dazu beitragen, dass die SchülerInnen vielleicht selbst darauf kommen bzw. vor aller Rechnung bedenken, dass der Rand zu berücksichtigen ist?

Mir scheint da ein kombinierter Ansatz hilfreich:

  1. Gebe man den SchülerInneN auf keinen Fall schon eine Zeichnung vor, und zwar

Damit wäre nämlich schon jede Frage abgewürgt (vgl. "welche Aufgabe wie stellen?" ).

  1. Eine Kombination von

und zwar in genau dieser Reihenfolge:

  1. rein innermathematisch ist ja auch folgendes Rechteck möglich

,

und derart entstehen nach rechts unendlich große Rechtecke, stellt sich also erst mal gar nicht die Frage nach dem größten.

Die Flächenfunktion (für die möglichen Rechtecke) wäre da nebenbei

,

womit schon klar wird, dass das lokale Maximum keineswegs ein absolutes Maximum ist.

  1. Erst im zweiten Schritt wird zur (Pseudo-)Anwendung, also der Glasscheibenaufgabe, übergegangen: jetzt dürfen die gesuchten rechteckigen Glasscheiben natürlich nicht mehr in das violette (glaslose) Feld hinein reinragen:

Und man könnte die Glasscherbe ja zusätzlich noch rechts abbrechen, so dass rechts ganz offensichtlich gar kein maximales Rechteck mehr möglich wäre:

(... wobei aber wegen der Randproblematik der Scheitelpunkt der Parabel noch in der Glasscherbe liegen muss)

Was die SchülerInnen so vielleicht viel eher herausfinden, ist, dass

  1. ein lokales Extremum nicht immer automatisch ein absolutes Extremum ist,

  2. sich rechnerisch nur lokale Extrema ergeben, wenn

  • zwar keine absoluten Extrema mehr vorkommen
    (der häufige Irrtum ist nämlich, dass immer ein absolutes Extremum vorkommen muss, wenn auch ein lokales vorkommt: wir schließen alle allzu leicht von "größer" auf "der Größte"),

  • der Funktionsgraph aber anderswo höher (tiefer) liegt,

  • also "außen" unendlich steigt (fällt).

(überhaupt scheint mir, dass im Schulunterricht viel mehr [vor aller Rechnung bzw. neben ihr] grundsätzlich mögliche Funktions[graphen]verläufe durchgenommen werden müssten; vgl. )

  1. rechnerische Ergebnisse oftmals durch die Anwendung "beschränkt" oder gar ausgeschlossen werden

(z.B. negative algebraische Lösungen bei der Anwendung auf Geometrie)

bzw. einen anderen Sinn erhalten.

Es reicht allemal nicht, was so oft im Schulunterricht (z.B. auch bei Wurzelfunktionen) geschieht: dass die Ausnahmen von der Regel nur ab und zu als Exoten durchgenommen werden. Das vermittelt auch ein völlig falsches Bild von der Mathematik, nämlich dass sie angeblich jedes Problem und jedes eindeutig löst.

(Nicht diskutiert sei hier, ob es nicht viel geeignetere und sinnfälligere Anwendungsbeispiele für Randextrema gibt.)


6.

"erst denken, dann (gar nicht mehr) rechnen"

kann auch variiert bedeuten:

"möglichst wenig rechnen
(vgl. das mathematische Faulheitsprinzip)
bzw. nicht zu Ende rechnen"

Ein weiteres innermathematisches Beispiel:

Gezeigt werden soll, dass sämtliche (quadratischen) Parabeln symmetrisch zu Geraden sind, die parallel zur y-Achse sind und durch die jeweiligen Scheitelpunkte gehen.

Da gibt es verschiedene Wege, von denen einer (vielleicht der komplizierteste) hier angedacht werden soll.

Anhand einer Planskizze macht man sich klar, was zu beweisen wäre.

Es wäre also zu zeigen, dass

f (d - h) = f (d + h)

für alle Funktionen f der Form y = ax2 + bx +c gilt, wobei

(Nebenbei: die Umsetzung

ist durchaus - für SchülerInnen - ein hartes Stück Arbeit, weil in der Zeichnung oben ja - entsprechend der Problematik von    - die Symmetrie ziemlich "um die Ecke" gedacht wird:

An der inzwischen völlig abstrakten Gleichung ist unbedingt anzugeben, worin der entscheidende Unterschied der ansonsten sehr ähnlichen Seiten liegt: dass links "minus h" und rechts "plus h" steht (was unten noch enorm wichtig wird).

Wir brauchen also als Erstes d in Abhängigkeit von den Koeffizienten a, b und c in der Funktionsgleichung f: y = ax2 + bx +c.

Oder anders gesagt: wir müssen y = ax2 + bx +c in die "Scheitelpunktsform" überführen, aus der wir d ablesen können:

       y = a   x2 + b x  +                          c

<=> y = a [ x2 + x                          + ]

<=> y = a [ x2 + x +()2 - ()2 + ]           quadratische Ergänzung

<=> y = a [ (x          + )2 - scheißegal   ]

Und genau um dieses völlig unmathematische "scheißegal" geht es mir: hier lässt sich (wenn man die Details der Scheitelpunktsform kennt) schon die x-Koordinate d des Scheitelpunkts als

d = -

ablesen, und nur diese brauchen wir für unseren Beweis, nicht aber die y-Koordinate des Scheitelpunkts, die sich hinter dem "scheißegal" verbirgt.

Genau solch unsauberes Rechnen muss man SchülerInnen beibringen, d.h. man muss es erlauben bzw. sogar regelrecht dazu ermutigen - wenn die SchülerInnen sagen können, weshalb das Ende so "scheißegal" ist.

(Eine interessante Frage ist es nebenbei auch, weshalb c gar nicht in d eingeht.)

zurück kommend auf

                                f (   d   - h) = f (  d   + h)

ist nun also zu zeigen:

                                        f (- - h) = f (- + h)

Die Berechnung sei vorerst nur für die linke Seite, also  f (- - h) durchgeführt

(wobei die allgemeine Funktionsgleichung - wir erinnern uns - f: y = ax2 + bx +c lautet und nun - - h für jedes x eingesetzt wird):

f (- - h) = a [- -                h]2 + b (- -  h) + c =

                 = a [()2-2()h + h2] + b(-) +  bh  + c =                Binomi

                 = a [()2-       + h2] + b(-) +  bh  + c =

                 = a ()2    - bh +   a h2  + b(-) +  bh  + c =

                 = a ()2            +   a h2  + b(-)           + c

Stopp, der Rest ist (wieder) "scheißegal": h - und das allein ist entscheidend - kommt nur noch quadratisch vor, und daraus folgt: für die rechte Gleichungsseite oben, also f (d + h), wird dasselbe herauskommen - WAS ZU ZEIGEN WAR.

Diskussion mit Kollegen über obiges "scheißegal":

(vgl. dazu

zitiert nach , 4.3.2003; vgl. auch )


7.

Zu Fakultäten siehe auch