Mathematik feiern
"Nichts wirklich Wichtiges ist ohne Leidenschaft erreicht worden."
(G. W. Hegel)
Um den Stolz auf eigene Leistungen zu erzeugen, muss man es ab und zu auch feiern, wenn man (im Kollektiv) zu einer besonderen Erkenntnis gekommen ist.
Ein Beispiel:
Der (Satz des) Pythagoras ist vom Hörensagen wohl auch jenen SchülerInnen am Anfang einer 9. Klasse ein Begriff, die ihn noch nie durchgenommen haben. Sie werden wissen, dass nun eine Grundlage der Mathematik kommt. Wenn man dann am entscheidenden Schritt angekommen ist und SchülerInnen am Ende des Beweises erkennen, dass
ein Widerspruch vorliegt,
die Teilerfremdheit aber kein Hindernis ist,
also die Anfangsbedingung (Darstellbarkeit durch Brüche) nicht gestimmt haben kann,
sollte man exakt diesen Moment feiern, wobei man durchaus mal dick auftragen kann:
Es ertönt ein Jubelruf (Heureka!),
der Lehrer hat urplötzlich ein schniekes Jackett an und
es ertönt lautstark die "Ode an die Freude".
Zu solcher Dramaturgie gehört es dann auch, zwar
einerseits (später) das Ergebnis zu sichern, aber eben auch
andererseits ausnahmsweise den Unterricht vorzeitig zu beenden: "Wir haben uns jetzt eine kleine Auszeit verdient."
Ab und zu muss die Lehrkraft auch mal Showmaster sein dürfen.
Pythagoras, so eine historische Anekdote, soll nach geglücktem Beweis seines berühmten Satzes hundert Ochsen geopfert haben:
Adalbert von Chamisso (1781 - 1838):
Vom pythagoreischen LehrsatzDie Wahrheit, sie besteht in Ewigkeit,
wenn einst die blöde Welt ihr Licht erkannt:
der Lehrsatz, nach Pythagoras benannt,
gilt heute wie er galt zu jener Zeit.Ein Opfer hat Pythagoras geweiht
den Göttern, die den Lichtstrahl ihm gesandt;
es taten kund, geschlachtet und verbrannt,
ein Hundert Ochsen seine Dankbarkeit.Die Ochsen seit dem Tage, wenn sie wittern,
dass eine neue Wahrheit sich enthülle,
erheben ein menschliches Gebrülle;Pythagoras erfüllt sie mit Entsetzen;
und machtlos sich dem Licht zu widersetzen,
verschließen sie die Augen und erzittern.
Der äußere Wahrheitsgehalt dieser Anekdote wird oftmals bezweifelt (weil Pythagoras Vegetarier gewesen sei), aber es geht doch vielmehr um die symbolische Bedeutung. Lewis Caroll (jadoch, der Autor von "Alice im Wunderlang" und Mathematiker) fand die Hinrichtung von hundert Ochsen allerdings arg übertrieben (was können die armen Ochsen dafür!?) und schlug stattdessen das gemeinschaftliche, freundschaftliche Leeren einer Flasche Wein vor.
Ein Jubelruf kann auch auf halbem Weg immens wichtig sein, um Teilerfolge zu erkennen (der Gipfel ist erklommen) und von da aus leichter weiter arbeiten zu können (jetzt folgt nur noch der Abstieg bzw. wird die Ernte unserer Mühen eingefahren):
Wenn es einem durch Polynomendivision gelungen ist, aus einem Term dritten Grades einen quadratischen Term abzuspalten, so sollte man auch wieder kurz feiern, denn "quadratische Terme können wir längst lösen (das ist Kinderkram)".
Andere, massenhafte Anlässe für eine Orgie gefällig?:
, was man endlich SELBST (nach-)entdecken durfte;
, was nunmal die (aufgrund unserer Genielosigkeit) aufregenden, nurmehr grenzenlos bewunderungswürdigen Taten der ausnamlosen Genies bleiben werden:
z.B.:
der Nachweis der Irrationalität oder
der "Hauptsatz der Differenzial- und Integralrechnung"
usw. usf.