Vorbemerkungen
ein konkretes Beispiel
Die Grundproblematik von Hilfen besteht darin, dass darunter oftmals eine Art "erste Hilfe" in dem Sinne verstanden wird, dass der "Patient" bewegungsunfähig oder gar bewusstlos am Boden liegt und man ohne seine Mithilfe alles für ihn tun muss. "Lass mich mal machen, ich zeige dir, wie´s funktioniert." Die Botschaft ist dabei "zwischen den Zeilen" oft sogar beschämend: "Du kannst das sowieso nicht und machst es mir eh nicht gut genug; Eine bessere Grundeinstellung wäre wohl die "Hilfe zur Selbsthilfe", womit eben gerade nicht Alleinlassen gemeint ist.
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Es ist klar, dass nicht jede Hilfe vorüberlegt sein kann. Das wäre nicht nur viel zu aufwendig, sondern Unterricht ist nun mal prinzipiell offen. Da helfen nur Gespür und Aufmerksamkeit für sich ergebende Probleme sowie langjährige Berufserfahrung im Umgang mit ihnen (eben "Tipps & Kniffe"). Aber selbst die bewahren einen nicht davor, manchmal völlig perplex zu sein und überhaupt nicht angemessen reagieren zu können.
Allerdings sollten Hilfen bei zwei Anlässen wohlüberlegt sein:
, wenn es um besonders wichtige fachliche oder methodische Inhalte des Unterrichts geht,
, sobald keine Lehrkraft mehr zu Verfügung steht, also beispielsweise bei Computerselbstlernmaterial (Hypertextmaterial u.ä.).
Kein Rechner (keine vorgeplante Hilfemöglichkeit) wird jemals so differenziert reagieren können wie eine (gute) Lehrkraft.
Aber stimmt das eigentlich? Schließlich muss eine Lehrkraft oftmals - was geradezu utopisch ist - auf 20 bis 30 SchülerInnen gleichzeitig reagieren, wird also vermutlich nur auf den "Mittelwert" der Fragen eingehen können und viele übersehen, während sich einE EinzelschülerIn aus einem gutem Computerprogramm ganz individuelle Hilfen raussuchen kann.
"Automatische" Hilfen nicht also nicht nur manchmal nötig bzw. unvermeidbar (etwa im Fernstudium), sondern sie haben durchaus auch ihre Vorteile: sie
sind jederzeit erreichbar,
wirken "objektiver": zwar ist natürlich auch solch eine Hilfe von einem Menschen erstellt worden (zumindest solange es noch keine "intelligenten" Rechnersysteme gibt), aber der verschwindet hinter dem Bildschirm, was eben auch den Vorteil haben kann, dass die Lernenden sich nicht beobachtet fühlen, sich ihres Unwissens nicht schämen müssen (?) und auch nicht bevormundet fühlen können (wenn auch Lernende sehr wohl spüren, wann ein "drill & kill"-Programm autoritäres Gehabe gleichzeitig vermittelt und verbirgt).
Wichtige Forderungen an ein ideales Hilfesysteme sind:
individuelle Differenzierungsmöglichkeit je nach Problem und Vorwissen;
wenn möglich verschiedene (wählbare) Lösungswege, damit nicht der Eindruck entsteht, es gebe nur einen (leicht zu verpassenden) Weg zum Ziel;
dennoch Übersichtlichkeit (woher komme ich, wohin möchte ich?);
Ergebnisse werden nicht bloß vorgerechnet, sondern es wird zu ihrem Selbstentdecken (und auch Nacharbeit von Vergessenem) angeleitet;
(obwohl eine gute Erklärung auch eine gute Hilfe sein kann);
kann daraus auch folgen: gewisse Informationen werden den Lernenden nur stückchenweise nacheinander gegeben bzw. (zumindest zeitweise) vorenthalten;
(aus 3. und 5. könnte etwa folgen: sichtbar ist immer
die Anfangsfragestellung,
der Weg bis zum derzeitigen Zeitpunkt,
Rücksprungmöglichkeiten (etwa nach einem Exkurs),
das Ziel,
aber nicht der noch vor einem liegende Weg)
ein (der Problemschwere, dem Alter, dem individuellen Leistungsstand ...) angemessener Ton, was auch heißt: weder Unter- noch Überforderung.
Eine Hilfe sollte nicht (nur) als Erziehungsmaßnahme wirken, sondern als eingeschobene produktive Forschungsaufgabe. Das gelingt etwa, wenn gezeigt wird, dass die zugrundeliegende Verständnisschwierigkeit naheliegend war (vgl. eine neue Fehlerkultur) und anderweitige Perspektiven eröffnet. Man könnte also überlegen, ob man Hilfen so gestalten kann, dass sie einen "Mehrwert" liefern, der über die Lösung des ursprünglichen Problems hinaus geht. Solch ein Mehrwert könnte etwa darin bestehen, dass
die SchülerInnen im Exkurs der Hilfe Besonderes, über den Unterricht hinaus Gehendes erfahren oder
die längerfristige Bedeutung des soeben Behandelten kennen lernen.
Es ist ja eben besonders wichtig, dass die SchülerInnen bemerken: Ich habe hier nicht nur einen lässlichen Fehler bei einem ansonsten nie wiederkehrenden Problem gemacht (wie schreibt man "Diarrhö[e]"?), sondern der Fehler kann sehr schwerwiegend werden, weil auf dem derzeit vorliegenden Problem viele Folgeaufgaben beruhen.
Letzteres könnte aber weniger als Drohung denn als Herausforderung vermittelt werden: "mit dem derzeit scheinbar Langweiligen lassen sich später große Probleme sehr einfach lösen".
Prinzipiell zu unterscheiden ist zwischen
punktuellen Hilfen bei einem gerade eben anstehenden Problem,
wiederkehrenden Hilfen bei Standardproblemen.
Bei letzteren wäre es wünschenswert, dass die SchülerInnen jederzeit Zugriff darauf hätten,
etwa per Hyperlinks auf eine Art Glossar bzw. auf eine Sammlung zum langjährigen Vorunterricht;
oder auf eine Handbibliothek.
Der Aufwand, ein umfassendes Computerglossar zu schaffen, ist wohl derzeit noch kaum zu bewältigen. Um so wichtiger wären Überlegungen zu einer sinnvollen Handbibliothek in jedem Klassenraum oder zumindest in einer zentralen Mediothek: Eine gute Handbibliothek ist auch ein Hilfesystem und gehört selbstverständlich in jede "Lernumgebung".
Manchmal mag es durchaus sinnvoll sein, als Hilfe gleich die vollständige Lösung zu liefern:
, wenn einE SchülerIn bereits eine eigene Lösung vorliegen hat und nur noch überprüfen möchte, ob sie richtig ist
(falls nicht, kann sie/er ja noch mal die Einzelschritte ihres/seines Rechenweges überprüfen und wird vermutlich schnell einen eher marginalen Fehler finden),
bei Zwischenergebnissen, damit die SchülerInnen nicht mit falschen Werten weiter rechen, wodurch sich eine Rechnung oftmals erheblich verkompliziert;
um elegante Lösungswege aufzuzeigen.
Ein Nachteil vollständiger Lösungen (inkl. Lösungswege) liegt aber allemal darin, dass sie
zu leicht zu erreichen sind (man "klickt" sich bis zu ihnen durch),
sie also alle Mühe und eigenen Gedanken ersparen bzw. "abwürgen"
und vor allem oftmals allzu suggestiv sind:
gerade weil solche fertigen Lösungen oftmals perfekt sind
(auf kürzesten, elegantestem und allemal fehlerfreiem Weg zum Ziel führen),
gehen sie "zum einen Ohr rein, zum anderen raus": man kann nur Ja zu ihnen sagen, aber oftmals nichts aus ihnen lernen. Schon gar nicht lernen die SchülerInnen einen Umgang mit ihren eigenen Schwierigkeiten und Fehlern, die in einer richtigen Lösung ja gar nicht vorkommen und auch gar nicht alle planbar bzw. erahnbar sind.
Durchaus hilfreich kann das nackte Zahlenergebnis sein (etwa - wie oben schon gezeigt - zur Überprüfung einer fertigen Lösung). Dennoch aber lenken nackte Zahlenergebnisse oftmals auch von Wichtigerem ab: dass da nämlich jemand vielleicht durchaus richtig gedacht, aber sich nur an einer einzigen Stelle verrechnet hat.
Von "Hilfe zur Selbsthilfe" lässt sich nun allerdings leicht schwadronieren - und sie lässt sich nur sehr schwer "institutionalisieren": nur eine Lehrkraft kann in der direkten Interaktion durch geschickte Fragen und Aufgaben vielleicht herausfinden, wo genau "der Hase im Pfeffer liegt". SchülerInnen allein sind aber oftmals völlig überfordert, ihre Schwierigkeiten zu lokalisieren: wenn sie das könnten, hätten sie ja meist auch schon die halbe Lösung.
Da hilft oftmals tatsächlich: "Schau dir doch mal den Übergang von X nach Y an!" Und nebenbei: oftmals hilft´s, wenn einE (nicht mal unbedingt leistungsstärkereR) MitschülerIn über eine Rechnung schaut: man erkennt oftmals besser die Fehler der anderen als die eigenen.
Die meisten "offenen" Anweisungen sind allzu offen à la "jetzt denke mal heftig drüber nach".
Wie kann beispielsweise eine Hilfe aussehen, wenn jemand (3x + 4y)2 nicht "vereinfachen" kann?:
überhaupt in der Problematisierung dessen, was "Vereinfachung" bzw. überhaupt das Ziel ist (das mit dem "Binomi" erreichte angeblich einfachere Ergebnis ist ja in vielerlei Hinsicht sehr viel schwieriger, nämlich zumindest erst mal länger);
einige SchülerInnen brauchen vielleicht nur den Hinweis "Binomi" - und dann sollte man sie auch wieder allein lassen, weil sie dann sofort wissen: (a + b)2 = a2 + 2ab + b2 ;
anderen wird die Erwähnung "Binomi" gar nichts bringen bzw. völlig abstrakt bleiben - womit es angebracht scheint, ihnen zu empfehlen, diesem Tipp erst mal anhand einschlägiger Literatur selbstständig nachzugehen;
wieder andere SchülerInnen kennen und können zwar durchaus (a + b)2 = a2 + 2ab + b2 , aber das hilft ihnen nicht im mindesten bei (3x + 4y)2 . Sie müssten angeregt werden, überhaupt erst mal die parallele Struktur zu erkennen - und dann a = 3x und b = 4y zu konkretisieren.
Dass es
gibt, verweist darauf, wie wenige Pauschalmethoden es auch geben kann. |