offene Klausuren

Die Richtlinien deuten an, dass es wenig sinnvoll ist, nach einem methodisch veränderten Unterricht weiterhin konventionelle Klausuren schreiben zu lassen:

Damit deutet sich aber auch schon an, dass die Vergleichbarkeit mit nach konventioneller Methodik unterrichteten Kursen problematisch wird.

Der Abschied von konventionellen Klausuren kann durchaus schwer fallen:

  1. sind die "neuen" Klausuren evtl. nicht mehr so einfach (wahr/falsch) und schnell zu korrigieren
    (und LehrerInnen ersticken ja auch bisher schon unter Klausurenbergen),

  2. ist Mathematik spätestens dann, wenn es um die Darstellung von Zusammenhängen geht (s. Lehrplan) nicht mehr so (grausam?) "objektiv" (auch bisher sowieso nur ein Mythos), sondern nähert sich Geisteswissenschaften.

Neue Methoden und neue Klausuren müssen passgenau aufeinander bezogen werden. Dafür soll im folgenden ein Beispiel entwickelt werden, das allerdings aus der Mittelstufe stammt (weil ich in Mathematik partout keine Oberstufenkurse bekomme).

Unbedingt wichtig für die Passgenauigkeit sind

  1. die Art des Vorunterrichts,

  2. der "allgemeine" Kenntnisstand der SchülerInnen im Hinblick auf Klausuren,

  3. die "Poly-Multi-Klausur",

  4. Überlegungen zur Notengebung.

zu 1.: die Art des Vorunterrichts

Vorweg: Es soll hier nicht diskutiert werden, ob und inwieweit der im Folgenden dargestellte Vorunterricht das Prädikat "selbstlernend" verdient, sondern nur, inwieweit veränderter Vorunterricht und neuartige Klausur zueinander passen.

Neu oder zumindest doch ungewöhnlich an diesem Unterricht ist vor allem die Betonung des "Orientierungswissens". Selbstlernansätze liegen in häufiger Gruppenarbeit vor. Der Computer wird "nur" als Mindmappingtool sowie zur Visualisierung von Funktionsgraphen eingesetzt.

Ziele des Unterrichts sind:

Verändert ist auch die Arbeitsweise im Vorunterricht:

zu 2.: der "allgemeine" Kenntnisstand der SchülerInnen im Hinblick auf Klausuren

Auch wenn die direkt vorher liegende Unterrichtsphase gut die neue Klausurart vorbereitet hat, kann man den SchülerInneN doch aus mehreren Gründen nicht völlig neuartige Klausuren "antun":

  1. sind die SchülerInnen nun mal konventionelle Klausuren gewohnt und wären durch völlig neuartige Klausuren nur irritiert,

  2. behält die konventionelle Aufgabenmethodik ja durchaus ihren Wert,

  3. brauchen insbesondere leistungsschwächere SchülerInnen einen Leitfaden, also klassische Aufgaben (tue erst dies, dann das; löse, forme um usw.).

Erfahrungsgemäß sind SchülerInnen keineswegs auf Anhieb glücklich mit neuartigem Unterricht und insbesondere neuartigen Klausuren: Weil nicht mehr alles so klar vorgegeben ist, "bocken" sie und wollen gerne die alten, sicheren Methoden wieder haben. Man muss sie also probeweise mal zu ihrem neuen "Glück" zwingen, aber auch absehbare Ängste frühzeitig auffangen.

In der unten vorgeschlagenen Klausur umrahmen aus diesem Grund bewusst die konventionellen Aufgaben die neuartige Aufgabe, denn ein Rahmen gibt Sicherheit.

zu 3.: die "Poly-Multi-Klausur"

Den Namen "Poly-Multi-Klausur" hat eine Schülerin für diese Klausurart geprägt.

Im Folgenden geht es "nur" um die Wiederentdeckung des guten alten "mathematischen Aufsatzes", der in letzter Zeit auch und gerade im Zusammenhang mit neuen Medien wieder diskutiert wird; vgl. z.B. .

Der Aufgabenzettel:

Vorbemerkung:

  1. Bitte den mitgebrachten Stichwortzettel mit Deinem Namen versehen und dem Heft beilegen!
  2. Die Aufgaben können in beliebiger Reihenfolge gelöst werden, nur muss durch klare Nummerierung und Verweise immer deutlich sein, welche Aufgabe gerade gemeint ist.

Teil A: Pflicht

  1. Aufgabe:

Berechne die Nullstellen von y = x2 + 4 x - 21 mit Hilfe des Satzes von Vièta!

  1. Aufgabe:

Berechne die Nullstellen von y = x3 + 3x2 – x - 3

Teil B: Kür

  1. Aufgabe:

Beschreibe in sinnvoller Reihenfolge Erkenntnisse, die wir über Funktionen 2., 3., 4. usw. Grades gewonnen haben!

Anmerkungen:

  • Lineare Funktionen sollen also nicht behandelt werden.
  • Ebenfalls sollen der Satz von Vièta und die Polynomendivision nicht nochmals erklärt werden, da diese schon in Teil A vorkamen.
  • Rechnungen müssen ordentlich vorgeführt werden.
  • Du kannst Dir selbst günstige und einfache Beispiele wählen.
  • Zeichnungen dürfen Planskizzen sein, sollten aber die markanten Eigenschaften haben. Diese Eigenschaften bitte auch KURZ sprachlich erläutern!
  • Achte auf Übersichtlichkeit! Es empfehlen sich deutliche Überschriften wie z.B. „Die Scheitelpunktsform“.

Teil C: weiterführende Aufgaben

  1. Aufgabe:

Beweise den Satz von Vièta allgemein, also für die Nullstellen x 1 und x 2 !

  1. Aufgabe:

Berechne die Nullstellen von y = x4 – 10x2 + 9 ohne Polynomendivision, indem Du x2 = z einsetzt!

Teil A und C sollen hier nicht weiter erläutert werden, weil sie die  "klassischen" Teile sind.

Für den Teil B dürfen die SchülerInnen einen vorbereiteten Stichwortzettel mitbringen, denn gerade bei solch einer offenen Aufgabenstellung kann man ja Dinge schlichtweg vergessen, die man aber durchaus beherrscht (passives/aktives Wissen).

Mit diesem Stichwortzettel gehen zweifelsohne (mehr als sonst auch schon) Vorleistungen aus der Zeit vor der Klausur in die Klausurnote ein. Es ist zudem kein Versehen, sondern durchaus Absicht, dass die SchülerInnen diesen Stichwortzettel vorher in Gruppen erstellen. Dennoch trägt natürlich jedeR SchülerIn die Verantwortung für ihre/seinen Zettel.

Damit diese Stichwortzettel aber nicht schon alles enthalten, was in der Klausur abgeprüft werden soll, dürfen sie - wie der Name schon sagt - nur Stichworte, nicht aber

enthalten (auch nicht in verbalisierter Form).

Der Stichwortzettel ist zwecks Kontrolle mit der Klausur abzugeben. Denkbar wäre es auch, ihn am Tag vor der Klausur einzusammeln und auf Einhaltung o.g. Kriterien zu überprüfen.

zu 4.: Überlegungen zur Notengebung

Neue Probleme ergeben sich natürlich bei der Bewertung von Teil B, weil die Kriterien erheblich vielfältiger als in einer konventionellen Klausur sind:

Die SchülerInnen erleben in solch einer Klausur ein Problem, das sie auf diese Art eher in Deutscharbeiten haben (womit ein Schüler auch prompt verglich): "ich hätte noch so viel sagen können, aber leider blieb mir keine Zeit mehr" (was etwas ganz anderes ist als in konventionellen Mathematikarbeiten, wenn man zu gewissen Aufgaben einfach nicht mehr gekommen ist).

(Dennoch haben in der Klausur einige SchülerInnen ihre Hefte vor Ende der offiziellen Arbeitszeit abgegeben.)

Zusätzlich zu o.g. Kriterien ist also auch die begründete exemplarische Auswahl  Bewertungskriterium, woraus dringend folgt, dass sie auch schon im Vorunterricht geübt worden sein muss. D.h. die o.g. Arbeitsanweisung "in sinnvoller Reihenfolge" muss im Vorunterricht mit Inhalt gefüllt worden sein.

In einer solchen Klausur, wie sie oben dargestellt wurde, gibt es nicht mehr eine allgemeingültige Punktewertung (die auch in den üblichen Klausuren nur in Grenzen objektiv ist!), sondern es muss individuell gewertet werden, und zwar schon allein deshalb, weil der eine Schüler dieses, die andere Schülerin jenes Thema in den Vordergrund stellt.

D.h. aber eben gerade nicht, dass sämtliche Vergleichskriterien abhanden kommen. Es besteht eben beispielsweise durchaus ein Unterschied zwischen

Weil solch eine Klausur, wie sie oben vorgeschlagen wurde, ein Experiment ist, muss sie entsprechend vorsichtig und wohlwollend zensiert werden. Das liegt auch daran, dass bei solch einem Experiment die Maßstäbe teilweise erst am Ergebnis gewonnen und variiert werden müssen.

Um Missverständnisse zu vermeiden: Das heißt keineswegs, dass nun in einem solchen Experiment gute Noten verschenkt bzw. schlechte Noten ausgespart werden. Ob jemand zumindest Grundlagen (nicht) begriffen und (nicht) geübt hat, bleibt auch in der vorliegenden Klausurart überdeutlich.

Um die Ergebnisse kurz zusammenzufassen:

(Denn das wird man ja auch mal fragen müssen [und ist mir mal erst nachträglich an einer speziellen Mathematikarbeit aufgefallen]: Ist es eigentlich zu vertreten [oder nicht vielmehr einfach nur fast schon bösartig nachtragend], dass SchülerInnen manchmal zwar durchaus den neuen Stoff beherrschen, aber an ewig alten Fehlern scheitern - und deshalb "rein rechnerisch" doch wieder nur ein "mangelhaft" bekommen?
Was ja nicht heißt, die Beherrschung zurückliegenden Stoffs [also auch grundlegende Rechenfertigkeiten] gar nicht mehr werten zu wollen.
Man wird sich, soweit man beim ewigen Korrigieren überhaupt Zeit dazu hat, immer wieder ermahnen müssen, Klassenarbeiten individuell und umfassend statt nur in Aufgabenreihenfolge zu betrachten.)


Es ist eine Banalität, dass nach verändertem ("selbstlernendem") Unterricht auch veränderte Klausuren zu folgen haben. Und doch sagt sich das so einfach - und ist es sowieso kaum möglich,  wenn man spätestens in der Klausur doch wieder nicht von der (richtig-/falsch-)Ergebnisorientierung abgeht.

Dabei gäbe es durchaus andere, auch textorientiertere Wege

(wobei ich unter Text mehr verstehe als die ja durchaus noch übliche und auch gar nicht zu verachtende Konstruktionsbeschreibung):

Meiner Meinung nach sollten in Klausuren in der Tat sehr viel mehr Gedankengänge angerissen als komplette Aufgaben gerechnet werden, also z.B.

"Es liegt eine ganzrationale Funktion 3. Grades vor,

Es reicht doch, dass SchülerInnen an einem Beispiel zeigen, dass sie sowas auch rechnen können.

Keine Frage: sowas muss langfristig im Unterricht vorher geübt worden, d.h. die Kriterien für einen "guten" Text müssen deutlich gemacht worden sein!

Vgl. auch eine weitere Klausur zu Funktionen.