SchülerInnen erstellen Selbstlernmaterial
"Selbstlernen" ist noch lange nicht zu Ende gedacht, wenn SchülerInnen nur
Selbstlernmaterial benutzen
statt auch
selbst Selbstlernmaterial erstellen.
Im konventionellen Mathematikunterricht (vielleicht sogar mehr als in allen anderen Fächern?) haben die SchülerInnen keinerlei freie Wahl und wird ihnen alles (Stoff, Reihenfolge, Arbeitszeit und meist auch die Lösungswege ...) vorgegeben, werden sie also rund um die Uhr "versorgt" (gegängelt?).
Es sei nur mal daran erinnert, dass in einem ungenannten Kollegium die MathematiklehrerInnen seinerzeit ernsthaft den Antrag stellen wollten, das Fach Mathematik grundsätzlich von Facharbeiten auszunehmen: in Mathematik wäre (als Konsequenz des Fachlichen, also als Rückschlag der Didaktik auf die Methode) gar keine auch nur ansatzweise selbstständige Facharbeit möglich, sondern nur ein purer Nachvollzug, also Abschreiben (und damit sei dem Mogeln Tür und Tor geöffnet).
Kein Wunder, dass die SchülerInnen sich in solch konventionellem Unterricht zu reinen Konsumenten entwickeln und auch andauernd "Vorgekautes" verlangen. Wir LehrerInnen dürfen uns also gar nicht über ihre Konsumhaltung beschweren, sondern fördern sie sogar selbst. Und wir dürfen uns auch gar nicht wundern, dass die SchülerInnen mit ersten (zu späten?) Selbstlernmöglichkeiten bzw. -anforderungen oftmals gar nicht mehr umgehen können.
Die meisten Selbstlernansätze beruhen nach wie vor auf demselben Prinzip: die Lehrkraft erstellt Selbstlernmaterial, das die SchülerInnen dann mehr oder weniger selbstständig durcharbeiten "dürfen".
(das ist bei dem meisten "Selbstlernmaterial", das ich kenne, so, und erstaunlicherweise kommt kaum jemand auf die Idee, dass man Computer auch zur Produktion durch SchülerInnen nutzen kann.)
Die Vorzüge solch eines Vorgehens liegen auf der Hand:
das fertige Selbstlernmaterial ist fachlich korrekt und methodisch durchdacht;
es ist von der Mathematik aus gedacht, die die SchülerInnen ja überhaupt erst lernen sollen.
Selbstverständlich wären SchülerInnen also völlig überfordert, wenn sie sich den Stoff, den sie lernen, und das Material, an dem sie lernen, gleichzeitig erstellen sollten. Es müsste ja ein Material noch ohne Stoff, also völlig inhaltsleer sein.
Denkbar ist aber immerhin schon eine Auswahl und Sortierung vorgefertigten Materials (vgl. etwa Internet-, aber auch Literaturrecherche).
Ebenso denkbar ist aber auch eine eigene Materialerstellung "im Nachschlag":
z.B. erarbeiten die SchülerInnen nach einer (noch von der Lehrkraft gefertigten) Runde "Lernen an Stationen" einen zweiten Stationenzirkel
(immer auf die "Gefahr" hin, dass SchülerInnen anfangs weitgehend kopieren oder nur umformulieren, womit sie aber immerhin auch schon spezifische Strukturen erkannt und abstrahiert haben);
dieser zweite Stationenzirkel kann sich auf denselben, aber auch schon auf einen neuen Stoff beziehen;
durchaus empfehlenswert ist es, dass die SchülerInnen sowas nicht ins Leere, sondern für andere SchülerInnen tun, also z.B. für MitschülerInnen oder SchülerInnen nachfolgender Klassen:
es macht SchülerInnen Spaß, erfüllt sie mit Stolz, vermittelt ihnen aber auch Verantwortungsbewusstsein, wenn sie einen mal selbst angeeigneten Stoff einer "unteren" Klasse weitervermitteln dürfen, was zudem den Vorteil hat, dass sie diesen Stoff damit nochmals wiederholen, auf Nachfrage problematisieren ("habe ich´s denn überhaupt selbst verstanden") und für sich selbst festigen
(Vorsicht, hier soll nicht die pädagogische Verantwortung an SchülerInnen delegiert werden!);
SchülerInnen fühlen sich dann besonders gefordert, es "besser" zu machen, also tatsächlich allgemeinverständlich und jugendnah zu erklären;
denkbar ist auch die Erstellung und Publikation einer Internetlerneinheit, was zwar den Nachteil hat, dass es meistens im virtuellen Raum verpufft (was sehr enttäuschend sein kann), oftmals aber die SchülerInnen "von der Sache aus" zu besonderer Genauigkeit und auch optischer Schönheit herausfordert ("öffentliche Blamage", und zwar insbesondere, wenn man seine Ergebnisse mit seinem Namen verantwortet).
Durchaus denkbar ist also das eigene Erstellen von
Lernzirkeln,
Programmen,
Modellen,
Internetlerneinheiten,
...
Das Selbsterstellen von Selbstlernmaterial könnte den Vorteil haben, dass jedeR SchülerIn sich spezialisieren und damit seine ganz besonderen Fähigkeiten herausbilden und entdecken kann. Z.B. konzipiert der eine (rein mathematisch) Programme, während der andere sie computertechnisch umsetzt. Oder der eine ist handwerklich begabt (baut Holzmodelle), während der andere dasselbe Problem programmiert.
Natürlich reicht es auch bei der eigenen Materialerstellung nicht, dass die Lehrkraft einfach sagt: "Jetzt macht mal selbst." Sondern selbstverständlich bedarf auch solch eine eigene Materialerstellung permanenter Diskussion, Nachfrage und Anregung.
Fast das größte Problem bei solch selbstständigem Erstellen von Selbstlernmaterial ist die Zeit, die beim derzeitigen Stoff- und Klausurendruck kaum vorhanden ist. Man kann wohl rechnen, dass eine aufs eigene Erstellen von Unterrichtsmaterial zielende Unterrichtseinheit mindestens doppelt so lang wie eine übliche Unterrichtseinheit ist, weil
wie gehabt der Stoff aufgearbeitet und
dann zusätzlich das Material hergestellt werden muss,
wobei die Reihenfolge aber nicht so eisern sein muss: man kann auch beim und zum Produzieren lernen.
Aber auch beim Selbstproduzieren gilt, was für sämtliche Selbstlernansätze gilt: es muss ja nicht gleich ein Riesenprojekt sein, sondern man fange klein und sporadisch an.