Man mag sagen, alles folgende seien längst bekannte Banalitäten, und die richtige Frage(?)technik habe man doch schon im Referendariat gelernt. Aber uns allen ist doch (schon allein aufgrund unseres eigenen immensen Redeanteils) nach wie vor unwohl beim "fragend-entwickelnden" Unterricht (man hat´s satt, zu einer Frage-Antwort-Maschine geworden zu sein), und von da aus scheint es nur wünschenswert und lohnend, ab und zu die gängigen Fragen darauf hin abzuklopfen, ob sie (so) überhaupt nötig sind und wie sie vielleicht ersetzt werden können. Durch "Problematisierung" und Bewusstmachung ab und zu erlangt man vielleicht eben doch auf die Dauer eine andere Grundhaltung (nicht nur gegenüber der Fragetechnik, sondern auch gegenüber SchülerInnen). Denn das Problem sind ja nicht die absichtlichen, geplanten und deshalb auch schnell vermeidbaren Fragen, sondern die, die einem permanent unterlaufen und die man sich schlichtweg angewöhnt hat. Die übliche Fragetechnik entsteht (bei uns allen)
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Ein Standardproblem des "fragend-entwickelnden" Unterrichts ist die Suggestivfrage, die die Antwort schon enthält:
"Wie lang war der 30jährige Krieg?"
Bzw. die Frage impliziert immer schon, dass es eine Antwort gibt:
"Wann wurde Goethe geboren?"
Was soll solch eine Frage?:
entweder wissen die SchülerInnen es nicht, und das kann nur beschämend wirken (ja erscheint dann als Sinn der Frage: "so dumm kann man doch gar nicht sein, das nicht zu wissen" bzw. "das sollte man aber wissen! [z.B., weil Goethe ganz ungeheuer bedeutsam ist; basta]");
oder die SchülerInnen wissen es längst - und jede Frage erübrigt sich.
Außerdem gilt: Üblicherweise
weiß die Lehrkraft schon die Antwort und
wissen die SchülerInnen wenn schon nicht die Antwort, so doch immerhin, dass die Lehrkraft die Antwort weiß.
Man mache sich mal klar, wie unnatürlich solch eine Situation eigentlich ist. Es ist, als wüsste ich schon den Weg zum Bahnhof und fragte dennoch einen Passanten danach. Einziger Zweck kann doch sein, dessen Ehrlichkeit oder Intelligenz zu überprüfen, d.h. auch a priori in Frage zu stellen (will der mich reinlegen, ist der dumm?).
Nebenbei: Besser als "Wann wurde Goethe geboren?" ist vermutlich schon "Wer weiß, wann Goethe geboren wurde?", wobei allerdings die Antwort nicht mehr "1749" (oder gegebenenfalls falsch) ist, sondern "Ich", also keine direkte Überprüfung mehr möglich ist.
Die Folgen wären:
keiner weiß es, und die Lehrkraft sagt es selbst oder lässt es (besser?) herausfinden;
jemand weiß es (hat mit "Ja" geantwortet) und kann es den anderen sagen (es muss also nicht mehr die Lehrkraft alles sagen);
jemand meint nur fälschlich, es zu wissen:
entweder können SchülerInnen sich gegenseitig korrigieren ,
oder die Lehrkraft wird tatsächlich (aber eben erst als ultima ratio) berichtigen müssen oder sagt zumindest: "überprüft das doch mal" (was immerhin indirekt eine Unterstellung ist, dass die Antwort falsch war).
Wenn die suggestive Fragetechnik nicht schon allzu selbstverständlich geworden ist bzw. die SchülerInnen nicht notgedrungen (zwecks Schulnoten) auf sie eingehen müssen, sprechen sie den Widersinn manchmal durchaus offen und dann geradezu ungehalten aus:
"Wenn Sie doch sowieso schon alles wissen, weshalb fragen Sie uns dann noch?"
Ein Lehrervortrag wäre da zumindest ehrlicher! (Vgl. )
Mir scheint wirklich, dass ein gerüttelt Maß scheinbarer Schüchternheit in Wirklichkeit daher rührt, dass es SchülerInnen schlichtweg zu dumm ist, noch auf solche Fragen zu antworten. Sie haben keine Lust mehr, die Stichwortgeber für LehrerInnen zu geben, zumal sie wissen:
"So gut wie die Lehrkraft bzw. zu deren Zufriedenheit werde ich es nie sagen können. Und die Lehrkraft wird´s ja doch wieder nur als Aufhänger für einen Grundlagenvortrag nutzen."
Im Unterricht ergeben sich dann höchst merkwürdige Effekte:
die Lehrkraft hat gefragt, um herauszufinden, wie weit die SchülerInnen sind;
weil keine Antwort kam, schließt die Lehrkraft fälschlich, dass die SchülerInnen etwas noch nicht wissen;
die Lehrkraft fängt deshalb wieder von vorne (bei Adam und Eva) an - und langweilt bzw. unterfordert die SchülerInnen noch mehr als sowieso schon.
Die Suggestivfrage sorgt überhaupt erst für die scheinbare Dummheit, die sie von Anfang an voraussetzt bzw. unterstellt.
Die Suggestivfrage ist, indem sie die Antwort schon mitliefert, im Grunde eine rhetorische Frage.
Solche rhetorischen Fragen sind aber keineswegs immer nur schlecht und abzulehnen oder ein mieser Trick "hintenrum", sondern machen fallweise durchaus - wie jedes rhetorische Mittel - ihren ganz eigenen Sinn, d.h. sind nicht problemlos durch die direkte Antwort ersetzbar: Wenn man z.B. im Restaurant die Bedienung
"könnte ich bitte zahlen?"
fragt, so ist das nicht dasselbe wie
"ich will jetzt zahlen" (oder gar "Zahlen!")
Natürlich sollte man zahlen können (Geld dabei haben), aber "könnte" & Fragezeichen signalisieren Höflichkeit, indem der Bedienung eine ernst gemeinte und nicht bloß vorgeschobene Entscheidung bzw. Antwort zugesprochen wird:
"Ja, gleich [etwa nach einem anderen noch zu erfüllenden Auftrag] habe ich Zeit und können Sie gerne bei mir bezahlen."
Vor allem ermöglicht die rhetorische Frage sokratisches Fragen: Ich leite einen anderen zu einer Erkenntnis an, die ich selbst durchaus schon habe (letzteres einzugestehen, ist nur ehrlich, und man tue nicht dummer, als man ist). Aber ich zeige dem anderen nicht (etwa in einem Vortrag) sofort das fertige Ergebnis, sondern den Weg, auf dem man zu ihm kommt. D.h. die "richtigen" rhetorischen Fragen vermitteln eben doch das Gefühl, dass die Frage naheliegend, wichtig und sinnvoll ist (und dass man sie auch mal selbst gehabt hat).
SchülerInnen haben oftmals auch eine Allergie dagegen, Fragen selbst entwickeln zu sollen:
entspricht das nach langer Gewohnheit gar nicht mehr ihrem Unterricht-, ja sogar Fach-, hier also Mathematikverständnis. Dort sind doch "eigentlich" die Fragen immer gegeben!?
Weil hinter jeder Frage eine eindeutige (mathematische) Antwort zu stecken scheint, sind sie sich zu schade als bloße Stichwortgeber.
Daraus folgt für mich:
sind SchülerInnen frühzeitig und dauerhaft an das eigene Stellen von Fragen zu gewöhnen,
muss ihnen gezeigt werden, wie man Fragen stellt, d.h. wo man einhakt.
Ansonsten aber sind (Suggestiv-)Fragen natürlich zu vermeiden und besser durch Aufträge zu ersetzen: Also
nicht "wie rechnet man das", sondern "rechnet das!"
(manchmal ist es ehrlicher, einen Befehl auch klar auszusprechen, als ihn zu verschleiern)
oder bei Existenzfragen: nicht "gibt es das?", sondern "zeigt, dass es das gibt".
Das macht - wie schon gezeigt - Fragen keineswegs überflüssig. Aber auf die Dauer sind Fragen nur dann sinnvoll, wenn eben nicht immer eindeutig klar ist, ob es eine Antwort gibt. D.h. insbesondere im Mathematikunterricht:
es sollten immer mal wieder auch unlösbare Aufgaben dran kommen, d.h. solche, bei denen es auf die Frage nach der Lösung keine Antwort gibt
(das ist zudem wichtig, damit die SchülerInnen nicht - wie im Schulunterricht üblich - den Eindruck gewinnen, Mathematik können alle Problem [oder genauer: nur die selbstgestellten] lösen - und sei deswegen "verdammt besserwisserisch");
ab und zu sollte die Lehrkraft überdeutlich ihre eigene (sowieso immer mal wieder vorhandene) Unwissenheit und Ratlosigkeit signalisieren, also zeigen, dass sie auf eine Frage auch (noch bzw. in der derzeitigen Situation) keine Antwort weiß.
Nur dann kann probeweise die Hierarchie mal aufgebrochen werden, d.h. die Lehrkraft zum Teil des Forschungsteams werden.
Zuguterletzt sind Fragen interessant, auf die es mehrere (auch nichtmathematische) Antworten gibt.
Gerade im Rahmen der Grundfrage nach Selbstlernmöglichkeiten wäre im o.g. Sinne jede Frage und jede Aufgabe (zumindest ab und zu exemplarisch an wichtigen Gelenkstellen des Unterrichts) darauf hin zu überprüfen, ob sie nicht auch offener möglich ist. Die optimistische These sollte dabei sein: "Es geht (realistisch: im Rahmen der Möglichkeiten) oft auch anders." |