die Richtlinien NRW Mathematik
zu Methoden und selbstständigem Lernen
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Vorbemerkungen
Auszüge aus den Richtlinien und dem Lehrplan Mathematik
Hier ist die Rede von den Richtlinien und Lehrplänen für die gymnasiale Oberstufe. Die methodischen Grundanliegen sind aber in der Sek. I dieselben.
Besonders auffällig an den neuen Richtlinien und Lehrplänen ist, dass dort - abgesehen von Standardwörtern - kaum ein Wort so häufig auftaucht wie "selbst", ja dass dieses Wort wohl das eigentlich Neue an den Richtlinien im Vergleich mit ihren Vorgängern ist.
(Zur Problematisierung des oftmals arg schwammigen Begriffs "selbst" siehe
"was ist Selbstlernen?" sowie
"Thesen und Fragen".)
Der Ton von Richtlinien ist sicherlich bewusst allgemein gehalten, um nicht allzu enge Vorgaben zu machen. Kommt hinzu, dass Richtlinien wohl immer ein Idealziel aufweisen wollen, an dem es sich zu orientieren lohnt, das aber im pädagogischen Alltag nur mit Einschränkungen zu erreichen ist. Das birgt allerdings auch die Gefahr, dass oftmals keine klare Trennung zwischen Obligatorik und Freiraum erkennbar ist und damit Richtlinien schnell einschüchternd wirken können ("wie soll ich das nur alles schaffen, und wenn »die da oben« wüssten, wie es in Klassen zugeht!?").
Schon erheblich besser ist da die (immerhin) Absichtserklärung der neuen baden-württembergischen Richtlinien:
"Um den unterrichtlichen Freiraum der Kolleginnen und Kollegen zu erweitern, wurden die Inhalte teilweise »kompakter« und bewusst unschärfer formuliert, außerdem ermöglichen Wahlmodule die Betonung individueller Schwerpunkte."
Man sollte wohl die Rahmenrichtlinien als Ermutigung und Anregung benutzen, bei Zwang aber "Dienst nach Vorschrift" fahren - und sowieso systematisch nach den Lücken in den Rahmenrichtlinien suchen.
Bemerkenswert ist insbesondere, dass der Lehrplan keineswegs nur Inhalte, sondern auch gewisse methodische Ansätze obligatorisch macht (vgl. )
In den Richtlinien wird das Wort "Methode" in drei verschiedenen Bedeutungen benutzt:
Lernmethoden der SchülerInnen,
Lehrmethoden der LehrerInnen,
innermathematische Methoden im Sinne von mathematischen Vorgehensweisen.
Auszüge aus den Richtlinien und dem Lehrplan Mathematik
Richtlinien
Lehrplan Mathematik
Richtlinien [fächerübergreifend]
1 Aufgaben und Ziele der gymnasialen Oberstufe
[...]
1.2 Auftrag
[...]
Erziehung und Unterricht in der gymnasialen Oberstufe sollen
zu einer wissenschaftspropädeutischen Ausbildung führen und
Hilfen geben zur persönlichen Entfaltung in sozialer Verantwortlichkeit.
Die genannten Aufgaben sind aufeinander bezogen. Die Schülerinnen und Schüler sollen zunehmend befähigt werden, für ihr Lernen selbst verantwortlich zu sein, in der Bewältigung anspruchsvoller Lernaufgaben ihre Kompetenzen zu erweitern, mit eigenen Fähigkeiten produktiv umzugehen, um so dauerhafte Lernkompetenzen aufzubauen. Ein solches Bildungsverständnis zielt nicht nur auf Selbstständigkeit und Selbsttätigkeit, sondern auch auf die Entwicklung von Kooperationsbereitschaft und Teamfähigkeit.
[...]
1.3 Erziehung und Unterricht in der gymnasialen Oberstufe
1.3.1 WissenschaftspropädeutikWissenschaftspropädeutisches Lernen ist ein besonders akzentuiertes wissenschaftsorientiertes Lernen, das durch Systematisierung, Methodenbewusstsein, Problematisierung und Distanz gekennzeichnet ist und das die kognitiven und affektiven Verhaltensweisen umfasst, die Merkmale wissenschaftlichen Arbeitens sind. Wissenschaftspropädeutisches Lernen setzt Wissen voraus.
Ansätze wissenschaftspropädeutischen Arbeitens finden sich bereits in der Sekundarstufe I. Das Lernen in der gymnasialen Oberstufe baut darauf auf.
Wissenschaftspropädeutisches Lernen umfasst systematisches und methodisches Arbeiten sowohl in den einzelnen Fächern als auch in fachübergreifenden und fächerverbindenden Vorhaben.
Im Einzelnen lassen sich folgende Elemente wissenschaftspropädeutischen Lernens unterscheiden:
Grundlagenwissen
Wissenschaftspropädeutisches Lernen setzt ein jederzeit verfügbares, gut vernetztes fachliches Grundlagenwissen voraus, das eine Orientierung im Hinblick auf die relevanten Inhalte, Fragestellungen, Kategorien und Methoden der jeweiligen Fachbereiche ermöglicht und fachübergreifende Fragestellungen einschließt. Wissenschaftspropädeutisches Lernen baut daher auf einer vertieften Allgemeinbildung auf, die sich auf ein breites Spektrum von Fachbereichen und Fächern bezieht, und trägt umgekehrt zu ihr bei (vgl. Kapitel 2.3 und 2.4).
Selbstständiges Lernen und Arbeiten
Wissenschaftspropädeutisches Lernen ist methodisches Lernen. Es zielt darauf hin, dass die Schülerinnen und Schüler grundlegende wissenschaftliche Erkenntnis- und Verfahrensweisen systematisch erarbeiten.
Der Unterricht muss daher so gestaltet werden, dass die Schülerinnen und Schüler lernen, eine Aufgabe selbstständig zu strukturieren, die erforderlichen Arbeitsmethoden problemangemessen und zeitökonomisch auszuführen, Hypothesen zu bilden und zu prüfen und die Arbeitsergebnisse angemessen darzustellen.[...]
1.3.2 Persönliche Entfaltung und soziale Verantwortlichkeit
[...]
Die Schülerinnen und Schüler sollen ihre individuellen Fähigkeiten weiter entfalten und nutzen.
Schülerinnen und Schüler sollen sich ihrer Möglichkeiten und Grenzen bewusst werden. Dieser Prozess wird dadurch unterstützt, dass durch ein Spektrum unterschiedlicher Angebote und Wahlmöglichkeiten, Anforderungen und Aufgabenstellungen sowie durch Methoden, die die Selbstständigkeit fördern, Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit gegeben wird, ihre Fähigkeiten zu entdecken, zu erproben und ihre Urteils- und Handlungsfähigkeit zu entwickeln.
(S. XI ff)2 Rahmenbedingungen
[...]
2.2 Kursarten
[...]Nicht die Stoffhäufung ist das Ziel der Leistungskurse, vielmehr muss auf der Grundlage gesicherter Kenntnisse das methodische Lernen im Vordergrund stehen.
(S. XV)
2.4 Fachspezifische Bindungen
[...]
3 Prinzipien des Lernens und Lehrens in der gymnasialen Oberstufe
3.1 Fachspezifisches Lernen
Der Unterricht in der gymnasialen Oberstufe ist in erster Linie durch den Fachbezug geprägt. Indem in der fachgebundenen Ausbildung Fachwissen, fachliche Theorien und Methoden vermittelt werden, ermöglichen die Schulfächer eine strukturierte Sicht auf komplexe Phänomene der Wirklichkeit. Sie eröffnen so einen je spezifischen Zugang zur Wett. Fachliches Lernen soll geordnetes, systematisches Lernen fördern. In wissenschaftspropädeutischer Hinsicht verknüpft sich im fachlichen Lernen gegenständliches Wissen mit ausgewählten Theorien und Methoden der Referenzdisziplinen sowie mit Grundaussagen der Wissenschaftstheorie und Methodologie.
3.2 Fachübergreifendes und fächerverbindendes Lernen
So wichtig es ist, durch systematische fachliche Arbeit fachliche Kompetenzen zu fördern, so bedeutsam ist es, die Fachperspektive zu überschreiten. Durch fachübergreifendes und fächerverbindendes Lernen wird eine mehrperspektivische Betrachtung der Wirklichkeit gefördert, und es werden damit auch übergreifende Einsichten, Fähigkeiten, Arbeitsmethoden und Lernstrategien entwickelt, die unterschiedliche fachliche Perspektiven für gemeinsame Klärungen und Problemlösungsstrategien verbinden und so zur Kenntnis der komplexen und interdependenten Probleme der Gegenwart beitragen. Deshalb gehört das Überschreiten der Fächergrenzen, das Einüben in die Verständigung über Differenzen und über Differenzen hinweg neben dem Fachunterricht zu den tragenden Prinzipien der gymnasialen Oberstufe.Wissenschaftspropädeutisches Lernen erfordert beides: das fachliche Arbeiten, seine Reflexion und das Denken und Handeln in fachübergreifenden Zusammenhängen.
3.3 Gestaltungsprinzipien des Unterrichts
Lernen ist ein individueller, aktiver und konstruktiver Aufbau von Wissen, der maßgeblich durch das verfügbare Vorwissen und den entsprechenden Verständnishorizont beeinflusst wird. Lernen heißt auch: Fähigkeiten und Fertigkeiten, Neigungen und Interessen, Einstellungen und Werthaltungen zu entwickeln. Umfang, Organisation, langfristige Verfügbarkeit machen die Qualität des Wissensbestandes aus. Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler tragen für den Aufbau eines solchen Wissens eine gemeinsame Verantwortung. Eine aufgabenorientierte Strukturierung des Unterrichts durch die Lehrkräfte ist genau so wichtig wie das Schaffen offener Lern- und Arbeitssituationen. Dabei ist zu bedenken, dass übermäßige Engführung eines Frontalunterrichts den sachbezogenen Handlungsspielraum der Schülerinnen und Schüler ebenso einengt, wie völlig offener Unterricht mit einer Fiktion vom "autonomen Lernen" überfordert.Der Unterricht soll folgenden Prinzipien folgen:
Er soll fachliche Grundlagen vermitteln, die Lerninhalte in sinnvolle Kontexte einbinden, ihre Verfügbarkeit und eine anspruchsvolle Lernprogression sichern.
Der Unterricht soll schülerorientiert sein. Die Lernenden müssen ihre eigenen Fragestellungen und Probleme ernst genommen finden. Sie müssen die Möglichkeit haben, an ihren individuellen Erfahrungs- und Lernstand anzuschließen und ihre eigenen Lernwege zu entwickeln. Dies gilt besonders für die unterschiedlichen Ausgangsdispositionen von Jungen und Mädchen. Die individuellen Dispositionen und Leistungsmöglichkeiten sollen so genutzt werden, dass die Lernprozesse für die Einzelnen und die Gruppe möglichst erfolgreich verlaufen können.
Lernprozesse sollen sich am Leitbild aktiven und selbstständigen Arbeitens orientieren. Wenn Lernende sich aktiv mit den Lerngegenständen auseinander setzen, werden ihr Wissenserwerb und ihre Methodenkompetenz gefestigt und erweitert. Das heißt für den Unterricht, Aufgaben zu stellen, die die Schülerinnen und Schüler vor die Notwendigkeit stellen, auf erworbenes Vorwissen und Können Bezug zu nehmen. Sie müssen Inhalte und Methoden wiederholen, im neuen Zusammenhang anwenden und ihre Lernprozesse reflektieren können, um fachliche und überfachliche Lernstrategien langfristig aufzubauen. In der methodologischen Reflexion werden Lernen und Erkenntniserwerb selbst zum Lerngegenstand.
Lernprozesse sollen Gelegenheit für kooperative Arbeitsformen geben. Je mehr die Notwendigkeit besteht, eigene Lernerfahrungen und -ergebnisse mit den Problemlösungen anderer zu vergleichen, zu erörtern, sie dabei zu überprüfen und zu verbessern, desto nachhaltiger ist das Lernen.
Teamfähigkeit herauszubilden heißt für den Unterricht, arbeitsteilige und kooperative Arbeitsformen zu initiieren und dabei zu einer Verständigung über die Zusammenarbeit und die Methoden zu kommen, Arbeitsergebnisse abgestimmt zu präsentieren und gemeinsam zu verantworten.
Lernprozesse sollen durch komplexe Aufgabenstellungen geleitet werden. Solche Aufgaben bedingen multiperspektivische und mehrdimensionale Sichtweisen, sie tragen zur Methodenreflexion bei und erfordern die Erstellung von Produkten, die individuelle oder gemeinsame Lernergebnisse repräsentieren und einer Selbst- und Fremdbewertung unterzogen werden. Referate, Facharbeiten, Ausstellungen, Aufführungen etc. können herausragende Ergebnisse solcher Aufgabenstellungen sein.
Der Unterricht soll auf Anwendung und Transfer der zu erwerbenden Fähigkeiten und Kenntnisse zielen. Transfer ist zu erwarten, wenn die Lerngegenstände mit vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten und authentischen Handlungssituationen verbunden sowie unabhängig von bekannten Kontexten beherrscht werden. Das heißt für den Unterricht, solche Probleme und Fragestellungen zum Gegenstand zu machen, die Zugriffe aus unterschiedlichen fachlichen Perspektiven erfordern. Die jeweiligen Sichtweisen können relativiert und in Bezug auf ihren spezifischen Beitrag zur Problemlösung beurteilt werden. So werden Möglichkeiten und Grenzen der Übertragbarkeit von Erkenntnissen und Verfahren deutlich. Anwendung und Transfer werden auch in Projekten und in Vorhaben zur Gestaltung und Öffnung von Schule und in Zusammenarbeit mit außerschulischen Partnern gefördert.
Der Unterricht darf nicht ausschließlich linear erfolgen, sondern muss die Vernetzung eines Problems innerhalb des Faches, aber auch über das Fach hinaus sichtbar machen. Es wird darauf ankommen, Formen der Organisation von Lernsituationen, die sich an fachlicher Systematik orientieren, durch solche Arrangements zu ergänzen, die dialogisches und problembezogenes Lernen ermöglichen. Insbesondere sollen die Schülerinnen und Schüler in diesem Zusammenhang mit Themen und Arbeitsmethoden des fachübergreifenden und fächerverbindenden Arbeitens vertraut gemacht werden.
4 Aufbau und Gliederung der gymnasialen Oberstufe
[...]
Die Einführungsphase (Jahrgangsstufe 11)[...]
Das zentrale Ziel der Einführungsphase ist es, die Schülerinnen und Schüler systematisch mit inhaltlichen und methodischen Grundlagen der von ihnen belegten Fächer vertraut zu machen
[...]
Die Qualifikationsphase (Jahrgangsstufen 12 und 13)
[...]
Es ist das Ziel der Qualifikationsphase, fachliches, methodisches und fachübergreifendes Lernen so zu ermöglichen und abzusichern, dass Studierfähigkeit erbracht wird.Zur Intensivierung des selbstständigen Arbeitens soll jede Schülerin und jeder Schüler in der Jahrgangsstufe 12 anstelle einer Klausur eine Facharbeit schreiben.
[...]
5 Schulprogramm
[...](3) schulinterne Konzepte und Beschlüsse für schulische Arbeitsfelder
Schulinterne Lehrpläne
Hier geht es um Aussagen zur Abstimmung von schuleigenen Lehrplänen, von obligatorischen Inhalten und Unterrichtsmethoden, die bei der Unterrichtsplanung Berücksichtigung finden sollen.
[...]
• Konzepte zum Bereich „Lernen des Lernens"
Hier sind Aussagen zur Vermittlung von Lern- und Arbeitstechniken zu machen, die für die Aufnahme eines Studiums oder einer beruflichen Ausbildung außerhalb der Hochschule erforderlich sind und die im Rahmen des Schulprogramms besonders vertieft werden.
Entsprechende schülerorientierte Unterrichtsformen wie wissenschaftspropädeutische Arbeits- und Darstellungsformen sind sicherzustellen, damit die Schülerinnen und Schüler die geforderten Methoden, Einstellungen, Verhaltensweisen und Arbeitshaltungen erwerben können.
(S. XV ff)
Lehrplan Mathematik
2 Bereiche, Themen, Gegenstände
[...]
Bereich 3: Methoden und Formen selbstständigen Arbeitens
Auf der Seite der Schülerinnen und Schüler sind in der Auseinandersetzung mit der anstehenden Mathematik und den im Unterricht bzw. über Lehrbücher angebotenen Problemen eine Reihe von Kompetenzen zu erwerben, die sich zum Teil direkt auf das Verstehen und den Umgang mit Mathematik beziehen, teilweise darüber hinausgehende Schlüsselqualifikationen betreffen. Die Lernenden erschließen eigenständig Informationsquellen, gehen heuristisch und systematisch an Probleme heran, dokumentieren ihre Arbeitsschritte, überprüfen selbstkritisch Ergebnisse, diskutieren und präsentieren sie. Schülerinnen und Schüler üben sich in ein zunehmend selbstständiges und eigenverantwortliches Arbeiten wie auch in kooperative Vorgehensweisen ein, sie erschließen projektartige und fächerverbindende Aktivitäten, auch in Verbindung mit intelligenter Computernutzung, die zusätzliche Chancen bieten, Methoden selbstständigen Arbeitens zu entwickeln.
2.2 Themen und Gegenstände
[...]Jahrgangsstufe 12 und 13
[...]
Lineare Algebra/Geometrie
[...]
Im Kurs „Lineare Algebra/Geometrie" bekommt die Verbindung von Geometrie und Algebra eine neue Qualität. Descartes Idee, geometrische Probleme systematisch mit algebraischen Methoden zu analysieren und zu behandeln, wurde grundlegend für die Entwicklung der Mathematik als Wissenschaft. Die Bedeutung dieser Methode sollte nicht einfach als historisches Faktum mitgeteilt werden, sondern muss im Unterricht erfahren werden.(S. 13 ff)
[...]
Obligatorisch ist nicht nur die Behandlung der benannten fachsystematischen Inhalte, sondern auch, wie im Sinne einer Vorbereitung auf selbstständiges wissenschaftliches Arbeiten mit den mathematischen Inhalten umgegangen wird. Dazu gehört insbesondere:
die selbstständige Beschaffung von Informationen; dies betrifft sowohl Informationen fachsystematischer Art aus Lehrbüchern oder anderen mathematischen Texten als auch Informationen über Sachzusammenhänge in „mathematikhaltigen" Kontexten
[...]
der Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien als Hilfsmittel zur Erarbeitung und Darstellung von mathematischen Methoden und Lösungswegen.
(S. 28f)
3 Unterrichtsgestaltung/Lernorganisation
3.1 Grundsätze der Unterrichtsgestaltung
Es ist Aufgabe des Unterrichts, das im Bildungsauftrag genannte Hauptziel der gymnasialen Oberstufe realisieren zu helfen, auf Studium und Beruf vorzubereiten. Die Unterrichtsorganisation soll dazu beitragen, dass die Schülerinnen und Schüler auf der Grundlage einer vertieften allgemeinen Bildung
eine wissenschaftspropädeutische Ausbildung erwerben
und Hilfen zur persönlichen Entfaltung in sozialer Verantwortung erhalten (vgl. Kapitel 1 der Richtlinien „Aufgaben und Ziele der gymnasialen Oberstufe").
Wesentliche Bezugspunkte sind die Dimensionen einer wissenschaftspropädeutischen Ausbildung, die in den Richtlinien mit
dem Erwerb wissenschaftspropädeutischen Grundlagenwissens
der Entwicklung von Prinzipien und Formen selbstständigen Arbeitens
der Entwicklung von wissenschaftlichen Verhaltensweisen
der Ausbildung von Reflexions- und Urteilsfähigkeit umschrieben werden.
Der Unterricht ist also so anzulegen, dass diese Ziele erreicht werden können. Die Prinzipien, denen hierbei gefolgt werden soll, sind im Kapitel 3 der Richtlinien „Prinzipien des Lernens und Lehrens in der gymnasialen Oberstufe" beschrieben. Hierbei ist sicherzustellen, dass auf der einen Seite eine gut organisierte fachliche Wissensbasis erreicht wird. Dazu gehören Theorien, Fakten, Methoden- und Prozesswissen. Auf der anderen Seite muss eine Balance zwischen fachlichem Lernen und Lernen in sinnstiftendem Kontext hergestellt werden.
Zusammengefasst soll sich die Unterrichtsorganisation daran ausrichten, dass
die individuelle Schülerpersönlichkeit mit ihren Vorerfahrungen, Möglichkeiten und Leistungsdispositionen im Blick ist
Schülerinnen und Schüler aktiv lernen
Schülerinnen und Schüler kooperativ lernen
Vorwissen abgesichert, aufgegriffen und Lernfortschritt ermöglicht wird
die Aufgabenstellungen komplex sind
die Aufgabenstellungen auch auf Anwendung und Transfer ausgerichtet sind.
Fachliche Systematik, verbunden mit dialogischen, problembezogenen und fachübergreifenden Lernarrangements, sind die inhaltlichen Bezugspunkte für die Lernorganisation (vgl. Kapitel 3 „Prinzipien des Lernens und Lehrens in der gymnasialen Oberstufe").
3.2 Gestaltung der Lernprozesse
Der Unterricht folgt einer Gesamtplanung, die schüler-, gegenstands- und methodenorientiert ist. Eine zu enge Steuerung des Lernprozesses ist ebenso zu vermeiden wie eine unstrukturierte Offenheit.Schülerorientierung bedeutet, dass die Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit haben, im Unterricht an ihren eigenen Erfahrungs- und Lernstand anzuschließen und dem Leitbild des aktiven und selbstständigen Arbeitens zu folgen.
Gegenstandsorientierung bedeutet, dass die vorgesehenen Unterrichtsinhalte in einem breiten Wissens- und Anwendungsbereich (vgl. Bereiche des Faches) in einer über die drei Jahre der gymnasialen Oberstufe laufenden Sequenz aufgebaut werden, dass Wissenszuwachs entsteht und vernetztes Wissen möglich wird.
Methodenorientierung bedeutet, dass die Schülerinnen und Schüler sich im Medium der Unterrichtsinhalte die geforderten fachlichen und fachübergreifenden Methoden und die notwendigen Arbeitshaltungen und -dispositionen aneignen.
Der Begriff Unterrichtsmethode umfasst die Summe der Unterrichtsschritte, Arbeitsformen, Lehr- und Lernformen, mit deren Hilfe der Unterricht strukturiert wird. Die Unterrichtsmethoden und -organisationsformen sollen durch die in Kapitel 3.1 dargestellten Grundsätze geprägt sein.
Auf gängige Unterrichtsmethoden (z. B. Lehrervortrag, Unterrichtsgespräch) wird an dieser Stelle nicht eingegangen. Nachfolgend werden die Verknüpfung von Zielen, Inhalten und Unterrichtsmethoden, d. h. die Lernarrangements beschrieben, die geeignet sind, dem Leitbild des aktiven und selbstständigen Lernens zu dienen und eine Vernetzung des Wissens zu ermöglichen. Die Formen eigenverantwortlichen Lernens und Arbeitens, die die Schülerinnen und Schüler aktiv tätig sein lassen, sind hier von besonderer Bedeutung.Lernen ist konstruktiv
Lernen ist eine Aktivität der Lernenden selbst und nicht eine passive Übernahme von Informationen. Insofern können die Lehrenden Hilfestellungen geben, aber nachhaltige Lernleistungen kann es nur geben, wenn die Eigenaktivität der Schülerinnen und Schüler im Unterricht angeregt wird. Eine Strukturierung des Mathematikunterrichts aus der Zuordnung zu Problemkontexten, die für die Schülerinnen und Schüler einsichtig und herausfordernd sind, bietet sich an. Die in Kapitel 3.2.3. vorgeschlagenen Themenstellungen (Brücken/Sammelspiegel etc.) eröffnen den Raum, in dem Schülerinnen und Schüler aktiv handeln, Erfahrungen reflektieren und zur Abstraktion gelangen. Die Lernenden erhalten Gelegenheit mathematische Zusammenhänge für sich zu „konstruieren". Es gilt kognitive Strukturen in der Auseinandersetzung mit den ausgewählten Sachverhalten und Zusammenhängen so aufzubauen, dass sie autonomes Lernen und Problemlösen ermöglichen. Dieses geschieht durch Verknüpfung von neuem Wissen mit vorhandenem, durch den Abruf von Wissen und dessen Einbindung in neue Bezüge, durch die Erkenntnis, dass und aus welchem Grund ein eingeschlagener Weg nicht zum Erfolg führt und durch das Lernen aus Fehlern (vgl. Kapitel 3.2.2). Die so erworbenen Strukturen tragen zur Überprüfung und Festigung von bereits Gelerntem bei, aber auch zur Korrektur und Veränderung von Wissen. Der Aufbau mathematischer Begriffsstrukturen in Abgrenzung von und in Ergänzung zum eigenen Vokabular wird unterstützt.Lernen ist kumulativ
Lernen geschieht durch die Verknüpfung neuer Informationen mit alten. In jeder Lerngruppe gibt es Schülerinnen und Schüler mit unterschiedlichem Vor- und Alltagswissen sowie verschiedenartigen Verarbeitungsweisen und Zugängen. Die Verknüpfung neuer Informationen mit alten wird erleichtert durch das Zulassen einer Vielzahl von Lernwegen. Damit wird es den Lernenden ermöglicht, ihren eigenen Zugang zu finden. Die so entstandene Vielfalt kann produktiv genutzt werden, indem sich die Schülerinnen und Schüler über ihre jeweiligen Zugänge austauschen und andere Sichtweisen verarbeiten und für ihr Weiterlernen nutzen.
Mathematisches Lernen geschieht in Wechselwirkung von Alltagswissen und Fachwissen. Die Orientierung des Mathematikunterrichts an zentralen Ideen hilft den Schülerinnen und Schülern zu erkennen, wie Mathematik und Welt miteinander verbunden sind. Durch die Erfahrung, wie Mathematik zum besseren Verständnis nicht mathematischer Phänomene herangezogen werden kann, ergeben sich andere Zugänge und Motivationen für das Lernen.
Der einzelne mathematische Sachverhalt kann von den Schülerinnen und Schülern in einem erweiterten Kontext gesehen werden, wenn er von folgenden Seiten beleuchtet wird: Anwendungsbezug, Genese, inner- und außermathematische Bedeutung, evtl. grundlegende Prozesse und Bedingungen für den Aufbau einer mathematischen Theorie.
Das schulmathematische Wissen zerfällt häufig in getrennte Erfahrungsbereiche, deren Verbindung nur auf den im Unterricht explizit thematisierten Zusammenhängen beruht. Entstehen nur lineare Wissensordnungen, zerfallen diese, wenn einzelne Verbindungen durch Nichtgebrauch oder Vergessen gelöscht werden. Lernen in realistischen Problemkontexten, die Verbindung der Fachgebiete und fächerverbindendes Arbeiten wirken dem entgegen.
Die in Kapitel 3.4 vorgeschlagene Beispielsequenz zeigt eine Möglichkeit zur Entzerrung der großen Blöcke Analysis, Stochastik, Lineare Algebra/Geometrie auf und ermöglicht eine Verzahnung dieser Gebiete. Darüber hinaus weist sie auf die Einbeziehung von Kontexten hin.Lernen ist kooperativ
Aller Unterricht ist nicht nur ein gegenstandsbezogenes sondern auch ein interaktives Geschehen. Durch das Sprechen miteinander, das gegenseitige Fragen, Erläutern und Erklären, werden Lücken in der Argumentationskette deutlich, können Verständnisprobleme geklärt werden.
Soziale Interaktion kann zu einem Prozess der kooperativen Konstruktion und Veränderung von Wissen führen, in dem die Lernenden gemeinsames Können entwickeln. Dieses produktiv für die Gestaltung des Lernprozesses zu nutzen, muss Ziel sein. Kooperatives Vorgehen wird gefördert, wenn der Unterricht Aufgaben und Probleme stellt, die die Zusammenarbeit mehrerer Schülerinnen und Schüler erfordern.
Mathematikunterricht als interaktives Geschehen zu nutzen, verlangt ein partnerschaftliches Umgehen der Lehrenden und Lernenden miteinander. Dazu ist eine Unterrichtskultur erforderlich, die gekennzeichnet ist durch gegenseitige Wertschätzung, Akzeptanz und Bereitschaft aufeinander einzugehen.
Lernen ist zielorientiert
Gründliches Verstehen wird durch zielgerichtete kognitive Tätigkeit gefördert. Es wird geleitet von den Vorstellungen über den Prozess und das zu erreichende Produkt. So wird dem Wissensaufbau Bedeutung verliehen. Wird im Mathematikunterricht Wert gelegt auf den Aufbau von Orientierungswissen, können die Schülerinnen und Schüler die Frage „Wofür brauche ich den fachlichen Inhalt?" für sich beantworten.
Erfolgreiches Lernen bedarf also von den Lernenden selbst akzeptierter Ziele. Dazu ist es notwendig, dass die Schülerinnen und Schüler verstehen, was und warum sie etwas lernen sollen, dass sie die Ziele akzeptieren und bereit sind sich anzustrengen.
Lernen ist selbstreguliert
Zwischen der Selbstüberwachung und Selbstregulation des Lernprozesses und dem Lernerfolg besteht eine positive Beziehung. Die zur Selbstüberwachung notwendigen Strategien, die im Abschnitt „Reflexion des Lernens" erläutert sind, sollen im Unterricht eingeübt werden. Sie werden behalten und angewandt, wenn die Lernenden erfahren haben, wie, wann, wo und warum sie von Vorteil sind. Dadurch werden die Schülerinnen und Schüler in die Lage versetzt, Verantwortung für das eigene Lernen zu übernehmen und auch unabhängig von den Lehrenden erfolgreich zu lernen.Lernen ist situativ
Jedes Lernen in einem sachbezogenen Kontext hat auch eine situative Seite. Verstehensprozesse beruhen in Alltag, Schule und Beruf nicht allein auf strukturellen Faktoren, sondern sind eingebettet in Situationen, die Lernen fördern oder behindern können.
Gelernt wird nicht nur eine Sache, sondern zugleich, wie diese Sache angegangen wird. Erleben die Lernenden beispielsweise Lehrerinnen und Lehrer, wie sie konstruktiv Mathematik treiben, erfahren sie deren Begeisterung für die Mathematik und ihre Geschichte, beeinflusst dies den Lernprozess entscheidend. Nicht zuletzt wird die Einstellung der Schülerinnen und Schüler zur Mathematik durch die Art und Weise geprägt, wie das Fach in der Schulöffentlichkeit repräsentiert wird.
3.2.1 Kriterien für die Auswahl von Unterrichtsinhalten
Der Unterricht in den Jahrgangsstufen 11 bis 13 wird sequenziell aufgebaut. Die fachlichen, fachübergreifenden und methodischen Ziele des Faches sollen am Ende der Jahrgangsstufe 13 erreicht sein.
Folgende Kriterien können bei der Inhaltsauswahl hilfreich sein:
Der Aufbau der fachlichen Inhalte darf nicht zu einer Stoffhäufung führen. Es gilt das Prinzip des Exemplarischen, das sich auf wesentliche, repräsentative und bedeutsame Fachinhalte beschränkt, die geeignet sind, übertragbare Kenntnisse und Fertigkeiten zu vermitteln.
Die Auswahl der Unterrichtsinhalte soll so erfolgen, dass Vorwissen aktiviert werden kann. Lernzuwachs und Progression müssen deutlich werden.
Die ausgewählten Inhalte sollen in fachlicher und fachübergreifender Hinsicht methodisch selbstständiges Arbeiten ermöglichen und entsprechende Kompetenzen progressiv aufbauen und sichern.
Orientierungswissen
Im Mathematikunterricht der gymnasialen Oberstufe ist es ein wichtiges Anliegen, über das Faktenwissen hinaus den Schülerinnen und Schülern zentrale Ideen und fachliche Zusammenhänge zu verdeutlichen. Dies erfordert in allen Bereichen eine Form von Orientierungswissen, das sie befähigt, Zusammenhänge und Strukturen zu erkennen sowie einzelne Inhalte einzuordnen.
Zum Aufbau von Orientierungswissen erscheinen methodisch u. a. folgende Wege möglich, die auch miteinander kombiniert werden können:vorausschauende Übersicht über ein noch zu behandelndes Thema
Rückblick auf ein Thema
Unterrichtsprojekt
historische Betrachtungen.
Aus der Sicht der Schülerinnen und Schüler stehen beim Erwerb derartigen Wissens weniger ein logisch-formaler Aufbau oder gar die Deduktion eines Theoriegebäudes im Vordergrund als vielmehr erkenntnisleitende Fragen wie zum Beispiel:
Wie kommt man zu bestimmten Begriffen oder Methoden?
Welche Möglichkeiten, Anwendungen ergeben sich hieraus?
In welchem Zusammenhang stehen Begriffe oder Methoden zu bereits bekannten Inhalten?
Die Entwicklung von Grundvorstellungen, die zu Begriffsbildungen führen, Überlegungen zur Anwendbarkeit sowie auch die Modifikation mathematischer Modelle können in diesem Zusammenhang Aufgabe im Unterricht sein.
[...]
Vor allem in projektartigen Unterrichtsphasen stellen Erwerb und Nutzung von Orientierungswissen für Schülerinnen und Schüler eine wichtige Grundlage ihrer Arbeit dar. Zu lernen, selbstständig auf Hilfsmittel zurückzugreifen, ist Vorbereitung auf wissenschaftliches Arbeiten. Es geht darum, sich selbstständig Informationen aus mathematischer Literatur zu verschaffen, Formeln und Verfahrensweisen zu suchen und anzuwenden, sich in Software einzuarbeiten und sich so mathematische Methoden zur sachgerechten Anwendung verfügbar zu machen.[...]
Orientierungswissen in der Linearen Algebra/GeometrieDie für die Lineare Algebra wichtige Idee, geometrische Objekte (z. B. Geraden, Kreise, Parabeln) algebraisch darzustellen und geometrische Probleme (z. B. die Bestimmung von Schnittpunkten) mit algebraischen Methoden zu lösen, haben die Schülerinnen und Schüler bereits in der Koordinatengeometrie kennen gelernt.
(S. 30 ff)
3.2.2 Lern- und Arbeitsorganisation im Fach
[...]
Methodenvielfalt
Im Mathematikunterricht ist Methodenvielfalt notwendig, Einseitigkeit muss vermieden werden. Optimal erscheint eine flexible Unterrichtsführung, die Schüleraktivitäten nicht zu sehr kanalisiert. Der Unterricht muss für Anregungen der Schülerinnen und Schüler offen sein. Anzustreben ist eine Mischung individueller und kooperativer Arbeit. Von der Lehrkraft angeleitete wie auch vom Lernenden selbstständig gesteuerte Lernprozesse sollen sich ergänzen.
Nachfolgend werden Prinzipien des Unterrichts vorwiegend mit Blick auf die Schülerinnen und Schüler dargestellt. Es wird auf bisher weniger verbreitete Unterrichtsformen eingegangen. Sie werden unter dem Gesichtspunkt der Schülerorientierung und der Förderung selbstständigen Arbeitens dargelegt. Es wird ausdrücklich betont, dass nicht beabsichtigt ist, gängige Verfahren, z. B. Lehrervortrag, Unterrichtsgespräch, Einzelarbeit, Partnerarbeit oder Gruppenarbeit über Bord zu werfen. Wohl aber soll die veränderte Sichtweise der Lernprozesse auch im Mathematikunterricht wirksam werden. Nicht zuletzt können unterrichtliche Erfolge anderer Länder für die Umgestaltung des Mathematikunterrichts in unserer gymnasialen Oberstufe beispielhaft sein.Vielfalt von Lernwegen
Wenn den Schülerinnen und Schülern ermöglicht werden soll, ihr Wissen individuell aufzubauen, muss der Unterricht am jeweiligen Vorwissen anknüpfen und berücksichtigen, dass jeder anders lernt. Mathematikunterricht, der dieser Forderung gerecht werden will, erfordert besondere Planung und Vorgehensweise.
Zunächst kommt es darauf an, geeignete Probleme und Aufgaben zu entwickeln, die einerseits unterschiedliche Zugangsmöglichkeiten auch bei unterschiedlichem Vorwissen und Leistungsstand ermöglichen und nicht durch kleinschrittige Vorgaben bereits einen einzigen Lösungsweg festlegen. Dabei müssen diese Problemstellungen genügend Anreize und Anforderungen enthalten, um bei der Bewältigung der Aufgabe neue mathematische Inhalte zu erschließen.
Zum anderen muss eine Vorbereitung und Einübung der Arbeitsweise erfolgen; es kann nicht immer davon ausgegangen werden, dass die Schülerinnen und Schüler bereits sicher über die Fähigkeit verfügen, ihre Arbeitsschritte problembezogen zu planen und zu organisieren.
Schülerinnen und Schüler sollten erfahren, dass ihre individuell oder in Gruppen erarbeiteten Lösungsschritte ernst genommen werden, auch wenn sie sich im Einzelfall als Umweg herausstellen, nicht zum Ziel führen oder gar Fehler enthalten. Dazu ist es wichtig, dass die unterschiedlichen Ansätze vorgestellt und erörtert werden. Die verantwortliche Vertretung des eigenen Ansatzes, die Auseinandersetzung mit der Kritik und der Vergleich mit anderen Vorschlägen tragen wesentlich zum Erwerb und zur Festigung neuen Wissens bei.
[...]Reflexion des Lernens
Im Mathematikunterricht sind spezielle Lernarrangements zu verstärken, die dem Bewusstwerden, dem Nachdenken, der Anregung und dem Austausch von Lernerfahrungen dienen. So können Schülerinnen und Schüler zum eigenständigen Lernen in Mathematik befähigt werden. Wie das geschehen kann, dazu werden im Folgenden Anregungen gegeben.Ein wichtiger Aspekt für den Mathematikunterricht ist, dass die Lernenden nicht mit „fertiger" Mathematik konfrontiert werden. Dazu kann beitragen, dass Lehrende und Lernende laut denken. Äußerungen dürfen sich auch auf
das Wissen über die eigene Person (z. B.: Ich habe einen Fehler gemacht, weil mich Folgendes stört ...; ich habe dies nicht gekonnt, weil ich über folgendes Vorwissen nicht verfüge ...)
das Wissen über die Aufgabenstellung (z. B.: Ich verstehe diese Aufgabe nicht, weil ...; insbesondere ist bei dieser Aufgabenstellung darauf zu achten, dass ...)
das Strategiewissen (z. B.: ich löse diese Aufgabe so, weil ...; sie ist aber auch in der folgenden Form zu lösen ...; ich gehe bei dem Beweis so vor, weil ...)
die Steuerung des Lernprozesses (z. B.: Ich bin bei der Aufgabe nicht zum Ziel gelangt, weil ...; ich habe den Beweis nicht nachvollziehen können, weil ...)
beziehen. Auf diese Weise können Vorgehensweisen reflektiert und Strategien zum Wissenserwerb entwickelt werden.
Am Ende einer Lerneinheit hilft ein Arbeitsrückblick, sich über das eigene Lernen bewusst zu werden und über die erlernten Inhalte sowie über die angewandten Strategien zu reflektieren. Dies bietet eine Basis für einen Austausch über den Lernprozess und einen späteren Rückgriff auf die Lernerfahrungen. Der Arbeitsrückblick muss gesteuert und systematisch erlernt werden. Angeregt wird er durch spezielle Leitfragen der Lehrerin oder des Lehrers, z. B.: Was hast du Neues gelernt? Notiere es stichpunktartig! Welches Vorwissen musstest du aktivieren? Wo hattest du Schwierigkeiten, warum? Welche Fehler hast du gemacht? Wie bist du mit deinen Schwierigkeiten umgegangen?
Werden Arbeitsrückblicke in einem Lernjournal oder einem Lerntagebuch festgehalten, kann die Schülerin oder der Schüler über eine längere Zeitspanne den eigenen Lernprozess verfolgen. Für die Lehrerin oder den Lehrer besteht die Möglichkeit das Lernen intensiv zu begleiten, da Einblicke gewonnen werden können in Vorgehensweisen und Lernmethoden und nicht nur festgestellt wird, ob ein bestimmter Sachverhalt gelernt worden ist.
Arbeitsrückblicke werden erleichtert, wenn die Lernenden bereits bei ihren Aufzeichnungen im Heft und beim Lösen von Aufgaben das eigene kognitive Handeln kommentieren. So können Erfahrungen, Probleme und Fragen über Strategien und Aufgabentypen schriftlich festgehalten werden, z. B.: Ich weiß, dass mein Ergebnis falsch ist, weil es im Widerspruch steht zu der Annahme; ich muss einen Rechenfehler gemacht haben, da überschlagsmäßig in etwa folgendes Ergebnis zu erwarten wäre.Die Aufforderung Gefühle auszusprechen (z. B.: Ich hatte ein Aha-Erlebnis, weil ...; mich hat gestört, dass ...) ermöglicht, Gespräche zu führen über die Verantwortlichkeit für das eigene Lernen und das kooperative Arbeiten im Kurs.
Beim reziproken Lehren übernehmen die Schülerinnen und Schüler abwechselnd die Rolle der Lehrperson. Dies kann u. a. dadurch geschehen, dass sie Gelegenheit erhalten ihren Mitschülerinnen und Mitschülern das zu erklären, was sie vorher gelernt haben. Dadurch sind sie aufgefordert einen Sachverhalt so zu beschreiben, dass andere ihn verstehen. Dies bedeutet, sie müssen ihn selbst sorgfältiger durchdenken und werden so auf Sprünge in der Argumentationskette aufmerksam. Die Schülerinnen und Schüler erfahren im gegenseitigen Austausch, wie andere den Unterrichtsgegenstand sehen. So erhalten sie zur Angemessenheit bzw. zur Nichtangemessenheit der eigenen Sichtweise oder des Lösungsweges wichtige Rückmeldungen.
Eine spezielle Form des reziproken Lehrens ergibt sich, wenn man zwei Gruppenarbeitsphasen in der folgenden Form miteinander verknüpft. In der ersten Phase erhalten mehrere Gruppen je einen Teil einer umfassenden Aufgabe. Sie lösen den ihnen gestellten Arbeitsauftrag kooperativ, dokumentieren ihre Ergebnisse und besprechen die Weitergabe des von ihnen erarbeiteten Wissens. Für die darauf folgende Phase werden die Gruppen neu gebildet. Sie setzen sich nun aus je einem Vertreter jeder ersten Gruppe zusammen. Hier übernimmt nun jeder für die Ergebnisse seiner ersten Gruppe die Verantwortung, da er allen neuen Gruppenmitgliedern diese darstellen, erklären und präsentieren muss. So erfährt jeder, ob seine Arbeit erfolgreich war.
Üben und Wiederholen/Vernetzen von Wissen
Erfolgreicher Mathematikunterricht setzt eine aktive Aneignung der im Unterricht entwickelten mathematischen Inhalte durch die Schülerinnen und Schüler voraus. Aktiver Erwerb mathematischer Kenntnisse und Fähigkeiten beschränkt sich nicht nur auf die erste Erarbeitung neuer Inhalte, sondern auch
auf das Einüben von Routinen, um die nachfolgende mathematische Arbeit zu entlasten
auf die individuelle Vernetzung neuer Inhalte mit den vorhandenen Vorkenntnissen und Erfahrungen
auf die Fähigkeit, mathematische Konzepte und Sachverhalte anzuwenden und zu übertragen
auf die Entwicklung heuristischer Fähigkeiten beim Problemlösen.
Zu diesen fachlichen Gesichtspunkten treten über das Fach hinausweisende Ziele, die sowohl im Fach als auch in der Zusammenarbeit mehrerer Fächer realisiert werden müssen (z. B. Erwerb von Schlüsselqualifikationen).
Es ist nicht damit getan, wichtige fachliche Inhalte in einem von der Lehrperson angeleiteten, optimal geplanten Prozess einüben zu lassen. Darüber hinaus müssen Schülerinnen und Schüler dazu angeregt werden, ihre individuellen Übungsverfahren zu optimieren, um sich auf diese Weise auf lebenslanges Lernen vorzubereiten. Das kann nur gelingen, wenn sie im Üben subjektiv einen Sinn erkennen und lernen, sich selbst zu motivieren. Lehrerinnen und Lehrer müssen eine solche Entwicklung fördern durch die Organisation der Zusammenarbeit, durch Bereitstellung geeigneten Übungsmaterials, durch das Bewusstmachen eines sinnvollen kritischen Abstandes zu den eigenen Ergebnissen und die Anleitung zu geeigneten, individuellen Lernkontrollen.
In der Mathematik erschließen sich anspruchsvolle fachliche Begriffe für die Mehrzahl der Schülerinnen und Schüler erst in Anwendungen unterschiedlicher Komplexität. Dabei ist neben weiteren methodischen Prinzipien insbesondere das Prinzip der Isolation der Schwierigkeiten von Bedeutung.
Mathematik kann als eine universelle Anwendungswissenschaft viele außermathematische Situationen durch fachliche Strukturen beschreiben. Modellierungen und Anwendungen sind deshalb ein Teil der Übungen im Mathematikunterricht.
Auch in Zukunft werden Schülerinnen und Schüler bestimmte Routinen beherrschen müssen. Mit zunehmender Präsenz immer mächtigerer und bedienungsfreundlicherer Programme ist aber zu fragen, welche und wie intensiv sie im Unterricht behandelt werden müssen. Auch Verfahren, die als automatisiertes Werkzeug im Rechner verfügbar sind, können von Schülerinnen und Schüler nur dann erfolgreich eingesetzt werden, wenn gesicherte Vorstellungen über deren Funktion entwickelt werden, wenn ein prinzipielles Vertrautsein mit dem mathematischen Hintergrund erreicht wird und wenn aktive Erfahrungen in vielen Anwendungssituationen vorliegen.
Um mathematisches Wissen in unterschiedlichsten Situationen verfügbar zu machen, müssen Schülerinnen und Schüler dieses Wissen aktiv in ihren individuellen Wissensbestand einpassen und innermathematisch möglichst aspektreich vernetzen. So wird fachliches Wissen als Grundlage für ein vertieftes fachliches Verständnis akkumuliert. Üben und Wiederholen müssen diesem Aspekt Rechnung tragen.
Grundsätze zum Computereinsatz
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Computergestützter Unterricht erfordert in besonderem Maße die Tätigkeit und Qualifikation der Lehrerinnen und Lehrer. Dabei wandelt sich deren Rolle, ein fragend-entwickelnder lehrerzentrierter Unterrichtsstil ist bei Computereinsatz kaum noch möglich.[...]
Es ist nicht sinnvoll, neue Inhalte und Methoden für den Computereinsatz zu entwickeln und bei der Leistungsüberprüfung alles beim Alten zu lassen. Auch in Klausuren und im Abitur sollten Schülerinnen und Schüler Computer als Werkzeuge einsetzen bzw. Aufgaben zu deren Einsatz bearbeiten (siehe auch Kapitel 4.2 und 5.3). Derzeit ist es eher die Ausnahme, dass in Klausuren jede Kursteilnehmerin bzw. jeder Kursteilnehmer einen Computerarbeitsplatz zur Verfügung hat. Notfalls kann man die Aufgabenstellung der Klausur teilen und zunächst die Hälfte des Kurses am Computer arbeiten und dann die Arbeitsplätze und Aufgabenstellungen wechseln lassen. Um Wege für die weitere Entwicklung eines didaktischen Konzepts offen zu halten, wird auf eine dezidiertere Festschreibung von Inhalten und Methoden an dieser Stelle verzichtet. Es soll aber betont werden, dass der Computer als neues Werkzeug eingesetzt werden soll und sich sein Einsatz insbesondere da rechtfertigt, wo er neue Inhalte und Methoden ermöglicht. Neben den Möglichkeiten zur Veranschaulichung und arithmetischen bzw. algebraischen Entlastung können auch algorithmische Fragestellungen bearbeitet werden (z. B. mit Tabellenkalkulationen oder Computeralgebra-Systemen), ohne dass deswegen ein Programmierkurs absolviert werden muss.(S. 38 ff)
3.2.3 Fachübergreifende, fächerverbindende und projektorientierte Lern- und Arbeitsorganisation
Fachübergreifender Unterricht findet zunächst im Fach selbst statt; er besteht aus dem „Blick über den Tellerrand" in Gestalt von Exkursen oder der Reflexion der fachlichen Fragestellung und ihrer Plausibilität und Grenzen.
Fächerverbindender Unterricht besteht in der themen- oder problembezogenen Kooperation zweier oder mehrerer Fächer, wenn es gilt, „quer liegende" Themenstellungen unter verschiedenen Fachperspektiven und -kategorien zu betrachten und dabei mehr als nur die Summe von Teilen zu erkennen. Fächerverbindender Unterricht ist organisatorisch und planerisch aufwendig. Er kann in den Schwerpunkten eines Schulprofils entwickelt werden. Da die Schülerinnen und Schüler in der gymnasialen Oberstufe an einer übergreifenden Veranstaltung teilnehmen sollen, müssen die Schulen, sofern sie keine Schulprofile (Fächerkopplungen) aufweisen, entsprechend langfristig planen.
Projektorientierter Unterricht ist anwendungsbezogen, kurzphasig, kompakt, produktorientiert. Er muss in der Themenstellung erkennbar „besonders" und machbar sein. Er kann im Fach selbst oder fächerverbindend stattfinden.
Fächerverbindender Projektunterricht findet in übergreifenden Projektveranstaltungen statt. Diese Veranstaltungsform soll den Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit geben, erlernte Arbeitsmethoden aus unterschiedlichen Fachbereichen selbstständig auf ein komplexes Problem zu beziehen und ein Problem aus der Perspektive mehrerer Fächer zu sehen. Projektveranstaltungen bieten auch die Gelegenheit zur Teamarbeit. Diese Veranstaltungen sind unter bestimmten vorher festgelegten Leitfragen langfristig aus dem Fachunterricht heraus zu entwickeln. Die von den Schülerinnen und Schülern erbrachten Leistungen werden im Rahmen der „Sonstigen Mitarbeit" beurteilt. Da solche Projektveranstaltungen stufenspezifische Ziele verfolgen, sind sie im Hinblick auf die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in der Regel auf eine Jahrgangsstufe oder auf die gymnasiale Oberstufe zu beschränken.
[...](S. 49 ff)
3.5 Mädchen und Jungen im Mathematikunterricht
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Das Verwenden unterschiedlicher Methoden kann nicht zuletzt unter dem Aspekt der Förderung von Schülerinnen akzentuiert werden. Reflexion des Lernens zusammen mit dem Austausch von Lernerfahrungen trägt zur Kommunikation und zur Erhöhung sprachlicher Anteile im Mathematikunterricht bei. Dies kommt den Einstellungen und den sprachlichen Fähigkeiten der Mädchen entgegen und wirkt sich insgesamt qualitätssteigernd auf den Mathematikunterricht aus.
(S. 61 ff)