mathematische Schreib"gespräche"

was Schreibgespräche sind
Sinn und Zweck von Schreibgesprächen
Ideen zur Umsetzung
Möglichkeiten in der Mathematik

was Schreibgespräche sind

Schreib"gespräche" sind

Beim Schreibgespräch "unterhalten" sich Kleingruppen (am besten wohl Zweiergruppen) rein schriftlich miteinander. Man könnte auch sagen: Sie schreiben schnell abwechselnd oder auch parallel Briefe aneinander.

Die Kommunikation findet also ausschließlich schriftlich statt, weshalb man sich - als eine mögliche Variation - z.B. auch fragen könnte, ob die Partner auch räumlich trennen sollte (um neben der akustischen auch die gestische und mimische Kommunikation zu unterbinden).

In der Regel sind die Inhalte solch eines Schreibgesprächs aber nicht (wie etwa im Briefwechsel zwischen Freunden) beliebig, sondern fachlich-thematisch vorgegeben (zu Abschweifungen und Kontrollen s.u.).

Der Hauptzweck eines Schreibgesprächs ist schon klar: Alle anderweitigen Formen der Kommunikation sollen ins Schreiben bzw. rein Verbale verlegt werden.

Sinn und Zweck von Schreibgesprächen

Das Schreibgespräch ist bisher eher aus den Geisteswissenschaften, also z.B. dem Fach Deutsch bekannt, wo das Verfassen ausführlicher (schriftlicher) Texte ja ausdrücklich Lernziel ist.

Mit dem Schreibgespräche werden unterschiedlichste Zwecke verfolgt:

  1. dient es zugegebenermaßen manchmal (aussichtslos?) dazu, eine unerträglich laute Klasse "ruhig zu stellen";

  2. der Blick einer Schülergruppe wird auf ein Problem fokussiert;

  3. die schriftliche Kommunikation wird gefördert (am Thema bleiben, sachlich aufeinander eingehen ...);

  4. der schriftliche Ausdruck wird verbessert (Sprachgewandtheit, angemessene Sprache, Fehlerfreiheit ...);

  5. gegenseitige Hilfen und Ergänzungen werden gefördert;

  6. das Denken in Zusammenhängen ist im Schriftlichen einfacher ("roter Faden", Wiederaufnahme eines Gedankens, Planung, Strukturierung verschiedener Wege ...);
    mehr noch: überhaupt erst in schriftlicher Form sind Zusammenhänge möglich (lat. textum = Gewebe);

  7. Sachverhalte sollen angemessen und doch kontrovers diskutiert und in einem "Forschungsgespräch" aufgearbeitet werden;

  8. individuelle bzw. verschiedenen Zugänge der Einzelgruppen werden möglich;

  9. die Gruppen bestimmen selbst die Vorgehensweise und den Zeitaufwand.

Ein häufiges Problem besteht darin, dass gewisse SchülerInnen zwar durchaus einem kleinschrittigen, fragend-entwickelnden Unterricht folgen und sich auch gut und regelmäßig in ihn einbringen können (weshalb solche Art Unterricht für sie wichtig bleibt!), aber große Schwierigkeiten haben, wenn sie alleine "wie der Ochs vorm Berge" vor einer Aufgabe stehen (und diese dann auch noch schriftlich bearbeiten sollen!).
Das Schreibgespräch ist da ein erster, noch in Kleingruppen stattfindender Versuch auf dem Weg hin zu vollständiger Selbstständigkeit).
Das Schreibgespräch zweier Personen dient ja auch vorbereitend dazu, die jeweils andere Person (den Anfrager, Korrektor) auf die Dauer innenzuverlagern ("der kleine Mann im Ohr") und selbstkritisch mit eigenen Texten umgehen zu können.

Das Schreibgespräch ist durchaus eine neue Anforderung: Vieles, was sich mündlich ganz einfach sagen lässt, bereitet durchaus Schwierigkeiten, wenn es schriftlich fixiert werden soll:

  1. fällt der Tonfall weg,

  2. evtl. auch (enorm wichtige!) Gestik und Mimik,

  3. "ein Bild sagt mehr als 1000 Worte": es ist ganz was anderes, ob ich auf etwas nur hinzuweisen brauche oder es in Worten erklären muss
    (in der Mathematik z.B. Graphen);
    in der Mathematik kommt das Problem hinzu, dass vieles in Symbolsprache sehr leicht ausdrückbar ist, was in sprachlicher Umschreibung höchst umständlich ist (vgl. alte Mathematikbücher); und dennoch ist diese sprachliche Umschreibung ab und zu enorm wichtig, weil die Symbolsprache von SchülerInnen oftmals nur pro forma bzw. "der Lehrkraft zuliebe" erledigt, aber nicht wirklich reflektiert wird;
    zudem könnten die SchülerInnen erst anhand der Schwierigkeit sprachlicher Umschreibungen erkennen, wie wohltuend einfach die Symbolsprache ist.

Das Schreibgespräch ist deshalb eine neue Anforderung, weil das schriftlich Fixierte automatisch nach treffenderen Ausdrücken verlangt: da verbieten sich fast automatisch lax-umgangssprachliche, also oft auch ungenaue Formulierungen, bzw. sie fallen viel eher auf. Frühere Äußerungen sind im Schriftlichen sehr viel leichter rückholbar und damit korrigierbar als im Mündlichen, das oftmals doch eher "zum einen Ohr rein, zum anderen raus geht".

Das Schreibgespräch ist also auch eine Hinführung zur genaueren Benutzung der Fachsprache (bzw. diese ist zumindest ab einem bestimmten Stand einzufordern).

Schreibgespräche haben auch einen Vorteil für die Lehrkraft: Weil sie nicht so klar abgezirkelt sind wie "offizielle" Aufsätze (oder in der Mathematik reine Rechnungen), bekommt man, wenn man sie nachträglich liest, viel besser (wie sonst nur in Lerntagebüchern) als im fragend-entwickelnden, also oftmals allzu suggestiven Unterricht mit,

Das kann durchaus auch wohltuend ernüchternd sein, nämlich

Dann erst sieht man gegebenenfalls, dass man die SchülerInnen heillos überfordert und meilenweit an ihnen (ihrem kognitiven Stand und ihrer Wirklichkeit) vorbei geredet hat. Z.B. merkt man dann auch, dass das Wissensnetz, in das wir gewohnheitsmäßig neue Fakten einordnen bzw. an denen wir sie messen, bei den SchülerInnen noch gar nicht vorhanden und daher erst langsam aufzubauen ist.

Ideen zur Umsetzung

Wie bei jeder anderen Methode auch kann man nicht einfach "jetzt macht (schreibt) mal schön" sagen, sondern sind (auch mit den SchülerInnen zusammen)

nötig.

Und überhaupt sollte man (wieder: wie auch bei jeder anderen Methode) bei Schreibgesprächen irgendwann (nicht notwendig anfangs) klar machen, was mit ihnen bezweckt ist, d.h. wo ihre ganz eigenen Möglichkeiten liegen, - und hinterher reflektieren, ob der beabsichtigte positive Effekt auch tatsächlich eingetreten ist (oder ein anderer, schlechterer, ungeahnter, besserer?). Umgekehrt kann man eine Methode natürlich fallweise auch erst vom Effekt her reflektieren bzw. dann, wenn man sie genauer kennen gelernt hat und weiß, worüber man redet.
Man sollte also zumindest ab und zu bzw. immer mal wieder gegenüber den SchülerInnen "mit offenen Karten spielen", denn sonst haben sie schnell das Gefühl, nur Versuchskaninchen für uneinsehbare methodische Neuerungen (Schnickschnack) zu sein.
Schon gar nicht darf der Eindruck aufkommen, die Methode diene nur dazu, die Lehrkraft zu entlasten ("jetzt schreibt mal schön, während ich die F.A.Z. lese").

  1. Zufallsprinzip (u.a. auch, um übliche Gruppenstrukturen aufzubrechen und pädagogische Entscheidungen [vgl. 3. und 5.] zu verschleiern);

  2. SchülerInnen finden sich freiwillig zusammen;

  3. es werden bewusst SchülerInnen zu eine Gruppe zusammengefasst, die nicht direkt befreundet, ja, eventuell sogar "verfeindet" sind;

  4. gleich leistungsstarke SchülerInnen werden zusammengefasst;

  5. "gute" helfen "schlechten" SchülerInnen (z.B. durch "sokratisches Fragen");

  6. ist das Schreibgespräch durchaus auch im Rahmen eines Gruppenpuzzles einsetzbar.

Möglichkeiten in der Mathematik

Schreibgespräche, so war schon oben mehrfach angedeutet worden, sind durchaus auch in der Mathematik möglich, und zwar in fast allen Phasen des Unterrichts, also

Die Dauer eines Schreibgesprächs richtet sich dabei nach dem jeweiligen Thema und Komplexität, aber auch der Leistungsstärke der einzelnen Gruppen (wobei zu bedenken ist, wie man sie nach Abschluss des Schreibgesprächs individuell weiter beschäftigen kann).

PS:

Latent geht es hier natürlich auch um die Wiederentdeckung des guten alten "mathematischen Aufsatzes", der in letzter Zeit auch und gerade im Zusammenhang mit neuen Medien wieder diskutiert wird; vgl. z.B. .