was Schreibgespräche sind
Sinn und Zweck von Schreibgesprächen
Ideen zur Umsetzung
Möglichkeiten in der Mathematik
Schreib"gespräche" sind
keine Gespräche, weil man eben nicht miteinander spricht, sondern schweigt;
eben doch Gespräche, weil man sich schreibend miteinander unterhält.
Beim Schreibgespräch "unterhalten" sich Kleingruppen (am besten wohl Zweiergruppen) rein schriftlich miteinander. Man könnte auch sagen: Sie schreiben schnell abwechselnd oder auch parallel Briefe aneinander.
Die Kommunikation findet also ausschließlich schriftlich statt, weshalb man sich - als eine mögliche Variation - z.B. auch fragen könnte, ob die Partner auch räumlich trennen sollte (um neben der akustischen auch die gestische und mimische Kommunikation zu unterbinden).
In der Regel sind die Inhalte solch eines Schreibgesprächs aber nicht (wie etwa im Briefwechsel zwischen Freunden) beliebig, sondern fachlich-thematisch vorgegeben (zu Abschweifungen und Kontrollen s.u.).
Der Hauptzweck eines Schreibgesprächs ist schon klar: Alle anderweitigen Formen der Kommunikation sollen ins Schreiben bzw. rein Verbale verlegt werden.
Sinn und Zweck von Schreibgesprächen
Das Schreibgespräch ist bisher eher aus den Geisteswissenschaften, also z.B. dem Fach Deutsch bekannt, wo das Verfassen ausführlicher (schriftlicher) Texte ja ausdrücklich Lernziel ist.
Mit dem Schreibgespräche werden unterschiedlichste Zwecke verfolgt:
dient es zugegebenermaßen manchmal (aussichtslos?) dazu, eine unerträglich laute Klasse "ruhig zu stellen";
der Blick einer Schülergruppe wird auf ein Problem fokussiert;
die schriftliche Kommunikation wird gefördert (am Thema bleiben, sachlich aufeinander eingehen ...);
der schriftliche Ausdruck wird verbessert (Sprachgewandtheit, angemessene Sprache, Fehlerfreiheit ...);
gegenseitige Hilfen und Ergänzungen werden gefördert;
das Denken in Zusammenhängen ist im Schriftlichen einfacher ("roter Faden", Wiederaufnahme eines Gedankens, Planung, Strukturierung verschiedener Wege ...);
mehr noch: überhaupt erst in schriftlicher Form sind Zusammenhänge möglich (lat. textum = Gewebe);
Sachverhalte sollen angemessen und doch kontrovers diskutiert und in einem "Forschungsgespräch" aufgearbeitet werden;
individuelle bzw. verschiedenen Zugänge der Einzelgruppen werden möglich;
die Gruppen bestimmen selbst die Vorgehensweise und den Zeitaufwand.
Ein häufiges Problem besteht darin, dass gewisse SchülerInnen zwar durchaus einem kleinschrittigen, fragend-entwickelnden Unterricht folgen und sich auch gut und regelmäßig in ihn einbringen können (weshalb solche Art Unterricht für sie wichtig bleibt!), aber große Schwierigkeiten haben, wenn sie alleine "wie der Ochs vorm Berge" vor einer Aufgabe stehen (und diese dann auch noch schriftlich bearbeiten sollen!).
Das Schreibgespräch ist da ein erster, noch in Kleingruppen stattfindender Versuch auf dem Weg hin zu vollständiger Selbstständigkeit).
Das Schreibgespräch zweier Personen dient ja auch vorbereitend dazu, die jeweils andere Person (den Anfrager, Korrektor) auf die Dauer innenzuverlagern ("der kleine Mann im Ohr") und selbstkritisch mit eigenen Texten umgehen zu können.
Das Schreibgespräch ist durchaus eine neue Anforderung: Vieles, was sich mündlich ganz einfach sagen lässt, bereitet durchaus Schwierigkeiten, wenn es schriftlich fixiert werden soll:
fällt der Tonfall weg,
evtl. auch (enorm wichtige!) Gestik und Mimik,
"ein Bild sagt mehr als 1000 Worte": es ist ganz was anderes, ob ich auf etwas nur hinzuweisen brauche oder es in Worten erklären muss
(in der Mathematik z.B. Graphen);
in der Mathematik kommt das Problem hinzu, dass vieles in Symbolsprache sehr leicht ausdrückbar ist, was in sprachlicher Umschreibung höchst umständlich ist (vgl. alte Mathematikbücher); und dennoch ist diese sprachliche Umschreibung ab und zu enorm wichtig, weil die Symbolsprache von SchülerInnen oftmals nur pro forma bzw. "der Lehrkraft zuliebe" erledigt, aber nicht wirklich reflektiert wird;
zudem könnten die SchülerInnen erst anhand der Schwierigkeit sprachlicher Umschreibungen erkennen, wie wohltuend einfach die Symbolsprache ist.
Das Schreibgespräch ist deshalb eine neue Anforderung, weil das schriftlich Fixierte automatisch nach treffenderen Ausdrücken verlangt: da verbieten sich fast automatisch lax-umgangssprachliche, also oft auch ungenaue Formulierungen, bzw. sie fallen viel eher auf. Frühere Äußerungen sind im Schriftlichen sehr viel leichter rückholbar und damit korrigierbar als im Mündlichen, das oftmals doch eher "zum einen Ohr rein, zum anderen raus geht".
Das Schreibgespräch ist also auch eine Hinführung zur genaueren Benutzung der Fachsprache (bzw. diese ist zumindest ab einem bestimmten Stand einzufordern).
Schreibgespräche haben auch einen Vorteil für die Lehrkraft: Weil sie nicht so klar abgezirkelt sind wie "offizielle" Aufsätze (oder in der Mathematik reine Rechnungen), bekommt man, wenn man sie nachträglich liest, viel besser (wie sonst nur in Lerntagebüchern) als im fragend-entwickelnden, also oftmals allzu suggestiven Unterricht mit,
wie SchülerInnen denken und
was von dem, was man selbst erzählt bzw. durchgenommen hat, in den Köpfen der SchülerInnen wirklich angekommen ist.
Das kann durchaus auch wohltuend ernüchternd sein, nämlich
völlig Falsches und Verqueres,
Zusammenhangloses,
Einseitiges (z.B. werden Anekdoten verallgemeinert bzw. für "die" Wahrheit gehalten).
Dann erst sieht man gegebenenfalls, dass man die SchülerInnen heillos überfordert und meilenweit an ihnen (ihrem kognitiven Stand und ihrer Wirklichkeit) vorbei geredet hat. Z.B. merkt man dann auch, dass das Wissensnetz, in das wir gewohnheitsmäßig neue Fakten einordnen bzw. an denen wir sie messen, bei den SchülerInnen noch gar nicht vorhanden und daher erst langsam aufzubauen ist.
Wie bei jeder anderen Methode auch kann man nicht einfach "jetzt macht (schreibt) mal schön" sagen, sondern sind (auch mit den SchülerInnen zusammen)
einige Vorüberlegungen und
eine Begleitung während des Prozesses
sowie eine Nachbereitung
nötig.
Und überhaupt sollte man (wieder: wie auch bei jeder anderen Methode) bei Schreibgesprächen irgendwann (nicht notwendig anfangs) klar machen, was mit ihnen bezweckt ist, d.h. wo ihre ganz eigenen Möglichkeiten liegen, - und hinterher reflektieren, ob der beabsichtigte positive Effekt auch tatsächlich eingetreten ist (oder ein anderer, schlechterer, ungeahnter, besserer?). Umgekehrt kann man eine Methode natürlich fallweise auch erst vom Effekt her reflektieren bzw. dann, wenn man sie genauer kennen gelernt hat und weiß, worüber man redet.
Man sollte also zumindest ab und zu bzw. immer mal wieder gegenüber den SchülerInnen "mit offenen Karten spielen", denn sonst haben sie schnell das Gefühl, nur Versuchskaninchen für uneinsehbare methodische Neuerungen (Schnickschnack) zu sein.
Schon gar nicht darf der Eindruck aufkommen, die Methode diene nur dazu, die Lehrkraft zu entlasten ("jetzt schreibt mal schön, während ich die F.A.Z. lese").
Vorbereitung:
Längeres Schweigen wird für viele SchülerInnen nicht einfach sein (was auch im gängigen Unterricht oftmals nicht bedacht wird). Deshalb können einige "Lockerungsübungen" nicht schaden:
Die Grundform ist den SchülerInnen mehr als bekannt: Sie schieben und werfen einander im Unterricht ja auch gerne Zettel zu, auf denen beispielsweise private Termine vereinbart werden.
Denkbar wären auch kleine vorbereitende Spiele, die die Problematik, aber auch Möglichkeiten des "Schweigens" verdeutlichen, also z.B.
ja ebenfalls nonverbale pantomimische Sketche,
"einander anschweigen" (Menschen im Aufzug; wer hält am längsten durch?).
Zweifelsohne von besonderer Bedeutung ist die (evtl. mit den SchülerInnen gemeinsam erarbeitete) Aufgabenstellung, denn sie muss
dem Schreibgespräch eine sinnvolle Zielrichtung geben,
Anlass für ein echtes (Schreib-)Gespräch geben;
Entspannungsphasen während des Schreibens:
Vermutlich wird man die Dauer der Schreibphasen langsam "hochfahren" müssen;
zwischen solchen Phasen darf es auch mal "laut" sein (ein Mal ums Schulgebäude joggen?);
es sind Überlegungen anzustellen, wie einzelnen Gruppen geholfen werden kann, wenn sie es nicht schaffen, länger konzentriert zu schreiben/schweigen; denkbar wäre da z.B. eine Parallelaufgabenstellung (z.B. Recherche in einem anderen Raum);
mehr und mehr Menschen können nicht mehr mit einer "roaring silcence" umgehen, sondern brauchen, um sie aufzufüllen, Hintergrundmusik; vielleicht (?) sollte man also solche Hintergrundmusik abspielen, und zwar auch, damit nicht jedes kleinste Geräusch ablenkend wirkt;
Konzentrationshilfen:
kaum jemand ist in der Lage, seine Gedanken mehrere Minuten lang ausschließlich auf ein Problem zu konzentrieren; schon leiseste Geräusche lassen die Gedanken abschweifen, und überhaupt schwirren die Assoziationen immer frei herum; da wäre es sinnlos, solche abweichenden Assoziationen einfach zu verbieten; vielmehr könnte man sie sogar ausdrücklich zulassen, aber darum bitten, sie auf ein anderes Blatt Papier zu schreiben - und hinterher zu vergleichen, wie viel man einerseits zum Thema, andererseits zu Assoziationen geschrieben hat, ja, genauer zu untersuchen, wie die eigenen Gedanken sich denn genau bewegen;
SchülerInnen können jederzeit die Lehrkraft bitten, Tipps zur weiteren Fortführung des Schreibgesprächs zu geben (um auch überhaupt wieder ins Schreibgespräch rein zu kommen);
Gruppenzusammenstellung: es ist vorher zu überlegen, wie man die Gruppen zusammenstellt; für jede Möglichkeit gibt es gute Gründe, aber oft sprechen auch Gründe dagegen:
Zufallsprinzip (u.a. auch, um übliche Gruppenstrukturen aufzubrechen und pädagogische Entscheidungen [vgl. 3. und 5.] zu verschleiern);
SchülerInnen finden sich freiwillig zusammen;
es werden bewusst SchülerInnen zu eine Gruppe zusammengefasst, die nicht direkt befreundet, ja, eventuell sogar "verfeindet" sind;
gleich leistungsstarke SchülerInnen werden zusammengefasst;
"gute" helfen "schlechten" SchülerInnen (z.B. durch "sokratisches Fragen");
ist das Schreibgespräch durchaus auch im Rahmen eines Gruppenpuzzles einsetzbar.
Nachbereitung:
Schreiben ist schnell frustrierend, wenn es ohne (äußeren) Adressaten bleibt; d.h. das Gegenlesen durch die Lehrkraft ist nicht nur Kontrolle, sondern auch Anerkennung;
die Lehrkraft sollte die Ergebnisse der Schreibgespräche (zumindest zeitweise) auch lesen, um zu erfahren, was ihr Unterricht "angerichtet" hat;
ratsam ist solch ein Gegenlesen auch, damit sich nicht Ungenaues oder gar Falsches festsetzt ("was du schwarz auf weiß besitzest, kannst du [oftmals leider nicht] getrost nach Hause tragen");
die Ergebnisse der Schreibgespräche sollten auch - etwa in Minireferaten - der sonstigen Klasse zugänglich gemacht, miteinander verglichen und gegenseitig korrigiert und ergänzt werden.
Möglichkeiten in der Mathematik
Schreibgespräche, so war schon oben mehrfach angedeutet worden, sind durchaus auch in der Mathematik möglich, und zwar in fast allen Phasen des Unterrichts, also
bei der ersten Einarbeitung in ein Thema (Recherche, Ideenentwicklung);
bei der Übertragung von Bekanntem auf andere Sachverhalte (Anwendung);
bei Beweisansätzen;
in Wiederholungs- und Übungsphasen.
Die Dauer eines Schreibgesprächs richtet sich dabei nach dem jeweiligen Thema und Komplexität, aber auch der Leistungsstärke der einzelnen Gruppen (wobei zu bedenken ist, wie man sie nach Abschluss des Schreibgesprächs individuell weiter beschäftigen kann).