Was da derzeit auf dem pädagogischen Markt (kultusministeriell) läuft, kann man nur
entweder als unbemerkt widersprüchlich
oder aber als bewusst irreführend
bezeichnen:
einerseits wird mehr und mehr gegängelt, d.h. ein "Kanon" abgesteckt und "zentral-objektiv" abgeprüft (neudeutsch "evaluiert")
(vgl. auch "Stoffbegrenzung tut not"),
andererseits aber
(wohl weil man etwa durch bemerkt hat, dass viele deutsche SchülerInnen nicht kreativ und problemlösend denken können)
zunehmend Selbstständigkeit der SchülerInnen gefordert
(und endgültig schwammig wird´s, wenn all das "konstruktivistisch" geschehen soll).
Ich unterstelle mal, dass da mit dem "Selbstlernen" letztlich nur eins gemeint ist: Allein-Lernen, d.h. die Abschaffung der teuren Lehrer zugunsten von Computerprogrammen: "friss oder stirb!"
(In der Kultuspolitik wird sich schon für jede Sparmaßnahme als Begründung irgendeine - und sei sie noch so fadenscheinig - pädagogische Weltneuheit finden lassen, also z.B.:
Wissenschaftler haben jetzt nachgewiesen, dass Klassen möglichst groß [nicht unter 50 SchülerInneN] sein müssen, damit alle Charaktere und sozialen Schichten repräsentiert sind und ein lebensnahes [!] und weltoffenes [!] Abbild der Wirklichkeit "im Zeitalter der Globalisierung" vorliegt.
Lehrer sollten erst mit 90 in Rente gehen, um noch sehr viel mehr Schülergenerationen mit ihrer aufgestauten Erfahrung überschwemmen zu können.)
Diese Computerprogramme (so dumm sind Computer nach wie vor!) sind dann aber gnadenlos vorstrukturiert ("drill & kill") und lassen den SchülerInneN keinerlei Freiheiten mehr.
Und ein Widerspruch in sich ist das Begriffspaar Freiheit/Mathematik (vgl. ).
Man stelle sich mal die Panik vor, die ausbrechen würde, wenn einE SchülerIn dreist und selbstbewusst von ihrer/seiner Selbstlernfreiheit Gebrauch machen und sagen würde:
"ich will gar nicht den »Faust« lesen - sondern statt dessen »Auf der Suche nach der verlorenen Zeit«";
"Stochastik langweilt mich zu Tode, und da betreibe ich doch lieber richtige Mathematik - also Zahlentheorie."
Das gab´s noch nie, da könnte ja jeder kommen - und wie (um Gottes willen) soll da ein Zentralabitur aussehen?
(Und oh Panik über Panik: da müsste die Lehrkraft ja selbst Proust lesen bzw. sich in Zahlentheorie fit machen!)
Eine Lüge bzw. ein windelweicher Selbstbetrug liegt auch vor, wenn unterstellt wird, Selbstlernen habe grundsätzlich und ausnahmslos freiwillig zu geschehen.
werden damit nur die nun mal vorhandenen Systemzwänge der Schule geleugnet;
wird damit schon ein Interesse bzw. eine Bereitwilligkeit der SchülerInnen vorausgesetzt, das bzw. die ihnen überhaupt erst "anzuerziehen" ist;
muss den SchülerInnen ja überhaupt das ihnen bislang noch unbekannte Material gezeigt werden, das sie dann "selbstlernen" können
(man kann sich nicht für Zahlentheorie interessieren, wenn man noch nie von ihr gehört hat).
Aber selbstverständlich kann und muss man ab und zu zum Selbstlernen zwingen! |
Selbstlernphasen sind keineswegs nur ein laissez faire
"jetzt macht mal schön" ("seid spontan!")
bzw. der Terrorspruch "Tu, was du willst" ("was wollte ich eigentlich?"),
sondern stellen klare Anforderungen. Da gibt es Vorschriften und einzuhaltende Vereinbarungen. Vgl. "Selbstlernen radikal":
"Verdammt noch mal, ich kann von Dir erwarten, dass Du Dir Mühe gibst, Zeit aufwendest, mehr als vorgeschrieben tust (selbst suchst), eigenständige Initiative ergreifst ... Und wenn Du dazu nicht bereit bist, hast Du hier nichts zu suchen - da ist die Tür!"
(Und dennoch: welcheR LehrerIn hätte den Mut, das durchzuziehen?)
Selbstlernfähigkeit kann man nicht voraussetzen, sondern es müssen Vorgehensweisen gezeigt und eingefordert werden - und der Appetit kommt erst beim Essen. |
Ein Beispiel:
ein Schüler möchte seine Mathematiknote durch ein Referat aufbessern
(seien wir realistisch: ihn interessiert die Note, nicht die Mathematik).
Weil sein eigentliches Interesse eher im musikalischen als mathematischen Bereich liegt, wurde mit dem Lehrer das Thema "Pythagoras und die Musik" vereinbart (und eben nicht vorgeschrieben). Der Lehrer begleitet die Anfertigung des Referats durchaus auch mit Hilfestellungen und (Literatur-)Tipps.
Da nun aber fängt die Pflicht des Schülers an:
eine eigenständige Suche nach differenziertem Material
(statt Abschreiben einer Quelle [Microsoft Encarta, fertige Seiten im Internet]; denkbar sind hier auch selbstständig aufgenommene Kontakte zu Fachleuten),
eine eigenständige Erarbeitung des Materials
(nochmals: statt bloß unkritisch-unverstandenem Abschreiben),
eine optisch gelungene schriftliche Niederlegung,
sprachlich und fachlich angemessene Aufarbeitung,
eine interessante und anschauliche Präsentation
(kein Powerpoint-Pippifax, keine Effekthascherei, aber eben auch nicht stumpfes Ablesen),
Einhaltung des vereinbarten Referatstermins.
Man muss hier tatsächlich mal ein altertümliches und scheinbar reaktionäres Vokabular bemühen:
man lernt Selbstverpflichtung (in jenem positiven Sinn, den z.B. Friedrich Schiller meinte) eben auch durch (von außen aufgelegte oder vereinbarte) Pflichten |
... was alles natürlich keine Rechtfertigung für den ewig alten Zwang ist
(die uralte Denkfaulheit bzw. -unfähigkeit, die nur immer dieselbe vermittelt).