"Spiegeln"
(oder bittschön keine pädagogischen Schlagworte, sondern konkret werden)

Es gibt (wohl nicht erst) in der derzeitigen pädagogischen Diskussion unendlich viele Schlagworte, Worthülsen und Patentrezepte

(vgl. etwa ).

So ist beispielsweise das "Stationenlernen"

(gegen das ich ja gar nichts prinzipiell habe!)

solch ein derzeit modisches Patentrezept

(vgl. etwa ).


Hier sei das Beispiel mal das "Spiegeln":

"[Carl] Rogers hatte herausgefunden, dass er mehr und relevantere Informationen erhielt wenn er sich mit direkten Fragen, die mit "Ja" oder "Nein" beantwortet werden können, zurückhielt. Statt dessen stellte er offene Frage (W-Fragen) oder wiederholte schlicht in anderen Worten, was der Klient gerade gesagt hatte und was er vertiefen wollte (»spiegeln«)."
(zitiert nach )

"In der Humanistischen Psychologie bezeichnet Spiegeln den Versuch einer Person, auf Verhaltensweisen ihres Gesprächspartners so zu reagieren, dass sie seine Perspektive einnimmt und das Verstandene an ihn »zurückspiegelt«. Das heißt, die Person gibt in eigenen Worten das zurück, was sie von ihrem Gegenüber an Inhalten und Gefühlen verstanden hat."
(zitiert nach )

Nun bin ich ja sowieso skeptisch gegenüber aller modischen Übertragung psychologischer, vor allem aber neurobiologischer Erkenntnisse auf die Schule: nicht weil diese Erkenntnisse falsch wären, sondern weil ihre Bedeutung für die Schule oftmals nur behauptet wird - und ebenso häufig banal bleibt

("das wussten wir auch schon vorher", was ja nicht automatisch heißt, dass wir uns auch danach gerichtet haben):

drei Viertel von dem, was "die" Neurobiologie jetzt "weiß", wussten beispielsweise schon die Reformpädagogen.

(Vgl. etwa

"Die Neurowissenschaften wissen heute [was für eine Anmaßung!], unter welchen Bedingungen das Gehirn lernen kann und welche Umstände dies verhindern. Damit eröffnet sich das neue Gebiet der Neurodidaktik, das auf überraschende Weise alte pädagogisch-psychologische Einsichten bestätigt , aber auch neue, unmittelbar praxisrelevante Hinweise gibt."
[zitiert nach ; Klammereinfügung und rote Hervorhebung von mir, H.St.] )

Insbesondere ist eine simple Übertragung von der Psychologie auf die Schule deshalb fraglich, weil es sich bei SchülerInneN nicht um "Patienten" handelt

(genauso, wie es einfach dumm ist [und auch reale Machtverhältnisse leugnet], heutzutage in Schulen Dienstleistungsbetriebe und in SchülerInneN und Eltern Kunden zu sehen).

Vor allem sagt sich das

("[...] gibt in einen Worten das zurück, was sie von ihrem Gegenüber an Inhalten und Gefühlen verstanden hat.")

so einfach - und ist es doch eine hohe Kunst.

Es reicht eben nicht, wenn jemand "Ich habe Hunger" gesagt hat, zu wiederholen: "[Du hast gesagt:] »Ich habe Hunger.«" Bzw. solch pauschal-papageienhafte Wiederholung ist doch meist regelrecht affig.

(Vgl. auch Joseph Weizenbaums Programm "Eliza": )


Überhaupt kann "Spiegeln" schon allein deshalb keine Patentmethode sein, weil es manchmal gar nicht so leicht zu ertragen ist, sich selbst im Spiegel zu sehen:


(man beachte allerdings den unverwüstlichen Galgenhumor!)

Vgl. auch

Schwer erträglich ist das nicht nur, wenn man offensichtlich mal richtigen "Mist verzapft" hat.

Sondern ich habe auch oftmals festgestellt, dass es SchülerInneN gar nicht so lieb war, wenn ich - u.a. als Deutschlehrer - nicht nur die Formulierungen in Texten, sondern auch die Formulierungen der SchülerInnen "ernst" genommen hatte:

  1. fühlt man sich vor versammelter Mannschaft als Streber vorgeführt, wenn eine Äußerung mal wirklich gut war,

  2. möchte man gar nicht, dass die eigenen Formulierungen derart "auf die Goldwaage gelegt" werden
    (obwohl bzw. weil man sich "gar nicht so viel dabei gedacht" hat),

  3. werden offene, also noch nicht bewertende Spiegelungen erstmal immer als Negativkritik verstanden
    ("oh je, ich habe was Falsches gesagt" - was jede Untersuchung auf [Teil-]Richtigkeit endgültig unmöglich macht, wenn der Lehrer nicht nachträgt: "Ich habe es aufgenommen, weil ich es so gut fand").

Letzteres ist wirklich schade, weil es mir meistens doch wirklich darum geht, das Gute oder zumindest schon Brauchbare aus Schüleräußerungen herauszuarbeiten und ihnen damit - etwa nach dem Mott "du weißt gar nicht, wie gut du [längst] bist" - Selbstbewusstsein zu geben.


Was fehlt, ist (in einem ersten Schritt) eine Konkretisierung, wie solches "Spiegeln" im Schulunterricht aussehen könnte.

Daher hier mal drei Beispiele:

  1. ein Beispiel aus dem Matheunterricht: 

Schüler A erklärt seinem Mitschüler B (oder auch dem Lehrer), wie er (A) bei einer Mathematikaufgabe gerechnet hat, also z.B.:

„Ich habe |● 3 hinter die erste Gleichung geschrieben, und das bedeutet, dass ich in der nächsten Gleichung beide Gleichungsseiten mit 3 multipliziert habe.“

Schüler B (bzw. der Lehrer) darf nun nicht bewerten, ob das auch tatsächlich korrekt geschehen ist, sondern er fragt (wobei Fragen nach Rogers ja durchaus Formen des „Spiegelns“ sein können, solange sie nicht eindeutig mit „ja“ oder „nein“ beantwortet werden können):

„Hast du denn tatsächlich beide Seiten mit 3 multipliziert?“

Nun muss durch Gewohnheit klar sein, dass solch eine Nachfrage unabhängig davon geschieht, ob Schüler A sein Vorhaben korrekt oder (partiell) falsch durchgeführt hat

(während Fragen sonst meist als indirekte [Negativ-]Kritik verstanden werden – und vielleicht auch so gemeint sind).

In beiden Fällen (korrekt/falsch) wird Schüler A zu einer Überprüfung aufgefordert, aber in ersterem Fall wird er in seiner Rechenfertigkeit bestätigt, in letzterem Fall bemerkt er bei der Überprüfung evtl. seinen Fehler

(u.a. etwa, wenn Schüler B betonend fragt: „Hast du denn tatsächlich beide bzw. beide ganzen Seiten mit 3 multipliziert?“)

„Spiegeln“ in dieser Art ist durchaus eine wichtige Unterrichtsmethode. Beispielsweise werden die „besseren“ Schüler damit nicht mehr als erniedrigende „Besserwisser“ eingesetzt

(in fein-hinterhältiger Delegierung der Lehrermacht als „his masters [des Lehrers] voice“ und dessen Vollstrecker),

sondern nur noch als Nachfrager bzw. „Spiegelnde/Spiegel“. 

Ein „Spiegelnder“ kann sogar selbst beim „Spiegeln“ dazu lernen: bei der Frage „Hast du denn tatsächlich beide Seiten mit 3 multipliziert?“ muss er ja noch nicht selbst wissen, ob das auch tatsächlich geschehen ist, kann er also dazu lernen, wie das zu geschehen hat bzw. warum das schief gelaufen ist.  

  1. ein weiteres Beispiel aus dem Matheunterricht:

im Geometrieunterricht werden manchmal verbale Konstruktionsbeschreibungen verlangt. Als (Hinter-)Sinn solcher Konstruktionsbeschreibungen könnte man beispielsweise unterstellen,

  1. dass die Schüler auch genauer (richtiger) konstruieren, wenn sie genauer sprechen (???, s.u.),
  2. dass sie überhaupt miteinander über Konstruktionen sprechen (sie sogar gemeinsam durchführen), also zusammenarbeiten und dies als hilfreich erfahren sollen.

Nun fallen solche Konstruktionsbeschreibungen bekanntermaßen oftmals – seis aus Faulheit der Schüler, seis, weil sie nicht vom Sinn überzeugt werden konnten - sehr schlampig oder ungenau aus

(merkwürdigerweise [?] sind oftmals die [intuitiven] Konstruktionen durchaus richtig, die verbalen Beschreibungen aber ungenau oder gar falsch – was einen doch am Sinn der Beschreibungen zweifeln lassen könnte).

Ein Lehrer kann die Konstruktionsbeschreibung eines Schülers einfach dadurch „spiegeln“, dass er – in diesem Fall – überhaupt nicht spricht, sondern seinerseits nach den „Anweisungen“ des Schülers an der Tafel konstruiert, und zwar

(was aber vielleicht ein arg spitzfindiges Beispiel ist).

Man könnte fast sagen, dass erst hier „Spiegeln“ im eigentlichen Wortsinne vorliegt, nämlich produktiv irritierende „Spiegelverkehrtheit“ entsteht. 

Erfahrungsgemäß haben die SchülerInnen bei solch bewusst „verkorksten“ Zeichnungen sogar Spaß – und korrigieren (verbal!) schnell Unklares oder Falsches. 

Und Schülern macht es auch Spaß, selbst dieses „Spiegel“-Verfahren anzuwenden – wobei es durchaus einiger Pfiffigkeit bedarf, systematisch alle falschen Anweisungen auch tatsächlich falsch bzw. alle unklaren Anweisungen „umgekehrt“ durchzuführen. 

  1. ein Beispiel aus dem Deutschunterricht:

Ohne jeglichen Hinweis, dass das Gedicht sehr alt (mittelhochdeutsch) ist, wird den Schülern folgendes Gedicht vorgelesen:

Dû bist mîn, ich bin dîn.
des solt dû gewis sîn.
dû bist beslozzen
in mînem herzen;
verlorn ist das sluzzelîn:
dû muost ouch immer darinne sîn.  

Die erste Reaktion eines Schülers: „Ich finde das komisch.“

Nun hat der Schüler mit der Verwendung des Wortes „komisch“ ja keinen Fehler gemacht, sondern das Wort ist „objektiv“ mehrdeutig, bedeutet nämlich fallweise „lustig“ oder aber „irritierend/merkwürdig/eigenartig“. 

Um den Schüler zur Spezifizierung dessen, was er da „komisch“ findet, zu veranlassen bzw. dazu, sich eindeutiger auszudrücken, kann der Lehrer nun fragen: „Was meinst du mit »komisch«?“

Aber das ist natürlich wieder nur eine der allgemein üblichen (suggestiven) Fragen. Denkbar wäre auch eine reine Wortwiederholung, seis – noch immer fragend und vielleicht auch allzu suggestiv – „Komisch?“ oder in rein sachlicher Aussage: „Komisch.“

Das „Spiegeln“ vertraut nun darauf, dass der Schüler dann „automatisch“ hellhörig für seinen eigenen (!) Wortgebrauch wird und etwa – zumindest sinngemäß - „lustig“ oder aber „irritierend/merkwürdig/eigenartig“ ergänzt

(und dann vielleicht auch noch begründet, warum er das so sieht).

Es geht auch hier nicht darum, ob der Schüler Recht oder Unrecht hat, denn man mag das Gedicht (bzw. seine Sprache) sowohl „lustig“ als auch „merkwürdig/eigenartig“ finden.

Beispielsweise hielten Schüler (wohlgemerkt: ohne jedes Hintergrundwissen zur Entstehungszeit des Gedichts) dieses mal für sehr lustig, weil es durchaus modern, aber bewusst in einer „Baby-“ bzw. Verliebten-Sprache gesprochen sei. Andere hingegen ahnten, dass es alt („von vor dem Zweiten Weltkrieg?“) ist und deshalb „fremdartig“ und in diesem Sinne „irritierend/merkwürdig/eigenartig“ wirkt.


Nun ist "Spiegeln" einer jeder besonders "schwierigen", weil meist völlig von der jeweiligen Unterrichtssituation abhängigen Methoden (oder sogar eher "Einstellungssache"?): man weiß ja nicht vorweg, was einE SchülerIn sagen wird, und kann demnach das "Spiegeln" in der Regel nicht planen.

Es lässt sich höchstens

(u.a., wie man in einer tatsächlichen, aber vergangenen Unterrichtssituation hätte "spiegeln" können; oder wie man in typischen Situationen "spiegeln" könnte)

(wie etwa im 2. Beispiel oben).

Dennoch ist es natürlich unbefriedigend und wenig überzeugend, einfach feste drauflos zu planen (Wolkenkuckucksheime zu bauen), wie "Spiegeln" im Unterricht  "aussehen könnte" (s.o.). Vielmehr wäre doch - in einem zweiten Schritt - im konkreten Unterricht zu überprüfen, ob das "Spiegeln" dort auch (seien wir - heutzutage ganz ungewöhnlich - bescheiden: manchmal) funktioniert und zu den erwarteten "Ergebnissen" führt.

Ich hatte es aber oben schon mit "erfahrungsgemäß" angedeutet: meine drei Beispiele entstammen alle "echtem" Unterricht.


Aber jetzt wollen wir das Ganze doch nicht allzu hoch hängen oder gar als Verdienst ausgeben, sondern sortieren es unter

ein.